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REZENSION/473: James Bamford - The Shadow Factory (NSA-Spionage) (SB)


James Bamford


The Shadow Factory

The Ultra-Secret NSA from 9/11 to Eavesdropping in America



Unter den vielen Journalisten, die zum Thema nationale Sicherheit schreiben, zählt James Bamford, dessen Gastbeiträge unter anderem bei der New York Times, der Washington Post, der Los Angeles Times und dem Londoner Guardian erscheinen und dessen Bücher stets die oberen Plätze der Bestsellerlisten belegen, zu den sachkundigsten. Sein Erstlingswerk "The Puzzle Palace", mit dem er 1982 die Existenz der ultrageheimen National Security Agency (NSA) publik machte, gilt inzwischen als Standardwerk. 2001 sorgte er mit "Body of Secrets", ebenfalls über die NSA, für Aufsehen - vor allem durch Bekanntgabe erstens von Operation Northwoods, einem von Präsident John F. Kennedy verworfenen Plan des Pentagons aus dem Jahr 1961 zur Durchführung fingierter "Terroranschläge" in den USA zwecks Herbeiführung eines Vorwands für einen Krieg gegen Fidel Castros Kuba, und zweitens der explosiven Details des vertuschten Überfalls der israelischen Luftwaffe und Marine auf das US-Aufklärungsschiff Liberty im südöstlichen Mittelmeer während des Sechstagekrieges am 8. Juni 1967. Bei dem berüchtigten Angriff, mittels dessen Tel Aviv eventuell einen atomaren Vergeltungsschlag der 6. US-Flotte gegen Ägypten provozieren wollte, wurden von den 294 Besatzungsmitgliedern der Liberty 34 getötet und 170 verletzt. In "A Pretext for War", das 2004 erschien, beleuchtete Bamford die kriminelle Art und Weise, wie neokonservative Mitglieder der Regierung George W. Bush und ihre israelischen Kampfgefährten die Geheimdiensterkenntnisse der CIA et al. systematisch manipulierten, um Washington den Vorwand für den Einmarsch 2003 in den Irak und den Sturz Saddam Husseins zu verschaffen.

In seinem neusten Buch "The Shadow Factory - The Ultra-Secret NSA from 9/11 to the Eavesdropping on America" wendet sich Bamford erneut seinem Lieblingsthema zu. Im Mittelpunkt der Erörterung stehen die Rolle der NSA bei der laut offizieller Lesart "größten Geheimdienstpanne der Geschichte", nämlich der Nicht-Verhinderung der Flugzeuganschläge auf das New Yorker World Trade Center und das Arlingtoner Pentagon, und die Konsequenzen, welche die Ereignisse des 11. September 2001 für Amerikas elektronischen Nachrichtendienst hatten. Bamford hält sich bei seiner Untersuchung der Versäumnisse im Vorfeld von 9/11 weitestgehend an die Version des FBI, was die konkrete Tatplanung und Ausführung betrifft. Dies hat seine wundersame Seiten, so zum Beispiel, wenn er auf Seite 60 über die Einzelheiten jener Vier-Augen-Gespräche berichtet, die Mohammed Atta und Ramsi Binalschibh bei einem mehrtägigen Treffen im Juli 2001 in Spanien geführt haben sollen. Da drängt sich die Frage auf, wo er dieses Wissen herhaben will, da Atta tot sein soll und Binalschibh in Guantánamo Bay alle Anzeichen einer Geisteskrankheit aufweist. Ebenfalls ist die Aussage auf Seite 94, der American-Airlines-Flug 77, eine größtenteils aus Leichtmetall gebaute Boeing 575-200, hätte das Pentagon "mit einer solchen Wucht" [*] getroffen, daß sie vier der fünf konzentrischen Ringe des massiven Gebäudes "durchdrungen" [*] [2hätte, unter unabhängigen Bauexperten, die sich mit dem Thema beschäftigen, nicht unumstritten.

Bamford geht ausführlich auf den Komplex Chaled Al Midhar und Nawas al Hasmi, zwei der mutmaßlichen neunzehn Hijacker des 11. September, ein. Die beiden Al-Kaida-Mitglieder sollen zur Jahreswende 1999/2000 an einem "Terrorgipfel" in Kuala Lumpur teilgenommen haben, wo sie im Auftrag der CIA vom malaysischen Geheimdienst observiert wurden, bevor sie anschließend völlig ungehindert über Bangkok in die USA einreisten, um sich auf die 9/11-Operation vorzubereiten. Bis heute haben die Verantwortlichen in Langley keine plausible Erklärung abgegeben, warum sie damals weder das FBI noch die Einwanderungsbehörde INS von der bevorstehenden Landung der beiden als hochgefährlich eingestuften Anhänger Osama Bin Ladens auf dem Internationalen Flughafen von Los Angeles unterrichtet haben.

