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AKTION/1719: Urgent Action - Russische Föderation, drohende Auslieferung


ai - URGENT ACTION
UA-Nr: UA-271/2013-2, AI-Index: EUR 46/020/2014, Datum: 7. März 2014 - ar

Russische Föderation
Drohende Auslieferung



Herr MURODIL TADZHIBAYEV
Herr ABDILAZIZ HAMRAKULOV
Herr NABID ABDULLAYEV
Herr BOTIR TURGUNOV

Im Zuge eines Urteils des Obersten Gerichtshofs der Russischen Föderation droht vier usbekischen Asylsuchenden in Russland weiterhin die Auslieferung nach Kirgisistan. Dort würden ihnen Folter und andere Misshandlungen drohen.

Am 25. Februar hob der Oberste Gerichtshof der Russischen Föderation die Entscheidung des Bezirksgerichts von St. Petersburg vom November 2013 auf, nach der die Auslieferung von Murodil Tadzhibayev nach Kirgisistan gestoppt werden sollte. Darüber hinaus ordnete der Oberste Gerichtshof in einer beispiellosen Entscheidung seine unverzügliche Auslieferung an. Murodil Tadzhibayev war im November 2013 aus der Haft entlassen worden, nachdem das Bezirksgericht entschieden hatte, ihn nicht auszuliefern. Doch die Generalstaatsanwaltschaft legte beim Obersten Gerichtshof Rechtsmittel gegen die Entscheidung ein. Am 27. Februar wandten sich die Rechtsbeistände von Murodil Tadzhibayev an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR). Am 28. Februar ordnete der EGMR gemäß Artikel 39 der Verfahrensordnung vorläufige Maßnahmen an, was bedeutet, dass die russischen Behörden Murodil Tadzhibayev nicht an Kirgisistan ausliefern oder auf andere Weise gegen seinen Willen dorthin abschieben dürfen, solange das Gericht seinen Fall prüft. Am 25. Februar bestätigte der Oberste Gerichtshof die Entscheidung des vorinstanzlichen Gerichts, Botir Turgunov auszuliefern. Am 20. Februar wandten sich dessen Rechtsbeistände an den EGMR, welcher auch in diesem Fall vorläufige Maßnahmen gemäß Artikel 39 anordnete. Botir Turgunov befindet sich in einer Untersuchungshafteinrichtung in St. Petersburg.

Am 6. November 2013 und 30. Januar 2014 wies der Oberste Gerichtshof der Russischen Föderation die Rechtsmittel gegen die Auslieferung von Abdilaziz Hamrakulov und Nabid Abdullayev zurück. Die Rechtsbeistände beider Männer wandten sich an den EGMR, welcher in beiden Fällen vorläufige Maßnahmen anordnete. Abdilaziz Hamrakulov und Nabid Abdullayev wurden jeweils am 25. Januar und 7. März auf Grundlage von Artikel 39 freigelassen. Am 9. Dezember 2013 bestätigte der Oberste Gerichtshof die Entscheidung des Obersten Gerichts der autonomen Republik Tatarstan, welches am 29. Oktober die Auslieferung von Vohid Aliyev nach Kirgisistan stoppte. Vohid Aliyev wurde am 29. Oktober aus der Untersuchungshafteinrichtung der Stadt Kazan entlassen. In allen fünf Fällen sind die Rechtsbeistände der Ansicht, dass die erhobenen Vorwürfe konstruiert wurden und ethnisch motiviert sind. Amnesty International ist der Ansicht, dass den Männern Folter und andere Misshandlungen drohen, wenn sie an Kirgisistan ausgeliefert werden. Auch liefen sie in einem solchen Fall Gefahr, in unfairen Verfahren zu langen Haftstrafen verurteilt zu werden.


