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MELDUNG/064: Rückschritte in Tunesien


Amnesty International - Pressemitteilung vom 25. Oktober 2012

Rückschritte in Tunesien

Amnesty International beobachtet eine zunehmende Einschränkung der Meinungsfreiheit und sieht den Reformprozess gefährdet



25. Oktober 2012 - In einem neuen Bericht zeigt sich Amnesty International besorgt über die Entwicklung in Tunesien seit den Wahlen zur verfassungsgebenden Versammlung im Oktober 2011. "Tunesien war das Geburtsland des sogenannten 'Arabischen Frühlings' und ein Vorbild für die Aufstandsbewegungen in anderen Ländern der Region. Wir erkennen an, dass sich die tunesische Regierung bemüht, mit dem Erbe der Vergangenheit zu brechen. Doch die bisherigen Schritte gehen nicht weit genug und wir befürchten, dass der zum Schutz der Menschenrechte dringend nötige Reformprozess insgesamt gefährdet ist", sagt Anna Riecken, Tunesien-Expertin bei Amnesty International.

In den Monaten nach der Vertreibung von Ex-Präsident Ben Ali hat die Übergangsregierung wichtige Maßnahmen ergriffen, um die Menschenrechte zu schützen. So hat sie zentrale Menschenrechtsabkommen ratifiziert, zahlreiche gewaltlose politische Gefangene entlassen und Gesetze zur Pressefreiheit verabschiedet.

"Die neue Regierung hat diesen Weg nicht entschlossen fortgesetzt", so Riecken: "Im Gegenteil: In den letzten Monaten beobachten wir eine wachsende Zahl von Einschränkungen der Meinungsfreiheit. Journalisten, Künstler, Regierungskritiker, Schriftsteller und Blogger werden in ihrer Arbeit behindert oder angegriffen, mit der fadenscheinigen Begründung die öffentliche Sicherheit und Moral schützen zu müssen."

Amnesty International hat im vergangenen Jahr Berichte erhalten, wonach Menschen in Tunesien weiterhin gefoltert und misshandelt werden. Die Polizei geht mit unnötiger und übermäßiger Gewalt gegen Menschen vor, die gegen das schleppende Tempo der Reformen protestieren. Festgenommene Demonstranten berichten, dass sie noch auf der Straße oder in Gefängnissen geschlagen wurden. Außerdem hat Tunesien die Forderung des UN- Menschenrechtsrats zurückgewiesen, die Diskriminierung von Frauen in einer Reihe von Gesetzen abzuschaffen. "Tunesien ist am Scheideweg: Die Regierung und die verfassungsgebende Versammlung müssen diese historische Chance nutzen, die schmerzhafte Vergangenheit umfassend aufzuarbeiten und die Grundlage für einen Rechtsstaat legen, der die Menschenrechte garantiert", sagt Riecken. "Die neue Verfassung, die in den nächsten Monaten vorgelegt werden soll, wird zeigen, wie ernst Tunesien den Schutz der Menschenrechte nimmt."

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Quelle:
ai-Pressemitteilung vom 25. Oktober 2012
Amnesty International, Sektion der Bundesrepublik Deutschland e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 26. Oktober 2012