Nach den jüngsten Erkenntnissen Bamfords hatte die NSA noch mehr als die CIA Al Hasmi und Al Midhar über einen längeren Zeitraum im Visier gehabt und es dennoch versäumt, die Kollegen bei den anderen 15 US-Geheimdiensten darüber in Kenntnis zu setzen. Demnach hatte die NSA die Mobiltelefone der beiden Selbstmordattentäter in spe bereits lange vor dem "Terrorgipfel" in der Hauptstadt Malaysias abzuhören begonnen und die akustische Beschattung fortgesetzt, als diese in die USA einreisten. Während des fast zweijährigen Aufenthalts Al Hasmis und Al Midhars in den USA sollen die Lauschexperten in Fort Meade permanent ihre Gespräche mit anderen Al-Kaida-Mitgliedern im Nahen Osten mitgehört haben und über ihren genauen Aufenthaltsort im Bilde gewesen sein.

Bamford beklagt sich, daß nichts über den gelungenen NSA-Lauschangriff auf Al Midhar und Al Hasmi Eingang in den Untersuchungsbericht fand, den im Sommer 2004 die Mitglieder der "unabhängigen" 9/11-Kommission der amerikanischen Öffentlichkeit vorlegten. Ihm selbst sind jedoch einige Versäumnisse in diesem Zusammenhang vorzuwerfen. Zwar erwähnt Bamford, daß die beiden erklärten Feinde Amerikas während ihres Aufenthalts in San Diego bei Abdusattar Scheich, dem wichtigsten FBI-Informanten in der islamistischen Szene der Hafenstadt, zur Untermiete wohnten, doch zur Person Omar Al Bayoumis, der sich monatelang um Al Hasmi und Al Midhar nach deren Ankunft in Kalifornien kümmerte, versäumt er zu erwähnen, daß dieser ein mutmaßliches Mitglied des saudischen Geheimdienstes gewesen ist. Unerwähnt bleiben auch stichhaltige Hinweise, wonach die beiden "Topterroristen" ihre Unterhaltskosten von Prinzessin Haifa, der Ehefrau Prinz Bandars, des damaligen saudischen Botschafters in Washington, der bekanntlich ein enger Freund der Familie Bush ist, finanziert bekamen, und zwar von ihrem Konto bei der Riggs Bank in Washington (Diese und andere peinliche Informationen sind der Grund, warum 27 Seiten des gemeinsamen Untersuchungsberichts der Geheimdienstausschüsse vom Repräsentantenhaus und Senat zum Thema 9/11 vor seiner Veröffentlichung im Juli 2003 auf Geheiß des Weißen Hauses ausgeschwärzt wurden).

Ein wichtiger Aspekt des neuen Buchs Bamfords ist die Frage, ob vor dem 11. September eine vielleicht restriktive Gesetzgebung in den USA die Abwehr vor "terroristischen" Gefahren behindert habe. Gemeint ist hier vor allem das 1978 unter dem Eindruck der Watergate-Affäre und des Machtmißbrauchs durch die Regierung Richard Nixons vom Kongreß verabschiedete Federal Intelligence Surveillance Act (FISA). Unter anderem unter Hinweis auf die erfolgreiche Beschattung von Al Midhar und Al Hasmi, die aus unerklärlichen Gründen nicht rechtzeitig ergriffen wurden, beantwortet Bamford selbst die Frage mit einem Nein. Bedenkt man, welchen Raum das Thema FISA im Buch einnimmt, stimmt es nachdenklich, daß Bamford mit keinem Wort den Fall Zacarias Moussaoui erwähnt. Der sogenannte "20. Hijacker" war bereits am 16. August 2001 aufgrund sonderbaren Verhaltens an einer Flugschule in Minnesota verhaftet worden. Das FBI in Minneapolis wollte beim FISA-Gericht einen Durchsuchungsbefehl erwirken, um den Laptop und die Telefonverbindungen des marokkanischstämmigen Franzosen zu überprüfen, doch alle ihre Bemühungen wurden von den Vorgesetzten in Washington systematisch torpediert. Dafür, diesen himmelschreienden, inzwischen längst vergessenen Skandal publik gemacht zu haben, wurde Coleen Rowley, zum fraglichen Zeitpunkt die zuständige FBI-Anwältin in Minneapolis, vom Nachrichtenmagazin Time zur Person des Jahres 2002 ernannt.

