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AKTION/1709: Urgent Action - Ägypten, vertriebene Familien angegriffen


ai - URGENT ACTION
UA-Nr: UA-037/2014-1, AI-Index: MDE 12/011/2014, Datum: 28. Februar 2014 - sm

Ägypten
Vertriebene Familien angegriffen



ZAHLREICHE OBDACHLOSE FAMILIEN DER MINDESTENS 1200 VERTRIEBENEN FAMILIEN

Am 26. Februar vertrieben Sicherheitskräfte die Familien, die am 18. Februar Opfer von Zwangsräumungen geworden waren, unter Anwendung exzessiver Gewalt aus den Überresten ihrer früheren Häuser. Die Familien lebten in den Trümmern ihrer im Zuge der Zwangsräumung zerstörten Häuser, weil ihnen keine Ersatzunterkünfte zur Verfügung gestellt wurden. Die Sicherheitskräfte verhafteten während dieser Aktion mindestens fünf Männer und schlugen Frauen und Kinder. Am 26. Februar morgens um 7 Uhr schossen Sicherheitskräfte im Viertel Ezbet Al-Nakhl im Bezirk Al-Marg in Kairo mit scharfer Munition in die Luft und setzten Tränengas ein, um die Familien aus den Überresten ihrer zerstörten Häuser zu vertreiben, welche sie am 18. Februar hatten räumen müssen. Mindestens fünf Männer, die sich über die Aktion der Sicherheitskräfte beschwerten, wurden festgenommen und kamen erst Stunden später wieder frei. AugenzeugInnen berichteten Amnesty International, die Sicherheitskräfte hätten Frauen und Kinder geschlagen. Mindestens zwei Frauen sei mit Gewehrkolben so heftig auf den Kopf geschlagen worden, dass sie bluteten; mindestens vier Frauen seien mit Stöcken geschlagen worden. Ein neun Monate altes Baby und ein dreijähriges Kind wurden zur Behandlung ihrer vom Tränengas verursachten Atemprobleme in das Krankenhaus des Bezirks Matareya gebracht.

Die betroffenen Familien berichteten Amnesty International, sie hätten sich nach dem Vorfall zur Kommunalverwaltung von Matareya begeben, um Ersatzunterkünfte zu fordern. Kurz nach ihrer Ankunft seien PolizeibeamtInnen aus der nahen Polizeistation von Matareya eingetroffen und hätten die Familien angewiesen, am 3. März wiederzukommen, da dann bekanntgegeben werde, welche Familien Ersatzwohnungen erhalten. Nicht allen EinwohnerInnen von Ezbet Al-Nakhl werden Ersatzwohnungen zur Verfügung gestellt, da ihren Angaben zufolge viele Familien in der 2012 von der Regierung durchgeführten Volkszählung nicht erfasst wurden. Hassan Sabry, ein Anwohner aus Ezbet Al-Nakhl, berichtete Amnesty International beispielsweise, die Regierung habe ihn nicht in die Liste derer, die eine Ersatzunterkunft erhalten, aufgenommen, obwohl er seit mindestens zehn Jahren in Ezbet Al-Nakhl lebt, seit 2003 dort seine Abgaben zahlt und seine dortige Anschrift auf seinem Ausweis steht. Hassan Sabry gab an, dass etwa 80 Familien weiterhin gegenüber dem letzte Woche niedergerissenen Wohnviertel auf der Straße leben.


HINTERGRUNDINFORMATIONEN

Ägyptische Sicherheitskräfte haben am 18. Februar im Bezirk Ezbet Al-Nakhl in Kairo mindestens 1200 Familien aus ihren Häusern vertrieben. Die Behörden hatten weder im Vorhinein eine wirksame Konsultation mit den BewohnerInnen initiiert noch diese über die bevorstehende Räumung informiert. AugenzeugInnen berichteten Amnesty International gegenüber, die Sicherheitskräfte hätten mit scharfer Munition in die Luft geschossen, um AnwohnerInnen, die der Aktion widersprachen, einzuschüchtern. Sie beobachteten zudem, wie PolizeibeamtInnen zwei Frauen an den Haaren hinter sich her zogen, Kinder schlugen und Männer festnahmen, die sich weigerten, ihre Häuser zu verlassen.

Zwei Tage nach der Räumung sollen 400 der betroffenen Familien laut der ägyptischen Regierung in alternativen Unterkünften im Vorort Al-Marg untergekommen sein. Einige der Familien sowie deren Rechtsbeistände berichteten Amnesty International, dass sie gezwungen gewesen waren, auf der Straße zu schlafen, bis man ihnen Wohnungen bereitstellte, und dass weniger als die genannten 400 Familien Ersatzunterkünfte erhalten hätten.

Es ist nicht bekannt, wie viele Familien genau in Ezbet Al-Nakhl gelebt haben. Zuverlässige Quellen geben an, dass wesentlich mehr Menschen dort gewohnt haben müssen, als es amtliche Zahlen ausweisen. Der Gouverneur von Kairo erklärte, dass es sich um 400 Familien handele, wobei er sich auf die Ergebnisse der aktuellsten, Ende 2012 von der Regierung vorgenommenen Zählung bezog. Betroffene Familien und Rechtsbeistände sagten Amnesty International, dass in Ezbet Al-Nakhl vor der Räumung mindestens 1200 Familien gelebt haben. Mohamed Abdel Azim vom Ägyptischen Zentrum für gesellschaftliche und rechtliche Reformen (Egyptian Center for Civil and Legislative Reform) berichtete Amnesty International, die Regierung habe in den Ersatzwohnungen mehrere Familien in einer Wohnung untergebracht. Beispielsweise seien eine Frau und ihre vier Kinder in derselben Wohnung wie ihr Exmann und dessen neue Frau untergebracht worden, obwohl die beiden Familien separat registriert worden seien und eigentlich zwei getrennte Wohnung erhalten sollten. Zudem sei den Familien, die eine Ersatzwohnung erhalten hätten, kein Dokument ausgestellt worden, mit dem sie nachweisen können, dass sie ein Nutzungsrecht für die Wohnung haben bzw. EigentümerInnen oder MieterInnen der Immobilie sind.


