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AKTION/1122: Urgent Action - Russische Föderation, Menschenrechtler droht Strafverfahren


ai - URGENT ACTION
UA-Nr: UA-200/2012, AI-Index: EUR 46/028/2012, Datum: 10. Juli 2012 - gs

Russische Föderation
Menschenrechtler droht Strafverfahren



IGOR KALYAPIN, Vorsitzender der Organisation Ausschuss gegen Folter (IRCAT)

Dem Vorsitzenden einer in der Russischen Föderation führenden Menschenrechtsorganisation sind im Zusammenhang mit der Tätigkeit der NGO und ihrer Pressearbeit zugunsten der Opfer von Menschenrechtsverletzungen strafrechtliche Schritte angedroht worden. Die Drohung ging von den Behörden in Tschetschenien aus.

Igor Kalyapin, Vorsitzender der Organisation Ausschuss gegen Folter (IRCAT), wurde am 7. Juli von einem Ermittlungsbeamten aus Yessentuki zur Vernehmung vorgeladen. Berichten zufolge wollte der Beamte den Menschenrechtler zu mehreren Artikeln befragen, die Igor Kalyapin über das Verschwindenlassen und andere in Tschetschenien begangene Menschenrechtsverletzungen veröffentlicht oder an denen er mitgewirkt hatte. Nach Angaben von IRCAT hat ein Mitarbeiter des russischen Geheimdienstes FSB Igor Kalyapin bezichtigt, in seinen Artikeln vertrauliche Informationen öffentlich gemacht zu haben. Der Menschenrechtsverteidiger weist derartige Vorwürfe jedoch zurück. Er erklärte, lediglich die fehlende Effizienz der Ermittlungen in Fällen von Verschwindenlassen und anderen Menschenrechtsverletzungen beklagt sowie kritisiert zu haben, dass den Opfern keine oder nur unzureichende Rechtsmittel zur Verfügung stehen. Sollte gegen Igor Kalyapin ein Strafverfahren eingeleitet werden, würde dadurch die Arbeit von IRCAT zugunsten der Opfer von Menschenrechtsverletzungen erheblich erschwert und die kritische Berichterstattung der Organisation unterdrückt werden.

Die russischen Behörden haben zuvor im selben Zusammenhang bereits zwei Mal versucht, ein Strafverfahren gegen Igor Kalyapin anzustrengen. Die Versuche scheiterten beide Male, da die ermittelnden BeamtInnen keine Beweise für ein strafrechtlich relevantes Verschulden des IRCAT-Vorsitzenden zu Tage förderten. IRCAT klagt, dass ihre Mitglieder von den Behörden zunehmend unter Druck gesetzt werden. So hat der mit der Untersuchung befasste Beamte IRCAT aufgefordert, ihm sämtliche persönlichen Daten über alle derzeitigen und früheren Mitglieder zur Verfügung zu stellen, die seit Mai 2011 in der IRCAT-Zentrale in Nischni Nowgorod und in der tschetschenischen Hauptstadt Grozny tätig gewesen sind.


HINTERGRUNDINFORMATIONEN

In der Russischen Föderation tätige Menschenrechtsorganisationen leisten ein wichtige Arbeit, die für ihre Mitglieder oft mit persönlichen Risiken einhergeht. Amnesty International hat wiederholt Schikanen und Einschüchterungsversuche gegenüber MenschenrechtsverteidigerInnen angeprangert. In den vergangenen Jahren sind eine Reihe von MenschenrechtsverteidigerInnen ebenso wie JournalistInnen und RechtsanwältInnen tätlich angegriffen und einige von ihnen sogar getötet worden. Die Behörden haben vielfach weder effektive Ermittlungen eingeleitet noch die TäterInnen vor Gericht zur Rechenschaft gezogen. Weitere Informationen finden Sie im Internet unter
http://amnesty.org/en/library/info/EUR46/038/2011/en.

Vor allem im Nordkaukasus sind MenschenrechtsverteidigerInnen erheblichem Druck und Gefahren für Leib und Leben ausgesetzt. In der Tschetschenischen Republik wurde im Juli 2009 die bekannte Menschenrechtsaktivistin Natalia Estemirova in der Nähe ihrer Wohnung in Grosny entführt und ermordet. Die für die Tat Verantwortlichen sind bislang nicht vor Gericht zur Rechenschaft gezogen worden. Im März 2012 beklagte Amnesty International die Festnahme und mutmaßliche Misshandlung unter anderem durch Schläge eines Mitglieds der angesehenen inguschetischen Menschenrechtsorganisation Mashr. Auf weitere MitarbeiterInnen von Mashr wurde erheblicher Druck ausgeübt. Nähere Informationen sind nachzulesen auf der Internetseite
http://amnesty.org/en/library/info/EUR46/009/2012/en

Die in der Russischen Föderation tätige Organisation Ausschuss gegen Folter genießt für ihren Einsatz zugunsten der Opfer von Folter und Misshandlung in der nordkaukasischen Republik Tschetschenien und anderen Landesteilen hohes Ansehen. Der Ausschuss bietet gefolterten oder misshandelten Menschen unter anderem gezielte Beratung in rechtlichen Fragen an. Er deckt die Ineffektivität offizieller Ermittlungen bei der Aufklärung von Folterungen und anderen schweren Menschenrechtsverletzungen auf und geht gerichtlich dagegen vor. Mitglieder von IRCAT sind in der Vergangenheit sowohl in Tschetschenien als auch in Nischni Nowgorod wiederholt eingeschüchtert und unter Druck gesetzt worden. Nähere Informationen finden Sie auf der Internetseite
http://amnesty.org/en/library/info/EUR46/034/2011/en.

