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GRUNDSÄTZLICHES/330: Stellungnahme zum Integrationsgesetz


Amnesty International - 6. Juli 2016

Stellungnahme zum Integrationsgesetz


06. Juli 2016 - Am 24. Mai 2016 hat das Bundeskabinett den Entwurf zum Integrationsgesetz verabschiedet. Am 7. Juli 2016 steht es im Bundestag zur Abstimmung. Die Intention des Gesetzes, die Integration von Flüchtlingen fördern zu wollen, ist grundsätzlich begrüßenswert. Auch enthält der Gesetzesentwurf vereinzelt Verbesserungen. Allerdings sind einige Maßnahmen vorgesehen, die aus menschenrechtlicher Perspektive problematisch sind.

Einführung einer Wohnsitzauflage

Ein wichtiger Punkt im neuen Integrationsgesetz ist die sogenannte Wohnsitzauflage (§ 12a Aufenthaltsgesetz). Diese besagt, dass Asylberechtigte, anerkannte Flüchtlinge und Personen mit subsidiärem Schutz sich nur an dem Wohnort niederlassen dürfen, den Behörden ihnen zugewiesen haben. Das ist eine Einschränkung der Freizügigkeit, also dem Recht seinen Wohnort frei wählen zu dürfen. Dieses wird Flüchtlingen in der Genfer Flüchtlingskonvention (Art. 26) zugesprochen. In einem Urteil hat der Europäische Gerichtshof entschieden, dass es eine Rechtfertigung geben muss, um dieses Recht einzuschränken. Ein Grund für die Einschränkung der Freizügigkeit wäre gegeben, wenn für Flüchtlinge ein anderer Integrationsbedarf festgestellt wird als für andere Ausländerinnen und Ausländer. Diese angenommenen Unterschiede im Integrationsbedarf müssen aber begründet werden. Ebenso muss dargelegt werden, inwieweit die Wohnsitzauflage die Integration fördert. Beidem wird aus Sicht von Amnesty International im Integrationsgesetzesentwurf nicht nachgekommen. Deshalb bestehen begründete Bedenken aus völker- und europarechtlicher Sicht.

Außerdem kann gut argumentiert werden, dass eine freie Wahl des Wohnsitzes die Integration in die deutsche Gesellschaft eher fördert und eine Wohnsitzauflage demnach integrationshemmend wirkt. So erfolgen beispielsweise das Finden eines Arbeitsplatzes und die Kenntnis von Integrationsangeboten oft über Verwandte und Netzwerke. Diese Mechanismen könnten durch eine Wohnsitzauflage unterbunden werden. Dann erfüllt die Wohnsitzauflage nicht ihren verfolgten Zweck (die Förderung der Integration) und damit wäre der Eingriff in das Recht der Freizügigkeit nicht gerechtfertigt.

Erschwerung der Niederlassungserlaubnis

Das Integrationsgesetz erschwert es Flüchtlingen eine Niederlassungserlaubnis zu erhalten. Bisher erhalten Flüchtlinge nach drei Jahren Wartezeit eine Niederlassungserlaubnis in Deutschland (§ 26 Aufenthaltsgesetz). Andere Ausländerinnen und Ausländer müssen fünf Jahre auf eine solche warten und weitere Voraussetzungen erfüllen. Das Integrationsgesetz sieht nun vor, diese Privilegierung zu beenden. In Zukunft sollen auch Flüchtlinge fünf Jahre auf die Möglichkeit einer Niederlassungserlaubnis warten müssen und zudem weitere Voraussetzungen erfüllen: Sie müssen ihren Lebensunterhalt überwiegend selbst sichern, über ausreichenden Wohnraum für sich und ihre Familien verfügen und hinreichende Sprachkenntnisse haben. Die Möglichkeit, doch bereits nach drei Jahren eine Niederlassungserlaubnis zu erhalten bleibt für anerkannte Flüchtlinge bestehen, wenn sie über sehr gute Deutschkenntnisse (Niveau C1 des europäischen Referenzrahmens) verfügen. Von dieser Ausnahmeregelung werden kaum Menschen profitieren können. Auch die Sicherung des Lebensunterhaltes beinahe selbstständig leisten zu können wird aufgrund der Lebenssituation vieler Flüchtlinge kaum zu erfüllen sein.

Durch die erschwerte Niederlassungserlaubnis, die eine dauerhafte Bleibeperspektive bietet, werden Flüchtlinge länger einer Unsicherheit über ihren Aufenthalt und ihre Zukunft in Deutschland ausgesetzt. Diese Maßnahme wirkt eher integrationshemmend und nicht fördernd, da eine dauerhafte Lebensplanung in Deutschland so nicht möglich ist.

