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AKTION/545: Urgent Action - Iran - Weiterer Student festgenommen


ai - URGENT ACTION
UA-Nr: UA-031/2011-1, AI-Index: MDE 13/021/2011, Datum: 22. Februar 2011 - jf

IRAN
Weiterer Student festgenommen

Weitere Informationen zu UA-031/2011 (MDE 13/019/2011, 16. Februar 2011)


Festgenommen:
IMAN SEDIGHI, Student

Getötet:
Herr SANE' ZHALEH, 26 Jahre
Herr MOHAMMAD MOKHTARI, 22 Jahre

Am 20. Februar wurde der Aktivist Iman Sedighi einen Tag nach den landesweiten Demonstrationen und Streiks in der iranischen Stadt Babol festgenommen. Sein Aufenthaltsort ist derzeit nicht bekannt. Der Student hatte bereits zuvor fünf Monate in Haft verbracht, zu denen er wegen seiner Teilnahme an einer Demonstration im Zuge der umstrittenen Präsidentschaftswahl im Jahr 2009 verurteilt worden war. Er hatte damals bei der Wahlkampfkampagne des ehemaligen Präsidentschaftskandidaten Mehdi Karroubi mitgearbeitet, der bei der Wahl 2009 unterlag.

Am 29. Dezember 2009 bestätigte ein Berufungsgericht die zehnmonatige Haftstrafe, die gegen Iman Sedighi wegen "Gefährdung nationaler Sicherheit" verhängt worden war. Es steht zu vermuten, dass diese Strafe im Zusammenhang mit seiner Tätigkeit für die Kampagne des Oppositionsführer Mehdi Karroubi sowie seiner Teilnahme an Demonstrationen gegen das umstrittene Ergebnis der Präsidentschaftswahl im Juni 2009 steht. Zudem wurde er für ein Jahr der Noshirvan-Universität für Technologie in Babol verwiesen. Das Urteil wurde am 25. Februar 2010 rechtskräftig. Iman Sedighi wurde im Juli 2010 entlassen, nachdem er die Hälfte seiner Haftstrafe verbüßt hatte. Seine Versuche, eine Rückkehr an die Universität nach Ablauf der Sperre zu vereinbaren, blieben bisher erfolglos.

Berichten zufolge wurden am 20. Februar diesen Jahres vor der Universität und an sieben anderen Orten in Babol gepanzerte Fahrzeuge postiert. Als sich UnterstützerIinnen der Oppositionsführer Mehdi Karroubi und Mir Hossein Mousavi auf den Straßen versammelten, wurden sie Berichten zufolge von Soldaten und Sicherheitskräften in Zivil mit Tränengas angegriffen und auseinandergetrieben. Der Auflösung der Proteste waren mehrere Festnahmen von UnterstützerIinnen der Oppositionsführer am 14. Februar vorausgegangen.


HINTERGRUNDINFORMATIONEN

Am 5. Februar 2011 baten Mehdi Karroubi und Mir Hossein Mussawi - Kandidaten der Opposition in den umstrittenen Präsidentschaftswahlen von 2009 - das Innenministerium in einem offenen Brief um Erlaubnis für eine Protestkundgebung am 14. Februar, "um Unterstützung für die Volksbewegungen in der Region kundzutun, insbesondere für die nach Freiheit strebenden Menschen in Ägypten und Tunesien.". Obgleich die Behörden mehrmals offiziell ihre Unterstützung für die Proteste in Ägypten erklärt hatten, gaben sie keine Genehmigung für eine solche Demonstration. Am 9. Februar sagte ein Justizsprecher, dass die IranerInnen ihrer Solidarität mit Ägypten im Rahmen der offiziellen Kundgebungen zum 32. Jahrestag der Islamischen Revolution am 11. Februar Ausdruck verleihen sollten.

Am 20. Februar 2011 versammelten sich hunderte, möglicherweise tausende Menschen in verschiedenen Städten, so z. B. in Teheran, Esfahan, Schiraz, Maschhad und Babol, um am siebten Tag um die beiden am 14. Februar getöteten Demonstranten zu trauern und ihrer zu gedenken. Amnesty Internation wurde berichtet, dass drei Menschen in Teheran angeschossen wurden, von denen mindestens einer seinen Verletzungen erlag; diese Berichte wurden allerdings bisher noch nicht bestätigt. Zudem soll ein Student getötet worden sein, indem man ihn in Schiraz von einer Brücke hinunterstürzte. Die genaue Anzahl der Menschen, die wie Iman Sedighi bislang festgenommen wurden, ist nicht bekannt.


