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REZENSION/424: Karen Armstrong - Kleine Geschichte des Islam (SB)


Karen Armstrong


Kleine Geschichte des Islam



Nicht erst seit den Flugzeuganschlägen vom 11. September 2001 scheinen der Westen und die islamische Welt in einen Kampf der Kulturen geraten zu sein, der Tod und Zerstörung in einem alptraumartigen Ausmaß über die Menschen bringt. Noch lange vor Osama Bin Laden waren es Ajatollah Khomeini, Muammar Gaddhafi und Saddam Hussein, welche die dunkle Bedrohung der westlichen Zivilisation verkörpern sollten. In den heutigen Zeiten des sogenannten "Antiterrorkrieges", den viele Araber, Paschtunen, Perser und andere für einen Kreuzzug gegen den Islam halten, müssen Europäer und Nordamerikaner in den Ländern Nordafrikas sowie Süd-, West- und Zentralasiens befürchten, von religiös-motivierten Widerstandsgruppen als Geisel genommen zu werden, während Muslime in der EU, in Kanada und in den USA unter Generalverdacht stehen, eine fünfte Kolonne des Propheten zu bilden, und im schlimmsten Fall damit rechnen müssen, nach Guantánamo Bay verschleppt zu werden oder in irgendwelchen hochgeheimen Foltergefängnissen der CIA, die nicht umsonst "black sites" heißen, auf Nimmerwiedersehen zu verschwinden.

Aktuell verteidigt die Bundeswehr Deutschland am Hindukusch, während die USA in Bagdad eine der wichtigsten Städte der islamischen Welt besetzt halten und gleichzeitig den Iran wegen seines Atomprogramms mit Krieg bedrohen. Hinzu kommen der scheinbar niemals endende Nahost-Konflikt, die Instabilität Pakistans und die Dauerunterstützung des Westens für diverse Unrechtsregime in der Region - beste Beispiele sind Ägypten, Algerien und Saudi-Arabien. Also ist eine Entspannung zwischen Okzident und Orient noch lange nicht in Sicht.

Im Westen wird häufig die Meinung vertreten, das große Problem seien die Moslems, deren Religion rückständig sei und eine Übernahme der Demokratie einschließlich der Trennung von Moschee und Staat unmöglich mache. Der Islam wird als blutrünstig und seine eifrigsten Verfechter werden als "Fanatiker" dargestellt. So in etwa lautete die wesentliche Botschaft von US-Präsident George W. Bush, als er zur Erklärung der unfaßbaren Angriffe auf das New Yorker World Trade Center behauptete, die mutmaßlichen Täter und ihre Hintermänner vom Al-Kaida-"Netzwerk" Bin Ladens seien von Haß auf "unsere Freiheit" getrieben gewesen. Nicht unähnlich argumentierte Papst Benedikt XVI. vor zwei Jahren in seiner Regensburger Rede, als er behauptete, während das Christentum die Menschen zur Vernunft führe, verlange der Islam die bedingungslose Unterwerfung. Kurz ausgedrückt hieße das, wir seien selbstbestimmte Individuen, die Moslems dagegen willenlose Roboter, die von finsteren Mullahs ferngesteuert werden.

Entschiedenen Widerspruch erfuhr der Papst damals wegen dieser umstrittenen Rede von der britischen Religionswissenschaftlerin Karen Armstrong. In einem Kommentar, der am 18. September 2006 im Londoner Guardian erschien, hielt die ehemalige Nonne dem Oberhaupt der römisch-katholischen Kirche vor, "althergebrachte Vorurteile gegen den Islam" zu verbreiten, und mit seinen "gefährlichen" Äußerungen "noch mehr Moslems" in der Ansicht bestätigt zu haben, "daß der Westen heillos islamfeindlich eingestellt" ist. Daß die harsche Kritik am Papst begründet war, läßt sich in Armstrongs höchst empfehlenswertem Buch "Kurze Geschichte des Islam" nachlesen, das gerade in der zweiten Auflage auf deutsch erschienen ist. Wie Armstrong immer wieder betont, hat es in den fast 1400 Jahren seit den Offenbarungen Mohammeds zahlreiche namhafte Denker im Islam gegeben, die sich gegen blinden Glauben aussprachen und für die Vernunft als größtmögliche Annäherung an Gott eintraten.

