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REZENSION/552: Gwynne Dyer - Schlachtfeld Erde (Klimawandel) (SB)


Gwynne Dyer


Schlachtfeld Erde

Klimakriege im 21. Jahrhundert



Unter den Militärhistorikern gilt Gwynne Dyer als jemand mit einem ausgesprochenen Blick für das große Ganze. [1] Nicht umsonst erscheint die regelmäßige Kolumne des Kanadiers zum aktuellen Weltgeschehen in 175 Zeitungen in 45 Ländern. Auf dem Höhepunkt der Konfrontation zwischen Ronald Reagans USA und Juri Andropows Sowjetunion erreichte Dyer mit der von ihm konzipierten und moderierten, achtteiligen Fernsehproduktion "War", in der er das Wesen der modernen Kriegführung erläuterte wie zugleich eindringlich vor einem globalen Atominferno warnte, erstmals ein weltweites Publikum. Eine Episode der vielfach gelobten, kanadischen Miniserie wurde 1983 sogar für den Oscar als beste Dokumentation nominiert. In seinem letzten, 2008 erschienenen Buch "Nach Irak und Afghanistan - Was kommt, wenn die westlichen Truppen gehen?" hat Dyer die Lage in den Ländern der arabischen Welt scharfsinnig analysiert und die revolutionären Umbrüche, die seit Anfang dieses Jahres die Region zwischen Marokko und Oman erschüttern, vorweggenommen. [2]

Neben der journalistischen Beschäftigung mit den aktuellen Krisenherden befaßt sich der ehemalige Reserveoffizier der amerikanischen, britischen und kanadischen Marine und einstige Dozent an der renommierten englischen Militärakademie Sandhurst mit dem Klimawandel, in dem er die größte Bedrohung der menschlichen Existenz seit dem Ende des Kalten Krieges sieht. Das Ergebnis von Dyers Nachforschungen und Überlegungen zu diesem Thema ist "Schlachtfeld Erde - Klimakriege im 21. Jahrhundert". Das Buch empfiehlt sich jedem, der besser verstehen will, worum genau es bei der ganzen Debatte über die Begrenzung des Kohlendioxidausstoßes geht und auf welcher Grundlage die Regierungen der Welt ihre Verhandlungen führen. Ausführlich und mit löblicher Objektivität zeichnet Dyer in diesem Zusammenhang die divergierenden Interessen - allen voran zwischen den USA und den etablierten Industrienationen auf der einen Seite und China und den Entwicklungsländern auf der anderen - auf, die Ende 2009 zum bedauerlichen Scheitern des Klimagipfels von Kopenhagen führten.

Dyer hat sieben Szenarien, darunter ein militärisches Muskelspiel zwischen Rußland und der NATO im Jahr 2019 um die Seewege und Ressourcenausbeutung rund um einem eisfreien Nordpol und einen Atomkrieg zwischen Indien und Pakistan 2036 entworfen, anhand derer er jeweils in einem abgeschlossenen Kapitel die wichtigsten potentiellen Auswirkungen des Klimawandels schildert und eventuelle Gegenmaßnahmen präsentiert. Seine Szenarien basieren sowohl auf unübersehbaren Entwicklungen wie zum Beispiel dem Gletscherrückgang im Himalaya und den zahlreichen Gesprächen, die er mit führenden Wissenschaftlern, Politikern und Militärs rund um den Globus geführt hat, als auch auf diversen Studien, die in diesem Bereich die Generalstäbe der wichtigsten Militärmächte in den letzten Jahren in Auftrag gegeben haben.

Dyer betrachtet den von Menschen verursachten Treibhauseffekt als unleugbar und geht davon aus, daß seine unangenehmen Folgen wie Ernterückgänge, Überschwemmungen, Dürren und dererlei mehr bis auf absehbare Zeit zunehmen werden. Er plädiert deshalb für eine verstärkte multinationale Zusammenarbeit, um erstens die unvermeidlichen Folgen der Erwärmung der Atmosphäre abzumildern und um zweitens zu verhindern, daß das Phänomen vollkommen außer Kontrolle gerät. Die Alternative dazu, die er unbedingt vermeiden will, wären Ressourcenkriege, die unmittelbar Abermillionen von Menschen das Leben kosteten und mit denen man langfristig das Überleben der eigenen Spezies und vermutlich das vieler anderer Organismen verspielte.

