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REZENSION/509: Dr. med. Norbert Scholz - Die Medizindiscounter (SB)


Dr. med. Norbert Scholz


Die Medizindiscounter

Der systematische Ausverkauf der haus- und fachärztlichen Medizin in Deutschland



Seit mit dem Kostendämpfungsgesetz 1977 eine erste Reform im Gesundheitswesen nach dem Zweiten Weltkrieg durchgesetzt wurde, haben zahllose weitere Maßnahmen das bundesdeutsche Gesundheitssystem verändert. In immer umfangreicherem Maße dominieren ökonomische Gesichtspunkte die medizinische Versorgung, wobei sogenannte Reformen in allererster Linie zu lasten der Versicherten durchgesetzt wurden. Beispielsweise entfiel 1977 im Zuge des Kostendämpfungsgesetzes die Begrenzung des Zuschusses für Zahnersatz. Zuzahlungen für Verbands-, Arznei- und Heilmittel wurden neu eingeführt, ebenso fiel statt 2,50 DM Rezeptblattgebühr nun für jedes Medikament eine Mark an Kosten an. Auch damals waren die Auswirkungen dieser Maßnahmen spürbar, doch waren sie weit davon entfernt, den sozial Schwachen von einer ausreichenden medizinischen Versorgung auszuschließen und diese nur noch demjenigen Bürger zuzubilligen, der in der Lage ist, finanzielle Eigenleistungen zu erbringen.

Heute steht der Bürger sprachlos davor, wenn er trotz horrender Krankenversicherungsbeiträge die notwendig gewordene Sehhilfe zusätzlich aus eigener Tasche zahlen muß, sich den Zahnersatz nicht leisten kann oder die ambulante Behandlung entfallen muß, weil er die Fahrtkosten nicht erstattet bekommt. Schweigend muß er akzeptieren, wenn der Arzt ihn unbehandelt abweist, dieser im laufenden Quartal keinen Termin mehr vergibt oder gar die Praxis unbesetzt ist, da bereits vor Ablauf des Quartals das Geld in der Kasse fehlt. Unverständnis herrscht vor, wenn der Patient nicht mehr bekommt, was ihm der "Sozialstaat" Bundesrepublik Deutschland dem Gesetz nach versprochen hat.

Dennoch geht es dem Autor des Anfang 2009 im Verlag Neuer Merkur erschienenen Buches "Die Medizindiscounter", Dr. med. Norbert Scholz, weder darum, ein Plädoyer für sozial Schwache zu halten und um Verständnis für die Situation der gesellschaftlich Benachteiligten zu werben, noch darum, die Folgen des Abbaus der sozialen Sicherungssysteme auf Gesundheit und Krankheit zu untersuchen und darzustellen.

Sein vorgebliches Ziel ist es, "ein verständliches Aufklärungsbuch zu den Veränderungen im Gesundheitswesen zu schreiben" und den Betroffenen "Entscheidungskriterien für die kommende Bundestagswahl und die anstehenden Landtagswahlen" (S. 238) an die Hand zu geben. Letztlich läßt sich jedoch feststellen, daß es für Dr. Scholz von großer Bedeutung ist, die gegenwärtige wie auch die zukünftige Situation der Ärzte darzulegen, die, im Zuge von immer weitgreifenderen Reformen, mittlerweile vollständig der Freiheit beraubt sind, als niedergelassene Mediziner - ihrem Ermessen nach - praktizieren zu können. Dr. Scholz ist sich durchaus bewußt und erwähnt es auch in seinen Ausführungen mehrfach, daß innerhalb des Gesundheitssystems immer schon Kontrollmechanismen die Reglementierung ärztlicher Tätigkeiten ermöglichten.

Es sind diese gesetzlich verankerten Reglementierungen, die den Arzt zum Mittelsmann zwischen Staat und Patienten machen. Doch erst im Zuge der letzten Jahre ist derart umfassend in die Befugnisse des Arztes eingegriffen worden, daß es diesen in eine von ihm nie erwartete Situation treibt: Er kann nicht nur dem Patienten nicht mehr als Vertrauensperson zur Seite stehen, er kann diesem aufgrund der katastrophalen, auf minimalste Kostenerstattung zurückgefahrenen Vergütung von Leistungen durch die Krankenkassen nur in äußerst beschränktem Rahmen diagnostische und therapeutische Maßnahmen zugestehen. Zudem sieht Dr. Scholz sich und zahlreiche Kollegen aufgrund der sich zusehends verschlechternden Einkommensverhältnisse in den Ruin getrieben und erwähnt, daß in manchen Fachgruppen seit 1996 das Einkommen der Ärzte aus kassenärztlicher Tätigkeit um bis zu 50 Prozent gesunken sei.

