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REZENSION/614: Gerhard Feldbauer - Vietnamkrieg (SB)


Gerhard Feldbauer


Vietnamkrieg



Die Reihe Basiswissen aus Politik, Geschichte und Ökonomie des PapyRossa Verlags präsentiert dank ihrer ebenso sachkundigen wie kritischen Autoren eine wachsende Sammlung kurzgefaßter und dennoch gehaltvoller Einführungen in Themen von bleibendem Interesse. Das gilt in besonderem Maße auch für den nun vorliegenden Band "Vietnamkrieg" des freiberuflichen Publizisten Dr. phil. Gerhard Feldbauer, der sich in italienischer Geschichte habilitiert hat und langjähriger Pressekorrespondent in Italien und Vietnam war. Irene und Gerhard Feldbauer berichteten als Auslandskorrespondenten von 1967 bis 1970 für den Allgemeinen Deutschen Nachrichtendienst (ADN) und die Zeitung Neues Deutschland über den Befreiungskampf des vietnamesischen Volkes. Sie besuchten Nordvietnam, begleiteten vietnamesische Kämpfer auf dem Ho-chi-Minh-Pfad und berichteten aus Laos und Kambodscha. Die beiden Journalisten waren dem Hagel amerikanischer Bomben ausgesetzt, sahen unsägliches Leid, aber auch den unbeugsamen Willen von Menschen, die ihre unter unermeßlichen Opfern errungene Freiheit und Unabhängigkeit verteidigten. Sie erlebten das Scheitern des US-Luftkriegs und während des Tet-Festes im Frühjahr 1968 die strategische Wende im Befreiungskampf in Südvietnam. Nicht selten wurden ihre hochwertigen Korrespondentenberichte auch von westlichen Nachrichtenagenturen übernommen und trugen so zu einer realistischen Beurteilung der tatsächlichen Vorgänge in Vietnam bei.

Die parteiergreifende Berichterstattung, deren Qualität aus der geteilten Lebensgefahr und dem solidarischen Schulterschluß mit den Verteidigern erwuchs, schuf mit aus heutiger Sicht primitiv anmutenden technischen Mitteln und unter chaotischen Arbeitsbedingungen gewissermaßen einen Gegenentwurf zu den eingebetteten Journalisten unserer Tage, die zu bloßen Modulen westlicher Kriegsmaschinerie und Lautsprechern denkkontrollierender Propagandafabriken verkommen sind. Wer meint, man könne und müsse der Parteinahme für die Opfer imperialistischer Aggression ein objektives Bild der Historie entgegensetzen, sei auf die mit Blut fortgeschriebene Geschichte hegemonialer Suprematie der Vereinigten Staaten und ihrer Verbündeten in Afghanistan und Pakistan, im Irak und Sudan, in Jemen, Libyen und Syrien verwiesen, um nur die wichtigsten zeitgenössischen Schlachtfelder zu nennen.

In Fortführung der Dominotheorie aus den Zeiten der Blockkonfrontation reiht sich Krieg an Krieg, schafft ein Waffengang die Voraussetzungen für den folgenden. Es bedarf keiner ausgeprägten Phantasie, um zu erkennen, wem diese immer engere Einkreisung seitens der NATO-Mächte gilt. Glich die gegen den Vietnamkrieg zu Felde ziehende Protestbewegung in zahlreichen Länder seinerzeit einem Fanal des Aufbruchs zum Antiimperialismus, so scheint dieser Waffengang im kollektiven Gedächtnis einer jüngeren Generation zu einer historischen Randnotiz verblaßt zu sein. Dieses Vergessen dürfte maßgeblich dazu beigetragen haben, daß die gegenwärtigen Angriffskriege der NATO-Staaten auch unter deutscher Beteiligung nicht nur möglich sind, sondern sich sogar einer beträchtlichen Zustimmung in der hiesigen Bevölkerung erfreuen. Feldbauers aus einem umfassenden Fundus dezidierter Geschichtskenntnis gewonnenes Konzentrat sollte geeignet sein, einen interessierten Leserkreis darin zu bestärken, aus der Vergangenheit zu lernen, um die Zukunft nicht den Sachwaltern perfektionierter Herrschaft zu überlassen.