SCHREIBEN SIE BITTE

E-MAILS, FAXE UND LUFTPOSTBRIEFE MIT FOLGENDEN FORDERUNGEN

  • Ich fordere Sie eindringlich auf, die BewohnerInnen von Ezbet Al-Nakhl vor weiterer exzessiver Gewalt zu schützen sowie eine sofortige, vollständige und unabhängige Untersuchung der bisherigen Vorfälle einzuleiten und die Verantwortlichen vor Gericht zu stellen.
  • Ich bitte Sie nachdrücklich, allen BewohnerInnen, die durch die Zwangsräumungen obdachlos geworden sind, schnellstmöglich Notunterkünfte zur Verfügung zu stellen, bis Lösungen für ihre langfristige Unterbringung gefunden und umgesetzt worden sind.
  • Sorgen Sie bitte dafür, dass all diejenigen, deren Rechte im Rahmen der Zwangsräumung und durch exzessive Gewaltanwendung von Seiten der Sicherheitskräfte verletzt wurden, Zugang zu wirksamen Rechtsmitteln erhalten.

APPELLE AN

GOUVERNEUR VON KAIRO
Galal Mostafa Mohamed Saeed
7 Abdin Square, Al Gomhoriya Street
Cairo, ÄGYPTEN
(Anrede: Dear Governor / Sehr geehrter Herr Gouverneur)
Fax: (00 202) 2 390 4620 oder (00 202) 2 390 7387
E-Mail: cairogov@cairo.gov.eg oder cairogov@idsc.net.eg

GESCHÄFTSFÜHRER DER ENTWICKLUNGSGESELLSCHAFT FÜR INFORMELLE SIEDLUNGEN
'Khalid Abdul Aziz Ghiberti
Informal Settlements Development Facility
PO Box 16 - 11852 Cairo, ÄGYPTEN
(Anrede: Dear 'Khalid Abdul Aziz Ghiberti / Sehr geehrter Herr 'Khalid Abdul Aziz Ghiberti)
Fax: (202) 2 263 40m 00
E-Mail: isdf@isdf.gov.eg

STAATSANWALT
Hesham Mohamed Zaki Barakat
Office of the Public Prosecutor
Supreme Court House, 1 "26 July" Road
Cairo, ÄGYPTEN
(Anrede: Dear Counsellor / Sehr geehrter Herr Staatsanwalt)
Fax: (00 202) 2 577 4716 oder (00 202) 2 575 7165
(nach Büroschluss abgeschaltet, GMT+2)


KOPIEN AN

BOTSCHAFT DER ARABISCHEN REPUBLIK ÄGYPTEN
S.E. Herr Mohamed Abdelhamid Ibrahim Higazy
Stauffenbergstraße 6/7
10785 Berlin
Fax: 030-477 10 49
E-Mail: embassy@egyptian-embassy.de


Bitte schreiben Sie Ihre Appelle möglichst sofort. Schreiben Sie in gutem Arabisch, Englisch oder auf Deutsch. Da Informationen in Urgent Actions schnell an Aktualität verlieren können, bitten wir Sie, nach dem 10. April 2014 keine Appelle mehr zu verschicken.


PLEASE WRITE IMMEDIATELY
  • Calling on the authorities to ensure that there is no further use of excessive force against the residents of Ezbet Al-Nakhl and to initiate a prompt, thorough and independent investigation into the use of force and bring those responsible to justice.
  • Urging them to promptly provide emergency adequate housing to people rendered homeless by the forced eviction until permanent adequate housing solutions are implemented.
  • Calling on them to ensure that all those whose rights have been violated as a result of the forced evictions and excessive use of force by security forces have access to effective remedies.

HINTERGRUNDINFORMATIONEN - FORTSETZUNG

Das Völkerrecht verbietet rechtswidrige Zwangsräumungen. Die ägyptischen Behörden haben immer wieder die Verfahrensgarantien missachtet, die das Völkerrecht vorschreibt, um solche Zwangsräumungen zu verhindern. Zu diesen Verfahrensgarantien gehört eine wirksame Konsultation mit den betroffenen Gemeinschaften hinsichtlich der Umsiedlungsmöglichkeiten, das Bereitstellen ausreichender Informationen zu den Räumungsvorhaben, die vorherige schriftliche Benachrichtigung über die Räumung sowie die Bereitstellung angemessener alternativer Unterkünfte und Entschädigungsleistungen für erlittene Verluste. Im Dezember 2013 zeigte sich der UN-Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte besorgt über die "weitverbreiteten" Zwangsräumungen in Ägypten und die fehlende Möglichkeit für die Betroffenen, wirksame Rechtsmittel einzulegen. Der Ausschuss forderte die ägyptische Regierung auf, sicherzustellen, dass das Recht auf eine angemessene Unterkunft und Mietsicherheit sowie der Schutz von Besitztiteln gesetzlich garantiert werden.

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Quelle:
ai - URGENT ACTION
UA-Nr: UA-037/2014-1, AI-Index: MDE 12/011/2014, Datum: 28. Februar 2014 - sm
Amnesty International, Sektion der Bundesrepublik Deutschland e.V.
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Zinnowitzer Straße 8, 10115 Berlin
Telefon: 030/42 02 48-306, Fax: 030/42 02 48 - 330
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veröffentlicht im Schattenblick zum 5. März 2014