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MELDUNG/017: Nachrichten - Dezember 2010/Januar 2011 (ai journal)


amnesty journal 01/2011 - Das Magazin für die Menschenrechte

NACHRICHTEN

Iran - 19 Jahre Haft für Blogger
Europa - Pressefreiheit in Europa gefährdet
Ungarn - Schleppende Ermittlungen
Irak - Willkür und Folter in irakischen Gefängnissen

19 Jahre Haft für Blogger

IRAN - Wegen seiner Online-Kommentare ist der iranisch-kanadische Blogger Hossein Derakhshan zu über 19 Jahren Gefängnis verurteilt worden. Nach Angaben der iranischen Website Mashreghnews wurde er von der Abteilung 15 des Revolutionsgerichts u.a. folgender Anklagepunkte für schuldig befunden: "Propaganda gegen die Regierung", "Beleidigung von Heiligkeiten" sowie "Gestaltung und Verwaltung vulgärer und obszöner Websites". Zudem wurden ein fünfjähriges Verbot politischer und journalistischer Aktivitäten sowie eine hohe Geldstrafe gegen ihn verhängt.

"Soweit wir es beurteilen können, ist seitens der iranischen Behörden nach einem unfairen Verfahren ein überaus hartes Urteil gegen Hossein Derakhshan ergangen - nur weil er sein Recht auf freie Meinungsäußerung wahrgenommen hat", erklärte Hassiba Hadj Sahraoui, stellvertretende Leiterin der Abteilung Naher Osten und Nordafrika im Internationalen Sekretariat von Amnesty International in London. "Wir wissen aus langjähriger Erfahrung, dass die Verfahren vor den Revolutionsgerichten grob unfair sind." Der Blogger sei über ein Jahr ohne Anklageerhebung festgehalten worden, ohne dass ihn seine Familie und sein Anwalt besuchen konnten.

Der 35-Jährige, der seine Web-Kommentare überwiegend im Ausland schrieb, soll 2001 eine Welle von Blogs zu Reformfragen im Iran ausgelöst haben, indem er Anleitungen in persischer Sprache ins Netz stellte, wie man eine Website einrichtet und Online-Kommentare verfasst. Er arbeitete anfangs in Teheran als Journalist, ehe er im Jahr 2000 nach Kanada umsiedelte. Ende Oktober 2008 kehrte er in den Iran zurück. Doch schon am 1. November 2008 wurde er im Haus seiner Familie festgenommen.


Pressefreiheit in Europa gefährdet

EUROPA Uneingeschränkte Pressefreiheit ist in Europa keine Selbstverständlichkeit, stellt die Organisation Reporter ohne Grenzen (ROG) fest. Vor allem in Italien und Griechenland gebe es anhaltenden Druck, heißt es in einem Bericht über die Lage der Pressefreiheit weltweit, der Ende Oktober veröffentlicht wurde. In einer Rangliste wird die Situation der Pressefreiheit in 178 Staaten und Regionen verglichen. Zwar befinden sich viele EU-Staaten, darunter auch Deutschland, unter den ersten 20 Plätzen der Rangliste. Allerdings fielen einige europäische Länder im Vergleich zu früheren Erhebungen deutlich zurück. Besonders schlecht schnitten Griechenland und Bulgarien ab, die sich den 70. Platz teilen. Auch Frankreich und Italien liegen mit den Plätzen 44 und 49, wie bereits 2009, weit hinten. "Grundlegende Probleme wie die Verletzung des Quellenschutzes, die zunehmende Konzentration von Medieneigentum sowie gerichtliche Vorladungen von Journalisten dauern an", sagte ROG-Generalsekretär Jean-François Julliard. "Wenn die EU-Staaten keine Anstrengungen unternehmen, setzen sie ihre weltweit führende Position bei der Einhaltung von Menschenrechten aufs Spiel."


Schleppende Ermittlungen

UNGARN - Als im Februar vergangenen Jahres ein fünfjähriges Kind und sein Vater durch Brandsätze aus dem Haus getrieben und anschließend erschossen wurden, erregte diese Tat weltweit Entsetzen und Abscheu. Insgesamt sechs Todesopfer forderte damals eine Serie brutaler Anschläge auf ungarische Roma. Ein aktueller Bericht von Amnesty International belegt, dass den Angehörigen der Opfer und den Überlebenden der Anschläge fast zwei Jahre später noch immer keine Gerechtigkeit widerfahren ist. Die Gründe hierfür sind vor allem die Unerfahrenheit der ungarischen Behörden und ihre Weigerung, die Taten als sogenannte "hate crimes" zu verfolgen - also als Verbrechen, die aus Hass gegenüber einer bestimmten gesellschaftlichen Gruppe begangen werden. Die Opfer werden dabei in der Regel willkürlich ausgewählt.

In Ungarn gibt es für Polizei, Staatsanwaltschaft und Gerichte keine Richtlinien, um diesem besonderen Tatbestand Rechnung zu tragen. Weil solche Taten kaum verfolgt werden, ist das öffentliche Interesse an ihrer Aufklärung verhältnismäßig gering. So schlossen die Ermittler in vielen Fällen von Anfang an jede rassistische Motivation aus. Bereits bei der Ankunft am Tatort behinderten Polizeibeamte die Untersuchungen oder versuchten gar, sie zu verfälschen, indem sie z.B. die Aufnahme von Beweisen und Zeugenaussagen verweigerten.

Während der Prozesse ließen auch Staatsanwälte und Richter in vielen Fällen den rassistischen Charakter der Angriffe bewusst außer Acht. Außerdem erhielten Opfer und Angehörige in vielen Fällen keinerlei staatlich organisierte psychologische Betreuung, geschweige denn eine angemessene Beratung zur Beantragung von Entschädigungszahlungen. Die betroffenen Roma machten auf diese Weise kurz nach der Tat erneut die Erfahrung, wegen ihrer ethnischen Zugehörigkeit diskriminiert zu werden.


Willkür und Folter in irakischen Gefängnissen

IRAK - In den Gefängnissen des Landes sind 30.000 Menschen inhaftiert - darunter viele ohne Kontakt zur Außenwelt, ohne Strafverfahren oder Anklage. Misshandlungen und Folter, erzwungene Geständnisse und Willkürakte durch irakische Sicherheitskräfte sind an der Tagesordnung. Die Verantwortlichen werden nicht zur Rechenschaft gezogen. Dies belegt ein Amnesty-Bericht, der im September veröffentlicht wurde.

Die Erkenntnisse von Amnesty wurden nun durch die Enthüllungen von Wikileaks bestätigt. Die Internetplattform veröffentlichte rund 400.000 geheime US-Dokumente aus dem Irakkrieg. Sie liefern weitere Beweise dafür, dass den US-Behörden die über Jahre andauernden systematischen Menschenrechtsverletzungen an Gefangenen bekannt waren.

"Amnesty International fordert die USA auf, aufzuklären, was US-Verantwortliche über Folter und Misshandlung von Gefangenen in irakischen Haftanstalten wussten", sagte Monika Lüke, Generalsekretärin von Amnesty International in Deutschland. Bis jetzt konnte Amnesty die Wikileaks-Dokumente noch nicht prüfen. Sie erhärten jedoch auf den ersten Blick die Auffassung, dass die USA gegen internationales Recht verstoßen haben, als sie Tausende Gefangene an die irakischen Behörden übergaben.


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Quelle:
amnesty journal, Dezember 2010/Januar 2011, S. 12+14
Herausgeber: amnesty international
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Redaktionanschrift: Amnesty International, Redaktion amnesty journal,
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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. Dezember 2010