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REZENSION/361: W. Baentsch - Der Doppelmord an Uwe Barschel (Politik) (SB)


Wolfram Baentsch


Der Doppelmord an Uwe Barschel

Die Fakten und Hintergründe



Als am 11. Oktober 1987 der nur Tage zuvor unter unglücklichen Umständen zurückgetretene Ministerpräsident von Schleswig-Holstein, Uwe Barschel, im Zimmer 317 des Genfer Nobelhotels Beau Rivage tot aufgefunden wurde und das Magazin Stern innerhalb von Stunden jenes Foto von der bekleideten Leiche in der wassergefüllten Badewanne veröffentlichte, das von dem Reporter Sebastian Knauer noch vor Ankunft der Polizei aufgenommen worden war, löste dies in der Bundesrepublik Deutschland einen schweren Schock aus. An Skandalen hat es in den Jahren nach 1945 in Westdeutschland nicht gefehlt. Doch daß einer der einst höchsten Würdenträger des Landes - dazu ein erst 43jähriger Familienvater - für seine Verwicklung in eine politische Affäre mit dem Tod bezahlen mußte, war in der sogenannten Bonner Republik neu und im höchsten Maße beunruhigend.

Vermutlich deshalb hielten - und halten bis heute - die Staatsorgane und allermeisten Medien sowohl in Deutschland als auch in der Schweiz eisern an der These fest, Barschel habe sich selbst umgebracht, auf Fremdverschulden gebe es keine nennenswerten Hinweise. Nach dieser Version hat der seit 1982 in Kiel amtierende Ministerpräsident, der als möglicher Nachfolger seines christdemokratischen Parteikollegen Helmut Kohl als deutscher Bundeskanzler galt, keinen Ausweg aus dem Skandal um eine von ihm betriebene Schmutzkampagne im Vorfeld der Landtagswahl von 1987 gesehen und sich deshalb das Leben genommen.

Vor allem das einflußreiche Nachrichtenmagazin Spiegel hatte Barschel vorgeworfen, beim Wahlkampf zum Kieler Parlament den eigenen Medienreferenten Rainer Pfeiffer zur Verbreitung erlogener und rufschädigender Gerüchte über den sozialdemokratischen Herausforderer Björn Engholm angestiftet zu haben. Gegen die Vorwürfe aus dem Hause Rudolf Augstein hatte sich Barschel nach der Wahl energisch zur Wehr gesetzt, umfassende Aufklärung versprochen und sogar auf einer Pressekonferenz am 18. September 1987 gegenüber den Bürgern Schleswig- Holsteins sein "Ehrenwort" gegeben, daß er unschuldig sei und daß er den dafür erforderlichen Nachweis erbringen werde. Als am 25. September der Kieler Landtag einen Untersuchungsausschuß zur Aufklärung der Affäre einberief, kündigte Barschel gegen den Rat von Freunden und Parteikollegen seinen Posten als Ministerpräsident auf. Vor diesem Untersuchungsausschuß wollte er am 12. Oktober aussagen und hätte dies auch aller Wahrscheinlichkeit nach getan, wäre er nicht einen Tag zuvor unter höchst mysteriösen Umständen aus dem Leben geschieden.

Der völlig überraschende Tod des Hauptbeschuldigten machte es den anderen Teilnehmern leicht, den Verstorbenen für die schmierige, undurchsichtige CDU-SPD-Posse an der Waterkant alleinverantwortlich zu machen. Nicht umsonst tragen die damaligen Ereignisse bis heute den Stempel "Barschel-Affäre". Für den triumphierenden Spiegel und die anderen deutschen Presseorgane kam der angebliche Suizid aus Verzweiflung einem Schuldbekenntnis gleich, und bis heute gilt das barschelsche "Ehrenwort" in der deutschen Öffentlichkeit schlechthin als Inbegriff politischer Heuchelei und Verlogenheit.

