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REZENSION/360: Biermann/Klönne - Objekt der Gier (US-Iranpolitik) (SB)


Werner Biermann & Arno Klönne


Objekt der Gier

Der Iran, der Nahe und Mittlere Osten und Zentralasien



Seit über einem Jahr gibt es immer wieder beunruhigende Hinweise darauf, daß die Regierung von US-Präsident George W. Bush noch vor Ende ihrer zweiten Amtszeit im Januar 2009 das ihr verhaßte "Mullahregime" in Teheran zu stürzen gedenkt - notfalls unter Einsatz von militärischer Gewalt einschließlich des Gebrauchs von Atomwaffen. Zu den in den USA gut informierten Personen, die in Artikeln und Interviews dringend vor den Gefahren eines solchen Schrittes warnen, gehören unter anderem die Journalisten Larisa Alexandrovna, Robert Dreyfuss, Jim Lobe, Laura Rozen und Seymour Hersh, die Ex-CIA- Mitarbeiter Philip Giraldi und Ray McGovern, die Ex-Militärs Sam Gardiner, Karen Kwiatkowski und Scott Ritter sowie die Kernphysiker Jorge Hirsch und James Gordon Prather.

Wie ernst solche Warnungen zu nehmen sind, zeigen Äußerungen Zbigniew Brzezinskis, der unter Jimmy Carter Nationaler Sicherheitsberater war und dessen Ruf als führender Geostratege der USA nur mit dem Henry Kissingers zu vergleichen ist. Noch in diesem Frühjahr hat Brzezinski öffentlich vor einer Verschärfung der Spannungen am Persischen Golf gewarnt, die Aufnahme von bilateralen Gesprächen zwischen den Vereinigten Staaten und der Islamischen Republik Iran gefordert und jeden Gedanken Washingtons an einen großen Showdown mit Teheran als Irrwitz verurteilt. Ein Angriff der US-Streitkräfte auf den Iran käme einem Kapitalfehler historischen Ausmaßes gleich und leitete den Auftakt zum Ende der Globalhegemonie Amerikas und zu einem Dreißigjährigen Krieg zwischen dem Westen und dem Islam ein, so Brzezinski in einem aufsehenerregenden Gastkommentar, der am 23. April unter der Überschrift "Been There, Done That" in der Los Angeles Times erschienen ist.

Während derzeit, also in den letzten Tagen vor den Zwischenwahlen für das Repräsentantenhaus und den Senat in Washington, in der amerikanischen Öffentlichkeit dem Thema Iran keine besondere Aufmerksamkeit zuteil wird und dieses statt dessen vom erbitterten Streit um die blutige Irakpolitik des Weißen Hauses überlagert wird, besteht Grund zu der Befürchtung, daß sich das nach dem Urnengang am 7. November schlagartig ändern wird. Warum das so ist und weshalb die Neokonservativen am Hofe von Bush jun. dermaßen auf einen "Regimewechsel" in Teheran fixiert sind, erläutern Werner Biermann und Arno Klönne in ihrem neusten Buch "Objekt der Gier - Der Iran, der Nahe und Mittlere Osten und Zentralasien". Es dürfte kaum eine Lektüre geben, die besser die aktuellen sowie historischen Hintergründe des gestörten Verhältnisses der USA zum Iran beleuchtet und den daraus resultierenden, scheinbar unabwendbaren Kollisionskurs der beiden ehemaligen Verbündeten erklärt.

