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AKTION/1633: Urgent Action - Ägypten, Verfahren gegen Mursi vertagt


ai - URGENT ACTION
UA-Nr: UA-196/2013-3, AI-Index: MDE 12/065/2013, Datum: 8. November 2013 - ar

Ägypten
Verfahren gegen Mursi vertagt



MOHAMMED MURSI, ehemaliger Staatspräsident

Mitangeklagt:
Herr ASSAD AL-SHIKH
Herr AHMED ABDELATY
Herr AYMAN ABDELRAOUF ALI AL-HODHOD

Nach wie vor willkürlich inhaftiert:
Herr REFA'A AL-TAHTAWY
Herr AYMAN ALI
Herr KHALED AL-QAZZAZ
Herr ESSAM AL-HADDAD
Herr ABDELMEQUID MASHALI
Herr AYMAN AL-SERAFY

Der entmachtete ägyptische Präsident Mohammed Mursi und drei seiner Mitarbeiter mussten sich am 5. November u. a. wegen der Vorwürfe des Mordes und der Aufhetzung vor Gericht verantworten. Die Rechtsbeistände des ehemaligen Präsidenten sagten gegenüber Amnesty International, dass sie vor der Verhandlung nicht mit ihrem Mandanten sprechen durften und ihnen wichtige Unterlagen erst sehr spät ausgehändigt wurden.

Die kurze Anhörung am 5. November wurde wiederholt von Zwischenrufen der Angeklagten gestört, die die Rechtmäßigkeit des Gerichts nicht anerkennen. Der Richter vertagte daraufhin das Verfahren gegen Mohammed Mursi und drei seiner Mitarbeiter auf den 8. Januar 2014. Ägyptischen Medienberichten zufolge verlegten die Behörden Mohammed Mursi in das Borg al-Arab-Gefängnis in Alexandria und seine ehemaligen Mitarbeiter Ahmed Abdelaty, Ayman al-Hodhod und Assad al-Shikh in das Tora-Gefängnis.

Vor der Verhandlung befragten die zuständigen StaatsanwältInnen Mohammed Mursi und Assad al-Shikh in Abwesenheit ihrer Rechtsbeistände. Zudem erhielten die VerteidigerInnen die 7.000 Seiten starke Verfahrensakte erst am 30. Oktober, was eine weitere Einschränkung des Rechts der Angeklagten auf eine angemessene Verteidigung darstellte. Während der Verhandlung durften nur vier Personen des Verteidigungsteams für Mohammed Mursi und 20 weitere AnwältInnen der Muslimbruderschaft im Gerichtssaal anwesend sein. Den weiteren Rechtsbeiständen der Angeklagten wurde der Eintritt verweigert.

Die Behörden nehmen nach wie vor willkürlich ehemalige MitarbeiterInnen von Mohammed Mursi fest. Die Familien einiger dieser MitarbeiterInnen sagten gegenüber Amnesty International, dass sie immer noch keinen regelmäßigen Kontakt mit ihren Angehörigen haben und auch nicht wissen, wo und auf welcher rechtlichen Grundlage diese festgehalten werden.


HINTERGRUNDINFORMATIONEN

Dem jetzigen Gerichtsverfahren gingen Ermittlungen im Zusammenhang mit den Zusammenstößen zwischen AnhängerInnen und GegnerInnen von Mohammed Mursi in Kairo im Dezember 2012 voraus. Die Staatsanwaltschaft klagte im selben Fall zehn weitere Männer an, darunter auch Mohamed al-Beltagy und Issam al-Aryan, die der Muslimbruderschaft in einer hochrangigen Position nahestehen. Bei den Zusammenstößen in der Umgebung des Präsidentenpalastes in Kairo in der Nacht des 5. Dezember 2012 wurden mindestens zehn Personen getötet und Hunderte verletzt, viele von ihnen UnterstützerInnen von Mohammed Mursi. Die Sicherheitskräfte schritten derweil nicht ein, um die Gewalt zu stoppen. Doch auch die AnhängerInnen von Mohammed Mursi nahmen während der Ausschreitungen zahlreiche Menschen gefangen und verhörten sie. In einigen Fällen folterten und misshandelten sie diese auch.

Amnesty International maßt sich nicht an, darüber zu urteilen, ob die Anklagen gegen Mohammed Mursi und seine Mitangeklagten gerechtfertigt sind oder nicht. Die Organisation fordert eine unabhängige und unparteiische Untersuchung der gewalttätigen Ausschreitungen vom 5. Dezember 2012 vor dem Präsidentenpalast. Die Opfer von Menschenrechtsverletzungen und ihre Familien haben ein Recht auf Wahrheit und Gerechtigkeit. Wo ausreichend Beweise vorliegen, sollten außerdem mutmaßliche TäterInnen in fairen Verfahren und ohne Rückgriff auf die Todesstrafe vor Gericht gestellt werden.


SCHREIBEN SIE BITTE

FAXE, E-MAILS UND LUFTPOSTBRIEFE MIT FOLGENDEN FORDERUNGEN

  • Bitte stellen Sie sicher, dass der Prozess gegen Mohammed Mursi und seine Mitarbeiter gemäß der internationalen Standards für faire Gerichtsverfahren und ohne Rückgriff auf die Todesstrafe verhandelt wird.
  • Bitte gewähren Sie allen Inhaftierten umgehend Zugang zu ihren Familien und Rechtsbeiständen sowie zu ärztlicher Behandlung.
  • Sorgen Sie bitte dafür, dass die VerteidigerInnen in Zukunft Zugang zu allen Gerichtsverhandlungen erhalten, ihre Mandanten regelmäßig sehen können und ihnen ausreichend Zeit zur Vorbereitung auf den Prozess eingeräumt wird.
  • Geben Sie bitte umgehend den Aufenthaltsort derjenigen Mitarbeiter von Mohammed Mursi bekannt, deren Verbleib noch unklar ist.
  • Lassen Sie diese Mitarbeiter bitte entweder unverzüglich frei oder klagen Sie sie umgehend einer international als Straftat anerkannten Handlung an und stellen Sie sie in einem Verfahren vor ein ziviles Gericht, das den internationalen Standards für faire Gerichtsverfahren in vollem Umfang entspricht.

