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AKTION/1339: Urgent Action - Ägypten, Religionskritiker verurteilt und auf Kaution freigelassen


ai - URGENT ACTION
UA-Nr: UA-278/2012-3, AI-Index: MDE 12/002/2013, Datum: 9. Januar 2013 - we

Ägypten
Religionskritiker verurteilt und auf Kaution freigelassen

Weitere Informationen zu UA 278/2012 (MDE 12/030/2012, 28. September 2012, MDE 12/034/2012, 24. Oktober 2012 und MDE 12/039/2012, 3. Dezember 2012).



Herr ALBER SABER AYAD

Alber Saber Ayad ist am 12. Dezember wegen "Verunglimpfung der Religion" zu drei Jahren Haft verurteilt worden. Am 17. Dezember wurde er dann jedoch wegen eines anhängigen Rechtsmittelverfahrens gegen eine Kaution von umgerechnet etwa 120 Euro freigelassen. Der gewaltlose politische Gefangene Alber Saber Ayad wurde am 13. September inhaftiert, nachdem Gruppen aufgebrachter Männer am Tag zuvor sein Haus umstellt und ihm Ketzerei und Atheismus vorgeworfen hatten. Er wurde vor Gericht gestellt, weil er Beiträge im Internet veröffentlicht hatte, in denen er Kritik an Religionen wie dem Christentum und dem Islam übte. Außerdem legte man ihm Videomaterial zur Last, dass zu einem späteren Zeitpunkt von Sicherheitskräften in seinem Haus gefunden worden war.

Der zuständige Richter befand Alber Saber Ayad Berichten zufolge schuldig, durch das Verspotten von Religionen Spannungen zwischen Muslimen und Christen begründet zu haben.

Er wurde gemäß der Artikel 98 (f), 102 und 160 (1) - 161 (1) des ägyptischen Strafgesetzbuches verurteilt. Artikel 98 (f) stellt die Verbreitung "extremistischer Ideen mit der Absicht, Aufruhr zu stiften [und] Religionen zu verunglimpfen oder ihnen gegenüber eine verächtliche Haltung einzunehmen" um die "nationale Einheit oder den sozialen Frieden" zu stören, unter Strafe. Paragraph 102 kriminalisiert das Anstiften zu "Aufruhr" und Artikel 160 (1) - 161 (1) verbietet eine Abweichung vom Glauben.

Das Rechtsmittelverfahren beginnt am 26. Januar 2013 vor dem zuständigen Berufungsgericht in El Marg.

Derzeit sind keine weiteren Aktionen des Eilaktionsnetzes erforderlich. Danke an alle, die Appelle geschrieben haben.


HINTERGRUNDINFORMATIONEN

Alber Saber Ayad wurde am 13. September 2012 festgenommen, nachdem Gruppen aufgebrachter Männer am Tag zuvor versucht hatten, in sein Haus einzubrechen. Sie warfen ihm Ketzerei und Atheismus vor und forderten seinen Tod. Sie beschuldigen den 27-jährigen, den Film "The Innocence of Muslims" ("Die Unschuld der Muslime") verbreitet zu haben, den viele MuslimInnen als beleidigend empfinden. Seine Mutter bat die Polizei um Schutz, doch als diese am nächsten Tag eintraf, nahmen die BeamtInnen Alber Saber Ayad fest und beschlagnahmten seinen PC sowie seine CDs. Seine Mutter verließ daraufhin aus Angst vor weiteren Auseinandersetzungen mit den Männern ihr Haus. Wie Alber Saber Ayad seinen Rechtsbeiständen mitteilte, animierte ein Polizist der Polizeiwache El Marg während seiner Inhaftierung andere Häftlinge dazu, ihn anzugreifen. Während des Verfahrens gegen Alber Saber Ayad hatte der Richter der Verteidigung untersagt, HauptzeugInnen aufzurufen, darunter PolizeibeamtInnen, die an der Festnahme von Alber Saber Ayad und an der Ermittlung gegen ihn beteiligt waren sowie die Personen, die Beschwerde gegen Alber Saber Ayad eingereicht hatten.