Mit dem Buch "Die Medizindiscounter - Der systematische Ausverkauf der haus- und fachärztlichen Medizin in Deutschland" verleiht der Autor, selbst Mediziner, seinem Ärger, seiner Verzweiflung und seiner Betroffenheit Ausdruck. Er schildert die Notlage, in die auch er sich gedrängt sieht und bringt dies bereits im Vorwort zum Ausdruck:

Die von der Politik, vor allem von unserer Gesundheitsministerin Ulla Schmidt [Anm. d. SB-Red.: von 2001 bis 2009 im Amt], vorangetriebenen Umstrukturierungen sind ideologisch gefärbt, lassen jeden Sachverstand vermissen und führen über ein kaum zu beschreibendes Chaos letztendlich in eine ideologische Sackgasse. Hausärzte sind zum 'Abschuss' freigegeben und vom Aussterben bedroht.

Nach mehr als zwanzigjähriger Tätigkeit als Facharzt für Allgemeinmedizin mit verschiedenen medizinischen Zusatzausbildungen (Chirotherapie und andere Naturheilverfahren), nach mehreren Regressen (Zuzahlungen, die der Arzt aufgrund der Überschreitung von durch Krankenkassen und Kassenärztlichen Vereinigungen festgelegten Abgabenobergrenzen z. B. für Medikamente zahlen muß) und nach immer weiteren Einkommenseinbußen zieht der Autor den Schluß, als einzelner kaum eine Möglichkeit zu sehen, "etwas in diesem System zu bewegen". Was bleibt, sei lediglich, wie er meint, "vor den Gefahren der derzeitig beabsichtigten Änderungen [zu] warnen" (S. 5).

Um etwas Licht in die unüberschaubaren und unzähligen Probleme, die sich durch die Gesundheitsversorgung ergeben, zu bringen, hat Dr. Scholz auf 288 Seiten - allerdings immer aus der Sicht des betroffenen Kassenarztes - schließlich die wesentlichsten Fragen aufgegriffen, die den Bürger beschäftigen, wenn er zusätzlich zu den Versicherungsbeiträgen immer mehr zur Kasse gebeten wird oder gar unbehandelt bleibt. Demzufolge befassen sich die Kapitel mit Fragen wie "Was geschieht mit meinen Versicherungsbeiträgen?", "Warum bekomme ich nicht, was ich brauche?", "Was ist ein DMP-Programm?", "Qualitätsmanagement in Arztpraxen - Was heißt das?", "Wieviele Ärzte braucht das Land?", "Der Hausarzt und Sie", "Der Facharzt und Sie" und anderen.

Dr. Scholz' Erläuterungen ist zu entnehmen, daß die mittlerweile ausschließlich an ökonomischen, d.h. kostensenkenden Maßstäben orientierten Maßnahmen, die, basierend auf dem Wettbewerbsprinzip, kontinuierlich umgesetzt werden und subtil in jeden Bereich der medizinischen Versorgung übergreifen, bis in die gesellschaftlichen Strukturen hinein (z.B. Konkurrenz unter Ärzten, berufliche Mehrfachbelastungen auch im medizinischen Bereich, Umlastung der Pflege in den häuslichen Bereich) Wirkung zeigen.

Dem Autor ist durchaus bewußt, daß "Krankenkassen versuchen, die Hausärzte zu ihren Komplizen zu machen, indem sie mit Almosen versuchen, die Ärzteschaft zu Kontrolleuren und Billigmedizinern (Medizindiscountern)" (S. 139) zu degradieren. Beispielsweise ist seit dem 1. Juli 2008 der Arzt nach dem sogenannten Petzparagraphen verpflichtet, Patienten zu melden, die nach Piercing, Tätowierung oder Schönheitsoperationen mit Problemen einen Arzt aufsuchen. Nach dem "Mitverschuldungs-Prinzip" müssen sich Versicherte dann an entstehenden Behandlungskosten beteiligen. Dr. Scholz realisiert, allerdings eher am Rande, daß "gerade die Schwächeren, die die Unterstützung der Solidargemeinschaft nötig hätten", in diesem System auf der Strecke bleiben. Dabei bedeutet 'dieses System' für ihn ein System, in dem das Geld mit vollen Händen aus dem Fenster geschmissen wird.