Von Anfang an hat die Familie Barschel Einspruch gegen diese allzu glatte Interpretation der Ereignisse erhoben. Gleich am Tag nach dem spektakulären Fund von Barschels Leiche gaben seine Ehefrau Freya und sein Bruder Eike in Genf eine Pressekonferenz, auf der sie ihre feste Überzeugung kundtaten, daß hier ein ruchloser Mord geschehen sei. In ihrem bis heute noch anhaltenden Bemühen um die Rehabilitierung von Uwe Barschel sowie um Ermittlung der Identität seiner Mörder und deren Motive hat die Familie in Wolfram Baentsch einen streitbaren Kampfgefährten gefunden. Der 1943 geborene Journalist, der früher selbst beim Spiegel gearbeitet hat und später Chefredakteur der Zeitschrift Wirtschaftswoche war, geht in "Doppelmord an Uwe Barschel" der Frage nach, warum der Politiker sterben mußte. Zwar mag der Germanist und Ökonom Baentsch am Ende des Buchs den beziehungsweise die Täter nicht mit hundertprozentiger Sicherheit identifiziert haben, dafür aber präsentiert er einige recht brauchbare Spuren, allein deren politische Brisanz die Abneigung der deutschen und schweizerischen Behörden vor einer Wiedereröffnung der Akte Barschel leicht verständlich macht.

Jedenfalls gelingt es Baentsch auf ganzer Linie, den zweiten Teil des von ihm im Titel angedeuteten "Doppelmords", nämlich den Rufmord Barschels, aufzuklären und die gegen das Opfer erhobenen Vorwürfe zu widerlegen. Inwieweit der damalige Landesvater Schleswig-Holsteins von den dunklen Machenschaften Pfeiffers gegen den SPD-Hoffnungsträger Engholm überhaupt wußte, wird vermutlich für immer unaufgeklärt bleiben. Fest steht jedoch, daß der CDU-Pressereferent schon Monate vor dem eigentlichen Wahltag in Schleswig-Holstein mit führenden Mitgliedern der SPD-Fraktion im Kieler Landtag unter einer Decke steckte und gegen den eigenen Vorgesetzten intrigierte. Nach dem Tod Barschels bekam Pfeiffer von den Sozialdemokraten deshalb Schweigegeld in ansehnlicher Höhe. Wegen jener Umtriebe, die später den Namen "Schubladen-Affäre" erhielten, mußte der einstige Saubermann und Barschel-Bezwinger Engholm, der durch einen zweiten parlamentarischen Untersuchungsausschuß als aalglatter Opportunist und Lügner entlarvt worden war, 1993 selbst in Schande als Ministerpräsident von Schleswig- Holstein und SPD-Parteivorsitzender zurücktreten und auf die geplante Kür zum Kanzlerkandidaten für die Bundestagswahl 1994 und damit zum möglichen Nachfolger Helmut Kohls verzichten.

Erst wenn man sich bei der Lektüre des vorliegenden Buchs das Ausmaß der damals von Pfeiffer, der Kieler SPD und den Meinungsmachern beim Spiegel gegen Barschel betriebenen Diffamierungskampagne vor Augen führt, wird klar, daß es sich bei dem, was sich im Hotel Beau Rivage abspielte, kaum um einen Selbstmord, sondern höchstwahrscheinlich um ein klassisches politisches Attentat handelte. Der Umstand der damit zusammenhängenden, offenbar schwererwiegenden, politischen Interessen erklärt auch die unglaublich schlampig geführten Ermittlungsarbeiten, die hier von Baentsch in erschreckender Deutlichkeit nachgezeichnet werden. Nur wegen des energischen Einsatzes der Barschel-Familie ist die ansonsten allseits erwünschte Vertuschung des Mordes nicht gänzlich gelungen. In einer von der Familie in Auftrag gegebenen Studie kam der weltweit renommierte Toxikologe Hans Brandenberger aus Genf 1992 anhand der Blut- und Urinproben zu dem eindeutigen Ergebnis, daß Barschel sich die Gifte nicht selbst zugeführt haben konnte, die ihm den Tod brachten, weil er zuvor durch andere Medikamente betäubt gewesen war.