Dazu mag insbesondere beitragen, daß der Autor die historische Entwicklung seit der kolonialen Eroberung Vietnams durch Frankreich im Jahr 1858 eng in den Kontext der jeweiligen Produktionsweise, Klassenwidersprüche und politischen wie sozialökonomischen Verhältnisse einbindet. So wird unmittelbar deutlich, wie untrennbar Besitzverhältnisse, Ausbeutung und Unterdrückung mit den Regimes einheimischer Machthaber und ausländischer Kolonialherrschaft wie auch deren Repression und Kriegen verbunden sind. Zugleich durchzieht der erbitterte Widerstand gegen diese Unterwerfung wie ein roter Faden das gesamte Buch, dessen Lektion sich in der Erkenntnis zusammenfassen ließe, daß Geschichte in unablässigen Kämpfen geschrieben und niemals der Deutungsmacht jener Interessen überlassen werden darf, die der gesamten Menschheit ihre neue Weltordnung aufzwingen wollen.

Wenn der Autor schreibt, daß Vietnam infolge der Kolonialpolitik seiner vorherrschenden sozialökonomischen Struktur nach ein koloniales, halbfeudales und rückständiges Agrarland war, dessen Bevölkerungsmehrheit in unbeschreiblichem Elend lebte, unterstreicht dieses Beispiel den gelungenen Ansatz, in kurzer Form Wesentliches auszusagen. Zugleich führt Feldbauer mittels Zitation historischer Quellen vor Augen, was das konkret für die gnadenlos ausgebeuteten Menschen bedeutet hat: Fron- und Sklavenarbeit auf den Plantagen und in den Bergwerken, unmenschliche Behandlung, Polizeiapparate und alle erdenklichen Strafmaßnahmen. Auf diese Weise verbindet sich eine kompakte analytische Darstellungsweise mit aufschlußreichen phänomenologischen Schlaglichtern organisch zu einem außerordentlich lesenswerten Ganzen, das die Rezeption historischer Fakten und deren Bewertung zu einem anregenden und nicht zuletzt ergreifenden Streifzug macht. So zitiert Feldbauer den US-amerikanischen Journalisten H. A. Frank aus dessen 1926 erschienenen Buch mit dem Titel "East of Siam":

Es sind arme Sklaven, in armselige Lumpen gehüllt, und schwach ist die Hand, welche die Hacke schwingt. Die Sonne brennt erbarmungslos, die Arbeit ist kräftezehrend, doch sie bringt nur wenig ein. Es gab dort auch Frauen, und vor allem, hinter den Kohlekarren, kleine Kerlchen von kaum 10 Jahren; ihre vor Erschöpfung gezeichneten, mit Kohlenstaub bedeckten Gesichter aber glichen denen von Vierzigjährigen. Ihre nackten Füße waren von einer harten Kruste bedeckt. Ohne Pause trotteten sie durch den Staub.
(S. 13)

Als Wende im antikolonial-antifeudalen Befreiungskampf hebt der Autor die Ankunft Ho chi Minhs 1925 im chinesischen Kanton hervor, der auf dem V. Weltkongreß der Kommunistischen Internationale in das Büro für Kolonialfragen gewählt worden war. Unter seiner Führung wurde fünf Jahre später eine kommunistische Partei gegründet, die sich 1930/31 an die Spitze der Massenkämpfe in Zentralvietnam setzte. In den befreiten Gebieten wurde Gemeindeland, das sich Großgrundbesitzer und Feudalherren angeeignet hatten, an die Bauern verteilt. Dies dokumentiert im Verbund mit vielen weiteren politischen und sozialökonomischen Reformen, daß der Befreiungskampf mit weitreichenden Veränderungen der gesellschaftlichen Verhältnisse verschränkt war, welche die Grundfesten des nationalen und kolonialen Regimes erschütterten.

