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AKTION/438: Reaktionen und Erfolge, Oktober/November 2008


amnesty journal 10/11/2008 - Das Magazin für die Menschenrechte

Reaktionen und Erfolge - Oktober/November 2008

Ex-Jugoslawien, Pakistan, Indien, Guatemala, Sudan, Kambodscha
Ausgewählte Ereignisse vom 5. August bis 12. September 2008
Syrien - Dissident entlassen
Deutschland - "Der wichtigste Text unserer Zeit"
Paraguay - Der lange Schatten der Diktatur
China - Kein Gold für Menschenrechte
Belarus, USA, Tunesien - Aus der Haft entlassen

AUSGEWÄHLTE EREIGNISSE VOM 5. AUGUST BIS 12. SEPTEMBER 2008

EX-JUGOSLAWIEN

Amnesty International begrüßt die Verhaftung und Überführung von Radovan Karadzic an das Internationale Kriegsverbrechertribunal in Den Haag als großen Schritt vorwärts, um Tausenden von Opfern in Bosnien und Herzegowina Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Amnesty wies jedoch darauf hin, dass immer noch zahlreiche Verbrechen aus der Zeit des Bürgerkriegs in den neunziger Jahren nicht aufgeklärt sind.


INDIEN

Nach dem Mord an einem bekannten Hindu-Führer im östlichen Bundesstaat Orissa kam es zu schweren Übergriffen auf die dortige christliche Minderheit. Mindestens drei Personen sind dabei bislang getötet worden. Amnesty International hat die Behörden aufgefordert, unverzüglich Maßnahmen zu ergreifen, um die Gewalt gegen Christen in der Region zu beenden.


GUATEMALA

Amnesty International verurteilt den Mord an drei ehrenamtlichen Mitarbeitern des Christlichen Vereins junger Menschen in der Stadt Amatitlán. Sie hatten mit Jugendlichen gearbeitet, um zu verhindern, dass diese Banden beitreten. Im vergangenen Jahr wurden Polizeiberichten zufolge in Guatemala 5.781 Personen umgebracht. Nur bei einem Prozent aller Morde kommt es zu einer Verurteilung.


SUDAN

Amnesty International ruft die sudanesische Regierung dazu auf, keine unverhältnismäßige Gewalt bei Polizeiaktionen anzuwenden. Nach Informationen von Amnesty haben sudanesische Sicherheitskräfte Ende August zehn Zivilisten in der westlichen Krisenregion Darfur getötet. Anderen Berichten zufolge sind bei der Aktion sogar 47 Menschen getötet worden, darunter Frauen und Kinder.


KAMBODSCHA

Amnesty International fordert den sofortigen Stopp eines Bauprojekts im Zentrum der Hauptstadt Phnom Penh. Der Plan der Stadtverwaltung sieht vor, einen See in der Innenstadt aufzufüllen und öffentliches Land an private Investoren zu verkaufen. Mehr als 3.000 Familien, die auf dem Gebiet leben, sollen dafür ohne Entschädigung vertrieben werden. Auf dem Gelände sollen Geschäfte und ein Tourismuszentrum entstehen.


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DISSIDENT ENTLASSEN

SYRIEN - Er setzte auf die Versprechen des neuen Präsidenten. Wie so viele syrische Oppositionelle hoffte auch 'Aref Dalilah, dass mit der Ernennung von Bashar-al-Assad im Jahr 2000 ein frischer Wind in dem arabischen Land wehen würde. Redefreiheit, Reformen und Demokratie hatte der Sohn des verstorbenen Herrschers Hafez-al-Assad versprochen. Vor allem Intellektuelle organisierten sich daraufhin in Gesprächszirkeln, klagten Versammlungsrecht und die Freilassung politischer Gefangener ein. Doch die Zeit des "Damaszener Frühlings" währte nur wenige Monate. Schnell begann die Geheimpolizei, gegen die junge Bewegung vorzugehen. Auch Dr. 'Aref Dalilah, damals Dekan der Fakultät der Wirtschaftswissenschaften der Universität Aleppo, wurde zum Opfer der Repression. Gemeinsam mit dem Abgeordneten Riad Seif und weiteren Mitgliedern des "Forums der Zivilgesellschaft" verhaftete ihn die Polizei am 5. September 2001. Im Juli des folgenden Jahres verurteilte ihn das Staatssicherheitsgericht zu einer zehnjährigen Haftstrafe. Der Vorwurf: Er wolle die "Verfassung des Landes mit ungesetzlichen Mitteln ändern". Nach sieben Jahren kam der heute 65-Jährige am 8. August im Rahmen einer Präsidialamnestie aus dem 'Adra-Gefängnis von Damaskus frei.