Er schimpft auf die Abschiebetaktiken der Fachärzte, die so viel wie möglich durch den Hausarzt erledigt sehen wollen, da Fach- wie Hausärzte aufgrund der Budgetierungen (Festlegung von Abgabeobergrenzen) in vergleichbarer Lage stets mit Vorbehalt praktizieren, um Regreßforderungen, also Zuzahlungen, die der Arzt aus eigener Tasche leisten muß, zu vermeiden. Entsprechend bemüht ist also auch der Facharzt, so wenig Leistungen wie möglich pro Patient abrechnen zu müssen. Aber trotz aller Unbill gegen die Fachärzte lastet Dr. Scholz diese Spaltung "den politischen Machern" an, denn "die Zusammenarbeit zwischen Hausärzten und Fachärzten [ist] an der Basis in der Regel gut". (S. 45)

Dr. Scholz ist sich durchaus im klaren darüber, welche Wirkung durch Medien verbreitete Meinungsbilder erzielen. Er weist beispielsweise auf zwei reißerische Titel hin, die die Moderatoren Anne Will und Frank Plasberg anläßlich der Honorarerhöhung der Ärzte 2009 ihren beiden Sendungen im Fernsehen gaben: "Erst Geld, dann Spritze - Wenn der Doktor Bares will" und "Erstklassig kassieren, zweitklassig kurieren - wer stoppt Dr. Maßlos?". Er kommentiert: "Allein die reißerischen Schlagzeilen lassen kaum Objektivität erwarten". (S. 163)

Er selbst bedient allerdings innerhalb des Buches immer wieder gesellschaftliche Klischees, die letzlich nur dem Zweck dienen, Zusammenhänge und Umstände, wie beispielsweise die inakzeptablen Eingriffe der Regierung in die medizinische Versorgung der Bürger und in die Handlungsbefugnisse der Ärzte, zu vertuschen und diese mehr und mehr der Verfügungsgewalt des Staates zu unterstellen.

Beispielsweise beschreibt er auf unsachliche Art und Weise mit der spitzen Bemerkung "morgens Fango, abends Tango", wie jahrelang "gewiefte" Versicherte die stationären und ambulanten Kurmaßnahmen als Zweiturlaub genutzt und damit das "Gesundheitssystem an die Wand" (S. 192) gefahren hätten. Er spricht von "Vollkaskomentalität" und bezeichnet damit das Verhalten der Versicherten, denen über Jahrzehnte von den Krankenkassen suggeriert worden sei, es gäbe "alles auf Krankenschein, man muß es nur fordern" (S. 192) und dies sei hinlänglich ausgenutzt worden. Er erwähnt Zivilisationskrankheiten, meint damit zum Beispiel Diabetes mellitus, Krebs, Übergewicht u.a., deren Behandlung jährlich 15 Milliarden Euro verschluckt. Um der Verschwendung von Versicherungsgeldern beizukommen, sollte man, so Dr. Scholz, vor der Erkrankung einschreiten, d.h. "eine gesunde Lebensweise durch günstige Tarife" fördern. Um das Problem des Übergewichts und den damit verbundenen Folgeerkrankungen zu lösen, schlägt er im Anfangsstadium eine "Nahrungseinschränkung auf das übliche Maß" vor.

Sollen Ärzte also folglich in Zukunft auch Übergewichtige, die nicht willens oder aufgrund ihrer Lebensumstände und -verhältnisse nicht in der Lage sind, ihre Lebensweise zu ändern, ebenfalls nach dem "Mißbrauchsparagraphen" denunzieren und sollen die Versicherten zukünftig nach dem "Selbstverschuldungsprinzip" für die Kosten ihrer Folgeerkrankungen selbst aufkommen?

Dr. Scholz vertritt die Auffassung, im System sei genug Geld vorhanden, es sei nur falsch verteilt. Aus dieser Sicht ist es ihm offensichtlich nur möglich, die auch in den Medien übliche Methode anzuwenden, nämlich Mißbrauch verschiedenster Art zu beklagen, d.h. Schuld zuzuweisen und so von den durch Maßnahmen der Regierung verursachten und sich zuspitzenden verheerenden Mißständen abzulenken. So ist die Situation der Ärzte, die sich im Verlaufe immer ausufernder Reformen zu einer inakzeptablen Praxisführung gezwungen sehen, nicht allein auf das Vorhanden- oder Nichtvorhandensein von Geldern zurückzuführen. Es sind unzählige Beschlüsse der bundesdeutschen Regierungen der letzten Jahrzehnte, die das Gesundheitssystem verändert haben. Spürbar und nachvollziehbar werden diese für den Bürger erst dann, wenn dieser betroffen ist, sei es als chronisch Erkrankter oder als Patient im Krankenhaus, sei es durch Pflegedienste oder als selbst Pflegender innerhalb einer Familie und mittlerweile auch beim Besuch in der Arztpraxis.

