Schattenblick →INFOPOOL →BÜRGER/GESELLSCHAFT → AMNESTY INTERNATIONAL

AKTION/573: Urgent Action - Saudi-Arabien - Drohende Folter in Haft


ai - URGENT ACTION
UA-Nr: UA-058/2011, AI-Index: MDE 23/004/2011, Datum: 4. März 2011 - fp

SAUDI-ARABIEN
Drohende Folter in Haft


Herr TAWFIQ JABER IBRAHIM AL-'AMR

Der schiitische Geistliche Scheich Tawfiq Jaber Ibrahim al-'Amr wurde am 27. Februar festgenommen, nachdem er in einer Predigt Reformen in Saudi-Arabien gefordert hatte. Er wird seitdem ohne Kontakt zur Außenwelt festgehalten und ihm drohen Folter oder andere Misshandlungen. Amnesty International befürchtet, dass er nur aufgrund der friedlichen Ausübung seines Rechts auf freie Meinungsäußerung inhaftiert wurde und daher ein gewaltloser politischer Gefangener ist.

Scheich Tawfiq Jaber Ibrahim al-'Amr ist ein schiitischer Geistlicher der Provinz Al-Ahsa. Am 25. Februar sprach er in seiner Predigt in der Moschee Umat al-Islam in der Stadt Al-Hofuf über die Notwendigkeit einer tiefgreifenden Reform in Saudi-Arabien hin zu einer konstitutionellen Monarchie, fairer Verteilung von Arbeitsplätzen und einem Ende der Diskriminierung religiöser Minderheiten. Am Abend des 27. Februar erhielt er Besuch von Angehörigen des Geheimdienstes al-Mabahith al-'Amma, die ihn aufforderten, sie zu begleiten. Kurze Zeit später sollen sie ihn mitgenommen haben. Seine Familie wartete den ganzen Abend, sie hörte jedoch nichts von ihm. Gegen 0.30 Uhr kontaktierte ein Mitglied des Geheimdienstes einen Familienangehörigen, um ihm mitzuteilen, dass Scheich Tawfiq Jaber Ibrahim al-'Amr festgenommen worden sei und sich in der Abteilung des Geheimdienstes in Dammam befinde. Der Verwandte fragte, ob die Familie den Scheich besuchen dürfe. Man sagte ihm, das wäre nicht möglich.

Scheich Tawfiq Jaber Ibrahim al-'Amr wurde bereits zuvor zwei Mal festgenommen und kurzzeitig inhaftiert. Vor drei Jahren nahm man ihn zum ersten Mal fest, offenbar in Zusammenhang mit einer Kunstausstellung, die er anlässlich des schiitischen Aschura-Festes organisiert hatte. Er wurde etwa drei Tage lang festgehalten. Vor zwei Jahren wurde er festgenommen, weil er schiitische Gepflogenheiten des muslimischen Glaubens praktizierte und etwa zehn Tage lang festgehalten. Nach seiner Freilassung stellte man ihn wegen "Aufwiegelung gegen die Regierung" vor Gericht. Das Verfahren wurde verschoben, um der Staatsanwaltschaft Zeit zu geben, Beweise zur Erhärtung der Vorwürfe beizubringen. Seitdem ist der Fall soweit bekannt nicht weiter verfolgt worden.


HINTERGRUNDINFORMATIONEN

KritikerInnen der saudi-arabischen Regierung drohen im Gewahrsam der Sicherheitsdienste des Innenministeriums schwere Menschenrechtsverletzungen. Oft werden sie ohne Kontakt zur Außenwelt und ohne Anklage in Haft, manchmal auch Einzelhaft, gehalten und können weder RechtsanwältInnen noch die Gerichte einschalten, um die Rechtmäßigkeit ihrer Inhaftierung prüfen zu lassen. Haft ohne Kontakt zur Außenwelt und Einzelhaft ist in Saudi-Arabien gängige Praxis. Ebenso wie Folterungen und Misshandlungen dienen sie dem Zweck, Geständnisse zu erzwingen, nicht "reuige" Gefangene zu bestrafen oder sie von weiteren kritischen Äußerungen über die Regierung abzuhalten. Oftmals werden Menschen so lange von der Außenwelt abgeschnitten in Haft gehalten, bis sie schließlich ein Geständnis ablegen. Dies kann Monate, wenn nicht sogar Jahre dauern.