Die meiste Zeit in Einzelhaft, hatte sich der gesundheitliche Zustand Dalilahs im Gefängnis zusehens verschlechtert: Er kämpfte mit Diabetes und einem Blutgerinsel in der Lunge. Im Mai 2006 forderte Amnesty zum wiederholten Mal seine Freilassung, nachdem er einen Schlaganfall erlitten hatte. "Ich bin dankbar für alle Bemühungen von Amnesty International", sagte 'Aref Dalilah jetzt und erklärte: "Wir sind geeint im Kampf für Gerechtigkeit und Demokratie."


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"DER WICHTIGSTE TEXT UNSERER ZEIT"

DEUTSCHLAND - Der Verlag S. Fischer erinnert an die Deklaration der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte vor 60 Jahren. Der Verlag druckt eine kleine 24-seitige Broschüre mit dem Text der Charta und legt diese seinen Sachbuchnovitäten ab dem 9. September 2008 bei. "Das ist der wichtigste Text unserer Zeit, und kaum jemand kennt ihn. Deshalb möchten wir ihn unseren Lesern zugänglich machen. Dieser Text macht auf dramatische Art deutlich, wie weit wir noch von dem entfernt sind, was die meisten Staaten der Welt am 10. Dezember 1948 unterschrieben haben", sagt Peter Sillem, Sachbuch-Programmleiter beim Frankfurter Verlagshaus. Die Broschüre enthält einen Spendenaufruf für Amnesty International, mit der S. Fischer seit vielen Jahren zusammenarbeitet. Der Amnesty-Jahresbericht erscheint seit 1985 bei Fischer.


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DER LANGE SCHAUEN DER DIKTATUR

PARAGUAY - Der neue paraguayische Präsident Fernando Lugo hat sich als Staatsoberhaupt bei den Opfern der Gewaltherrschaft von Alfredo Stroessner entschuldigt. Bei der Vorstellung eines Berichts der Wahrheitskommission zur Aufklärung von Regimeverbrechen bat Lugo Mitte August Opfer und Hinterbliebene um Vergebung. Die Zeit von 1954 bis 1989 sei "die schlimmste Diktatur" gewesen, "die es nie wieder in Paraguay geben darf". Die Kommission legte Dokumente mit den Nahmen von rund 300 Politikern, Studenten und Gewerkschaftsführern vor, die nach ihrer Verhaftung gefoltert wurden und deren Schicksal nie eindeutig geklärt wurde.

Zudem versucht die Kommission weitere Verbrechen aufzuklären, die während der Diktatur stattgefunden haben. So berichtete im August mit Julia Ozorio Gamecho zum ersten Mal eine Zeugin vor der Kommission über Fälle von sexueller Sklaverei. Demzufolge sollen Mädchen, zum Teil auch Kinder, aus ihren Familien entführt und hochrangigen Militärs für sexuelle Dienste zugeführt worden sein. Bislang hatten sich ehemalige Opfer aus Angst vor Repressalien geweigert, vor der Kommission auszusagen. Gamecho wurde im Alter von 13 Jahren entführt und anschließend mehrere Jahre von einem Offizier der Leibgarde des Präsidenten missbraucht.

