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REZENSION/446: Mike Davis - Eine Geschichte der Autobombe (SB)


Mike Davis


Eine Geschichte der Autobombe



Mit beeindruckenden Studien über Stadtentwicklung wie "City of Quartz: Excavating the Future in Los Angeles" (1990), "Beyond Blade Runner: Urban Control The Ecology of Fear" (1992), "Ecology of Fear: Los Angeles and the Imagination of Disaster" (2000) und "Planet of Slums" (2006) ist Mike Davis zu einem der weltweit führenden Chronisten moderner und postmoderner Urbanität in all ihren positiven und negativen Schattierungen geworden. In seinem jüngsten, aufschlußreichen Buch wendet sich der 1946 geborene Kalifornier der Geschichte der Autobome zu, die, wie er zurecht konstatiert, das Großstadtleben im 20. Jahrhundert maßgeblich geprägt hat und dies auch im 21. Jahrhundert weiterhin tut.

In der englischen Originalversion trägt Davis' "Geschichte der Autobombe" den Titel "Buda's Wagon", um auf den allerersten Bombenanschlag hinzuweisen, bei dem die Sprengladung in einem Straßenverkehrsmittel versteckt war. Es handelt sich hier um jenen Anschlag, der sich am 16. September 1920 an einer Ecke der New Yorker Wall Street ereignete. Die Bombe, eine Mischung aus gestohlener Sprenggelatine und Eisenschrott, tötete bei der Explosion 38 Menschen, verletzte weitere 400 schwer und richtete erheblichen Sachschaden im Finanzviertel Südmanhattans, vor allem am Bankhaus J. P. Morgan an, vor dem das verwendete Transportfahrzeug, ein von einem Pferd gezogener Lieferwagen, gestanden hatte.

Als wahrscheinlicher Täter gilt der italienische Immigrant Mario Buda, der gegen die Verhaftung seiner Freunde, der beiden Anarchisten Nichola Saccho und Bartholomeo Vanzetti, wegen Mordes in Verbindung mit einem Banküberfall ein deutliches Protestzeichen gesetzt haben soll, kurz nach dem Anschlag in sein Heimatland zurückging und deshalb niemals belangt wurde. Vorstellbar wäre auch, daß staatliche Stellen den Anschlag durchgeführt haben, um die Anarchisten und mit ihnen die gesamte radikale Linke, die damals in den USA vor dem Hintergrund jenes kapitalistischen Völkermordes, den wir den Ersten Weltkrieg nennen, und der gelungenen Arbeiterrevolution in Rußland sehr stark war, zu diskreditieren (Saccho und Vancetti, die 1927 hingerichtet wurden, haben sich bis zum Schluß als Bauernopfer einer politischen Intrige betrachtet. Die meisten Historiker stimmen dieser Interpretation der Ereignisse inzwischen zu).

Wer diese These für abwegig hält, wird durch die vielen Hinweise Davis' auf die Verwicklung staatlicher Geheimdienstler und Militärs in diverse Autobombenanschläge bzw. -anschlagsserien der letzten Jahrzehnte eines Besseren belehrt. Zu den angeführten Beispielen gehören: die zwielichtige Rolle der CIA-Aufstandsbekämpfungskoryphäe Edward Landsdale, Vorbild für die Hauptfigur in Graham Greenes berühmtem Vietnamroman "Der stille Amerikaner", beim Anschlag vor der Saigoner Oper 1952; die "massive Mordkampagne" der französischen Organisation de l'Armée Secrete (OAS) Ende 1961, Anfang 1962 in Algerien (innerhalb von zwölf Monaten 2360 Tote und 5418 Verletzte); der Mehrfachanschlag protestantischer, von Elementen der britischen Armee unterstützter Loyalisten in Dublin und Monaghan, der 1974 dazu beitrug, eine friedliche Beilegung der nordirischen "Troubles" zu torpedieren; die Bombenanschläge der Israelis und der CIA im Bürgerkriegslibanon der siebziger und achtziger Jahre; die von der CIA finanzierte und ihrem pakistanischen Schwesterdienst Inter-Services Intelligence (ISI) organisierte, militärische Ausbildung jener islamischer Fundamentalisten für den Afghanistankrieg gegen die Sowjetunion, die spätestens seit dem 11. September 2001 als Al Kaida den Westen in Angst und Schrecken versetzen.

