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REZENSION/398: A. Groth, T. Kneifel - Europa plündert Afrika (SB)


Annette Groth, Theo Kneifel


Europa plündert Afrika

Der EU-Freihandel und die EPAs



Wer vor einigen Jahren einen der bunten, belebten und vielstimmigen Straßenmärkte Yaundés entlanggeschlendert ist, wird eine erstaunliche Entdeckung gemacht haben: ehemals gefrorenes Hühnerklein aus der Europäischen Union, und das zu einem Preis, der das örtliche Preisniveau für Hühnerfleisch deutlich unterschreitet. Wie kann das sein? Liegen nicht die Produktionskosten für Hühner in Europa deutlich über denen Kameruns? Müßten nicht zusätzlich die Gefrier- und die Transportkosten zu Buche schlagen, die ein gravierender betriebswirtschaftlicher Faktor sind?

Ja, selbstverständlich ist Europa ein teurerer Produktionsstandort als Kamerun, und nochmals ja, die Transportkosten schlagen erheblich zu Buche. Das Hühnerklein aus Europa konnte nur deshalb auf den Märkten der kamerunischen Hauptstadt billiger als die heimische Ware angeboten werden, weil es von der Europäischen Union stark subventioniert wurde. Aufgrund dieser Subventionspolitik gingen über 90 Prozent der Geflügelzüchter in Kamerun pleite, denn sie blieben auf ihrem Hühnerfleisch sitzen oder mußten es unterhalb der Produktionskosten veräußern. Erst nach heftigen Protesten hatte Kameruns langjähriger Präsident Biya einen Importzoll in Höhe von zwanzig Prozent eingeführt und damit das Preisniveau dem der heimischen Züchtung von Hühnern einigermaßen angeglichen. Die Geflügelproduktion erholte sich nur langsam von dem Schock.

An diesem Beispiel wird eine prinzipielle Täuschung der Bezeichnung "freie Marktwirtschaft" deutlich. "Markt" und "frei" sind unvereinbar. Ob Rinderzüchter in Namibia, Baumwollbauern in Burkina Faso oder eben jene Geflügelproduzenten in Kamerun, sie alle stehen in Konkurrenz zu den hochgradig subventionierten Landwirten in der Europäischen Union und den USA und unterliegen ihnen auf dem Weltmarkt, in den die kamerunische Wirtschaft strukturell fest eingebunden ist.

Damit diese hier beispielhaft aufgeführte Hierarchie unter den vermeintlich gleichwertigen Marktteilnehmern Afrikas und Europas erhalten bleibt, hat die EU ihre früheren Freihandelsabkommen Lomé I bis IV, die sie mit 77 AKP-Staaten (aus Afrika, dem karibischen und pazifischen Raum) abgeschlossen hatte, im Jahr 2000 durch das Partnerschaftsabkommen von Cotonou ersetzt. Im Rahmen dieses Vertragswerks sollen mit sechs Regionalgruppen sogenannte EPAs (Economic Partnership Agreements - Wirtschaftspartnerschaftsabkommen) geschlossen werden. Bis Dezember dieses Jahres will die EU die bisherigen Handelspräferenzen, von denen die AKP-Staaten aufgrund ihrer benachteiligten Situation als ehemalige Kolonien partiell profitieren durften, abschaffen. Das wird nach Einschätzung von Wirtschaftsexperten und einer Bewegung von Nichtregierungsorganisationen (NGO) aus Afrika und Europa verheerende Konsequenzen für die verarmten Länder des Südens haben.

Denn auf dem Weltmarkt wird von vornherein mit ungleichen Spießen gefochten. Eine der zentralen Forderungen der EU-Verhandlungsführer lautet Abbau der Zollschranken in den AKP-Staaten. Das obige Eingangsbeispiel verdeutlicht, daß die Beseitigung dieser Hürden vergleichbar wäre mit dem vollständigen Ablegen der letzten verbliebenen Schutzmaßnahmen der absichtlich nicht mehr als Block, sondern voneinander getrennt behandelten AKP-Staaten gegenüber den Investoren der Europäischen Union.

Im Jahr 2020 läuft das Cotonou-Abkommen aus. Bis dahin soll die sogenannte wechselseitige Liberalisierung nahezu vervollständigt sein. Das vorliegende, 94 Seiten umfassende Büchlein von Annette Groth und Theo Kneifel führt in zehn Kapiteln und einem längeren Anhang auf knappe, aber sehr informative Weise in die Entstehungsgeschichte der EU-AKP-Handelsabkommen und die wichtigsten Bestandteile der EPAs ein; selbstverständlich wird vor allem auf die absehbaren Konsequenzen der Verarmung der Länder verwiesen.

