Schattenblick →INFOPOOL →BÜRGER/GESELLSCHAFT → AMNESTY INTERNATIONAL

AKTION/544: Urgent Action - Russische Föderation, Tschetschene wieder in Gefahr


ai - URGENT ACTION
UA-Nr: UA-149/2010-1, AI-Index: EUR 46/006/2011, Datum: 18. Februar 2011 - jf

RUSSISCHE FÖDERATION
Tschetschene wieder in Gefahr

Weitere Informationen zu UA-149/2010 (EUR 46/024/2010, 2. Juli 2010)


ISLAM UMARPASHEV, etwa 24-jähriger Tschetschene

Die Untersuchung der viermonatigen Haft ohne Kontakt zur Außenwelt von Islam Umarpashev kommt inzwischen voran. Damit wächst das Risiko von Vergeltungsschlägen seitens der Verantwortlichen gegen ihn, seine Familie und Menschen, die seinen Fall unterstützen.

Islam Umarpashev wurde am 11. Dezember 2009 in seiner Wohnung in der tschetschenischen Hauptstadt Grosny von bewaffneten Sicherheitskräften in schwarzen Uniformen ohne jedes Abzeichen festgenommen. Die Männer sollen sich geweigert haben, sich zu identifizieren. Seine Familie erstattete Anzeige bei der örtlichen Staatsanwaltschaft. Die Ermittlungen zum Verschwinden von Islam Umarpashev blieben jedoch ohne Ergebnis, so dass seine Angehörigen im Januar 2010 beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte Klage einreichten. Nach seiner Freilassung am 2. April 2010 gab Islam Umarpashev an, dass er in einem Gebäude der Sonderpolizei des tschetschenischen Innenministeriums (OMON) in geheimer Haft gehalten und gefoltert worden sei.

Die russische Menschenrechtsgruppe "Joint Mobile Group" (JMG) hat Islam Umarpashev bei seinem Versuch, Gerechtigkeit zu erlangen, begleitet, ihn rechtlich unterstützt und dabei auch schwere Mängel der offiziellen Ermittlungen dokumentiert. Er und seine Familie haben Drohungen von den Verantwortlichen erhalten, in denen sie dazu aufgefordert wurden, ihre Anzeige zurückzuziehen. Islam Umarpashev hatte mehrere Monate lang Zuflucht in anderen Gebieten der Russischen Föderation gesucht, bevor er vor Kurzem nach Tschetschenien zurückkehrte. Am 30. Juli 2010 wurde ihm im Rahmen eines Zeugenschutzprogramms bewaffneter Polizeischutz zur Seite gestellt, der ihn bei seiner pflichtgemäßen Teilnahme an Ermittlungen innerhalb Tschetscheniens begleitete; diese Schutzmaßnahme beschränkte sich jedoch ausschließlich auf Aktivitäten dieser Art. Berichten der JMG zufolge unterstützte einer dieser Polizeibeamten einen hochrangigen Polizeibeamten der OMON dabei, am 17. August 2010 ein Treffen mit Islam Umarpashev und dessen Vater zu organisieren. Im Rahmen dieses Treffens wurde den beiden mit Vergeltungsmaßnahmen gedroht, falls sie ihre Anzeige nicht zurückzögen.

Vertreter_innen der JMG haben die staatlichen Behörden im Namen von Islam Umarpashev wiederholt darum ersucht, die Untersuchung an Beamt_innen außerhalb Tschetscheniens zu übertragen. Bevor dem Antrag zu Beginn des Jahres 2011 stattgegeben wurde, war er zweimal abgelehnt worden. Seit der Übertragung wurden im Rahmen der Untersuchung verschiedene Erfolge im Hinblick auf die Ausfindigmachung der Personen erzielt, die Islam Umarpashev widerrechtlich festgenommen und gefoltert hatten; zusätzlich konnten verschiedene belastende Beweismittel gesammelt werden. Damit wächst das Risiko von Vergeltungsschlägen, insbesondere mit Blick auf die Tatsache, dass bislang keiner der Angehörigen der Sonderpolizei OMON, die als Verantwortliche identifiziert wurden, vom Dienst suspendiert wurde. Einige von ihnen sollen der Ermittlungsgruppe gegenüber auch bereits Warnungen ausgesprochen haben, das Gelände, auf dem Islam Umarpashev seinerzeit festgehalten wurde, besser nicht zu betreten. Seine engsten Familienangehörigen haben Tschetschenien vor kurzer Zeit aus Sicherheitsgründen verlassen. Islam Umarpashev und sein Rechtsbeistand der JMG allerdings halten ihren Verbleib in Tschetschenien für die Fortführung der Untersuchung für unabdingbar.


