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REZENSION/538: Heinz-Peter Röhr - Wegweiser zum Glück (Psychotherapie) (SB)


Heinz-Peter Röhr


Wegweiser zum Glück

Die geheimen Programme der Seele entschlüsseln



Bücher zur Lebenshilfe gibt es wie Sand am Meer. Längst sind sie zu einem eigenen Genre ausgewachsen, das bei einer Reihe von Verlagen eine prominente Stellung einnimmt. Unter Lebenshilfe wird im allgemeinen nicht die Hilfe bei ökonomischen Problemen verstanden, sondern bei familiären, partnerschaftlichen, seelsorgerischen oder allgemein bei psychologischen Fragen rund um die individuelle Lebensbewältigung. Der Patmos Verlag hat mit "Wegweiser zum Glück. Die geheimen Programme der Seele entschlüsseln" von Heinz-Peter Röhr ein weiteres Produkt zu diesem Bereich hinzugefügt. Der Autor ist "seit über 30 Jahren an der Fachklinik Fredeburg/Sauerland für Suchtmittelabhängige psychotherapeutisch tätig", so der Klappentext. Daraus kann gefolgert werden, daß er auf reichliche Erfahrungen im Umgang mit um Hilfe suchenden Menschen zurückblickt. Dennoch bleibt nach der Lektüre zu konstatieren, daß beim besten Willen nicht zu erschließen ist, worin sich ausgerechnet dieses Buch von den zahllosen Vorgängerprodukten unterscheidet.

Der Buchtitel gibt schon recht treffend den Inhalt wieder. Röhr setzt einen kaum greifbaren, mit allerlei verheißungsvollen Projektionen belegten Allgemeinplatz ins Zentrum: Glück. Um Glück zu erlangen, will er einen "Weg weisen", auf dem negative Programme entschlüsselt werden, die er als geheim bezeichnet. Damit unterstellt er, daß nur ein Experte in Sachen Seelen-Dekodierung sie zu lesen vermag. Ebenfalls wird es allein ihm zugestanden, falsche Gegenprogramme zu entschlüsseln und eine Software zu schreiben, mittels derer Patientinnen und Patienten als störungsfrei programmierte Mitglieder in die Gesellschaft entlassen werden können.

"Das schnelle Glück nach einer einfachen Formel gibt es leider nicht, auch wenn der Zeitgeist dies fordert und zahlreiche Bücher dies glauben machen wollen" (S. 18), teilt der Autor zu Beginn des Buchs mit und verfolgt anschließend exakt das, was er zuvor verworfen hat. Röhrs Vorstellung von programmierbaren Menschen, deren Software neu geschrieben werden kann, so daß sie wieder funktionieren, entspricht zweifellos einer "einfachen Formel".

Die Beschreibung seines Konzepts unterteilt der Autor in drei Oberkapitel, die "Die Macht der geheimen Programme", "Gegenprogramme - die falsche Rettung" und "Neue Programme für ein besseres Leben" überschrieben sind. Im ersten Teil benennt er rund eineinhalb Dutzend "geheime Programme", die sich allerdings mehrheitlich kaum voneinander unterscheiden lassen, beispielsweise "ich bin unerwünscht", "ich genüge nicht", "ich soll anders sein, als ich bin", "ich mache immer alles falsch". Das nährt den Verdacht, daß ein größeres Differenzierungsvermögen vorgetäuscht werden soll, als der therapeutische Ansatz hergibt.

Im zweiten Teil schildert der Autor, was seine Patienten an falschen, unwirksamen Gegenprogrammen auffahren, und im dritten Teil kommt dann die Erlösung: "Neue Programme für ein besseres Leben". Die von Röhr betriebene Vereinfachung wird um so transparenter, je mehr der Leser ins Detail geht und sich fragt, wie eine Neuprogrammierung aussehen soll. Das geheime Programm "Ich bin ein Verlierer" wird von dem Autor schlicht mit "Ich bin ein Gewinner" (S. 106) gekontert, aus dem geheimen Programm "Ich bin nicht willkommen" wird das richtige Programm "Ich bin willkommen" (S. 89) und so weiter. Dabei betont er zwar die Wichtigkeit, daß die Patientinnen und Patienten durch die richtigen Programme lernen, sich selbst zu genügen, aber er widerspricht mit seiner Lösung der eigenen Behauptung, denn "willkommen sein" ist eine reine Außenbetrachtung.