Die Anklagen gegen Alber Saber Ayad erinnern an die Vorgehensweisen, mit denen unter der Regierung des ehemaligen Präsidenten Husni Mubarak die Meinungsfreiheit eingeschränkt wurde. Der Blogger Karim Amer wurde 2007 zu einer vierjährigen Haftstrafe verurteilt, weil er in seinem Blog Kritik an Präsident Mubarak und den Religionsbehörden der ägyptischen Universität al-Azhar geäußert hatte. Im November 2008 bezeichnete die UN-Arbeitsgruppe für willkürliche Inhaftierungen (UN Working Group on Arbitrary Detention - WGAD) die Inhaftierung von Karim Amer als "willkürlich" und forderte seine Freilassung. Die Arbeitsgruppe begründete dies damit, dass die Inhaftierung des Bloggers eine Verletzung von Freiheiten darstelle, die durch die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte und den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte garantiert werden. Filmausschnitte, die von einem Anti-Islam-Propagandisten aus den USA stammen sollen, wurden ins Arabische übersetzt und unter dem Titel "The Innocence of Muslims" ("Die Unschuld der Muslime") im Internet veröffentlicht. Darin werden der Prophet Mohammed und weitere von den Muslimen verehrte Figuren auf beleidigende Weise dargestellt, wodurch sich viele Muslime stark angegriffen fühlen. Die Filmausschnitte werden immer wieder als Auslöser einer Reihe von Protesten in verschiedenen muslimischen Ländern genannt, welche vor Botschaften und weiteren Orten, die in Verbindung mit den USA oder anderen westlichen Staaten stehen, stattgefunden haben. Bei gewalttätigen Ausschreitungen während einiger dieser Proteste kamen sowohl Protestierende als auch Angehörige der Sicherheitskräfte ums Leben oder wurden verletzt. Am 28. November 2012 verurteilte ein ägyptisches Gericht acht Menschen - sieben koptische Christen und einen US-amerikanischen christlichen Geistlichen - wegen der angeblichen Herstellung oder Verbreitung des Films in ihrer Abwesenheit zum Tode.

Amnesty International liegen Berichte über weitere Fälle vor, in denen Einzelpersonen aufgrund von Blasphemie angeklagt und verurteilt wurden. Dazu gehören auch der Fall eines Schiiten, den man der Entweihung einer Moschee beschuldigt, sowie der zweier muslimischer Männer, die Berichten zufolge der Diffamierung des Christentums angeklagt wurden, weil sie eine Bibel verbrannt haben sollen. Weiterhin soll ein christlicher Mann zu sechs Jahren Haft verurteilt worden sein, weil er Bilder ins Internet gestellt hatte, die als Beleidigung gegen den Islam erachtet wurden.

Auch beleidigende Äußerungen sind durch die Internationalen Menschenrechte geschützt. Kritik an Religionen und anderen Überzeugungen und Vorstellungen üben zu dürfen ist ein entscheidender Bestandteil des Rechts auf freie Meinungsäußerung. Rechtsvorschriften - wie beispielsweise Blasphemie-Gesetze -, welche die Kritik an (oder die Beleidigung von) religiösen Überzeugungen kriminalisieren, verstoßen gegen das Recht auf freie Meinungsäußerung. Solche kritischen, beleidigenden oder verspottenden Äußerungen stellen keine Beeinträchtigung der Religionsfreiheit der einzelnen Gläubigen dar, unabhängig davon, wie stark sie sich durch diese beleidigt fühlen.

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Quelle:
ai - URGENT ACTION
UA-Nr: UA-278/2012-3, AI-Index: MDE 12/002/2013, Datum: 9. Januar 2013 - we
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veröffentlicht im Schattenblick zum 12. Januar 2013