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AKTION/839: Urgent Action - Ukraine - Folteropfer strafrechtlich verfolgt


ai - URGENT ACTION
UA-Nr: UA-317/2011, AI-Index: EUR 50/014/2011, Datum: 31. Oktober 2011 - mr

Ukraine
Folteropfer strafrechtlich verfolgt


Herr OLEG MELNIK, 27 Jahre

Ein Mann, der von einem Polizeibeamten schwer verletzt wurde, wird beschuldigt, sich die Verletzungen selbst zugefügt zu haben. Ihm könnten nun fünf Jahre Haft drohen, weil er "einen Polizeibeamten angegriffen hat".

Der 27-jährige Oleg Melnik war am 1. April mit einem Pferdefuhrwerk auf dem Weg nach Hause in sein Dorf Ostakivtsy im Südwesten der Ukraine, als zwei Polizisten ihn anhielten und nach einem Nachbarn fragten. Als Oleg Melnik fragte, was sie von dem Nachbarn wollten, zerrten sie ihn vom Fuhrwerk und in ihren Streifenwagen. Die Polizei soll eine Untersuchung zu einer Reihe von Diebstählen in dem Dorf durchgeführt haben. Doch dies teilten sie Oleg Melnik nicht mit. Auf der Wache in der Stadt Nemirov, etwa 15 km entfernt, ließen sie ihn zwei Stunden in einem Büro warten und die Polizei weigerte sich, ihm zu sagen, warum sie ihn festhielt. Als er sein Handy herausholte, um einen Rechtsbeistand anzurufen, hielt ihm einer der Beamten den rechten Arm fest, während der andere versuchte, das Handy zu greifen, indem er ihm den linken Arm auf den Rücken drehte. Der Polizist verdrehte ihm so heftig den Arm, dass er brach. Durch Oleg Melniks Schreie kam ein weiterer Polizist in den Raum und Oleg Melnik wurde daraufhin in das örtliche Krankenhaus gebracht. Dort bezahlte der Polizist, der ihm den Arm gebrochen hatte, für eine Röntgenaufnahme und die Eingipsung seines Arms. Gegen 2 Uhr morgens brachten die Beamten Oleg Melnik zurück auf die Polizeiwache und unter Androhung von Haft und weiteren Schlägen unterschrieb er die Aussage, dass er keine Beschwerden gegen die Polizei habe. Seine Mutter, die auf der Wache gewartet hatte, unterschrieb eine ähnliche Erklärung. Oleg Melnik wurde ohne Anklage freigelassen. Als sein Zustand sich im Laufe des Tages verschlechterte, brachten ihn seine Eltern in das Krankenhaus in Vinnytsya. Dort stellten die ÄrztInnen fest, dass der Knochen in seinem Arm zertrümmert war. Sie fügten später Metall ein, um den Knochen zu stabilisieren. Oleg Melnik ist nun als behindert eingestuft, weil er seinen Arm nie wieder vollständig benutzen können wird.

Am 3. April reichte seine Mutter Klage bei der örtlichen und der regionalen Staatsanwaltschaft sowie der Generalstaatsanwaltschaft in Kiew ein. Doch am 15. April erhielt sie eine Standardabsage von der lokalen Staatsanwaltschaft. Die Familie entschloss sich, an die Öffentlichkeit zu gehen, und nahm an einer Pressekonferenz in Vinnytsya mit der Menschenrechtsgruppe von Vinnytsya teil. Danach eröffnete der Staatsanwalt ein Strafverfahren zu den Foltervorwürfen. Im Juni wurde der Familie die Information zugespielt, dass der Polizist bereit sei, alle Behandlungskosten für Oleg Melnik zu übernehmen. Doch die Familie lehnte dieses Angebot ab. Am 21. Juni eröffnete dann die Staatsanwaltschaft ein Strafverfahren gegen Oleg Melnik wegen Angriffs gegen einen Polizeibeamten: Darin wird Oleg Melnik vorgeworfen, dem Polizeibeamten Schläge auf die Brust gegeben und dabei seinen eigenen Arm gebrochen zu haben. Das Strafverfahren gegen den Polizeibeamten wurde eingestellt.