Die Hetzkampagne gegen Barschel und die verschleppten Ermittlungen der Behörden in der Bundesrepublik und der Schweiz ließen bei Baentsch den Verdacht aufkommen, der Ministerpräsident von Schleswig-Holstein habe sich schon vor dem Herbst 1987 mächtige Feinde gemacht und auf deren Abschußliste gestanden. Hierfür spricht jenes rätselhafte Flugzeugunglück vom 31. Mai 1987, das Barschel wie ein Wunder überlebte, bei dem jedoch die beiden Piloten der Cessna-Maschine umkamen. Zudem hat man bis heute nicht die Identität jener unter dem Tarnnamen "Ro(h)loff" bekannten Person herausgefunden, deren Anrufe bei Barschel auf Gran Canaria diesen dazu veranlaßten, bei der geplanten Rückkehr nach Deutschland zur Aussage vor dem Untersuchungsausschuß in Kiel einen Abstecher nach Genf zu machen. Nach Angaben von Freya Barschel hatte Ro(h)loff ihrem Mann ein Dokument in Aussicht gestellt, das diesem die Einlösung seines berühmten "Ehrenwortes" und die Wiederherstellung seines ramponierten Rufs garantiert hätte. Voller Hoffnung und gar nicht betrübt oder selbstmordgefährdet, war Barschel alleine nach Genf geflogen - und damit offenbar in die ihm gestellte Falle gegangen.

Wer die Falle gelegt und die Beute eiskalt ins Jenseits befördert hat, ist unklar. Im Buch stellt Baentsch zwei Motive vor. Zum einem soll sich Barschel mit Gerhard Stoltenberg, seinem Vorgänger als Ministerpräsident Schleswig-Holsteins, damals Finanzminister in Bonn, überworfen haben. Bei dem Streit der beiden Männer ging es angeblich um den Ende 1986 aufgeflogenen, illegalen Verkauf deutscher U- Boottechnologie an den unter einem UN-Waffenembargo liegenden Apartheid-Staat Südafrika, was Stoltenberg und die Kohl-Regierung laut Baentsch an Barschel vorbei über das Staatsunternehmen Howaldswerke/Deutsche Werft (HDW) in Kiel eingefädelt hatten. Laut Freya Barschel hätte es sehr unangenehme Konsequenzen für die Bundesregierung in Bonn gehabt, hätte ihr Mann hinsichtlich deren Aktivitäten ausgepackt.

Für eine Verwicklung der alten CDU-Freunde in einen Mordkomplott sprechen unter anderem: die Anwesenheit des deutschen James Bond und Tausendsassas Werner Mauss am fraglichen Wochenende in Genf; der mysteriöse Tod des Schweizer Privatermittlers Jean-Jacques Griessen, der Eike Barschel bei seinen Nachforschungen geholfen hatte, im November 1992; und der anonyme Bekennerbrief, den Freya Barschel im September 2003 vom vorgeblichen Attentäter erhalten hat. Der Brief ist zwar auf Englisch verfaßt, die Wortwahl läßt aber auf einen deutschsprachigen Verfasser schließen. Des weiteren behauptet der Autor des Schreibens, der sich selbst als Berufskiller zu erkennen gibt, damals im Auftrag eines Mannes "near to the actual German Government and financed from the biggest German party" gehandelt zu haben.

Beim zweiten Motiv greift Baentsch brisante Enthüllungen auf, die der Geheimdienstaussteiger Viktor Ostrovsky in seinem 1994 erschienenen Buch "Geheimakte Mossad - Die schmutzigen Geschäfte des israelischen Geheimdienstes" gemacht hat. Demnach mußte Barschel sterben, weil er Einspruch gegen Waffenlieferungen, die im Rahmen der sogenannten Iran- Contra-Affäre über Flugplätze in Schleswig-Holstein liefen, eingelegt hatte. Damals heizten Israel und die USA mit Rüstungsgütern und Massenvernichtungswaffen den blutigen Iran-Irak-Krieg an. Die Waffenlieferungen Washingtons an Teheran waren nach US-Gesetz in zweifacher Hinsicht illegal: erstens, weil der Iran als "Terrorstaat" galt - und heute noch gilt -, und zweitens, weil die Gewinne zur Finanzierung des Kampfes der rechtsgerichteten Contras gegen die sandinistische Regierung Nicaraguas verwendet wurden, was gegen den ausdrücklichen Willen des Kongresses (Boland Amendment) verstieß.