HINTERGRUNDINFORMATIONEN

Abdilaziz Hamrakulov, Vohid Aliyev, Murodil Tadzhibayev und Botir Turgunov stammen aus der Region um Osch im Süden Kirgisistans. Nachdem es dort im Juni 2010 zu mehrtägigen gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen ethnischen Kirgisen und ethnischen Usbeken gekommen war, flohen die vier Männer noch im selben Jahr nach Russland. Nabid Abdullayev suchte 2012 ebenfalls Zuflucht in Russland. Alle fünf Männer sind ethnische Usbeken und wurden in Kirgisistan in Zusammenhang mit ihrer mutmaßlichen Teilnahme an den Gewalttaten im Juni 2010 angeklagt. Die Anklagen gegen Murodil Tadzhibayev und Abdilaziz Hamrakulov beziehen sich beide auf denselben gewaltsamen Vorfall in Osch am 17. Juni 2010. Die anderen Männer wurden wegen jeweils unterschiedlicher Vorfälle angeklagt, jedoch auch im Zusammenhang mit dem gewaltsamen Konflikt zwischen ethnischen Usbeken und ethnischen Kirgisen im Süden von Kirgisistan. In allen fünf Fällen haben die Rechtsbeistände der Männer auf zahlreiche Unregelmäßigkeiten in den Dokumenten hingewiesen, welche die kirgisischen Behörden den russischen Behörden vorgelegt haben. Die kirgisischen Behörden haben der russischen Regierung diplomatische Zusicherungen über die Wahrung der Rechte der fünf Männer gemacht. Amnesty International ist jedoch der Ansicht, dass diese diplomatischen Zusicherungen keinen wirksamen Schutz gegen Menschenrechtsverletzungen darstellen. Daher befürchtet die Organisation, dass die Männer bei einer Rückführung nach Kirgisistan in großer Gefahr sind, gefoltert und anderweitig misshandelt zu werden sowie kein faires Gerichtsverfahren zu erhalten.

Im Juni 2010 kam es in den im Süden von Kirgisistan gelegenen Städten Osch und Dschalalabat zu gewalttätigen Ausschreitungen zwischen ethnischen Usbeken und ethnischen Kirgisen, die vier Tage lang anhielten und mehrere hundert Menschen das Leben kosteten. Tausende weitere Menschen wurden verletzt und hunderttausende Personen zum Verlassen ihrer Wohnungen gezwungen. Angehörige beider ethnischen Gruppen machten sich seinerzeit schwerer Verbrechen schuldig, die kirgisischen Behörden leiteten jedoch keine umfassenden und unparteiischen Untersuchungen der Geschehnisse ein. Ethnische UsbekInnen werden in unverhältnismäßiger Weise im Zusammenhang mit den gewaltsamen Auseinandersetzungen vom Juni 2010 strafrechtlich verfolgt. Angehörige der inhaftierten ethnischen UsbekInnen zögern noch immer, die Folter und anderweitige Misshandlung ihrer Verwandten bzw. Fälle von Einschüchterung und Erpressung bei der Polizei oder Staatsanwaltschaft zu melden, da sie Repressalien fürchten. RechtsanwältInnen, zu deren Mandantenkreis ethnische UsbekInnen gehören, denen eine Beteiligung an den Vorfällen vom Juni 2010 vorgeworfen wird, werden seit Mitte 2011 bedroht und tätlich angegriffen. Derartige Vorfälle haben sich bisweilen sogar im Gerichtssaal abgespielt. Gerichte aller Instanzen bis hin zum Obersten Gerichtshof haben regelmäßig Beweismittel zugelassen, die unter Folter erlangt worden sind.


SCHREIBEN SIE BITTE

E-MAILS, FAXE ODER LUFTPOSTBRIEFE MIT FOLGENDEN FORDERUNGEN

  • Stoppen Sie bitte unverzüglich die Auslieferung von Murodil Tadzhibayev, Botir Turgunov, Abdilaziz Hamrakulov und Nabid Abdullayev nach Kirgisistan.
  • Bitte sorgen Sie dafür, dass Russland seine völkerrechtlichen Verpflichtungen einhält und dass der Anordnung Nr. 11 des russischen Obersten Gerichtshofs vom 14. Juni 2012 Folge geleistet wird, nach der niemand in ein Land abgeschoben werden darf, in dem ihm oder ihr schwere Menschenrechtsverletzungen drohen würden.

APPELLE AN

GENERALSTAATSANWALT
Yurii Ya. Chaika
Bolshaia Dmitrovka 15 A
125993 Moscow, RUSSISCHE FÖDERATION
(Anrede: Dear Prosecutor General / Sehr geehrter Herr Generalstaatsanwalt)
Fax: (00 7) 495 692 17 25

AUSSENMINISTER
Sergei Lavrov
Ul. Smolenskaya-Sennaia pl, 32/34
119200 Moscow, RUSSISCHE FÖDERATION
(Anrede: Dear Minister / Sehr geehrter Herr Außenminister)
Fax: (00 7) 499 244 34 48
E-Mail: 3dsng@mid.ru


