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NORDAMERIKA/088: Sterne und Stacheldraht (ai journal)


amnesty journal 08/09/2008 - Das Magazin für die Menschenrechte

Sterne und Stacheldraht

Die USA sind Vorreiter im Kampf für die Menschenrechte und gleichzeitig einer ihrer schärfsten Gegner. Jetzt sind die Hoffnungen groß, dass mit dem Ende der Amtszeit Bush auch das Ende der illegalen Haft, Misshandlung und Folter im Kampf gegen den Terror eingeläutet wird.

Von Ferdinand Muggenthaler


Jede Generation von Amerikanern hat sich neu der Überzeugung verschrieben, dass alle Menschen gleich geschaffen sind, mit den von Gott gegebenen Rechten auf Leben, Freiheit und dem Streben nach Glück." George W. Bush feierte auch in seinem letzten Jahr als Präsident am 4. Juli die USA als das Mutterland der Menschenrechte. Mit Thomas Jefferson betonte er, dieses Mal bei einer Einbürgerungszeremonie in Monticello im Bundesstaat Virginia, dass "diese Rechte nicht nur den Amerikanern zustehen. Diese Rechte stehen der ganzen Menschheit zu."

Wie müssen diese Worte für Akifur Rahman klingen? Rahman ist in den USA geboren, lebt mit seiner Frau und seinen zwei Kindern in einem Vorort von Chicago. Er besitzt ein EDV-Beratungsunternehmen, ist viel unterwegs. Doch seit 2004 wird er immer wieder für Stunden festgenommen, wenn er von einer Auslandsreise zurückkehrt. Wie Tausende anderer Muslime ist er auf eine Beobachtungsliste für Terrorverdächtige geraten. Angeklagt wurde er nie, es laufen auch keine Ermittlungen gegen ihn. Im Februar beschrieb Rahman vor dem UNO-Ausschuss für die Beseitigung der Rassendiskriminierung, wie er am 8. Mai 2005 aus dem Auto geholt wurde, an einen Stuhl gefesselt und verhört wurde. Seine Frau und seine zwei kleinen Kinder mussten fünf Stunden in einem Wartesaal ohne Essen und Trinken auf ihn warten. "Wir alle wollen vor Terrorismus geschützt sein. Aber der Preis dieser Sicherheit darf nicht sein, dass unschuldige Amerikaner immer wieder für Stunden festgenommen, in Handschellen gelegt und verhört werden, einfach nur weil sie wieder in ihr eigenes Land einreisen wollen."

Auch außerhalb der USA lässt die Art, mit der die Regierung Bush ihren Krieg gegen den Terror führt, ihr Bekenntnis zu den Menschenrechten zynisch klingen. Der Ruf der USA als internationaler Vorreiter für die Menschenrechte ist gründlich beschädigt. Dafür stehen vor allem die Folterbilder aus Abu Ghraib und die Bilder der Gefangenen auf Guantánamo in den orangefarbenen Gefangenenuniformen, wie sie gefesselt und mit abgedeckten Augen vor den Drahtkäfigen knien.

Es wäre falsch, das Thema USA und Menschenrechte auf Bush und die Entwicklung nach den verheerenden Anschlägen vom 11. September 2001 zu verengen. 1998, also vor Bushs Amtsantritt, veröffentlichte Amnesty International einen umfassenden Bericht zu den USA. Polizeibrutalität und der Einsatz von Elektroschockwaffen, Diskriminierung von Schwarzen und Latinos, die Zustände in den Gefängnissen - alle dort angesprochenen Punkte werden auch nach der nächsten Präsidentenwahl noch aktuell sein.

Trotzdem war die Verletzung der Menschenrechte im Namen der Terrorbekämpfung ein überragendes Thema von Organisationen wie Amnesty International. Jetzt sind die Hoffnungen groß, dass mit dem Ende der Amtszeit Bush auch das Ende der illegalen Haft, der Misshandlung und Folter durch die USA im Kampf gegen den Terror eingeläutet wird. Beide Präsidentschaftskandidaten haben sich für die Schließung des Militärgefängnisses auf Guantánamo und gegen Folter durch die CIA ausgesprochen.

Barack Obama scheint zudem die Hoffnung zu verkörpern, dass sich die USA auch im Inneren wieder mehr dem am 4. Juli beschworenen Ideal der Unabhängigkeitserklärung verschreiben. Dem Ideal, ein Land zu sein, in dem alle Menschen unabhängig von Herkunft und Hautfarbe gleiche Rechte und Chancen genießen. Allein die aussichtsreiche Kandidatur des Sohns einer weißen Amerikanerin und eines Kenianers besitzt einige Symbolkraft, und Obama hat schon als Senator Gesetze gegen "racial profiling" eingebracht. Also gegen die Praxis, unter der auch Akifur Rahman leidet, Menschen allein wegen ihrer Hautfarbe oder vermuteten Herkunft als Verdächtige zu behandeln.

Doch zumindest unter Gegnern der Todesstrafe erhielt die Obama-Euphorie im Juni einen großen Dämpfer. Der Oberste Gerichtshof der USA hatte entschieden, dass die Todesstrafe für Taten ohne Todesfolge und damit auch für die Vergewaltigung an Kindern gegen die Verfassung verstößt. Amnesty International begrüßte das Urteil als Schritt in die richtige Richtung. Doch beide Präsidentschaftskandidaten, auch Barack Obama, kritisierten das Urteil und verteidigten die Todesstrafe für dieses "abscheuliche Verbrechen" (Obama).

