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AKTION/1682: Urgent Action - Saudi-Arabien, nach Urteilsaufhebung droht neues Gerichtsverfahren


ai - URGENT ACTION
UA-Nr: UA-003/2013-3, AI-Index: MDE 23/001/2014, Datum: 20. Januar 2014 - sm

Saudi-Arabien
Nach Urteilsaufhebung droht neues Gerichtsverfahren



Herr RAIF BADAWI, Blogger

Raif Badawi ist Gründer der Website "Saudi-Arabische Liberale" und befindet sich weiterhin in Haft. Nun wurde seine Verurteilung zwar im Berufungsverfahren aufgehoben, ihm droht jedoch ein weiteres Gerichtsverfahren. Amnesty International betrachtet ihn als gewaltlosen politischen Gefangenen.

Das Berufungsgericht in Jeddah überprüft momentan den Fall von Raif Badawi. Es hatte den Urteilsspruch vom Juli 2013 aufgehoben und den Fall am 11. Dezember 2013 an das Strafgericht zurückverwiesen. Der Richter des Strafgerichts entschied am 25. Dezember 2013, dass das Gericht für diesen Fall nicht zuständig sei, mit Hinweis darauf, dass die Anklagepunkte sich auf "Apostasie" bezögen, ein "Vergehen", das mit der Todesstrafe belegt werden könne und welches unter die Zuständigkeit des Ordentlichen Gerichts falle. Das Berufungsgericht wird nun entscheiden, ob es den Fall zurück an das Strafgericht überstellt oder ihn selbst verhandelt. Raif Badawis Rechtsbeistand beantragte für die Dauer des Gerichtsverfahrens die Freilassung seines Mandanten aus der Untersuchungshaft, aber der Antrag wurde abgelehnt.

Das Strafgericht in Jeddah hatte Raif Badawi am 29. Juli 2013 unter anderem dafür schuldig befunden, gegen das saudi-arabische Informationstechnologiegesetz verstoßen zu haben und mit der Gründung und Leitung des Online-Forums "Saudi-Arabische Liberale" religiöse Autoritäten beleidigt zu haben. Raif Badawi ist darüber hinaus wegen der Verunglimpfung religiöser Symbole in seinen Veröffentlichungen auf Twitter und in Facebook-Einträgen verurteilt worden, sowie wegen der Kritik, die er an der saudi-arabischen Kommission zur Förderung der Tugend und Verhinderung des Lasters (auch als Religionspolizei bekannt) und Beamten, die sich gegen die Aufnahme von Frauen in den Schura-Rat ausgesprochen haben, geübt hat. Der Richter ordnete außerdem an, das Online-Forum zu schließen.

Raif Badawi sitzt seit dem 17. Juni 2012 in Briman, einem Bezirk von Jeddah, im Gefängnis. Sein Gerichtsverfahren, das im selben Monat begann, war von Unregelmäßigkeiten geprägt. Nach Angaben seines Rechtsbeistands wurde der ursprüngliche Richter durch einen Richter ersetzt, der sich zuvor dafür eingesetzt hatte, dass Raif Badawi wegen "Apostasie" verurteilt wird.


HINTERGRUNDINFORMATIONEN

Raif Badawis Gerichtsverfahren begann im Juli 2013 vor dem Ordentlichen Gericht in Jeddah. Dieses erklärte sich für nicht zuständig, da es befand, dass Raif Badawi den Islam nicht beleidigt habe und daher keine Anklage gegen ihn wegen "Apostasie" erhoben werden könne. Daher übergab das Ordentliche Gericht den Fall am 21. Januar 2013 dem Strafgericht in Jeddah (früher als Bezirksgericht bezeichnet). Der Generalstaatsanwalt bestand jedoch darauf, dass Raif Badawi wegen "Apostasie" vor Gericht gestellt werden müsse. Der Fall wurde daraufhin einem Berufungsgericht überstellt, welches ermitteln sollte, ob der Fall dem Strafgericht in Jeddah oder einem anderen Gericht wie dem für Fälle von "Apostasie" zuständigen Ordentlichen Gericht in Jeddah übergeben werden solle. Das Berufungsgericht in Jeddah übergab den Fall dem Strafgericht, welches Raif Badawi am 29. Juli 2013 zu einer Gefängnisstrafe von sieben Jahren und 600 Peitschenhieben verurteilte. Raif Badawis Rechtsbeistand legte gegen dieses Urteil Berufung ein, mit der Begründung, der Fall sei von einem nicht unparteiischen Vertretungsrichter verhandelt worden. Am 11. Dezember 2013 entschied das Berufungsgericht, dass der Fall neu zu verhandeln sei und schickte diesen zurück an das Strafgericht in Jeddah. Am 25. Dezember entschied der Richter des Strafgerichts schließlich, dass der Fall nicht in seinen Zuständigkeitsbereich falle, da es sich um Anklagen wegen "Apostasie" handle.

Die saudischen Behörden gehen weiterhin vermehrt gegen zivilgesellschaftliche AktivistInnen und MenschenrechtsverteidigerInnen vor - per Gerichtsverfahren oder mit anderen willkürlichen Maßnahmen wie Reiseverboten. AktivistInnen, die mit Hilfe der Justiz auf Schadensersatz wegen Verstößen durch das Innenministerium und die Sicherheitskräfte klagen oder staatliche Institutionen wegen Missständen kritisieren, werden von den Behörden seit 2012 besonders ins Visier genommen. Dazu zählen auch Personen, die gegen Einschränkungen der Grundrechte und Grundfreiheiten wie z.B. das fortdauernde Verbot von Versammlungen und friedlichen Demonstration protestieren.