Dyer rechnet damit, daß der Menschheit eine "Pufferzone" von nur noch wenigen Jahrzehnten zur Verfügung steht, um zu verhindern, daß der Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur und der des CO2-Anteils in der Atmosphäre nicht mehr als zwei Grad Celsius, respektive 450 ppm überschreiten (zum Vergleich lag der C02-Anteil zu Beginn der industriellen Revolution um das Jahr 1800 herum bei 280 ppm und befindet sich derzeit bei 390 ppm, während die globale Durchschnittstemperatur seitdem um 0,8 Grad Celsius - das meiste davon in den letzten 30 Jahren - zugenommen hat). Wird dieses Ziel nicht erreicht, werden diverse Feedback-Mechanismen wie die Freisetzung größerer Mengen Methan, die sich derzeit in den Permafrost-Regionen Rußlands und Kanadas liegen, eintreten, die einen drastischen Temperaturanstieg weltweit und ein größeres Massensterben von Pflanzen und Tieren - der Mensch inbegriffen - nach sich ziehen werden.

Dyer hält alle über Energiesparmaßnahmen hinausgehenden Lösungsansätze wie Kernkraft, um die Verfeuerung von Kohle zurückzufahren, die Freisetzung größerer Mengen Schwefeldioxid in der Stratosphäre, um die Globaltemperatur zu senken, und das Düngen der Meere mit Eisen, um die CO2-Aufnahme von Phytoplankton anzuregen, für diskutierbar, auch wenn ihm einige davon wie die unterirdische Lagerung von Kohlendioxid, das sogenannte Carbon Dioxide Capture and Storage (CCS), als wenig aussichtsreich erscheinen. Den Gegnern des Geo-Engineering hält er vor, daß auch die Wiederbewaldung weiter Landstriche, um CO2 aus der Luft zu holen, eine solche künstliche Maßnahme ist, auch wenn sie ästhetisch gefälliger daherkommt. Der Umgang des Militärhistorikers mit einer zum Teil schwierigen wissenschaftlichen Materie ist locker, wenngleich fundiert, wie man an Formulierungen wie der seiner Menschheitsdefinition als einer "nicht sonderlich lange existierende[n] Säugetierhaltung" merkt.

Dyer glaubt fest, daß der Mensch dazu fähig ist, die gigantische Herausforderung, die der Klimawandel darstellt, zu meistern, und sei es mit Ach und Krach. Die Tatsache, daß es im Kalten Krieg nicht zum befürchteten nuklearen Schlagabtausch zwischen Amerikanern und Russen gekommen ist, und die Maßnahmen, welche die Staatengemeinschaft vor rund zwanzig Jahren ergriffen hat, um die Vernichtung der Ozonschicht durch Fluorchlorkohlenwasserstoffe (FCKW) zu verhindern, stellen für ihn Erfolge der Vernunft dar, die richtungsweisenden Charakter haben. Man kann Dyers Appell an die "Selbstbeherrschung" und die "Kooperationsfähigkeit" der Menschen angesichts der Größe des zu bewältigenden Problems nur begrüßen. Leider mutet seine Erkenntnis, das Überleben der Menschheit hänge von der Schließung der Schere zwischen Arm und Reich weltweit ab, damit die anstehende Aufgabe gemeinsam angepackt werden kann, etwas optimistisch an, wenn man das Ausmaß bedenkt, in dem die Plutokraten in Nordamerika und Europa in den letzten Jahren die Zeche für die von ihnen verursachten Wirtschaftskrise dem einfachen Steuerzahler aufbürden bzw. das Argument der Bewältigung des verstaatlichten Schuldenbergs verwenden, um die Umverteilung von unten noch oben noch zu beschleunigen.

Fußnoten:

1. SCHATTENBLICK.DE -> INFOPOOL -> POLITIK -> REPORT ->
BERICHT/006: Interview mit dem Militärhistoriker Gwynne Dyer (SB)

2. SCHATTENBLICK.DE -> INFOPOOL -> BUCH -> SACHBUCH ->
REZENSION/452: Gwynne Dyer - Nach Irak und Afghanistan (SB)

4. März 2011


Gwynne Dyer
Schlachtfeld Erde
Klimakriege im 21. Jahrhundert
(Aus dem Englischen "Climate Wars" übersetzt von Andreas Simon dos
Santos)
Klett-Cotta Verlag, Stuttgart, 2010
384 Seiten
ISBN: 978-3-608-94611-6