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NAHOST/154: Israel - Nicht-jüdische Migranten haben es schwer (ai journal)


amnesty journal 02/03/2014 - Das Magazin für die Menschenrechte

Für sich selbst sprechen

Israel ist ein Einwanderungsland, doch nicht-jüdische Migranten haben es schwer. Amnesty-Aktivisten helfen den Flüchtlingen, sich selbst für ihre Rechte einzusetzen.

Von Ferdinand Muggenthaler



Arad ist eine kleine Stadt in der Wüste Negev. Bei Touristen ist sie bekannt für ihre saubere Luft. Von hier aus sind es knapp 30 Kilometer und gut 1.000 Höhenmeter hinunter zum Toten Meer. Mohamed Salih steigt jeden Morgen um sechs Uhr in den Bus und fährt zusammen mit anderen Sudanesen die Strecke. In den Hotels am Toten Meer sind er und die anderen Asylsuchenden willkommene Arbeitskräfte.

Salih stammt aus der sudanesischen Provinz Darfur. Wegen der Kämpfe, der Überfälle regierungsnaher Milizen und der Vertreibungen in seiner Heimatprovinz zog die Familie in die Hauptstadt Khartoum. Als 2005 auch dort die Situation für ihn immer bedrohlicher wurde, ging Salih nach Ägypten. Dort arbeitete er unter anderem für eine Organisation, die sudanesische und ägyptische Aktivisten in gewaltfreien politischen Aktionsformen schult. Schließlich fühlte er sich auch in Ägypten nicht mehr sicher. "Freunde von mir sind verschwunden", erzählt er. "Ich habe Proteste vor der sudanesischen Botschaft mit organisiert. Ich war ein Ziel." Nachdem er 2011 Drohanrufe bekam, floh er nach Israel.

Israel ist ein Land der Einwanderer. Aber nicht-jüdische Flüchtlinge, die hier Schutz vor politischer Verfolgung suchen, sind ein relativ neues Phänomen. Von der Staatsgründung 1948 bis 2006 kamen insgesamt nur etwa 2.000 Asylsuchende nach Israel. Das änderte sich, nachdem die ägyptische Polizei 2005 gewaltsam gegen Proteste von sudanesischen Flüchtlingen vorging. "Ägypten wollte die Sudanesen loswerden und die sudanesischen Botschaften in den arabischen Ländern machten Druck, die politisch aktiven Flüchtlinge abzuschieben", sagt Sara Robinson, Flüchtlingsexpertin der israelischen Amnesty-Sektion.

Ägypten war für die Flüchtlinge nicht mehr sicher. Viele von ihnen suchten Schutz in Israel. Inzwischen leben 54.000 Asylsuchende in Israel, die meisten stammen aus dem Sudan und aus Eritrea. Einige tausend von ihnen sind von Menschenhändlern in den Sinai entführt und oft grausam misshandelt worden, bevor sie gegen Lösegeld an der Grenze zu Israel ausgesetzt wurden.

Als Mohamed Salih nach Israel kam, wusste er nicht, was ihnartete. "Wenn du Israel nur aus den arabischen Medien kennst", erzählt er, "dann denkst du, die Israelis sind böse Menschen. Ich habe etwas anderes erlebt." Er fühle sich hier sicher. "Israel ist ein Land der Gesetze." Tatsächlich muss er nicht befürchten, in den Sudan abgeschoben zu werden. Die israelische Regierung hat einen Abschiebestopp erlassen. Und Salih muss nicht befürchten, auf der Straße gekidnappt zu werden.

Staatliche Unterstützung bekommen die Flüchtlinge allerdings keine. Im Gegenteil: Die israelische Regierung versucht, ähnlich wie viele Regierungen in Europa, den Flüchtlingen das Leben so schwer wie möglich zu machen. Zum Beispiel steht auf Aufenthaltspapieren, die alle drei Monate verlängert werden müssen: "Das ist keine Arbeitsgenehmigung." Erst das Oberste Gericht musste klarstellen, dass dieser Aufdruck irrelevant ist. Die Asylsuchenden dürfen sehr wohl arbeiten, mit Anrecht auf Mindestlohn und Sozialversicherung.