Seit der 1953 von der CIA im Rahmen von Operation Ajax durchgeführten Absetzung des demokratisch gewählten Premierministers Mohammed Mossadegh spielt der Iran wegen seines gigantischen Öl- und Gasreichtums sowie wegen seiner strategisch günstigen Position im Herzen der eurasischen Landmasse in den Überlegungen der USA eine enorm wichtige Rolle. Gerade deswegen hat man in Washington bis heute den Sturz des Schahs im Jahre 1979 immer noch nicht verwunden und hält die Islamische Republik nach wie vor für ein illegitimes Kunstgebilde der Geschichte. Ohne die Rückendeckung der Falken in Washington hätte Saddam Hussein kaum jenen Iran-Irak-Krieg, der zwischen 1980 und 1988 rund eine Million Todesopfer gefordert und beide Staaten an den Rand des finanziellen Ruins geführt hat, gestartet und bis zum Ende durchgehalten. Die damalige Unterstützung Washingtons ging über die allgemein bekannten Tatsachen der Lieferung von Giftgas und Satellitenfotos hinaus; es griffen sogar Spezialstreitkräfte der US-Marine zugunsten Bagdads mit einer Reihe von geheimen Operationen am Persischen Golf in die Kämpfe ein. Nicht zu vergessen ist natürlich der im Juli 1988 erfolgte Abschuß einer mit 290 Mekkapilgern besetzten iranischen Passagiermaschine durch den US-Lenkwaffenzerstörer Vincennes. Für den vermeintlichen Fehlabschuß hat sich Washington bei den Iranern niemals entschuldigt. Statt dessen verlieh Präsident George Bush sen. zwei Jahre später dem Kapitän und der Besatzung des Schiffs Tapferkeitsorden wegen ihres heldenhaften Einsatzes am Persischen Golf.

Auf die selbstgestellte Frage, warum der Iran "im Fadenkreuz" der USA liege, tun Biermann und Klönne den Streit um das iranische Atomprogramm als vordergründig, wenn nicht gar völlig an den Haaren herbeigezogen ab, und präsentieren statt dessen folgende, schwer von der Hand zu weisende Argumente:

Hinter dem rhetorischen Schwall eines 'demokratischen Messianismus', von der US-Regierung und den ihr nahestehenden Medien gebetsmühlenartig vorgebracht, gibt es allerdings handfeste Gründe, Iran unter Kontrolle der Vereinigten Staaten zu bringen:

- Beim Iran handelt es sich um eine unabhängige Regionalmacht mit militärischen Kooperationen mit Rußland und der Volksrepublik China. Mit einer Bevölkerung von rund 70 Millionen und großem ökonomischem Potential ist das Land die letzte Bastion gegen eine vollständige Beherrschung des Nahen Ostens durch die USA.

- In den US-Machtzirkeln grassiert die Vorstellung, daß der Iran mit bald starken Konkurrenten - so kategorisieren die Planer im Weißen Haus die EU, China, Indien und Rußland - zusammengehen könnte, wodurch die geopolitische Bilanz zulasten der Vereinigten Staaten verschoben würde.

- Der Iran ist ferner in der Region der letzte überlebende Unterstützerstaat jener Länder und Organisationen, die im Konflikt mit der israelischen Regierungspolitik sind: Ohne den Iran wären Syrien, der Libanon, aber auch die Palästinenser der militärischen Überlegenheit Israels nahezu schutzlos ausgeliefert. (S. 29f.)

In großer Ausführlichkeit geht das Autorenteam auf die Stellung des Irans bezüglich nicht nur des Nahen Ostens und der zum Teil schwierigen Beziehungen zwischen Schiiten und Sunniten respektive zwischen Arabern und Persern ein, sondern auch bezüglich des erbitterten Ringens, das nach dem Untergang der Sowjetunion um den Zugang zu den Energieressourcen rund um das Kaspische Meer ausgebrochen ist. Bei diesem "Risikospiel um Weltmacht", wie es Biermann und Klönne recht treffend bezeichnen und in dem die Supermacht USA mit allen Mitteln um die Verteidigung ihrer Führungsposition kämpft, stellt der Iran die vielleicht wertvollste Position auf der Landkarte dar.

Erst vor diesem Hintergrund kann man verstehen, warum die bestimmenden Kräfte in Washington am "Schurkenstaatkonstrukt" Iran festhalten und von den zahlreichen Bemühungen Teherans um Aussöhnung und Normalisierung der bilateralen Beziehungen ernsthaft nichts wissen wollen. Die diplomatischen Vorstöße der Iraner beschränken sich nicht nur auf die Zeit, als Bill Clinton im Weißen Haus residierte und in Teheran der Reformer Mohammed Khatami das Sagen hatte. Der Iran hat sowohl 2001 den USA geholfen, die afghanischen Taliban zu stürzen, als auch 2003 über die Schweiz der Bush-Regierung weitgehende Vorschläge zur Bereinigung aller Probleme unterbreitet. Obwohl das Vorschlagspaket Teherans sogar die Anerkennung Israels durch die Islamische Republik enthielt, wurde es von Washington brüsk zurückgewiesen.