Saudi-Arabien ist Vertragsstaat des UN-Übereinkommens gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe, das die Verwendung von Beweismitteln verbietet, die durch Folter oder andere Misshandlung zustande gekommen sind. In Artikel 15 heißt es wörtlich: "Jeder Vertragsstaat trägt dafür Sorge, dass Aussagen, die nachweislich durch Folter herbeigeführt worden sind, nicht als Beweis in einem Verfahren verwendet werden, es sei denn gegen eine der Folter angeklagte Person als Beweis dafür, dass die Aussage gemacht wurde".

Die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung Saudi-Arabiens sind Sunniten, der Wahhabismus ist die offizielle Staatsreligion. Das öffentliche Praktizieren anderer Glaubensrichtungen wird in Saudi-Arabien nicht toleriert. Selbst wenn sie ihren Glauben privat praktizieren, droht Andersgläubigen Strafverfolgung. Der Staat ist der Auffassung, dass der schiitische Glaube nicht mit dem Wahhabismus vereinbar ist, deshalb unterliegt seine Ausübung bestimmten Einschränkungen. Schiiten müssen mit willkürlichen Festnahmen und Inhaftierung rechnen. Die Angst vor Verfolgung hält sie davon ab, ihren Glauben frei zu praktizieren. Inhaftierte werden zum Teil ohne Anklage festgehalten und können Folter und anderer Misshandlung ausgesetzt sein.


EMPFOHLENE AKTIONEN

SCHREIBEN SIE BITTE FAXE, ODER LUFTPOSTBRIEFE MIT FOLGENDEN FORDERUNGEN

- Ich appelliere an Sie, sicherzustellen, dass Scheich Tawfiq Jaber Ibrahim al-'Amr weder gefoltert noch misshandelt wird, Zugang zu jeglicher benötigter medizinischer Versorgung erhält und regelmäßig von seiner Familie und seinem Rechtsbeistand besucht werden kann.

- Falls Scheich Tawfiq Jaber Ibrahim al-'Amr nur aufgrund der friedlichen Ausübung seiner Rechte auf freie Meinungsäußerung und Versammlungsfreiheit festgehalten wird, betrachtet Amnesty International ihn als gewaltlosen politischen Gefangenen und fordert seine unverzügliche und bedingungslose Freilassung.

- Ich bitte darum, die gegen Scheich Tawfiq Jaber Ibrahim al-'Amr erhobenen Anklagen detailliert bekannt zu geben und sicherzustellen, dass eventuell gegen ihn eingeleitete rechtliche Schritte internationalen Standards für faire Prozesse genügen.


APPELLE AN

INNENMINISTER
His Royal Highness
Prince Naif bin 'Abdul 'Aziz Al-Saud
Second Deputy Prime Minister and
Minister of the Interior
P.O. Box 2933, Airport Road
Riad 11134
SAUDI-ARABIEN
(korrekte Anrede: Your Royal Highness)
Fax: (00 966) 1 403 1185 (bitte mehrmals versuchen)

KÖNIG
His Majesty King 'Abdullah Bin 'Abdul 'Aziz Al-Saud
The Custodian of the two Holy Mosques
Office of His Majesty the King
Royal Court
Riad
SAUDI-ARABIEN
(korrekte Anrede: Your Majesty)
Fax: (00 966) 1 403 1185 (über das Innenministerium, bitte mehrmals versuchen)