Der niedergelassene Kassenarzt hingegen sieht sich mit immer zahlreicheren gesetzlichen Vorgaben konfrontiert, die zu erfüllen er verpflichtet ist. Beispielsweise ist die Anzahl der Patienten, die er behandeln darf, für jeden einzelnen Arzt festgelegt. Diese Zahl ist ausschlaggebend für das Honorar, das er zugestanden bekommt. Behandelt er mehr Patienten, muß er dies aus eigenem Vermögen finanzieren oder er wird für die Überschreitung zur Rechenschaft gezogen. Je nach Fachrichtung und je nach Bundesland unterscheidet sich das festgelegte Honorar, das dem Arzt zugestanden wird, um seine Patienten zu behandeln. Diese sogenannten pauschal festgelegten Praxisbudgets sind verschwindend gering. Es ist kaum nachvollziehbar, wie ein Mediziner für beispielsweise 31,77 Euro pro Quartal (Fallwert für Allgemeinmediziner in Nordrhein) einen Patienten versorgen soll.

2009 wurde das sogenannte Regelleistungsvolumen (RLV) eingeführt. Nach einem komplizierten Berechnungssytem mit unzähligen Multiplikatoren und Begrenzungen wird der Maximalumsatz eines Kassenarztes für den Zeitraum von drei Monaten festgelegt. Dieser maximale Praxisumsatz wird individuell für jedes Quartal neu bestimmt und richtet sich nach der Patientenzahl des Vorjahres des gleichen Quartals. Macht ein Arzt Urlaub und behandelt deutlich weniger Patienten, wirkt sich das drastisch aus auf die für ihn bestimmte Umsatzobergrenze im Quartal des folgenden Jahres. Will er seine Patientenzahl steigern, geht das nur, wenn er quasi kostenfrei ein Mehr an Patienten behandelt, um dann im nächsten Jahr entsprechend mehr Umsatz machen zu können.

Es gibt Arznei- und Heilmittelbudgets, d.h. Obergrenzen für die Abgabe von Medikamenten und Heilmitteln (z.B. Krankengymnastik, Massagen etc). Die inzwischen eingeführten Rabattverträge zwischen Krankenkassen und Pharmaunternehmen verpflichten den Arzt, nur noch bestimmte Medikamente zu verschreiben. Es darf nur eine bestimmte Menge an Sprechstundenbedarf abgerechnet werden. Zuviel angeforderter Bedarf wird bis zu vier Jahre rückwirkend zurückgefordert. Jedem Hausarzt wird nur ein bestimmter Betrag für Labordiagnostik zugestanden. Jeder Arzt ist verpflichtet, Fortbildungen zu besuchen. Strafmaßnahmen sind das Aufkommen aus eigenen Mitteln für zuviel erbrachte Leistungen oder auch schlimmstenfalls der Entzug der Lizenz zur Praxisführung.

Folgen und Wirkungen der Vielzahl an Reformen, die offensichtlich Bürger wie auch niedergelassene Haus- und Fachärzte in erheblichem Ausmaß betreffen, lassen nur einen Schluß zu: Keiner der Regierungen der vergangenen dreieinhalb Jahrzehnte - so sie es auch glauben machen wollten und wollen - ist es um die Durchsetzung einer besseren medizinischen Gesundheitsversorgung für alle Bürger gegangen. So stellt auch Dr. Scholz durchaus fest:

Wer glaubt, Krankenkassen und Politikern ginge es um das Wohl der Bundesbürger, der lebt in einer Traumwelt".
(S. 11)

Feststellbar ist, daß die bundesdeutsche Regierung in alle Bereiche der sozialen Sicherung immer umfassender eingreift und die gesellschaftliche Diskrepanz, also die Schere zwischen arm und reich, immer größer wird. Immer mehr Menschen stehen vor der Situation, ihren Lebensunterhalt unter großen finanziellen und gesellschaftlichen Entbehrungen - unweigerlich unter psychischem Streß und einhergehend mit physischen Leiden - erkämpfen zu müssen. Um so dramatischer ist es, daß die Regierung der Bundesrepublik Deutschland dem Bürger weniger Unterstützung zukommen läßt denn je.