Statt dessen spielt die Bush-Regierung das Thema des iranischen Kernenergieprogramms hoch, bringt dubiose "Hinweise" auf angeblich illegale Atombombenforschungen in Umlauf, torpediert die diplomatischen Bemühungen des EU-Trios Deutschland, Frankreich und Großbritannien, aktiviert den UN-Sicherheitsrat, unterstellt Teheran irgendwelche "terroristischen" Verbindungen, prangert Menschenrechtsverletzungen im Iran an, bringt oppositionelle Exilgruppen, sowohl Monarchisten als auch die Volksmudschaheddin, in Stellung und schickt - Presseberichten aus den USA zufolge - sogar Spezialstreitkräfte ins Land des künftigen Gegners, um eine fünfte Kolonne zu rekrutieren und Destabilisierungsmaßnahmen vorzubereiten.

Nicht umsonst weisen Biermann und Klönne auf die "Einkreisung" des Irans als eine der wesentlichen Entwicklungen hin, die das Pentagon nach den Flugzeuganschlägen vom 11. September 2001 in den USA durch die Eroberung Afghanistans und des Iraks sowie den Aufbau zahlreicher Stützpunkte auf dem Gebiet der südlichen Republiken der früheren Sowjetunion im Kaukasus - Georgien und Aserbaidschan - und in Zentralasien - Kirgisien, Tadschikistan, Usbekistan - sowie im pakistanischen Belutschistan vorangetrieben hat. Die Tatsachen, daß Rußland und China im Rahmen der Shanghai Cooperation Organisation (SCO) dieser für sie bedrohlichen Tendenz mit einigem Erfolg entgegengetreten sind und daß die Position der USA in Afghanistan und im Irak angesichts der zunehmenden Schlagkraft der dortigen Widerstandsgruppen alles andere als rosig ist, legen nahe, daß sich die Bush-Regierung bald gezwungen sehen könnte, die von vielen befürchtete Großabrechnung mit der "Mullahkratie" zu suchen.

In letzter Zeit hat es nicht an Indizien dafür gefehlt, daß ein solches Szenario tatsächlich in der Vorbereitungsphase steckt. So haben das Außenministerium Condoleezza Rices und das Pentagon Donald Rumsfelds im vergangenen Frühjahr jeweils eine neue Sonderabteilung zur Koordinierung der Zusammenarbeit mit iranischen Oppositionsgruppen gegründet. Zum Leiter des neuen Iran-Büros im Außenministerium wurde der langjährige "Demokratiespezialist" des International Republican Institute, David Denehy, ernannt, der unter der Unterstaatssekretärin für Nahost-Angelegenheiten, Elizabeth Cheney, Tochter des Vizepräsidenten Dick Cheney, arbeitet. Das neue Iran-Direktorat des US-Verteidigungsministeriums soll offenbar die gleiche Rolle wie das berüchtigte Office of Special Plans im Vorfeld des Irakkrieges spielen. Bekanntlich hat sich das von den israelfreundlichen Neokonservativen beherrschte OSP zusammen mit Achmed Chalabis Iraqi National Congress (INC) diverse Gruselgeschichten hinsichtlich der Massenvernichtungswaffen Saddam Husseins und der Kontakte Bagdads zum Al-Kaida-"Netzwerk" Osama Bin Ladens ausgedacht und sie über Multiplikatoren wie Judith Miller von der New York Times als ernstzunehmende Geheimdiensterkenntnisse in Umlauf gebracht.

