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NAHOST/156: Israel/Gaza - Weitere Kriegsverbrechen verhindern


Amnesty International

Israel/Gaza: Weitere Kriegsverbrechen verhindern



18. Juli 2014 - Am 17. Juli startete Israel eine Bodenoffensive im Gazastreifen. Zuvor hatten sich das israelische Militär und bewaffnete Palästinensergruppen zehn Tage lang gegenseitig unter Beschuss genommen. Nach Ansicht von Amnesty International macht die israelische Bodenoffensive deutlich, dass die internationale Gemeinschaft dringend Maßnahmen ergreifen muss, um Zivilpersonen im Gazastreifen und in Israel vor weiteren Kriegsverbrechen zu schützen.

"In ihren unerbittlichen Luftangriffen auf den Gazastreifen haben die israelischen Streitkräfte eine unverhohlene Geringschätzung für das Leben von Zivilpersonen und für zivile Objekte an den Tag gelegt", so Philip Luther, Experte für die Region Naher Osten und Nordafrika bei Amnesty International.

Nach Angaben des Büros der Vereinten Nationen zur Koordinierung der humanitären Hilfe waren bereits vor der Bodenoffensive - Stand: 15.00 Uhr am 17. Juli - etwa 240 PalästinenserInnen getötet worden. Unter ihnen befanden sich mindestens 171 Zivilpersonen, darunter 48 Kinder und 31 Frauen. Am 15. Juli kam eine israelische Zivilperson durch eine aus Gaza abgefeuerte Mörsergranate ums Leben. Seit Beginn der Bodenoffensive sind Berichten zufolge mindestens 30 weitere PalästinenserInnen getötet worden.

"Gezielte Angriffe auf Zivilpersonen und zivile Objekte sind unentschuldbar. Beide Seiten haben wiederholt ungestraft gegen das Völkerrecht verstoßen und müssen nun zur Verantwortung gezogen werden. Hierzu muss als erster Schritt unter UN-Mandat eine internationale Untersuchung eingeleitet werden", so Philip Luther.

Infolge israelischer Angriffe sind bisher mehr als 1.780 Häuser im Gazastreifen vollständig zerstört bzw. unbewohnbar gemacht worden, wodurch nun mindestens 10.600 Personen kein Dach mehr über dem Kopf haben. Auch in Israel sind zivile Objekte durch willkürlichen Raketenbeschuss aus dem Gazastreifen beschädigt worden.

Bei einem Luftangriff am 10. Juli wurden acht Familienangehörige von Mahmoud Lutfi al-Hajj getötet, die alle im Flüchtlingslager Khan Yunis im Gazastreifen lebten. Dem Angriff ging keine gesonderte Warnung voraus, und mehr als 20 Nachbarn der Familie kamen ebenfalls ums Leben.

Yasser Mahmoud Lutfi al-Hajj, einer der beiden überlebenden Familienmitglieder, sagte gegenüber Amnesty International: "Ich sah, wie mein Onkel aus dem Haus kam und meine tote Mutter in seinen Armen trug. Er lief sehr schnell, und ich rief ihm hinterher, dass ich meine Mutter sehen wollte... Dann ging ich ins Krankenhaus, um zu sehen, ob irgendjemand überlebt hatte... Mein Bruder Tareq war noch am Leben, starb aber später. Ich hatte eine Panikattacke und bekam Spritzen, damit ich mich wieder beruhigte."

Mahmoud Atamneh, ein Nachbar der Familie, berichtete Amnesty International: "Die Gegend hier ist äußerst dicht besiedelt, daher war es kein Angriff auf ein einzelnes Haus, sondern auf eine ganze Gemeinschaft - absolute Zerstörung."

Philip Luther machte deutlich: "Der vorsätzliche Angriff eines zivilen Haushalts ist ein Kriegsverbrechen, und die unzähligen zivilen Wohnstätten, die zerstört worden sind, deuten auf ein besorgniserregendes Muster wiederholter Kriegsrechtsverstöße hin."

Die israelischen Behörden haben keine Informationen zu einer etwaigen Rechtfertigung solcher Angriffe in Einzelfällen vorgelegt. Solange sie dies nicht tun, sind alle diese Angriffe als Kriegsverbrechen anzusehen und kommen einer Kollektivstrafe gleich.

Selbst für den Fall, dass sich in einem beschossenen Haus ein Mitglied einer bewaffneten palästinensischen Gruppe verbergen sollte, wäre ein Angriff auf eine zivile Wohnstätte, in der sich eine gesamte Familie aufhält, aller Wahrscheinlichkeit nach als unverhältnismäßig zu bewerten.