EMPFOHLENE AKTIONEN

SCHREIBEN SIE BITTE E-MAILS ODER LUFTPOSTBRIEFE MIT FOLGENDEN FORDERUNGEN

- Ich appelliere an Sie, Iman Sedighi vor Folter und anderer Misshandlung zu schützen, und ihm außerdem Zugang zu seiner Familie, einer rechtlichen Vertretung seiner Wahl sowie jeglicher benötigter medizinischer Versorgung zu gewähren. Ich fordere Sie zudem auf, ihn unverzüglich vor Gericht zu stellen, sodass er die Möglichkeit erhält, die Rechtmäßigkeit seiner Haft anfechten zu können.

- Ich fordere Sie nachdrücklich auf, alle Personen, die nur aufgrund ihrer Teilnahme an den friedlichen Demonstrationen in Haft sind, sofort und bedingungslos freizulassen.

- Stellen Sie sicher, dass der Einsatz von Polizeikräften bei zukünftigen Demonstrationen internationalen Normen der Polizeiarbeit entspricht. Dazu gehört auch, dass Schusswaffen nur als letztes Mittel eingesetzt werden dürfen, wenn dies zum Schutz von Leben unbedingt erforderlich ist. Bitte leiten Sie außerdem eine umfassende, unabhängige und unparteiische Untersuchung der Todesfälle ein.


APPELLE AN

RELIGIONSFÜHRER
Ayatollah Sayed 'Ali Khamenei
The Office of the Supreme Leader
Islamic Republic Street - End of Shahid Keshvar Doust Street
Tehran, IRAN
(korrekte Anrede: Your Excellency)
E-Mail: info_leader@leader.ir
Über die Website:
http://www.leader.ir/langs/en/index.php?p=letter (Englisch)

OBERSTE JUSTIZAUTORITÄT
Ayatollah Sadegh Larijani
[C/o] Public Relations Office
Number 4, 2 Azizi Street
Vali Asr Ave., above Pasteur Street intersection
Tehran, IRAN
(korrekte Anrede: Your Excellency)
E-Mail: bia.judi@yahoo.com (Betreff: FAO Ayatollah Sadegh Larijani)


KOPIEN AN

LEITER DER IRANISCHEN BEHÖRDE FÜR MENSCHENRECHTE
Mohammad Javad Larijani
High Council for Human Rights
[C/o] Office of the Head of the Judiciary
Pasteur St., Vali Asr Ave., south of Serah-e Jomhouri, Tehran 1316814737, IRAN
(korrekte Anrede: Dear Sir)
E-Mail: info@humanrights-iran.ir
(Betreff: FAO Mohammad Javad Larijani)

BOTSCHAFT DER ISLAMISCHEN REPUBLIK IRAN
S.E. Herrn Alireza Sheikh Attar
Podbielskiallee 65-67
14195 Berlin
Fax: 030-8435 3535
E-Mail: iran.botschaft@t-online.de


Bitte schreiben Sie Ihre Appelle möglichst sofort. Schreiben Sie in gutem Persisch, Englisch oder auf Deutsch. Da Informationen in Urgent Actions schnell an Aktualität verlieren können, bitten wir Sie, nach dem 30. März 2011 keine Appelle mehr zu verschicken.


PLEASE WRITE IMMEDIATELY

- Stressing that Iman Sedighi must be protected from torture or other ill-treatment, allowed access to his family, a lawyer of his choice and adequate medical treatment and should be brought before a judge without delay so he may challenge the lawfulness of his detention;

- Calling for anyone held solely for their peaceful participation in the recent demonstrations to be released immediately and unconditionally;

- Calling on the authorities to ensure the policing of any further demonstrations meets international policing standards, including the use of firearms only as a last resort where strictly unavoidable in order to protect life, and to open a full, independent and impartial investigation into the deaths of those killed in recent protests.


Weitere Zusatzinfos

Beide Oppositionsführer wurden unter Hausarrest gestellt. Am 10. Februar 2011 umstellten PolizeibeamtInnen das Haus von Mehdi Karroubi. Als seine beiden Söhne ihn unabhängig voneinander besuchen wollten, wurden sie eigenen Angaben zufolge daran gehindert. Am 14. Februar hinderte man Mir Hossein Mussawi und seine Frau daran, ihr Haus zu verlassen und an den Demonstrationen in Teheran teilzunehmen. Alle Kommunikationsverbindungen von bzw. zu den beiden Häusern wurden unterbrochen. Die Behörden nahmen außerdem bereits vor den Demonstrationen JournalistInnen und politische AktivistInnen fest, um deren Teilnahme zu verhindern. Nähere Informationen hierzu finden Sie auf Englisch in dem Bericht Iran: Allow peaceful rally to support Egypt and Tunisia protests vom 11. Februar 2011, zu finden unter:
http://www.amnesty.org/en/library/info/MDE13/017/2011/en.