Laut Armstrong, die seit 1982 20 zum Teil sehr erfolgreiche Bücher über Religion geschrieben hat, liegt es nicht am Islam, sondern an den geopolitischen Umständen, daß sich die Demokratie zwischen Atlas und Himalaya nicht durchgesetzt hat. Häufig genug waren es die westlichen Imperialmächte, die aus politisch-ökonomischen Gründen den Willen der einfachen Menschen in besagtem Gebiet verneint haben. Die Beispiele reichen vom CIA-Sturz Mossadeghs 1953 im Iran bis zur Nicht-Anerkennung des legitimen Sieges der "radikal-islamischen" Hamas bei den Parlamentswahlen in den besetzten palästinensischen Gebieten 2006. Konsterniert stellt Armstrong fest, daß die westliche Presse mit "eitlem Jubel" auf den Militärputsch reagierte, mit dem 1992 die islamische Rettungsfront (FIS) in Algerien um ihren sicheren Sieg bei den Wahlen gebracht wurde. Danach folgte in dem Maghreb-Staat ein jahrelanges Blutvergießen, das mehreren hunderttausend Menschen das Leben kostete und vom Westen stillschweigend geduldet wurde.

Die 1944 geborene Armstrong, deren Kenntnisse vom Christentum, Judentum und Buddhismus ebenfalls umfassend sind, bescheinigt dem Islam vor allem einen Hang zur sozialen Gerechtigkeit und zum Pragmatismus. Mit vielen Details und noch mehr Verständnis für die geschichtlichen Zusammenhänge erläutert sie, wie sich der Islam von einer kleinen Sekte arabischer Nomaden und Händler zur zahlenmäßig größten Glaubensgemeinschaft der Erde entwickeln konnte und wie sich der Kontakt zu anderen Kulturen wie der jüdischen, der byzantinischen, der mongolischen und der hinduistischen seine Spuren hinterlassen hat. Auch die Entstehung und die Bedeutung der diversen Strömungen innerhalb des Islam wie des Sunnitentums, Schiitentums und Ismaelitentums werden nachvollziehbar erklärt. Im islamischen Fundamentalismus und in der Entscheidung einiger Moslems, zur Waffe zu greifen, sieht Armstrong eine zum Teil verständliche Reaktion auf eine von außen erfolgte Aufoktroyierung politischer Verhältnisse. Sie plädiert dafür, die Muslime einen eigenen "Weg in die Moderne" finden zu lassen, wie es Westeuropäer und Nordamerikaner über mehrere Jahrhunderte hin getan haben.

Da Armstrongs "Kleine Geschichte des Islam" in der englischen Originalversion 2000 erschienen ist, hinterläßt sie in gewisser Weise einen bitteren Nachgeschmack. Das damalige Plädoyer der Autorin für einen "gesunden und starken" Islam, weil dies auch im 21. Jahrhundert im Interesse der Menschen im Westen sein müßte, klingt hoffnungslos utopistisch angesichts der unheilvollen Entwicklung, die wir in den vergangenen sieben Jahren der Nahost-Kriege und der verheerenden "Terroranschläge" erlebt haben. Vor dem Hintergrund wachsenden Mißtrauens gegenüber den muslimischen Mitbürgern in Europa wäre eigentlich für jeden eine, wie Armstrong sagt, "genauere Einschätzung des Islam" vonnöten. Hierzu eignet sich ihre kurze Führung durch eines der wichtigsten Gedankengebäude der gesamten Menschheit vortrefflich.

29. Januar 2008


Karen Armstrong
Kleine Geschichte des Islam
(Aus dem Englischen von Stephen Tree)
Berliner Taschenbuch Verlag, Berlin, 2. Auflage, Dezember 2006
296 Seiten
ISBN-10: 3-8333-0170-8
ISBN-13: 978-3-8333-0170-8