KOPIEN AN

VORSITZENDER DER STAATLICHEN MENSCHENRECHTSKOMMISSION
Bandar Mohammed 'Abdullah Al-Aiban
President, Human Rights Commission
P.O. Box 58889
King Fahad Road, Building No. 373
Riad 11515
SAUDI-ARABIEN
(korrekte Anrede: Dear Dr al-Aiban)
E-Mail: hrc@haq-ksa.org

BOTSCHAFT DES KÖNIGREICHS SAUDI-ARABIEN
S.E. Herrn
Prof. Dr. med Ossama Abdulmajed Ali Shobokshi
Tiergartenstr. 33-34
10785 Berlin
Fax: 030-8892 5179 oder 030-8892 5176
E-Mail: saudi-embassy-berlin@t-online.de


Bitte schreiben Sie Ihre Appelle möglichst sofort. Schreiben Sie in gutem Arabisch, Englisch oder auf Deutsch. Da Informationen in Urgent Actions schnell an Aktualität verlieren können, bitten wir Sie, nach dem 15. April 2011 keine Appelle mehr zu verschicken.


PLEASE SEND APPEALS IMMEDIATELY

- Urging the authorities to ensure that Sheikh Tawfiq Jaber Ibrahim al-'Amr is protected from torture and other ill-treatment, and given regular access to his family, lawyer and any medical attention he may require;

- Noting that if he is being held solely for peacefully exercising his right to freedom of expression and association, Amnesty International would consider him to be a prisoner of conscience and call for his immediate and unconditional release;

- Asking for details of any charges he faces to be made public and calling on the authorities to ensure that any legal proceedings against him conform to international fair trial standards.


HINTERGRUNDINFORMATIONEN Fortsetzung

Im Februar 2009 filmten Angehörige des Komitees zur Verhütung des Lasters und Verbreitung der Tugend (CPVPV), auch als Mutawa'een oder Religionspolizei bekannt, schiitische Frauen, die das Grab des Propheten Mohammed in Medina besuchten. Das verärgerte eine größere Gruppe schiitischer Männer und Frauen, die das Grab besuchten und veranlasste sie dazu, vor den Büros der CPVPV in Medina für die Aushändigung des Videomaterials zu demonstrieren. Die Situation eskalierte in einer Reihe von Zusammenstößen, bei denen Angehörige der CPVPV die Protestierenden angriffen: Mehrere Demonstrierende wurde verletzt und mindestens neun wurden festgenommen aber nach einer Woche Haft wieder freigelassen. Laut Innenminister Prinz Naif bin 'Abdul 'Azis Al-Saud wurden auch einige Personen der sunnitischen Gemeinde festgenommen.

Durch den Zwischenfall kam es zu Demonstrationen in der Östlichen Provinz, in deren Zusammenhang mindestens zehn Angehörige der schiitischen Gemeinde inhaftiert wurden, darunter sechs Jungen zwischen 14 und 16 Jahren. Einige der Jungen wurden nach wenigen Wochen freigelassen. Amnesty International liegen keine Informationen darüber vor, was mit den anderen Gefangenen geschah. Am 14. März 2009 zitierte man den Innenminister, als man über die Festnahmen der in den Vorfall verwickelten Personen berichtete: "Bürger haben Rechte und Pflichten; ihre Handlungen sollten der Ummah -Doktrin ["Ummah" bedeutet muslimische Gemeinde] nicht zuwiderlaufen. Es ist die Lehre der Sunniten und unserer rechtmäßigen Vorfahren. Es gibt Bürger, die einer anderen Schule folgen und die Intelligenten unter ihnen müssen diese Lehre respektieren."


*


Quelle:
ai - URGENT ACTION
UA-Nr: UA-058/2011, AI-Index: MDE 23/004/2011, Datum: 4. März 2011 - fp
Amnesty International, Sektion der Bundesrepublik Deutschland e.V.
Greifswalder Str. 4, 10405 Berlin
Telefon: 030/42 02 48-306
Fax: 030/42 02 48 - 330
E-Mail: presse@amnesty.de
Internet: www.amnesty.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 11. März 2011