In manchen Fällen haben israelische Streitkräfte die Häuser von Zivilpersonen ohne jegliche bzw. ohne ausreichende Vorwarnung aus der Luft angegriffen. In wieder anderen Fällen wurden palästinensische Zivilpersonen im Freien durch israelische Raketen getötet, obwohl in der betreffenden Gegend keine offensichtlichen Aktivitäten bewaffneter Gruppen zu verzeichnen gewesen waren.

Die israelischen Luft- und Raketenangriffe hatten zudem verheerende Auswirkungen auf die Wasserversorgung und sanitären Einrichtungen im Gazastreifen. Drei ArbeiterInnen sind bei dem Versuch, wichtige Reparaturen vorzunehmen, getötet worden, und wegen der anhaltenden Feindseligkeiten sind solche Arbeiten vielerorts zu gefährlich. Am 16. Juli berichteten die Vereinten Nationen, dass mindestens die Hälfte der Bevölkerung des Gazastreifens, d. h. etwa 900.000 Personen, keinen Zugang zu Wasser hat. Die Beschädigung von Abwasser- und Pumpeinrichtungen und die damit einhergehende Gefahr der Verseuchung von Wasservorräten hat zu einer gesundheitlichen Notlage geführt. Auch Philip Luther weist auf die potenziell katastrophalen Folgen eines anhaltenden Mangels an sauberem Wasser hin.

Seit Beginn des Konflikts sind im Gazastreifen mindestens 84 Schulen beschädigt und wenigstens 13 Gesundheitseinrichtungen zur Aufgabe gezwungen worden. Als das al-Wafa-Krankenhaus in Shuja'iyyeh am 17. Juli zum zweiten Mal unter Beschuss geriet, musste das Personal während der Bombardierung alle PatientInnen evakuieren, bevor das Krankenhaus gänzlich zerstört wurde.

"Statt Gesundheitseinrichtungen ins Visier zu nehmen und damit gegen das Völkerrecht zu verstoßen, müssen die israelischen Streitkräfte das Ärztepersonal und die PatientInnen schützen und dafür sorgen, dass Verletzte sicheren Zugang zu medizinischen Einrichtungen im Gazastreifen oder auch außerhalb haben", so Philip Luther.

Israel und Ägypten müssen gemeinsam sicherstellen, dass durchgehend dringend benötigte medizinische Ausrüstung und Hilfsgüter sowie ausreichende Mengen an Treibstoff in den Gazastreifen geschafft werden können.

Bewaffnete Gruppen der Hamas und bewaffnete Palästinensergruppen verstoßen ebenfalls gegen das Völkerrecht und bringen Zivilpersonen in Gefahr. Am 16. Juli entdeckte das Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina- Flüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA) in einer unbenutzten Schule im Gazastreifen etwa 20 versteckte Raketen. Mindestens 22.900 Zivilpersonen sind bisher vertrieben worden. Viele von ihnen haben in einer der 24 Schulen im Gazastreifen Unterschlupf gesucht, die vom UNRWA betrieben werden.

"Die bewaffneten Palästinensergruppen im Gazastreifen dürfen in Wohngebieten keine Munition lagern und auch keine Angriffe aus Wohngebieten starten", so Philip Luther. Er warnt zudem: "Der militärische Arm der Hamas sowie andere bewaffnete Palästinensergruppen im Gazastreifen haben bereits mehr als 1.500 Raketen auf Israel abgefeuert. Diese Kriegsverbrechen müssen sofort aufhören."

Amnesty International ruft die Vereinten Nationen erneut dazu auf, ein Waffenembargo über alle Konfliktparteien zu verhängen, um weitere schwere Verstöße gegen das Völkerrecht zu verhindern.


Lesen Sie auch auf unserer englischsprachigen Seite www.amnesty.org den Artikel "Israel/Gaza: Attacks on medical facilities and civilians add to war crime allegations" vom 21.7.2014
http://amnesty.org/en/news/israelgaza-attacks-medical-facilities-and-civilians-add-war-crime-allegations-2014-07-21

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Quelle:
Amnesty International, Sektion der Bundesrepublik Deutschland e.V.
http://www.amnesty.de/2014/7/22/israelgaza-weitere-kriegsverbrechen-verhindern?destination=node%2F2817
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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. Juli 2014