Die vor fünf Jahren gegründete Kommission untersucht die Verbrechen, die während der Diktatur stattgefunden haben. Stroessner wurde im Februar 1989 bei einem Militärputsch gestürzt und starb 2006 im brasilianischen Exil im Alter von 93 Jahren.


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KEIN GOLD FÜR MENSCHENRECHTE

CHINA - Nach den Olympischen Sommerspielen in Peking ist klar: Die chinesische Regierung hat ihr Versprechen, die Spiele für die Verbesserung der Menschenrechtslage zu nutzen, gebrochen. In vielen Bereichen musste Amnesty International sogar Verschlechterungen feststellen. Mit Verhaftungen, Hausarrest und "Säuberungen" haben die chinesischen Behörden viele Menschenrechtsaktivisten vor den Spielen mundtot gemacht. Bekannte Menschenrechtsverteidiger wie Hu Jia oder Ye Guozhu sitzen weiterhin im Gefängnis, weil sie Kritik an den Olympischen Spielen geäußert hatten. Die Auswirkungen der Internetzensur bekamen selbst die rund 25.000 ausländischen Journalisten im olympischen Pressezentrum zu spüren. Während der Spiele sollte öffentlicher Protest in drei extra dafür ausgewiesenen "Protestzonen" in öffentlichen Parks möglich sein. Aber keine der 77 angemeldeten Aktionen fand wirklich statt. Einige Chinesinnen und Chinesen wurden wegen ihrer geplanten Proteste im Vorfeld sogar verhaftet. Das IOC schwieg dazu.


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AUS DER HAFT ENTLASSEN

BELARUS - Der frühere Präsidentschaftskandidat, Alyksandr Kazulin, wurde am 16. August nach zwei Jahren Haft begnadigt und aus dem Gefängnis entlassen. Amnesty hatte sich mit Briefaktionen für seine Freilassung eingesetzt. Kazulin trat im März 2006 als Vorsitzender der belarussischen Sozialdemokratischen Partei gegen Präsident Lukaschenko an. Zwei Monate später führte er einen Protestzug vor ein Gefängnis, in dem Hunderte Oppositionelle nach den Wahlen inhaftiert worden waren. Das Gericht verurteilte ihn daraufhin wegen "Rowdytums" und "der Organisation oder der Teilnahme an Aktivitäten, die gegen die öffentliche Ordnung verstoßen" zu einer fünfeinhalbjährigen Freiheitsstrafe.

Amnesty betrachtet Kazulins Begnadigung als Zeichen dafür, dass die belarussische Regierung zunehmend sensibler auf internationalen Druck reagiert. Zuvor hatte sie bereits die gewaltlosen politischen Gefangenen Zmitser Dashkevich und Alyksandr Zdzvizhkou sowie die politischen Gefangenen Artur Finkevch und Andrei Klimau freigelassen.


USA - Der Gouverneur von Oklahoma, Brad Henry, hat die Todesstrafe von Kevin Young in lebenslängliche Haft umgewandelt. Ursprünglich sollte Young am 22. Juli hingerichtet werden. Eine Woche zuvor hatte der Gouverneur ein Gnadengesuch angenommen und den Termin ausgesetzt. Es ist erst das zweite Mal, dass Henry einem Gnadengesuch zustimmt.


TUNESIEN - Der Journalist Slim Boukhdir wurde am 21. Juli 2008 aus der Haft entlassen. Ihm wurde mitgeteilt, dass ihm eine bedingte Freilassung vom Justizminister gewährt wurde, die vermutlich auf gute Führung zurückzuführen ist. Im Falle einer weiteren Verurteilung müsste er die noch offene Strafe allerdings verbüßen. Boukhdir wurde wegen seiner journalistischen Tätigkeit, bei der er Korruption im familiären Umfeld von Präsident Ben Ali anprangerte, angeklagt. Amnesty betrachtete ihn als politischen Gefangenen, der allein wegen seiner kritischen Äußerungen inhaftiert wurde.


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Quelle:
amnesty journal, Oktober/November 2008, S. 6-8
Herausgeber: amnesty international
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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. November 2008