Röhr äußert sich auch zur Finanzkrise 2008, die er auf die "exzessive Gier vieler Topmanager" (S. 62) zurückführt. Er erklärt, die Unersättlichkeit vieler Führungspersonen lasse darauf schließen, "dass viele unter dem geheimen Programm, nicht satt geworden zu sein, leiden". Angesichts der Millionen-Boni, welche die Topmanager in der Krise eingenommen haben, kommt nun wirklich nicht der Eindruck auf, daß sie darunter sonderlich gelitten hätten. Daß sich individuelles Verhalten immer vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Entwicklungen abspielt und eine Analyse der sogenannten Finanzkrise ohne Berücksichtigung der systemischen Voraussetzungen, nach denen Finanzkapital akkumuliert wird und Einfluß auf die materiellen Bedingungen nimmt, ungenügend bleiben muß, scheint für Röhr vernachlässigbar zu sein.

So wenig auch immer Freud, der Urvater der Psychoanalyse, und einige seiner Schüler die Befreiung des Menschen von den ihn bedingenden gesellschaftlichen Zwängen thematisiert haben, die Enkel und Urenkel haben diesen Aspekt anscheinend gänzlich unter den Tisch gekehrt. Die von ihnen praktizierte Lebenshilfe enthält keinerlei Aspekte eines Gegenentwurfs zu gesellschaftlichen Anforderungen, sondern bildet umgekehrt das Schmiermittel, das die gesellschaftliche Mechanik geschmeidig hält. Aus der Bahn und Führung geratene Individuen sollen wieder integriert werden. Falls sie sich als therapieresistent und somit "zu gestört" erweisen, werden sie in entsprechend organisierte Einrichtungen verbracht. Daß sich zur Erfüllung dieser Ordnungsfunktion ganze Berufszweige gebildet haben, spiegelt die zunehmende Atomisierung des Menschen und damit einhergehend den wachsenden, gesellschaftlichen Bedarf nach Integration wider. Die menschheitsgeschichtliche Entwicklung der Vereinzelung bringt noch zu viele "Persönlichkeitsstörungen" hervor. Diese Entwicklung ist offenbar noch nicht abgeschlossen, wie die wachsende Zahl an psychischen Erkrankungen zeigt.

Eine Störung der Persönlichkeit ist eine reine Außenbetrachtung und sagt vor allem etwas über das soziale Umfeld aus, in der dieses Phänomen beschrieben wird. Eine Emanzipation von als fremdbestimmt zu bezeichnenden Verwertungsansprüchen, die im Alltag ebenso wie im Arbeitsleben unumkehrbare psychische und physische Beschädigungen auslösen können, ist weder bei der heutigen Psychoanalyse im allgemeinen noch bei dem Psychotherapeuten Röhr im besonderen vorgesehen.

Ungeachtet dieser Ausführungen soll hier keinesfalls ausgeschlossen werden, daß nach Glück strebende Personen das Buch von Heinz-Peter Röhr mit Gewinn lesen, wenn es denn ihren Erwartungen entspricht und sie sich verstanden fühlen. Ebensowenig kann und soll der Stab über die gegen Ende propagierte Meditation zur Unterstützung der Psychotherapie (S. 150) gebrochen werden. Das von dem Autor in "Wegweiser zum Glück" propagierte Menschenbild jedenfalls hat seinen Hauptnutzen im Zusammenhang mit den immer gleichen Abläufen in und administrativen Erfordernissen von therapeutischen Einrichtungen und ergänzt die in der Regel psychopharmakologische Kalibrierung aus dem Tritt geratener Menschen.

16. September 2010


Heinz-Peter Röhr
Wegweiser zum Glück
Die geheimen Programme der Seele entschlüsseln
Patmos Verlag, Mannheim im März 2010
ISBN: 978-3-491-40161-7
168 Seiten, 16,90 Euro