HINTERGRUNDINFORMATIONEN

Islam Umarpashev ist einer von vielen Menschen, die dem sogenannten "Verschwindenlassen", Folter und anderen Misshandlungen zum Opfer gefallen sind. Diese Taten werden von der tschetschenischen Exekutive verübt, die dabei fast uneingeschränkte Straffreiheit genießt. Menschen, die die Verantwortlichen vor Gericht zu stellen versuchen, sind dabei großen Gefahren ausgesetzt. 2008 sprach Makhmadsalor Masaev öffentlich über seine rechtswidrige Inhaftierung im Jahr 2006, bei der er sich auf einem Stützpunkt in Tsenteroi befunden haben soll, der dem damaligen Ministerpräsidenten Tschetscheniens Ramsan Kadyrow unterstand. Am 3. August 2008 wurde er von Männern in Tarnuniformen in Grosny verschleppt und ist seitdem nicht mehr gesehen worden. Im Januar 2009 wurde der 27-jährige Tschetschene Umar Israilov in Wien erschossen. Bei den Tätern soll es sich um Tschetschenen gehandelt haben. Umar Israilov hatte wegen seiner rechtswidrigen Inhaftierung und Folter in Tsenteroi im Jahr 2003 - Ramzan Kadyrow soll an einigen der Handlungen persönlich beteiligt gewesen sein - beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte sowie bei den russischen Behörden Klage eingereicht und in Österreich Zuflucht gesucht. Natalia Estemirowa, eine der führenden Mitglieder der russischen Menschenrechtsorganisation "Memorial", die verschiedene Menschenrechtsverletzungen in Tschetschenien aufgedeckt hatte, wurde am 15. Juli 2009 vor ihrem Haus in Grosny entführt. Ihre Leiche, die zahlreiche Schusswunden aufwies, wurde später in der benachbarten Republik Inguschetien gefunden worden sei.


EMPFOHLENE AKTIONEN

SCHREIBEN SIE BITTE FAXE ODER LUFTPOSTBRIEFE MIT FOLGENDEN FORDERUNGEN

- Ich mache mir große Sorgen um die Sicherheit von Islam Umarpashev, seiner Familie und seines Rechtsbeistandes und fordere Sie hiermit auf, Islam Umarpashev und dessen Angehörige sowie seinen Rechtsbeistand umfassend und wirksam zu schützen.

- Ich appelliere hiermit an Sie, unverzüglich Ermittlungen einzuleiten, um die willkürliche Inhaftierung und die Misshandlungen von Islam Umarpashev aufzuklären und die Verantwortlichen vor Gericht zu stellen.

- Suspendieren Sie mit sofortiger Wirkung die Beamt_innen, die im Verdacht der widerrechtlichen Festnahme und der Misshandlung Islam Umarpashevs stehen.


APPELLE AN

GENERALSTAATSANWALT DER RUSSISCHEN FÖDERATION
Yurii Yakovlevich Chaika
Ul. Bolshaia Dmitrovka, 15a
Moscow GSP-3, 125993, RUSSISCHE FÖDERATION
(korrekte Anrede: Dear Prosecutor General)
Fax: (007) 495 692 17 25

LEITER DER ERMITTLUNGSABTEILUNG DER STAATSANWALTSCHAFT DER RUSSISCHEN FÖDERATION
Aleksandr Bastrykin
Technicheskii per. 2, Moscow, 105005 RUSSISCHE FÖDERATION
(korrekte Anrede: Dear Chairman)
Fax: (007) 495 265 90 77