Darauf, daß auf die Weltöffentlichkeit erneut eine Überstrapazierung ihres Vorstellungvermögens zukommt, deutet die Besetzung des Postens des Leiters des neuen Iran-Direktorats im Pentagon ausgerechnet mit Abram Shulsky hin, der bereits als leitender Mitarbeiter des OSP wichtige Erfahrungen bei der Manipulation von Geheimdienstmaterial und der Erzeugung von irreführenden, dafür um so angsteinflößenderen Bedrohungsszenarien sammeln konnte. Auch für die Beschaffung der entsprechenden Informationen über eine von Teheran für die Welt ausgehende Bedrohung wird bereits gesorgt. Presseberichten in den USA zufolge hat das Doppelgespann Cheney-Shulsky vor kurzem den iranischen Waffenhändler Manucher Ghorbanifar, bekannt durch seine zwielichtige Rolle in der Iran-Contra-Affäre, mit dieser heiklen Aufgabe beauftragt. Schließlich wollen die jüngsten Propagandasprüche Rumsfelds und Bushs, Teheran sei der größte Förderer des "internationalen Terrorismus", beziehungsweise die "freiheitsliebenden Nationen" des Westens befänden sich im Jahrhundertkampf gegen den "Islamofaschismus", mit Belegen - wie dürftig und fadenscheinig auch immer - unterfüttert sein.

Ungeachtet des Mißerfolges des über ein Jahr lang geplanten, im Sommer in Absprache mit dem Pentagon durchgeführten Feldzugs Israels gegen die libanesisch-schiitische Hisb-Allah-Miliz, der von allen Militärexperten als der nicht ganz gelungene Versuch einer Frontbegradigung im Vorfeld eines größeren Vorgehens der US- Streitkräfte gegen den Iran bewertet wurde, gehen die ideologischen und militärischen Vorkehrungen Washingtons unvermindert weiter. Nachdem in diesem Frühjahr in der neuen National Security Strategy der Iran als "größte Bedrohung" der USA identifiziert worden ist, haben Ende September beide Häuser des Kongresses mit überwältigender Mehrheit das Iran Freedom Act verabschiedet. Das wenige Tage später von Bush unterzeichnete Gesetz verpflichtet die USA zur "Befreiung" des Irans, wie es eine verblüffend ähnliche, 1998 verabschiedete Kongreßresolution im Falle des Iraks getan hat. Seit Wochen melden Nachrichtenagenturen eine zunehmende Massierung von Marinestreitkräften der USA, darunter mehrere Flugzeugträger, rund um den Persischen Golf.

Die Befürchtungen Biermanns und Klönnes hinsichtlich eines bevorstehenden "Big Bang" sind mehr als begründet, schließlich hält sich Präsident Bush mit seiner Dauererklärung, wonach "alle Optionen auf dem Tisch liegen", die Möglichkeit des Einsatzes von Atomwaffen gegen den Iran offen. Zu hoffen, daß die Demokraten um Senatorin Hillary Clinton und den Kongreßabgeordneten Rahm Emanuel, sollten sie sich bei den Zwischenwahlen für den Kongreß durchsetzen, für eine gemäßigtere Iran-Politik der USA sorgen, ist müßig. Gerade zum Thema Iran profiliert sich der konservative, tonangebende Flügel der Demokraten in den letzten Monaten durch rabiate Forderungen nach einer noch härteren Gangart Washingtons. Sollten die USA demnächst tatsächlich, wie beispielsweise auf der diesjährigen Jahrestagung des American Israel Public Affairs Committee (AIPAC) in Washington vom ehemaligen Stellvertretenden US-Verteidigungsminister und neokonservativen Oberguru Richard Perle unter großem Beifall empfohlen, mit einem Dutzend Tarnkappenbomber vom Typ B-2 einen Enthauptungsschlag gegen die iranischen Atomanlagen und das "Regime" in Teheran durchführen, würde das vermutlich der Auftakt zu einem Flächenbrand werden, der den bisherigen Irakkrieg wie das sprichwörtliche Sandkastenspiel aussehen ließe. Jedem, der die aktuelle, demnächst völlig außer Kontrolle zu geraten drohende Krise am Persischen Golf besser verstehen will, kann man Biermanns und Klönnes "Objekt der Gier" nicht eindringlich genug empfehlen.

1. November 2006


Werner Biermann & Arno Klönne
Objekt der Gier - Der Iran, der Nahe und Mittlere Osten und
Zentralasien
PapyRossa Verlag, Berlin, 2006
200 Seiten
ISBN: 978-89438354-1