Nach dem 11. September hat Bush jun. per geheimem Exekutivbefehl die NSA angewiesen, ohne richterliche Genehmigung den gesamten Telefon- und E-Mail-Verkehr der USA nach Verdächtigem abzugrasen. Als am 16. Dezember 2005 die New York Times dies bekanntmachte, löste es eine heftige Kontroverse aus, die bis heute immer noch nicht ganz abgeklungen ist. Viele Bürger der USA sahen ihr in der Verfassung verbrieftes Recht auf eine Privatsphäre ohne staatliche Schnüffelei verletzt. Es klagten zahlreiche Anwälte, Experten - darunter auch James Bamford - und Bürgerrechtsgruppen wie die American Civil Liberties Union (ACLU) gegen die führenden US-Telekomunternehmen wie AT&T und Verizon, die illegalerweise der NSA Zugang zu ihren Netzen gewährt hatten. Wegen der Schadensersatzforderungen in Milliardenhöhe, welche den am Terrorist Surveillance Program (TSP) beteiligten Firmen drohten, und der Gefahr, daß weitere brisante Details des gigantischen Lauschangriffs bekannt werden könnten, drängte das Weiße Haus Repräsentantenhaus und Senat, ein entsprechendes Immunitätsgesetz zu verabschieden. Nach mehr als zwei Jahren erbitterter Streitereien beugten sich die gewählten Volksvertreter - unter ihnen der damalige demokratische Senator aus Chicago, Barack Obama, entgegen dem anderslautenden, beim Kampf um die Präsidentschaft abgegebenen Versprechen - diesem Wunsch.

In "The Shadow Factory" beschreibt Bamford, der während des Vietnamkrieges selbst drei Jahre beim US-Marinegeheimdienst war, mit großer Liebe für technische Details, welche ungeheuren, für die meisten Menschen schier unvorstellbaren Überwachungsmöglichkeiten der in Fort Meade ansässigen NSA, die der größte Arbeitgeber des Bundesstaates Maryland ist, inzwischen zur Verfügung stehen. Die NSA und die mit ihr zusammenarbeitenden Unternehmen der modernen Sicherheitsindustrie überwachen praktisch sämtliche digitalen Datenübermittlungen auf der ganzen Welt. Wer meint, diese Big-Brother-Maschinerie hätten nur potentielle Selbstmordattentäter und deren Hintermänner zu befürchten, der irrt sich gewaltig. In den USA ist die Liste der "Terrorverdächtigen" auf über eine Million Namen angewachsen. Bis auf wenige Ausnahmen sind die Betroffenen, die wegen der Eintragung teilweise kein Flugzeug mehr besteigen dürfen, völlig unschuldige Bürger. Viele von ihnen haben nichts Schlimmeres gemacht, als irgendwann einmal ganz im demokratischen Sinne an einer friedlichen Anti-Kriegsdemonstration teilzunehmen. Noch vor wenigen Tagen hat die australische Regierung im Parlament von Canberra ein Gesetz durchgepeitscht, demzufolge Protestaktionen gegen die riesige Abhörstation Pine Gap, an deren Betrieb auch die NSA beteiligt ist, als terroristische Straftaten geahndet werden können. Und wie brutal und menschenverachtend die deutschen Behörden mit den Gegnern des G8-Gipfels in Heiligendamm vor zwei Jahren umgegangen sind, zeigt, daß dieselbe bedrohliche Entwicklung auch hierzulande im Gange ist. Nicht umsonst warnt Bamford am Ende seines hochaufschlußreichen Buchs davor, daß die USA - und mit ihnen natürlich die übrigen Industrienationen - "am Abgrund" [*] zum Polizeistaat stehen.

24. März 2009

* Für die Übersetzungen aus dem englischen Original zeichnet die Schattenblick-Redaktion verantwortlich.


James Bamford
The Shadow Factory
The Ultra-Secret NSA from 9/11 to the Eavesdropping on America
Doubleday, New York, 2008
396 Seiten
ISBN: 978-0-385-52132-1