Jede andere Haltung hätte vermutlich die sichere Niederlage bei den Präsidentschaftswahlen bedeutet. Denn nach wie vor befürwortet eine Mehrheit der US-Bevölkerung die Todesstrafe. Das war übrigens nicht anders, als in Deutschland und anderen europäischen Staaten die Todesstrafe abgeschafft wurde. Aber in den USA ist auch heute noch keine politische Bewegung in Sicht, die die Mehrheitsverhältnisse ändern oder sich in dieser Frage gegen die Mehrheit der Bevölkerung durchsetzen könnte.

Die USA verweigern sich nicht nur dem internationalen Trend zur Abschaffung der Todesstrafe. Zwar haben sie auf anderen Gebieten einen ausgebauten Menschenrechtsschutz, aber vielen internationalen Menschenrechtsabkommen sind sie nicht oder spät und unter Vorbehalten beigetreten. Wer in den USA seine Menschenrechte durchsetzen will, muss sich auf die Verfassung berufen, nicht auf internationales Recht.

Paradoxerweise haben sich US-Regierungen gleichzeitig immer wieder für die Entwicklung internationaler Standards eingesetzt. Dieses Jahr feiern wir den 60. Geburtstag der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte. Dieses wegweisende UNO-Dokument wäre ohne das Engagement der US-Regierung 1948 nicht verabschiedet worden. "Außergewöhnlich ist nicht, dass die USA inkonsequent, scheinheilig oder arrogant sind", stellt Michael Ignatieff fest. Das sind auch andere demokratische Staaten. Erklärungsbedürftig sei vielmehr, schreibt der Harvard-Politikwissenschaftler in einem Buch über die besondere Rolle, die das Land in Bezug auf die Menschenrechte spielt, "warum die USA sich dieses Versagens schuldig machen und gleichzeitig eine treibende Kraft bei der Entwicklung und Durchsetzung globaler Menschenrechte waren".

Eine einfache Erklärung dafür gibt es nicht. Jedenfalls ist diese Widersprüchlichkeit bei der Durchsetzung der Menschenrechte tief in die politische Kultur der USA eingeschrieben. Auch Anhänger von starken Bürgerrechten sehen diese durch die US-Verfassung geschützt und die Unterwerfung unter internationale Standards als Verlust von Souveränität und Demokratie.

Trotzdem sind auch die USA nicht immun gegen Druck von außen. Wie internationale Entwicklungen ausgerechnet über den Umweg der Verfassungshüter in das US-Rechtssystem einsickern, zeigt das Beispiel der Todesstrafe. 2002 verbot der Supreme Court die Hinrichtung geistig Behinderter, 2005 die Todesstrafe für jugendliche Straftäter und zuletzt im Juni 2008 die Todesstrafe bei Taten, die nicht zum Tod des Opfers führen.

Bemerkenswert ist die Begründung des Supreme Courts für seine Entscheidungen von 2005 gegen die Hinrichtung der sogenannten Teen-Killer, also von Verurteilten, die zum Tatzeitpunkt noch keine 18 Jahre alt waren. Das sprichwörtliches Zünglein an der Waage war Anthony Kennedy. In einem vergleichbaren Fall hatte Kennedy - der 1988 als Protégé des Bush-Idols Ronald Reagan an das höchste US-Gericht berufen worden war - noch mit der konservativen Fraktion der Kammer für die Beibehaltung der Todesstrafe für Teenager votiert. Diesmal jedoch schloss er sich der liberalen Fraktion an - aus 5:4 wurde 4:5.

Ein Motiv für seinen Wandel, so gab Kennedy zu erkennen, war die weltweite Empörung. Das "überwältigende Gewicht der internationalen Meinung", heißt es in seiner Urteilsbegründung, gelte für die Mehrheit der Bundesrichter als "signifikante Bestätigung" ihrer Haltung.

In der Vergangenheit war es immer wieder das Oberste Gericht, das wichtige Rechte durchsetzte, die heute als selbstverständlich gelten. So hob der Supreme Court 1954 einstimmig die Rassentrennung in den Schulen auf. Es waren auch die obersten Richter, die 2004, 2006 und 2008 den "feindlichen Kämpfern", die auf Guantánamo eingesperrt waren und sind, fundamentale Rechte zusprachen. Entscheidungen, die die Regierung unter George W. Bush immer wieder zu umgehen versuchte.

"Eine der schlechtesten Entscheidungen in der Geschichte des Obersten Gerichts" nannte John McCain den letzten Urteilsspruch, der den Gefangenen auf Guantánamo das Recht zurückgibt, gegen ihre Inhaftierung zu klagen. McCain wirbt im Wahlkampf mit dem Versprechen, er werde den Einfluss des Obersten Gerichts zurückdrängen und Richter berufen, die dem Präsidenten keine Fesseln anlegen. Die Kandidaten für den Supreme Court schlägt der Präsident vor, der Senat muss ihrer Berufung zustimmen. So könnte die Präsidentenwahl wegen der Berufung der Obersten Richter zu einer wichtigen Weichenstellung für den Menschenrechtsschutz in den USA werden.

Akifur Rahman klagt inzwischen wegen seiner Behandlung gegen die US-Behörden. Berufen kann er sich dabei auf das Gleichheitsversprechen aus der Unabhängigkeitserklärung, das Bush bei seiner Feiertagsrede zum 4. Juli zitierte. Gut möglich, dass auch Rahman bis vor den Supreme Court gehen muss, um Recht zu bekommen.


Der Autor ist Amerikas-Experte der deutschen Amnesty-Sektion.


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Quelle:
amnesty journal, August/September 2008, S. 22-24
Herausgeber: amnesty international
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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. August 2008