Leistungskürzungen

Das Integrationsgesetz sieht zwei Arten von Leistungskürzungen vor. Zunächst sollen diejenigen Personen weniger Geldleistungen erhalten, die bereits in einem anderen EU-Mitgliedstaat einen Aufenthaltstitel erhalten haben oder im Rahmen des innereuropäischen Umverteilungsprogramms aus Griechenland und Italien einem anderen Staat zugewiesen sind. Flüchtlinge und Asylsuchende haben laut Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes das Recht auf die Sicherung eines menschenwürdigen Existenzminimums. Dies darf gerade nicht durch migrationspolitische Erwägungen eingeschränkt werden, wie es der Gesetzentwurf gerade vorsieht. Damit verstoßen diese Maßnahme gegen Menschen- und Verfassungsrecht.

Außerdem sollen Leistungen gekürzt werden können, wenn Berechtigte bestimmte Integrationsmaßnahmen verweigern. Darunter fällt unter anderem die Weigerung eine angebotene Arbeitsgelegenheit anzunehmen oder an einem Integrationskurs teilzunehmen. Grundsätzlich ist der Gedanke, Leistungsberechtigte, deren Asylverfahren noch nicht abgeschlossen sind, bei Integrationsbemühungen zu unterstützen positiv. Die Verknüpfung von Verpflichtung und angedrohten Leistungskürzungen ist jedoch der falsche Ansatz.

Zudem ist noch nicht sicher gestellt, dass es ausreichend Plätze für Integrationskurse gibt. Generell bringt diese Vorschrift geflüchteten Menschen viel Misstrauen entgegen und unterstellt eine Notwendigkeit des Zwangs zur Integration, obwohl diese in der Regel hoch motiviert sind sich in der Gesellschaft einzufinden. Durch die angedrohten Leistungskürzungen kann die Regelung der Integration eher schaden als nutzen.

Neue Zulässigkeitsprüfung

Das Integrationsgesetz sieht, auch wenn der Titel dies nicht vermuten lässt, eine neue Zulässigkeitsprüfung von Asylanträgen im Asylgesetz vor. Vorgesehen sind eine Reihe von Gründen, aus denen ein Asylantrag als formell unzulässig in Deutschland gilt und daher in einem anderen Land gestellt werden muss. Dazu zählen "sichere Drittstaaten" und "sonstige Drittstaaten", in denen die Antragsstellerin/der Antragsteller schon vor Verfolgung sicher war. Sowohl die "sicheren Drittstaaten" als auch die "sonstigen Drittstaaten" sind schon länger im deutschen Recht verankert, wurden zuletzt aber kaum angewendet. Sie bergen in der Anwendung die Gefahr, dass nicht ausreichend berücksichtigt wird, ob Asylsuchende in den jeweiligen Drittstaaten ausreichend Schutz gewährt bekommen. Zudem sieht das Gesetz noch keine ausdrückliche Möglichkeit vor, die Regelvermutung der Sicherheit widerlegen zu können.

Außerdem sollen in Zukunft auch Beamtinnen und Beamten anderer Behörden außerhalb des BAMF Anhörungen in Asylverfahren durchführen dürfen. Die Anhörung von Schutzsuchenden ist jedoch das Herzstück des Asylverfahrens, da der Vortrag der Asylsuchenden die Grundlage für die Bewertung der Fluchtgründe darstellt. Auf Grundlage dieses Gesprächs wird eine Entscheidung über den Antrag getroffen. Anhörungen von Asylsuchenden sollten daher nur von qualifiziertem und gesondert geschultem Personal durchgeführt werden, da die Beamtin/der Beamte eine Verfolgungsgefahr oder die Gefahr eines schweren Schadens, sowie Verfolgungsgründe und für die Schutzbedürftigkeit andere relevante Faktoren erkennen und einordnen können muss. Dies ist durch kurzfristig geschultes Personal anderer Behörden nicht gewährleistet. Damit steigt auch die Gefahr von inhaltlichen Fehlentscheidungen und damit unrechtmäßigen Zurückweisungen.

Amnesty International fordert, dass diese menschenrechtlichen Bedenken noch vor der Verabschiedung des Gesetzes durch den Bundestag berücksichtigt werden und das Gesetz entsprechend geändert wird.

Weitere Informationen zum Thema Flüchtlinge und Asyl:
www.amnesty.de/fluechtlinge

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Quelle:
Meldung vom 6. Juli 2016
https://www.amnesty.de/2016/7/6/stellungnahme-zum-integrationsgesetz?destination=node%2F2817
Amnesty International, Sektion der Bundesrepublik Deutschland e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 7. Juli 2016

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