Amnesty International fordert von der israelischen Regierung, alle Rechte der Asylsuchenden zu respektieren und ihnen endlich eine längerfristige Perspektive zu eröffnen. Die israelische Sektion von Amnesty wollte es aber nicht bei politischen Forderungen belassen, sondern die Flüchtlinge selbst einbeziehen. 2011 wurden etwa 20 Sudanesen zum ersten Menschenrechtskurs eingeladen. "Wir wollten nicht nur für die Flüchtlinge sprechen", sagt Sara Robinson, "sondern mit ihnen und ihnen helfen, sich selbst für ihre Rechte einzusetzen." Die Idee hat sich bewährt. Inzwischen gab es schon etwa 50 Kurse und Veranstaltungen mit Asylsuchenden.

Die Kurse bieten Aufklärung über Menschenrechte, Diskussionen und praktische Tipps. Es geht um internationales Flüchtlingsrecht und darum, welche Rechte die Flüchtlinge in Israel tatsächlich bekommen. Gemeinsam wird übersetzt, was auf den Aufenthaltspapieren steht, und die Amnesty-Mitarbeiter erklären, was es bedeutet. Die Asylsuchenden lernen die Grundlagen des Rechts auf Gesundheit kennen, erfahren aber auch, welche Krankenversicherung sie abschließen können und wo sie auch ohne Versicherung im Notfall Hilfe bekommen. Und da die meisten sehr wenig über das Land wissen, in dem sie gelandet sind, gibt es eine Unterrichtseinheit zur Geschichte Israels.

Auch Senait Kidane (Name geändert) hat vor drei Jahren einen Menschenrechtskurs von Amnesty besucht. Kidane stammt aus Eritrea. Sie war sieben Jahre alt, als ihr Vater festgenommen wurde. "Wir haben bei den Behörden immer wieder nachgefragt, wo er ist", erzählt Kidane. "Schließlich, nach zehn Jahren, bekamen wir einen Brief. Darin stand, er sei tot." Seine Leiche oder sein Grab hat die Familie nie gesehen. Als Kidane während ihres Militärdienstes selbst bedroht wurde, weil sie kritische Fragen stellte, floh sie aus Eritrea. Auf Umwegen kam sie schließlich nach Israel.

Kidane sitzt in einem Hinterhof in Tel Aviv, als sie einer Gruppe aus Deutschland ihre Geschichte erzählt. Es ist der Hof des "Eritrean Community Women's Center". Ermutigt und unterstützt durch Amnesty hat Kidane das Zentrum im Juli 2012 ins Leben gerufen. Tagsüber betreibt sie mit zwei anderen Frauen hier eine Kinderkrippe. Am Abend verwandelt sich die Krippe in einen Treffpunkt für Frauen aus Eritrea. Freiwillige unterrichten hier Englisch und Hebräisch. Kidane lädt zu Gesprächsrunden über häusliche Gewalt und berät Frauen, die von ihren Ehemännern bedroht werden. Einmal die Woche findet ein Kurs für Familienplanung statt.

"Senait ist eine außergewöhnliche Frau", sagt Sara Robinson. "Aber sie ist nicht die einzige. In unseren Kursen haben wir viele beeindruckende Menschen kennengelernt, die aktiv ihre eigene Situation und die anderer Asylsuchender verbessern wollen. Wenn wir diese Leute zumindest ein Stück weit unterstützen können, dann haben unsere Kurse ihren Zweck erfüllt."

Zurück nach Arad. Ein Abend Ende November 2013: Mohamed Salih hat sich nach der Arbeit ein weißes Hemd angezogen. Es gibt etwas zu feiern. Drei Monate lang traf er sich mit 20 weiteren Asylsuchenden jeden Dienstag in einem ehemaligen Fabrikgebäude. Salih hat mitgeholfen, die Gruppe zusammenzustellen. Jede Woche kamen Mitarbeiter von Amnesty International, um über Menschenrechte zu sprechen, über Israel und über die Möglichkeit, hier ihre Rechte durchzusetzen.

Heute Abend werden der Abschluss des Kurses gefeiert und Teilnahmeurkunden verteilt. Es werden kurze Reden gehalten. Auch Salih spricht: "Wir haben noch viel zu lernen", sagt er. Er fordert, das neue Wissen einzusetzen. Hier in Israel und, wenn es wieder möglich ist, im Sudan. Eine Änderung werde es ohne Kampf nicht geben. "Ihr seid die Zukunft. Denkt vorwärts und nicht zurück", sagt er. Dann wird getanzt - mit den Urkunden in der Hand.

Der Autor ist Pressesprecher der deutschen Amnesty-Sektion.

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Quelle:
amnesty journal, Februar/März 2014, S. 42-43
Herausgeber: amnesty international
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veröffentlicht im Schattenblick zum 9. April 2014