Tatsächlich ist es aber so, daß Davis eine ganze Menge Hinweise auf dasselbe perfide Phänomen verschweigt. Er macht sich lustig über diejenigen, die bis heute nicht glauben, daß Timothy McVeigh und Terry Nichols den Oklahoma-Anschlag vom 19. April 1995 alleine durchgeführt haben, obwohl alle Indizien dafür sprechen, daß der ehemalige Bundeswehroffizier Andreas Strassmeir als ausgeliehener V-Mann des Bundesnachrichtendienstes im Auftrag der US-Geheimdienste McVeigh beim Bau der Lastwagenbombe half, wenn nicht sogar ihn instruierte. Durch den Oklahoma-Anschlag verlor die damals starke Milizen-Bewegung in den USA viel Sympathie und einen Großteil ihrer Mitglieder. [1] Davis erwähnt zudem weder die nachgewiesene Rolle des FBI beim ersten Anschlag auf das New Yorker World Trade Center am 26. Februar 1993 [2] noch die Tatsache, daß die Täter bei diesem "Terrorangriff" sowie beim Doppelanschlag auf die US-Botschaften in Nairobi und Daressalam am 10. August 1998 von Ali Mohamed, einem aus Ägypten stammenden Mitglied der US-Spezialstreitkräfte, ausgebildet wurden. In den neunziger Jahren war Mohamed als Leibwächter - und eventuell auch CIA-Verbindungsmann - Osama Bin Ladens tätig, bis er 2001 im Zeugenschutzprogramm des US-Justizministeriums auf Nimmerwiedersehen verschwand. [3]

Ebenfalls sucht man in Davis' ansonsten recht ausführlichem Bericht über die unzähligen Autobombenanschläge im Irak seit dem angloamerikanischen Einmarsch 2003 vergeblich den Hinweis, daß offenbar nicht allzu selten diejenigen, die als Fahrer eines mit Sprengstoff präparierten Fahrzeugs bei der Explosion sterben, keine Selbstmordattentäter, sondern völlig unschuldige Menschen sind, die keinen blassen Schimmer haben, welche tödliche Fracht sie transportieren. Über solche simulierten Selbstmordanschläge, die dem Zweck zu dienen scheinen, Haß und Zwietracht unter den verschiedenen ethnischen und religiösen Gruppen des Iraks zu säen und das Aufkommen eines einheitlichen nationalen Widerstands zu verhindern, berichteten in den letzten Jahren unter anderem die Bagdader Bloggerin Riverbend, der preisgekrönte englische Nahost-Korrespondent Robert Fisk und die US-Zeitungsgruppe McClatchy Newspapers. [4]

Zwar hat Davis viele Details zahlreicher historisch bedeutender Vorgänge zum Beispiel beim erbarmungslosen Kampf der zionistischen Stern-Gang gegen die Briten im besetzten Palästina, der Irisch-Republikanischen Armee (IRA) gegen die Briten in Nordirland, der Tupac Amaru gegen die Regierung Perus oder der tamilischen Tiger um Unabhängigkeit vom restlichen, mehrheitlich buddhistisch bewohnten Sri Lanka zusammengetragen, dennnoch hat man manchmal das Gefühl, es mit einer geschichtstechnologischen Abhandlung zu tun zu haben, die genauso gut von der RAND Corporation, der dem Pentagon nächststehenden Denkfabrik, hätte stammen können. Wenn Davis die Autobombe zum Beispiel als eine "faschistische Waffe" bezeichnet, dann ist das mitnichten der Weisheit letzter Schluß, sondern eine hilflos wirkende Nullaussage. Selbstverständlich ist Gewalt schlecht und findet in der motorisierten Gesellschaft mit der Autobombe einen brutalen Ausdruck, doch mit einem grundlegend kritischeren Ansatz hätte man einem faszinierenden, wie abstoßenden Sujet möglicherweise etwas mehr abgewonnen, als es mit der vorliegenden Lektüre geschehen ist.


Fußnoten:

[1] William F. Jasper, "Terror, Lies & Memos", The New American, 28. November 2005; J. D. Cash, "New O KC Bombing Suspect to be Named at Nichols Trial", McCurtain Daily Gazette, 29. Januar 2004; J. D. Cash & Lt. Col. Roger Charles, "Morris Dees had Informant at Elohim City before OKC Bombing", McCurtain Daily Gazette, 14. Dezember 2003, Justin Raimondo, "In Defense of Gore Vidal", Antiwar.com, 9. Mai 2001; David Hoffman, "The Oklahoma City Bombing and the Politics of Terror", Feral House, 1998.

[2] Ralph Blumenthal, "Tapes Depict Proposal to Thwart Bomb used in Trade Center Blast", New York Times, 28. Oktober 1993.

[3] Peter Lance, "Triple Cross: How bin Laden's Master Spy Penetrated the CIA, the Green Berets and the FBI - and Why Patrick Fitzgerald Failed to Stop Him", Regan Books, 2006 (Besprochen im SCHATTENBLICK unter INFOPOOL\BUCH\SACBUCH\REZENSION/377).

[4] Riverbend, "The Dead and the Undead", Blog "Bagdad Burning", 18. Mai 2005; Robert Fisk, "Seen through a Syrian lens, 'unknown Americans' are provoking civil war in Irak", Independent (UK), 29. April 2006; Mike Drummond & Mohammed El Dulaimy, "Despite U.S. military surge, car bombings stay at same levels", McClatchy Newspapers, 9. Juli 2007.

1. Juli 2008


Mike Davis
Eine Geschichte der Autobombe
(Aus dem Englischen "Buda's Wagon - A Brief History of the Car Bomb"
übersetzt von Klaus Viehmann)
Verlag Assoziation A, Berlin, 2007
227 Seiten
ISBN: 978-3-935936-58-3