Zahlreiche Angehörige der Regierung von Ronald Reagan mußten sich nach Bekanntwerden dieses ungeheuerlichen Komplotts deshalb Ende der achtziger, Anfang der neunziger Jahre vor Gericht und gegenüber dem Kongreß verantworten. Alle diese Personen, ob bereits verurteilt wie der Ex-Staatssekretär im Außenministerium, Elliot Abrams, oder noch nicht wie der Ex-Verteidigungsminister Caspar Weinberger, wurden 1993 mit der letzten Amtshandlung von Reagans Vizepräsidenten und Nachfolger George Bush sen. begnadigt, weshalb nicht wenige von ihnen acht Jahre später erneut hochrangige Posten in der Regierung von George Bush jun. übernehmen konnten. Zu letzterer Gruppe wird man demnächst den ehemaligen CIA-Chef Robert Gates zählen, der Donald Rumsfeld als US-Verteidigungsminister ablösen soll.

Ausgerechnet Gates, der im Herbst 1987 stellvertretender CIA-Direktor war, soll derjenige gewesen sein, auf dessen Veranlassung nach Angaben des südafrikanischen Geheimdienstmannes Dirk Stoffberg Uwe Barschel von "Ro(h)loff" nach Genf bestellt und damit in die Todesfalle gelockt wurde. Fest steht, daß Gates in derselben Maschine saß, mit der das Ehepaar Barschel am 6. Oktober - bei ihrem Umweg von Kiel nach Gran Canaria - von Frankfurt nach Genf flog. Laut CIA weilte Gates am darauffolgenden Wochenende, an dem Barschel schließlich starb, nicht mehr in der Schweizer Metropole. Wieviel Glaubwürdigkeit man dieser Feststellung beimessen soll, kann man an der Einschätzung des Iran- Contra-Sondermittlers Richter Lawrence Walsh ablesen, der sich in seinem Abschlußbericht darüber beschwerte, daß sich Gates bei seiner Befragung unter Eid ganze 33 Mal nicht mehr an bestimmte Fakten und Tatsachen erinnern können wollte.

Zweifelsohne ist "Der Doppelmord an Uwe Barschel" ein Buch von hoher politischer Relevanz. Daß die von der Barschel-Familie an die Veröffentlichung geknüpften Hoffnungen auf eine Wiederaufnahme der Ermittlungen in Erfüllung gehen, darf jedoch bezweifelt werden. Daran hat bei den bestimmenden Kräften in Berlin und Washington wirklich niemand auch nur das geringste Interesse. Dementsprechend negativ fallen die bisherigen Reaktionen der staatlichen Medien auf das Enthüllungsbuch aus. In der ARD-Sendung "Titel, Thesen, Temperamente" kanzelte man am 5. November Baentsch als Verschwörungstheoretiker ab, der vergeblich eine Lanze für einen längst völlig diskreditierten Politiker breche, während man zehn Tage später beim Deutschlandfunk das Buch als "spannenden Krimi" abgetan hat. Von solchen hämischen Bemerkungen sollte sich der interessierte Leser auf keinen Fall abschrecken lassen, denn, wie es in der englischsprachigen Welt heißt, die Fiktion wird meistens von der Wirklichkeit übertroffen. Auf den Fall Uwe Barschel trifft diese Weisheit voll zu.

23. November 2006


Wolfram Baentsch
Der Doppelmord an Uwe Barschel - Die Fakten und Hintergründe
Herbig Verlag, München, 2006
317 Seiten (darunter 53 Fotos und Dokumente), Euro 24,90
ISBN-13: 978-3-7766-2489-2
ISBN-10: 3-7766-2489-2