Zu der Frage, warum sich die EU von ihrem Präferenzsystem verabschiedet, zitiert das Autorengespann aus einem interministeriellen Positionspapier der Bundesregierung zur Reform des Lomé-Abkommens aus dem Jahre 1997, in dem es heißt, daß sich die "außenpolitischen und außenwirtschaftlichen Interessen der EU seit dem 1. Lomé-Abkommen von 1975 verändert" hätten. Der Kampf um Exportmärkte fände vorwiegend in Südostasien und in Mittel- und Osteuropa sowie in Südafrika statt. Dagegen habe "die außenwirtschaftliche Bedeutung der AKP-Länder angesichts ihres niedrigen Anteils am Welthandel sowie des geringen Investitionsstroms aus der EG in diese Länder kontinuierlich abgenommen" (S. 19).

In einem anderen Papier, das ebenfalls 1997 erstellt und vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) veröffentlicht wurde, wird im Bürokratenjargon gefordert, die Handelspräferenzen ersatzlos zu streichen und das Lomé-Abkommen auf "konditionierte finanzielle Zusammenarbeit" (S. 22) zu reduzieren. Mit anderen Worten, die EU-Staaten verknüpfen ihre Handelsabmachungen mit Eingriffen in die politischen Strukturen der jeweiligen Länder (wobei es sich umgekehrt die EU-Politiker verbäten, wenn die AKP-Staaten ihrerseits auf gute Regierungsführung pochten und beispielsweise die Beteiligung der EU-Staaten an Angriffskriegen monierten - um nur ein Beispiel zweifellos "schlechter Regierungsführung" zu nennen).

Die Autoren des vor zehn Jahren erstellten BMZ-Berichts waren sich darüber im klaren, daß sich ohne die früheren Präferenzen der Charakter des Lomé-Abkommens grundlegend wandeln würde und daß dies politisch nicht durchsetzbar sei. Dennoch ließen sie von ihrer Idee nicht ab, sondern empfahlen, daß die EU nicht mehr mit allen AKP-Staaten auf einen Schlag, sondern statt dessen bilaterale Freihandelsabkommen schließen sollte, weil diese den Vorteil besäßen, daß es "zu einem Systemwettbewerb zwischen liberalisierungsbereiten und liberalisierungsunwilligen AKP-Staaten käme, in dem der langsamste AKP-Staat nicht mehr die Möglichkeit hätte, das Tempo der anderen zu bestimmen" (S. 22).

Die AKP-Staaten sollten also gegeneinander ausgespielt werden. Heute, zehn Jahre darauf, ist die EU diesem Ziel ein erhebliches Stück näher gerückt. Wobei der Maßstab "Liberalisierung" im obigen Zitat ein Euphemismus dafür ist, wie weitreichend die Entwicklungsländer bereit sind, die Bedingungen der EU zur ersatzlosen Preisgabe ihrer wenigen verbliebenen Schutzmöglichkeiten der heimischen Produktivkräfte zu schlucken. Typisch für die Denkweise der Handelsstrategen der EU ist die Gleichsetzung von "langsamer AKP-Staat" und Widerstand gegen die Präferenzstreichung.

In einem 300 Seiten umfassenden Bericht einer Delegation des Europa-Ausschusses der Französischen Nationalversammlung vom Juli 2006 wird nach Ansicht Groths und Kneifels "die schärfste Kritik" an der EU-Kommission geübt (S. 62). In dem sogenannten "Lefort-Bericht" werden nach gründlichem Studium der EPAs vier "Schockwellen" durch die Freihandelsabkommen vorausgesagt: Durch den Wegfall der Einfuhrzölle werde es zu einem Finanzschock kommen (die Staaten werden gezwungen sein, sich tiefer zu verschulden); zweitens werde es einen Schock aufgrund der fixierten Wechselkursanpassungen auf die Preise einheimischer Produkte, Einkommen und soziale Dienstleistungen geben (die AKP-Staaten würden sich ihrer währungspolitischen Instrumente entledigen und nicht verhindern können, daß die in ihrem Währungsraum geleistete Arbeit als weniger wert erachtet wird als eine vergleichbare Arbeit im Währungsraum der EU); drittens käme es zu einem industriellen Schock, weil in den AKP-Staaten die kleineren und mittleren Unternehmen von der europäischen Konkurrenz weggefegt würden (mit der Folge, daß die Staaten zu bloßen Produktionsstandorten mit absehbar extrem hoher Arbeitslosigkeit verkommen); und schließlich würde es auch zu einem landwirtschaftlichen Schock kommen, da der Subsistenzwirtschaft der Boden entzogen würde (womit die Lebensgrundlage für rund 70 Prozent der Einwohner der AKP-Staaten gefährdet wäre).