Allein im Juni 2013 sind mindestens elf AktivistInnen zu Gefängnisstrafen verurteilt worden. Diese Strafen stehen im Zusammenhang mit dem fortgesetzten Vorgehen der Behörden gegen soziales und politisches Engagement, so auch Online-Aktivismus. Zwischen dem 17. und dem 24. Juni 2013 sind vier bekannte AktivistInnen aufgrund ihrer Menschenrechtsarbeit zu Haftstrafen zwischen zehn Monaten und zehn Jahren verurteilt worden. Des Weiteren hat ein Sondergericht in Dammam sieben junge Männer wegen Facebook-Einträgen zu Haftstrafen zwischen fünf und zehn Jahren verurteilt. Die Männer unterstützten einen inhaftierten schiitischen Geistlichen in der Ostprovinz des Landes, wo andauernde Demonstrationen durch exzessive Gewalt unterdrückt werden.


SCHREIBEN SIE BITTE

FAXE ODER LUFTPOSTBRIEFE MIT FOLGENDEN FORDERUNGEN

  • Ich fordere Sie auf, Raif Badawi unverzüglich und bedingungslos freizulassen, da er ein gewaltloser politischer Gefangener ist, der nur wegen der friedlichen Wahrnehmung seines Rechts auf Meinungsfreiheit in Haft ist.
  • Ich bitte Sie zudem, alle anhängigen Anklagen gegen Raif Badawi fallenzulassen und von Anklagen und Verurteilungen aufgrund von "Apostasie" generell abzusehen, da die Kriminalisierung von "Unglauben" gegen die Rechte auf Gedanken-, Meinungs- und Religionsfreiheit verstößt.

APPELLE AN

KÖNIG
His Majesty
King Abdullah Bin Abdul Aziz Al Saud
The Custodian of the two Holy Mosques
Office of His Majesty the King
Royal Court, Riyadh, SAUDI-ARABIEN
(Anrede: Your Majesty / Majestät)
Fax: (00 966) 1 403 3125 (über Innenministerium)

INNENMINISTER
His Royal Highness
Prince Mohammed bin Naif bin Abdul Aziz Al Saud
Ministry of the Interior, P.O. Box 2933, Airport Road
Riyadh 11134, SAUDI-ARABIEN
(Anrede: Your Royal Highness / Königliche Hoheit)
Fax: (00 966) 1 403 3125


KOPIEN AN

JUSTIZMINISTER
Sheikh Dr Mohammed bin Abdul Kareem Al-Issa
Ministry of Justice
University Street, Riyadh 11137
SAUDI-ARABIEN
(Anrede: Your Excellency / Exzellenz)
Fax: (00 966) 1 401 1741 oder 1 402 0311

BOTSCHAFT DES KÖNIGREICHS SAUDI-ARABIEN
S. E. Herrn
Prof. Dr. med Ossama Abdulmajed Ali Shobokshi
Tiergartenstr. 33-34
10785 Berlin
Fax: 030-8892 5179 oder 030-8892 5176
E-Mail: deemb@mofa.gov.sa


Bitte schreiben Sie Ihre Appelle möglichst sofort. Schreiben Sie in gutem Arabisch, Englisch oder auf Deutsch. Da Informationen in Urgent Actions schnell an Aktualität verlieren können, bitten wir Sie, nach dem 3. März 2014 keine Appelle mehr zu verschicken.

Weitere Informationen zu UA-003/2013 (MDE 23/001/2013, 4. Januar 2013, MDE 23/012/2013, 28. März 2013 und MDE 23/027/2013, 31. Juli 2013)


PLEASE WRITE IMMEDIATELY
  • Calling on the authorities to release Raif Badawi immediately and unconditionally as he is a prisoner of conscience detained solely for the peaceful exercise of his right to freedom of expression.
  • Urging them to drop all pending charges against him and desist from charging and convicting people for "apostasy", as its criminalization is incompatible with the human right to freedom of thought, conscience and religion.

HINTERGRUNDINFORMATIONEN - FORTSETZUNG

Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte schreibt die Rechte auf Vereinigungs- und Meinungsfreiheit fest. Diese Rechte dürfen nur eingeschränkt werden, wenn es dafür eine gesetzliche Grundlage gibt, die den Zweck verfolgt, bestimmte öffentliche Interessen zu schützen (die nationale Sicherheit, die öffentliche Ordnung, die Volksgesundheit oder die öffentliche Sittlichkeit), oder die Rechte anderer betroffen sind. In jedem dieser Fälle muss die Notwendigkeit der Beschränkung erkennbar sein, und die Beschränkungen müssen in einem angemessenen Verhältnis zu dem verfolgten Ziel stehen. Strafrechtliche Anklagen gegen Personen, die mit friedlichen Mitteln Kritik an Angehörigen der Behörden oder Institutionen üben oder sich für die Menschenrechte einsetzen, stehen hingegen im Widerspruch zu internationalen Menschenrechtsstandards. Körperliche Strafen wie Peitschenhiebe verstoßen gegen das humanitäre Völkerrecht, welches Folter und andere grausame, unmenschliche und erniedrigende Formen der Behandlung oder Strafe untersagt.

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Quelle:
ai - URGENT ACTION
UA-Nr: UA-003/2013-3, AI-Index: MDE 23/001/2014, Datum: 20. Januar 2014 - sm
Amnesty International, Sektion der Bundesrepublik Deutschland e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. Januar 2014