Mit dem Wirken Ho chi Minhs ist der militärische, politische und die Besitzverhältnisse umwälzende Kampf gegen innere und äußere Aggressoren von den 20er Jahren bis zur Vertreibung der US-amerikanischen Invasoren und darüber hinaus untrennbar verbunden. Bei seinem Tod im Jahr 1969 hinterließ er eine kollektive politische Führung und eine Bevölkerung, in deren Mehrheit das Streben nach Unabhängigkeit tief verwurzelt war. Berücksichtigt man, daß sich zur französischen Kolonialherrschaft im Zweiten Weltkrieg die japanische Okkupation gesellte und die am 2. September 1945 proklamierte Demokratische Republik Vietnam von Frankreich erneut besetzt und mit Krieg überzogen wurde, stellt sich der vietnamesische Befreiungskampf als eine unablässige und in ihrer historischen Bedeutung wegweisende Kette antiimperialistischer Erhebungen gegen die mächtigsten Gegner ihrer Zeit dar.

Das gilt um so mehr für jene Periode (von 1955 bis 1975), die man im landläufigen Sinn mit dem "Vietnamkrieg" in Verbindung bringt, nämlich den Kampf gegen die Vereinigten Staaten und deren Verbündete, der Ende April 1975 mit dem militärischen Sieg über die Supermacht endete. Zur Sprache kommen alle wesentlichen Aspekte, die diesen Waffengang gleichsam zur Blaupause moderner imperialistischer Kriegführung wie auch des Widerstands gegen deren zügellose Aggression machen. Dem Ende der französischen Kolonialherrschaft in ganz Indochina schloß sich nahtlos die von den USA proklamierte Doktrin eines "Roll back" des vordringenden Sozialismus in dieser Weltregion an. Mit dem Ausbau von Militärstützpunkten, der Gründung der SEATO, die Vietnam, Laos und Kambodscha zur ihren "Schutzgebieten" erklärte, und der Unterstützung eines reaktionären Regimes in Südvietnam bereitete Washington seine letztendliche Invasion vor. Mit jener inszenierten Provokation, die als "Zwischenfall von Tongking" in die Geschichte einging, ermächtigte sich die US-Regierung zum offenen Angriffskrieg.

In dem Luftkrieg gegen die Demokratische Republik Vietnam versuchten die US-Streitkräfte, das Land in die Steinzeit zurückzubomben. Dank Unterstützung der Sowjetunion für Nordvietnam und unter dem Eindruck wachsenden internationalen Protests sahen sich die USA schließlich gezwungen, ihre verlustreiche Luftschlacht vorerst einzustellen. Im November 1968 begannen die Pariser Friedensverhandlungen, bei denen sich die DRV und die Befreiungsbewegung FNL auf der einen sowie die USA und die Saigoner Regierung auf der anderen Seite gegenübersaßen. Ab 1970 rief Washington die Vietnamisierung des verlorengehenden Krieges aus, die mit einem schrittweisen Teilabzug der US-Truppen verbunden war. Als der Sturz des Saigoner Regimes drohte, wurden die Luftangriffe auf Nordvietnam 1972 wieder aufgenommen, die dann Anfang 1973 endgültig endeten.

Bei den Kämpfen in Südvietnam markierte die Tet-Offensive ab Ende Januar 1968 die strategische Wende, der Zug um Zug weitere militärische Erfolge bis zum letztendlichen Fall Saigons folgten. Auch der zweiten Front in Laos und Kambodscha ist ein Kapitel gewidmet, worauf der Autor auf besonders markante Aspekte der US-Kriegführung eingeht. Angefangen von der "Mörderschule" in Fort Benning, der KZ-Insel Con Son und dem Programm "Phönix" über Massaker wie jenes von My Lai und die Wehrdörfer bis hin zu Napalm und Agent Orange stellt sich die Perfektionierung der Greuel als bellizistische Ratio im Namen der "Freien Welt" dar.