APPELLE AN

ÜBERGANGSPRÄSIDENT
Adly Mahmoud Mansour
Office of the President
Al Ittihadia Palace
Cairo
ÄGYPTEN
(Anrede: Your Excellency / Exzellenz)
Fax: (00 202) 2 391 1441

VERTEIDIGUNGSMINISTER General Abdel Fattah al-Sisi Ministry of Defence Cairo ÄGYPTEN (Anrede: Dear General / Sehr geehrter Herr Minister) Fax: (00 202) 2 290 6004 oder (00 202) 2 291 6227

STAATSANWALT
Hesham Mohamed Zaki Barakat
Office of the Public Prosecutor
Supreme Court House, 1 "26 July" Road
Cairo, ÄGYPTEN
(Anrede: Dear Counsellor / Sehr geehrter Herr Staatsanwalt)
Fax: (00 202) 2 577 4716 oder
(00 202) 2 575 7165
(nur während der Geschäftszeiten, MEZ +1)


KOPIEN AN

BOTSCHAFT DER ARABISCHEN REPUBLIK ÄGYPTEN
S. E. Herrn Mohamed Abdelhamid Ibrahim Higazy
Stauffenbergstraße 6-7, 10785 Berlin
Fax: 030-477 1049
E-Mail: embassy@egyptian-embassy.de


Bitte schreiben Sie Ihre Appelle möglichst sofort. Schreiben Sie in gutem Arabisch, Englisch oder auf Deutsch. Da Informationen in Urgent Actions schnell an Aktualität verlieren können, bitten wir Sie, nach dem 20. Dezember 2013 keine Appelle mehr zu verschicken. Weitere Informationen zu UA-196/2013 (MDE 12/040/2013, 26. Juli 2013, MDE 12/041/2013, 1. August 2013 und MDE 12/042/2013, 7. August 2013)


PLEASE WRITE IMMEDIATELY
  • Calling on the Egyptian authorities to ensure Mohamed Morsi and his aides are tried in line with international standards for fair trial and without recourse to the death penalty.
  • Calling on them to immediately grant all those detained access to their families, lawyers and doctors.
  • Ensuring that they give the defence lawyers access to future sessions of the trial, regular access to the defendants, and adequate time to prepare their defence.
  • Urging the Egyptian authorities to disclose immediately the whereabouts of the aides of Mohamed Morsi whose place of detention remains unknown.
  • Urging them to release these aides unless they are promptly charged with recognizably criminal offences and tried before civilian courts, in full compliance with international fair trial guarantees.

HINTERGRUNDINFORMATIONEN - FORTSETZUNG

Welche Beweggründe hinter diesem Verfahren stehen, wird zum Teil daran gemessen werden, wie fair der Prozess abläuft und wie die Angeklagten behandelt werden. Die Absichten der Behörden werden zudem daraus ersichtlich werden, wie sie die Vorwürfe vergleichbarer Menschenrechtsverletzungen und -verstöße vonseiten der GegnerInnen von Mohammed Mursi handhaben. Aus den Recherchen von Amnesty International geht hervor, dass die AnhängerInnen der Muslimbruderschaft in der Nacht des 5. Dezember Menschenrechtsverstöße begangen haben. Allerdings waren die meisten der Getöteten UnterstützerInnen des damaligen Präsidenten Mursi. Kurz nach den Zusammenstößen äußerte Amnesty ihre Sorge darüber, dass die Sicherheitskräfte nicht einschritten, um die Gewalt zu stoppen. Es ist daher besorgniserregend, dass lediglich Mohammed Mursi und andere hochrangige Mursi-AnhängerInnen in Verbindung mit diesen Vorfällen vor Gericht gestellt werden, wohingegen von den BeamtInnen und bekannten AktivistInnen der damaligen Opposition niemand angeklagt worden ist.

Nach dem Sturz von Mohammed Mursi am 3. Juli hielten die Behörden den ehemaligen Präsidenten ohne Anklage bis Ende Juli fest. Dann nahm ihn ein Richter offiziell wegen Vorwürfen, er habe während der Unruhen im Jahr 2011 mit der Hamas gemeinsame Sache gemacht, in Gewahrsam. Die Behörden haben den Ausgang der Ermittlungen bisher noch nicht bekannt gegeben. Am 19. August ordnete auch die Staatsanwaltschaft seine Inhaftierung an, um Ermittlungen zu den Zusammenstößen vom Dezember 2012 durchzuführen. Ende Juli konnten VertreterInnen der Europäischen Union und Afrikanischen Union den inhaftierten Mohammed Mursi besuchen. Die ägyptischen Behörden gaben seinen Aufenthaltsort jedoch erst am 4. November öffentlich bekannt, als die staatlichen Medien über seine Verlegung in das Borg al-Arab-Gefängnis in Alexandria berichteten.

Allem Anschein nach halten die Behörden einige weitere Mitarbeiter von Mohammed Mursi seit dem 3. Juli ohne Anklage willkürlich in Haft, so dass diese die Rechtmäßigkeit ihrer Inhaftierung nicht anfechten können.

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Quelle:
ai - URGENT ACTION
UA-Nr: UA-196/2013-3, AI-Index: MDE 12/065/2013, Datum: 8. November 2013 - ar
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veröffentlicht im Schattenblick zum 14. November 2013