KOPIEN AN

VERTRETER DER RUSSISCHEN FÖDERATION BEIM EGMR
Georgiy Olegovich Matyushkin
Ul Zhitnaya 14
119991 Moscow
RUSSISCHE FÖDERATION
Fax: (00 7) 495 955 57 03
E-Mail:representationpermderussie@wanadoo.fr

BOTSCHAFT DER RUSSISCHEN FÖDERATION
S. E. Herrn Vladimir M. Grinin
Unter den Linden 63-65
10117 Berlin
Fax: 030-2299 397
E-Mail: info@Russische-Botschaft.de


Bitte schreiben Sie Ihre Appelle möglichst sofort. Schreiben Sie in gutem Russisch, Englisch oder auf Deutsch. Da Informationen in Urgent Actions schnell an Aktualität verlieren können, bitten wir Sie, nach dem 18. April 2014 keine Appelle mehr zu verschicken.

Weitere Informationen zu UA-271/2013 (EUR 46/045/2013, 2. Oktober 2013 und EUR 46/053/2013, 3. Dezember 2013)


PLEASE WRITE IMMEDIATELY
  • Calling on the authorities to halt the extradition proceedings of Murodil Tadzhibayev, Botir Turgunov, Abdilaziz Hamrakulov, and Nabid Abdullayev to Kyrgyzstan.
  • Calling on them to honour and uphold the Russian Federation's obligations under international law, and their own Supreme Court's Decree Number 11 of 14 June 2012, not to forcibly return anyone to a country where they would be at risk of serious human rights violations.

HINTERGRUNDINFORMATIONEN - FORTSETZUNG

Drei Jahre nach den gewalttätigen Zusammenstößen berichten MenschenrechtsbeobachterInnen über eine rückläufige Zahl willkürlicher Festnahmen; allerdings scheinen Folter und andere Arten der Misshandlung durch Ordnungskräfte noch immer an der Tagesordnung zu sein: bei der Festnahme von Personen auf offener Straße, auf dem Weg in die Hafteinrichtung, bei Hausdurchsuchungen, während des Verhörs und in Untersuchungshaft. Allem Anschein nach nehmen PolizeibeamtInnen nach wie vor ethnische UsbekInnen ins Visier und drohen ihnen mit einer Anklage wegen schwerer Verbrechen wie z. B. Mord in Verbindung mit den Vorfällen vom Juni 2010, um Geld von ihnen zu erpressen. Kirgisistan hat die Auslieferung zahlreicher ethnischer UsbekInnen gefordert, die von den Behörden beschuldigt werden, die gewaltsamen Ausschreitungen vom Juni 2010 in Osch und Dschalalabad organisiert oder an ihnen teilgenommen zu haben. Die meisten der gesuchten UsbekInnen waren nach Russland geflohen, einige auch nach Kasachstan und in die Ukraine. 2011 gewährten die russischen Behörden vielen ethnischen UsbekInnen vorübergehend Asyl und weigerten sich, den Auslieferungsanträgen von Kirgisistan nachzukommen. Im Mai 2012 bewilligte die russische Generalstaatsanwaltschaft jedoch einen Auslieferungsantrag für den ethnischen Usbeken Mamir Nematov und machte diese Entscheidung erst wieder rückgängig, als der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte eingriff und Russland anwies, Mamir Nematov nicht auszuliefern.

Am 16. Oktober 2012 urteilte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte im Fall Makhmudzhan Ergashev gegen Russland, dass die Auslieferung eines ethnischen Usbeken kirgisischer Staatsangehörigkeit nach Kirgisistan einen Verstoß gegen Artikel 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention bedeuten würde (Verbot der Folter oder anderer Misshandlung und Verbot der Auslieferung von Personen in Gebiete, in denen ihnen mit hoher Wahrscheinlichkeit eine solche Behandlung drohen würde).

Amnesty International hat Verstöße Russlands gegen die vorläufigen Maßnahmen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte dokumentiert. Informationen hierzu finden Sie in dem englischsprachigen Bericht Return to torture: Extradition, forcible returns and removals to Central Asia, online unter:
http://www.amnesty.org/en/library/info/EUR04/001/2013/en

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Quelle:
ai - URGENT ACTION
UA-Nr: UA-271/2013-2, AI-Index: EUR 46/020/2014, Datum: 7. März 2014 - ar
Amnesty International, Sektion der Bundesrepublik Deutschland e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 15. März 2014