So wurden im Juni 2012 drei IRCAT-Mitglieder zu einem Treffen mit der politischen Führungsriege der Republik Tschetschenien zitiert, auf dem Präsident Kadirow sie beschuldigte, "das Volk der Tschetschenen zu hassen".


EMPFOHLENE AKTIONEN

SCHREIBEN SIE BITTE E-MAILS, FAXE ODER LUFTPOSTBRIEFE MIT FOLGENDEN FORDERUNGEN

  • Ich bin über die wiederholten Versuche der Behörden besorgt, strafrechtliche Schritte gegen Igor Kalyapin einzuleiten.
  • Unterbinden Sie bitte jedweden Versuch seitens der Angehörigen der Polizei oder anderer Behörden, auf MenschenrechtsverteidigerInnen Druck auszuüben und/oder sie durch die Eröffnung von Strafverfahren in ihrer legitimen Arbeit zu behindern.
  • Sorgen Sie bitte dafür, dass MenschenrechtsverteidigerInnen wie auch als übrigen StaatsbürgerInnen der Russischen Föderation ihr Recht auf freie Meinungsäußerung wahrnehmen können, ohne strafrechtliche Schritte oder anderweitige Maßnahmen befürchten zu müssen.

APPELLE AN

LEITER DER
ERMITTLUNGSABTEILUNGSABTEILUNG FÜR
STRAFSACHEN DER POLIZEI
Justice Major A.V. Yesipov
Chief Investigative Directorate for SKFO
Ul. Mendeleeva, 16, Yessentuki 357600
Stavropol Region, RUSSISCHE FÖDERATION
(korrekte Anrede: Dear M. Yesipov / Sehr geehrter Herr Yesipov)
Fax: (00 7) 879 342 0610

VORSITZENDER DES UNTERSUCHUNGSAUSSCHUSSES
Aleksandr I. Bastrykin
Tekhnicheski pereulok, 2
Moscow 105005, RUSSISCHE FÖDERATION
(korrekte Anrede: Dear Mr Chairman/ Sehr geehrter Herr Vorsitzender)
Fax: (00 7) 499 265 9077


KOPIEN AN

STELLVERTRETENDER
GENERALSTAATSANWALT
Ivan I. Sydoruk
Prosecutor's Office for SKFO
ul. Kozlova, d. 52/14, Piatigorsk, Stavropol krai, 357500,
RUSSISCHE FÖDERATION
(korrekte Anrede: Dear Deputy Prosecutor General / Sehr geehrter Herr stellvertretender Staatsanwalt)
Fax: (00 7) 8793 97 36 94 (wenn jemand abnimmt, sagen Sie bitte "Fax")
E-Mail: ugpskfo@rambler.ru

BOTSCHAFT DER RUSSISCHEN FÖDERATION
S. E. Herrn Vladimir M. Grinin
Unter den Linden 63-65, 10117 Berlin
Fax: 030-2299 397
E-Mail: info@Russische-Botschaft.de


Bitte schreiben Sie Ihre Appelle möglichst sofort. Schreiben Sie in gutem Russisch, Englisch oder auf Deutsch. Da Informationen in Urgent Actions schnell an Aktualität verlieren können, bitten wir Sie, nach dem 29. August 2012 keine Appelle mehr zu verschicken.


PLEASE WRITE IMMEDIATELY
  • Expressing concern about the recurring attempts by the authorities to instigate criminal proceedings against Igor Kalyapin.
  • Urging the Russian authorities to oppose any attempts by law enforcement offices or other officials to pressure human rights defenders and/or obstruct their legitimate work, including by means of instigating criminal proceedings against members of human rights NGOs.
  • Urging them to respect and observe the right to freedom of expression by human rights defenders and all individuals in the Russian Federation without the fear of criminal prosecution or other pressure.

HINTERGRUNDINFORMATIONEN - FORTSETZUNG

Die UN-Erklärung zum Schutz von Menschenrechtsverteidigern betont den wertvollen Beitrag von MenschenrechtsverteidigerInnen bei der Förderung der Menschenrechte und grundlegender Freiheiten. "Jeder Mensch", so die Erklärung, "hat das Recht, einzeln wie auch in Gemeinschaft mit anderen (...) die Einhaltung aller Menschenrechte und Grundfreiheiten im Gesetz und in der Praxis zu studieren, zu erörtern, sich eine Meinung darüber zu bilden und diese zu vertreten und mit diesen oder anderen geeigneten Mitteln die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf diese Angelegenheiten zu lenken ... Dies umfasst unter anderem das Recht, einzeln wie auch in Gemeinschaft mit anderen an ... mit öffentlichen Angelegenheiten befassten Organisationen Kritik zu üben und ... fachlich qualifizierten Rechtsbeistand oder sonstige einschlägige Beratung und Unterstützung zur Verteidigung der Menschenrechte und Grundfreiheiten anzubieten und zu gewähren." An anderer Stelle der UN-Erklärung heißt es: "Die Staaten ergreifen alle notwendigen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass die zuständigen Behörden jeden, einzeln wie auch in Gemeinschaft mit anderen, vor jeder Gewalt, Bedrohung, Vergeltung, tatsächlichen oder rechtlichen Diskriminierung, jedem Druck sowie vor jeglichen anderen Willkürhandlungen schützen, die eine Folge seiner rechtmäßigen Ausübung der in dieser Erklärung genannten Rechte sind.

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Quelle:
ai - URGENT ACTION
UA-Nr: UA-200/2012, AI-Index: EUR 46/028/2012, Datum: 10. Juli 2012 - gs
Amnesty International, Sektion der Bundesrepublik Deutschland e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 13. Juli 2012