HINTERGRUNDINFORMATIONEN

In der Ukraine herrscht praktisch Straflosigkeit bei den zahlreichen kriminellen Verhaltensweisen der Polizei in Ausübung ihrer polizeilichen Tätigkeit, dazu zählen auch Folter und Erpressung. Strukturelle Mängel, ein hohes Maß an Korruption, enge dienstliche und andere Verbindungen zwischen der Staatsanwaltschaft und der Polizei, nicht vorgenommene oder fehlerhafte Untersuchungen krimineller Verhaltensweisen der Polizei - selbst wenn ärztliche oder andere glaubwürdige Beweismaterialien vorliegen, die die Vorwürfe erhärten -, Schikane und Einschüchterungen der KlägerInnen und die daraus resultierende seltene Strafverfolgung verstärken den Mangel an Rechenschaftspflicht in Fällen von Menschenrechtsverletzungen durch die Polizei.


EMPFOHLENE AKTIONEN

SCHREIBEN SIE BITTE FAXE, E-MAILS ODER LUFTPOSTBRIEFE MIT FOLGENDEN FORDERUNGEN

- Ich möchte Sie daran erinnern, dass Sie als Vertragsstaat der Antifolterkonvention verpflichtet sind, sofort eine unparteiische Untersuchung aller Foltervorwürfe durchzuführen und die KlägerInnen vor Einschüchterungen zu schützen.

- Daher dringe ich darauf, die Untersuchung zu Oleg Melniks Anschuldigung wieder aufzunehmen, er sei am 1. April auf der Polizeiwache von Nemirov gefoltert worden.

- Bitte untersuchen Sie auch die rechtliche Grundlage der Vorwürfe gegen Oleg Melnik und lassen Sie die Anklage fallen, sollte sie ein Vorwand sein, um seine Vorwürfe nicht untersuchen zu müssen.

- Gehen Sie auch Oleg Melniks Behauptung nach, dass man ihm nicht gesagt habe, warum er zur Polizeiwache gebracht wurde.


APPELLE AN

GENERALSTAATSANWALT
Viktor Pavlovich Pshonka
Vul. Riznitska 13/15
01601 Kyiv
UKRAINE
(korrekte Anrede: Dear General Prosecutor / Sehr geehrter Herr Generalstaatsanwalt)
Fax: (00 380) 44 280 2851

INNENMINISTER
Anatoly Vladimirovich Mogilev
Akademika Bogomoltsa Str. 10
01024 Kyiv
UKRAINE
(korrekte Anrede: Dear Minister / Sehr geehrter Herr Minister)
Fax: (00 380) 44 256 1633
E-Mail: mvsinfo@mvsinfo.gov.ua


KOPIEN AN

OMBUDSFRAU
Nina Karpachova
Vul Instytutska 21/8
01008 Kyiv
UKRAINE

BOTSCHAFT DER UKRAINE
I.E. Frau Nataliia Zarudna
Albrechtstraße 26
10117 Berlin
Fax: 030-2888 7163
E-Mail: ukremb@t-online.de


Bitte schreiben Sie Ihre Appelle möglichst sofort. Schreiben Sie in gutem Ukrainisch, Russisch, Englisch oder auf Deutsch. Da Informationen in Urgent Actions schnell an Aktualität verlieren können, bitten wir Sie, nach dem 12. Dezember 2011 keine Appelle mehr zu verschicken.


PLEASE WRITE IMMEDIATELY

- Reminding the authorities that they have an obligation as a state party to the Convention against torture to carry out a prompt and impartial investigation into all allegations of torture, and to protect complainants against intimidation.

- Urging them to reopen the investigation into the allegation that Oleg Melnik was tortured in Nemirov police station on 1 April.

- Call on them to investigate the legal basis for the charges against Oleg Melnik and to drop them if they are an attempt to prevent his allegations being investigated.

- Calling on them to investigate his allegation that he was never told why he was being taken to the police station.


*


Quelle:
ai - URGENT ACTION
UA-Nr: UA-317/2011, AI-Index: EUR 50/014/2011, Datum: 31. Oktober 2011 - mr
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Heerstr. 178, 53111 Bonn
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Internet: www.amnesty.de/ua; www.amnesty.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 3. November 2011