KOPIEN AN

BOTSCHAFT DER RUSSISCHEN FÖDERATION
S.E. Herrn Vladimir M. Grinin
Unter den Linden 63-65
10117 Berlin
Fax: - 030-2299 397
E-Mail: info@Russische-Botschaft.de


Bitte schreiben Sie Ihre Appelle möglichst sofort. Schreiben Sie in gutem Russisch, Englisch oder auf Deutsch. Da Informationen in Urgent Actions schnell an Aktualität verlieren können, bitten wir Sie, nach dem 1. April 2011 keine Appelle mehr zu verschicken.


PLEASE WRITE IMMEDIATELY

- Expressing concern for the safety of Islam Umarpashaev, his family and his legal team, and urging the authorities to take effective action to ensure their full and adequate protection.

- Urging the authorities to ensure that the investigation into the unlawful detention and ill-treatment of Islam Umarpashaev is completed promptly, and bring those responsible to justice.

- Urging them to suspend those officials suspected of being responsible for his unlawful detention and ill-treatment from duty immediately.


HINTERGRUNDINFORMATIONEN Fortsetzung

Islam Umarpashev geht davon aus, dass er während seiner widerrechtlichen Inhaftierung in einem Polizeigebäude der OMON festgehalten wurde. Er beschreibt, dass er in einem Keller an einen Heizkörper gefesselt war und wiederholt geschlagen wurde. Seinen Angaben zufolge wurde er kurz vor seiner Freilassung der Bezirkspolizei von Oktyabr'sky übergeben. Als Bedingung für seine Freilassung verlangte die Polizei, er solle angeben, nicht in Haft gehalten worden zu sein, sondern sich im Urlaub in der Nachbarrepublik Dagestan befunden zu haben. Seine Familie solle zudem ihre Klage beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zurückziehen. Da er um seine Sicherheit fürchtete, verließ Islam Umarpashev Tschetschenien unmittelbar nach seiner Freilassung und zog in einen anderen Teil der Russischen Föderation. Er musste jedoch mehrfach auf Geheiß der örtlichen Ermittler zurückkehren. Derzeit befindet er sich in Tschetschenien, um bei den Ermittlungen zu helfen.

Für Islam Umarpashev und seinen Vater wurde ein Zeugenschutzprogramm eingeleitet. Es wurde jedoch nur eine_r der drei Mitarbeiter_innen der JMG, die sich in Tschetschenien mit seinem Fall befassen, unter Zeugenschutz gestellt. Diese Schutzmaßnahmen sind nicht ausreichend; die beiden Männer sind weiterhin Druck und Einschüchterungen ausgesetzt. Angesichts des fortgeschrittenen Stadiums der Untersuchungen steht zudem zu befürchten, dass die Situation für sie zunehmend gefährlicher wird. Die unabhängige Zeitung Nowaja Gaseta berichtete von Drohungen eines Angehörigen der Sonderpolizei OMON, der von Islam Umarpashev als eine der Personen identifiziert worden war, die ihn seinerzeit gefoltert hatten. Er soll angekündigt haben, im Falle einer Untersuchung des Geländes zur Sicherung von Beweisen sofort das Feuer auf die Ermittlungsgruppe zu eröffnen. Allerdings hatte eine solche Untersuchung des Geländes bereits Anfang Februar stattgefunden.

Die russische Menschenrechtsgruppe JMG untersteht dem Komitee gegen Folter in Nischni Nowgorod, das sich für ein Ende der Straffreiheit für Angehörige der Strafverfolgungsbehörden in Tschetschenien einsetzt.


*


Quelle:
ai - URGENT ACTION
UA-Nr: UA-149/2010-1, AI-Index: EUR 46/006/2011, Datum: 18. Februar 2011 - jf
Amnesty International, Sektion der Bundesrepublik Deutschland e.V.
Greifswalder Str. 4, 10405 Berlin
Telefon: 030/42 02 48-306
Fax: 030/42 02 48 - 330
E-Mail: presse@amnesty.de
Internet: www.amnesty.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 26. Februar 2011