Am 14. Februar gingen Tausende in verschiedenen iranischen Städten auf die Straße, so zum Beispiel in Teheran, Rasht, Isfahan, Schiraz und Kermanschah. Die Demonstrationen verliefen zunächst ruhig und friedlich, doch dann wendeten Sicherheitskräfte, hauptsächlich in Zivil, offenbar unverhältnismäßige Gewalt an. Sie prügelten auf Protestierende ein und verwendeten Tränengas, um die Menge aufzulösen. Augenzeugenberichten zufolge sollen einige sogar mit scharfer Munition geschossen haben. Die iranische Menschenrechtsorganisation Committee of Human Rights Reporters (CHRR) gab an, dass in Teheran allein vermutlich bis zu 1.500 Personen festgenommen worden seien. Darüber hinaus soll es zahlreiche Verwundete gegeben haben, und die Behörden haben eingeräumt, dass zwei Demonstrierende mit Namen Sane' Zhaleh (26 Jahre) and Mohammad Mokhtari (22 Jahre) getötet wurden. Die Behörden gaben der verbotenen Oppositionsgruppe der Volksmudschaheddin (People's Mojahedeen Organization of Iran - PMOI) die Schuld an den Todesfällen, was die PMOI allerdings abstreitet. AugenzeugInnen sagten gegenüber Amnesty International, dass dort, wo die getöteten Männer demonstriert hatten, Schüsse aus der Richtung der Sicherheitskräfte gekommen seien. Amnesty befürchtet, dass die iranischen Behörden versuchen, der PMOI und monarchistischen Gruppen die Schuld an den Todesfällen zu geben. Dies könnte dazu führen, dass festgenommene Demonstrierende unter Umständen wegen Mordes oder mutmaßlicher Verbindungen zu verbotenen Gruppen hingerichtet werden. Im Januar 2011 wurden zwei Personen wegen mutmaßlicher Verbindungen zur PMOI hingerichtet, nachdem sie im Dezember 2009 im Rahmen des Religionsfestes Aschura an den Regierungsprotesten teilgenommen hatten. Im Januar 2010 wurden ebenfalls zwei Männer hingerichtet, diesmal wegen mutmaßlicher Mitgliedschaft in der monarchistischen Partei Anjoman-e Padshahi Iran (API), die sich für die Einführung der Monarchie im Iran einsetzt. Am 15. Februar 2011 unterschrieben 220 ParlamentarierInnen eine Stellungnahme, die im iranischen Parlament verlesen wurde und in der gefordert wird, dass Mehdi Karroubi und Mir Hossein Mussawi vor Gericht gestellt und mit der "Höchststrafe" bestraft werden. Dabei riefen einige Parlamentarier Parolen wie "Mussawi, Karroubi und [der frühere Präsident] Khatami müssen sterben!" und "Richtet Mussawi und Karroubi hin!".

Am 16. Februar berichtete der staatliche Fernsehsender über Zusammenstöße bei der Beerdigung von Sane' Zhaleh. Mindestens sieben Studierende und ein Dozent, Ali Akbar Alizad, sollen an der Kunstuniversität Teheran - an der Sane' Zhaleh studierte - festgenommen worden sein. Der Dozent wurde später freigelassen. Unmittelbar vor den Demonstrationen schränkten die Behörden die Meinungsfreiheit und damit das Recht auf Erhalt und Weitergabe von Informationen stark ein. Sie blockierten den Zugang zu Telefondiensten (einschließlich SMS), ausländischen Medien und verschiedenen Internet- und Social Media-Webseiten.


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Quelle:
ai - URGENT ACTION
UA-Nr: UA-031/2011-1, AI-Index: MDE 13/021/2011, Datum: 22. Februar 2011 - jf
Amnesty International, Sektion der Bundesrepublik Deutschland e.V.
Greifswalder Str. 4, 10405 Berlin
Telefon: 030/42 02 48-306
Fax: 030/42 02 48 - 330
E-Mail: presse@amnesty.de
Internet: www.amnesty.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 1. März 2011