Auch die Organisierung des Widerstands in Gestalt des Russel-Tribunals, der Antikriegsbewegung in Europa und den USA wie auch der ausbrechenden Revolte in den US-Streitkräften, die vor allem von schwarzen Soldaten ausging, bleibt nicht unerwähnt. Von besonderem Interesse aus deutscher Sicht ist die Verstrickung der Bundesrepublik, die mehr als alle anderen Bündnispartner Washingtons am Vietnamkrieg teilnahm. Die Bundesregierung hieß die Luftangriffe auf Nordvietnam gut, die deutsche Rüstungsindustrie war durch Kapitalbeteiligung und Aufträge mit US-Unternehmen verflochten, und die Bundeswehr sammelte Kampferfahrung in Vietnam. Wenngleich es nicht zu der vom damaligen Verteidigungsminister Gerhard Schröder (1966-69, CDU) geforderten Entsendung deutscher Soldaten kam, wuchs die verdeckte Beteiligung an. Angehörige der Bundesluftwaffe flogen in US-Uniformen Bombenangriffe, Kampfhubschrauber samt Personal wurden bereitgestellt, mehrere tausend "Techniker" waren am Boden im Einsatz. Deutsche Frachtschiffe transportierten US-Rüstungsgüter, das Lazarettschiff "Helgoland" geriet wegen seiner vormilitärischen Beteiligung zum Streitfall, zumal auf ihm die Wirkung chemischer Kampfstoffe untersucht wurde. Westdeutsche Unternehmen waren insbesondere am Einsatz chemischer Gifte und Kampfstoffe beteiligt.

So trug auch Deutschland zum schrecklichen Erbe des Krieges für die vietnamesische Bevölkerung bei. Eine Million Südvietnamesen hatten als Soldaten den Tod gefunden, 500.000 waren Kriegsversehrte. Zwei Millionen Zivilisten wurden getötet, zwei Millionen wurden verstümmelt. Es gab 800.000 Waisenkinder, über zehn Millionen vertriebene Bauern, drei Millionen Arbeitslose, Hunderttausende Drogenabhängige, Prostituierte und Kranke sowie nicht zuletzt Millionen Agent-Orange-Opfer und Analphabeten. Für die DRV, die Angaben über Schäden und Verluste nie gemacht hat, rechnet man mit 500.000 Kriegstoten und ebenso vielen Kriegswaisen. Dort wurden alle Städte bombardiert, die Hälfte von ihnen galt als völlig zerstört.

Korruption, Söldnermoral und Banditentum waren unter der US-Besatzung Teil des täglichen Lebens geworden, Zehntausende Agenten der CIA und für das Programm "Phönix" ausgebildete Mordspezialisten weiter im Untergrund aktiv. Die USA kamen ihrer in den Pariser Abkommen festgelegten Verpflichtung zur Wiedergutmachung nie nach, und Washington verhängte sofort einen Wirtschaftsboykott, um die Wiedervereinigung Vietnams zu verhindern. So war der imperialistische Aggressor militärisch geschlagen und das Land befreit worden, doch setzten die USA ihr Treiben mit anderen Mitteln fort.

Wie Gerhard Feldbauer schreibt, habe der Widerstandswille des vietnamesischen Volkes den Ausschlag für den Sieg der Befreiungsbewegung gegeben, der ohne die militärische Hilfe insbesondere der UdSSR nur schwer möglich gewesen wäre und von internationaler Solidarität unterstützt wurde. Damit gibt er den Leserinnen und Lesern in der Tat einen bedeutsamen Schlüssel an die Hand, aus dem Vietnamkrieg Lehren für die imperialistischen Kriege der Gegenwart und Zukunft zu ziehen.


Fußnote:

[1] Siehe dazu:
REZENSION/343: Irene und Gerhard Feldbauer - Sieg in Saigon (Politik) (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/buch/sachbuch/busar343.html

11. Oktober 2013


Gerhard Feldbauer
Vietnamkrieg
PapyRossa Verlag, Köln 2013
127 Seiten, 9,90 Euro
ISBN 978-3-89438-532-3