Die Forderungen der EPA-Gegner erweisen sich allerdings bei genauerer Betrachtung als ungenügend. Typischerweise hieß es in einem von 30.000 "EPA-Gegnern" unterzeichneten Memorandum des Weltsozialforums 2006 in Nairobi, das sich an die EU-Kommission richtete und im Rahmen eines Protestmarschs zum Gebäude der EU öffentlich übergeben wurde, daß die Verhandlungen zum Abschluß von EPAs "in ihrer jetzigen Form als wechselseitige Freihandelsabkommen zu stoppen und diese durch alternative Handelsabkommen zu ersetzen" seien, "welche den Entwicklungsbedürfnissen der afrikanischen Länder gerecht würden" (S. 8). Mit anderen Worten, es wird lediglich eine andere Form des Freihandels gefordert. Das Wirtschaftssystem an sich wird nicht angetastet. Markt und Handel, jene beiden Garanten der vorherrschenden Verwertungsordnung, bleiben auch in der von den vermeintlichen Kritikern favorisierten "guten" Globalisierung erhalten.

Ein weiteres Beispiel für den reformistischen Charakter dieses Ansatzes: In einem Kapitel über Klimaschutzmaßnahmen wird gefordert, daß die "unsinnigen" Handelsströme des Weltmarkts "drastisch gesenkt" werden müßten (S. 44). Das bedeutet logischerweise, daß Handel dann als akzeptabel angesehen wird, wenn er vermeintlich "sinnvoll" ist - vom Standpunkt der Brüsseler Verhandlungsführer aus gesehen sind die EPAs jedoch durch und durch sinnvoll! Es wäre somit eine Frage der gesellschaftlichen Dominanz, wer "seinen" Sinn - also seine Interessen - durchsetzt. Derjenige, der "sinnige" Handelsabkommen verlangt, will das gleiche System für sich einspannen, das ursächlich zu der von ihm bemängelten Nachteilssituation geführt hat.

Sollte es Ende 2007 zur Verabschiedung der EPA-Abkommen kommen, stellt sich die Frage, wie die Welt im Jahre 2020 geordnet sein wird. Werden die AKP-Staaten ihren europäischen Verhandlungspartnern in Augenhöhe begegnen? Oder wäre nicht vielmehr damit zu rechnen, daß ihnen um vieles unabweislicher und festgefügter selbst gegenüber der heutigen Hierarchie von der Ersten zur Dritten Welt die Rolle des puren Produktionsstandorts zugewiesen wird, während die Nutznießer der Weltmarktordnung woanders sitzen, nämlich in den Metropolen des Nordens und bestenfalls den Statthalterpalästen beteiligter afrikanischer Regierungen?

Mit Indien, vor allem aber mit China tummeln sich inzwischen neue Global Players auf dem afrikanischen Kontinent und konkurrieren recht erfolgreich mit der EU und auch den USA, die ihrerseits mit der Initiative AGOA (African Growth and Opportunity Act) eine andere Variante der Plünderung Afrikas betreiben. "Chinas pragmatischer Stil, der effektiv ist und ohne politische und makro-ökonomische Konditionalitäten daherkommt, ist sympathisch" (S. 75), schrieb das Autoren-Duo und schließt sich damit der Ansicht einiger NGOs an, daß die Karten neu gemischt werden und Afrika davon profitieren könnte, wenn die asiatischen Staaten mit denen des Westens konkurrierten.

Das ist eine kurzsichtige Vorstellung. Auch wenn sich die Räuber manchmal gegenseitig die Wurst vom Brot nehmen - aus der Wurst wird nie wieder ein vollständiges Lebewesen. Mit anderen Worten, die Beute sollte nicht darauf hoffen, daß sich die Jäger über ihre Aufteilung streiten! China blickt sogar auf eine viel längere Geschichte der Niederwerfung und Ausbeutung ganzer Völkerschaften zurück als Europa oder gar die USA. Sicherlich lockt der bevölkerungsreichste Staat der Erde, der gegenwärtig seinen Handel in fast allen afrikanischen Staaten kräftig ausbaut, mit attraktiven Angeboten, gegenüber denen die Europäische Union schlecht aussieht. Aber wie lange noch?

Obgleich es manches an den Lösungsvorschlägen des als "AttacBasis Text" herausgegebenen Büchleins auszusetzen gäbe, kann es jedem empfohlen werden, der gewillt ist, ein wenig über den eigenen Tellerrand hinauszublicken (und womöglich feststellen wird, daß der eigene Teller stets gut gefüllt war, weil die in anderen Weltregionen leer geblieben sind). "Europa plündert Afrika" haben Groth und Kneifel das Akronym EPA interpretiert und plausibel dargelegt, warum sie dafür plädieren, die EPA-Verhandlungen scheitern zu lassen. Es wäre den Bewohner der AKP-Staaten zu wünschen, daß die Verhandlungen auch nicht in ein "EPA light" münden, bei dem die von den Kritikern vorgebrachten Einwände berücksichtigt und die prognostizierten Entwicklungen lediglich zeitverzögert verwirklicht werden.

16. Juli 2007


Annette Groth, Theo Kneifel
Europa plündert Afrika
Der EU-Freihandel und die EPAs
AttacBasis Texte 24
VSA Verlag
ISBN 978-3-89965-228-4
94 Seiten