Nach eigener Aussage wollte der Autor mit dem Buch "Die Medizindiscounter" "ein verständliches Aufklärungsbuch zu den Veränderungen im Gesundheitswesen schreiben": Er hofft, mit seinen Zeilen dazu beizutragen, "dass ein Ruck durch die Bevölkerung geht und sie sich gegen eine weitere Verschlechterung der medizinischen Versorgung wehrt" (S. 8). Der Leser vermag tatsächlich auf viele ihn betreffende Fragen auch Antworten zu erhalten. Es bedarf jedoch einigen Durchhaltevermögens und guten Willens, um zu Ziel zu gelangen, denn Dr. Scholz ist, möglicherweise aufgrund seiner Betroffenheit und seines Zornes, nicht in der Lage, seine Erläuterungen sachlich vorzutragen. Immer wieder spickt er sie mit bissigen Bemerkungen, beschuldigt die Versicherten und zeichnet sie mitverantwortlich für das finanzielle Desaster. Angesichts der faktisch geringen Einkommensmöglichkeiten vieler Ärzte erklärt der Autor beispielsweise:

Es ist ohnehin unverständlich, dass ein Fußballstar auf der Ersatzbank mehrere Millionen Euro pro Jahr verdient, ohne dass sich Unmut in der Bevölkerung regt... . Unterhaltung ist eben wichtiger als Gesundheit. Das wussten die alten Römer schon".
(S. 19/20)

Die durch Krankenkassen und Kassenärztliche Vereinigungen festgelegten unglaublich geringen Pauschalbeträge, die dem Arzt innerhalb von drei Monaten zugestanden werden, um einen Patienten zu behandeln, bezeichnet er als äußerst günstigen "Wartungsvertrag", der für die "Wartung Ihres Körpers" als "All-inclusiv-Paket" abgeschlossen wurde (S. 27). An anderer Stelle äußert er sich zu dem Ideenreichtum der Krankenkassen, Ärzte und Patienten an sich zu binden und zu verpflichten:

Welche Grausamkeiten sich die einzelnen Kassen für die an der Versorgung teilnehmenden Ärzte noch ausdenken, steht in den Sternen. Der Kreativität sind hier keine Grenzen gesetzt.
(S. 138)

Das Verhalten eines Arztes, der bereit ist, an den verschiedenen Programmen teilzunehmen, die die Krankenkassen anbieten und wofür sie ihm mehr Geld zukommen lassen, damit er bestimmte Auflagen erfüllt, kommentiert er mit den Worten "für 4 Euro pro Quartal ist nicht jeder Arzt bereit, sich zu prostituieren."

Auf einiges Mißfallen seitens der Leser dürften Aussagen des Autors stoßen wie beispielsweise:

Der Alkoholiker erhält sein Krankengeld, damit er seinen Konsum weiterführen kann, der Heroinabhängige erhält entweder Heroin auf Kassenkosten oder die Ersatzdroge Methadon. (...) Die Ärzte erhalten Zusatzvergütungen für die Versorgung von Süchtigen in der Methadon-Substitution, der Apotheker liefert die Droge Methadon, der Hersteller verdient an der Produktion und die Allgemeinheit begrüßt es, dass die Drogenabhängien weniger zur Beschaffungskriminalität neigen. Ist doch alles ok. Oder nicht?
(S. 197)

Das Anliegen, ein Buch wie "Die Medizindiscounter" zu schreiben, um die Auswirkungen der Reformen auf Bürger und medizinisches Personal, die Veränderungen innerhalb der Strukturen des Gesundheitssystems und der absehbar immer schlechter werdenden Gesundheitsversorgung durch Maßnahmen der Regierung darzulegen, ist mehr als verständlich und sinnvoll. Der Bürger, der auch in anderen in der Verantwortung der Regierung stehenden Bereichen betroffen und in inakzeptable Lebensumstände getrieben ist, kann sich der Art und Weise seiner Ausführungen allerdings nur kritisch entgegenstellen. Er hätte sich sicherlich gewünscht, daß der Autor seine Situation genauer reflektiert und in Folge dessen sich verständnisvoller positioniert hätte. Insgesamt hätte es dem Buch gut getan, wenn Dr. Scholz die Verhältnisse im Gesundheitswesen sachlicher und nüchterner dargestellt hätte.

9. April 2010


Dr. med. Norbert Scholz
Die Medizindiscounter
Der systematische Ausverkauf der haus- und fachärztlichen Medizin in Deutschland
Verlag Neuer Merkur GmbH, München, 1. Auflage 2009
288 Seiten
ISBN 978-3-937346-61-8