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REZENSION/347: Imre von der Heydt - Rauchen Sie? (SB)


Imre von der Heydt


RAUCHEN SIE?

Verteidigung einer Leidenschaft



Daß in den USA rauchenden Müttern das Sorgerecht für ihre Kinder entzogen wird, Raucher ihren Arbeitsplatz verlieren und dem Tabakgenuß zugeschriebene Todesfälle mit dem Völkermord der Nazis verglichen werden, mag hierzulande selbst eingefleischten Rauchgegnern zu weit gehen - und bezeichnet doch nur die Spitze einer Entwicklung, die über den Hebel der Diffamierung und Kriminalisierung des Tabakgenusses Wege zu mehr staatlicher Kontrolle des Einzelnen und zum Abbau von Freiheitsrechten ebnet.

Nachdem das Rauchen - obgleich dessen Ausmaß tatsächlicher Schädlichkeit wissenschaftlich nur schwer auslotbar ist und das im Reigen jener Gifte, denen wir unwidersprochen tagtäglich ausgesetzt sind, eher eine untergeordnete Rolle spielt - von der WHO zum Risikofaktor Nr. 1 hochstilisiert wurde und die Kampagne immer groteskere Züge annimmt, fragt man sich nach den Ursachen dieser "geradezu fanatischen Feindseligkeit" (S. 11) und deren gesellschaftspolitischer Stoßrichtung.

Diesen Fragen ist der Autor Imre von der Heydt in seinem höchst lesenswerten Werk "Rauchen Sie? - Verteidigung einer Leidenschaft" auf 250 Seiten nachgegangen.

Herausgekommen ist ein Buch, das trotz des Ernstes des Themas und der Lage spannend ist wie ein Roman, dazu kenntnisreich und informativ wie ein Sachbuch, parteilich und provokant wie eine Politschrift, quellenreich wie ein wissenschaftliches Werk, aufklärerisch im besten Sinn - und wichtig, weil es eben um mehr geht als die Freiheit zu rauchen.

Neben den Fragen nach der Gesundheitsschädlichkeit, die nicht bestritten, wohl aber ins Verhältnis gesetzt wird zu anderen Gefahren für die Gesundheit und zur Gefährlichkeit des Lebens überhaupt, befaßt sich der Autor mit den vielschichtigen Gründen, aus denen geraucht wird, beleuchtet die Rolle, die Politik, Religion und Medizin im Kampf sowohl für als auch gegen das Rauchen spielen, und macht hierzu, wie auch zu den Kampagnen gegen das Rauchen, höchst aufschlußreiche Abstecher in die Vergangenheit.

Das Rauchen ist so alt wie die Menschheit selbst. Seit ihren Anfängen und in allen Teilen der Welt gibt es "Zeugnisse von Rauchsitten und Rauchritualen" (S. 22). Von Anbeginn steht der Tabakgenuß im Zusammenhang mit religiösen und rituellen Gebräuchen, wird dem Rauch eine visionäre, heilsame und auch friedensstiftende Kraft zugetraut.

Ursprünglich war das Rauchen vor allem Teil kultischer Handlungen, als Rauchopfer, aber auch in Form von Regen- und Kriegszauber. Der Tabak war für die Indianer ein Geschenk der Götter, das sie mit den vier Elementen Erde, Wasser, Feuer und Luft in Verbindung setzte. Bei Initiationsriten trank man Tabaksaft, bei Friedensschlüssen rauchte man die Pfeife (Kalumet). Eng mit den zeremoniellen Riten verbunden war der medizinische Gebrauch.
(S. 22 f)

Die moderne Rauchgeschichte des Westens ist verbunden mit den Entdeckungsfahrten des frühen 16. Jahrhunderts, die die Tabakpflanze und ihre Nutzung nach Europa brachten. Bald wird der Tabak auch hierzulande von der Medizin entdeckt und gilt - entgegen seinem heutigen Ruf - eine Zeitlang als eine Art Allheilmittel.

Bis weit ins 18. Jahrhundert hinein kommt es (...) auf nahezu allen medizinischen Gebieten zur Anwendung des Tabaks in Form von Tabakwasser, Tabaköl, Tabakextrakt, aber auch als Tabak- Pflaster, Pille oder Gurgelwasser. Herausragend ist seine Anwendung als Schmerzmittel, seien es Zahn-, Hals-, Bauch- oder Gliederschmerzen. Es wird eingesetzt gegen Geschwüre, Geschwülste, Würmer und Fäulnis, aber auch gegen Rheuma, Gicht und jede Form von Hauterkrankung. Später kommt seine erfolgreiche Anwendung bei Asthma, Keuchhusten, Tetanus und Cholera hinzu. In Form von Tabaksalbe dient es zur Behandlung von Kampf- und Kriegswunden. Bei Unterleibsbeschwerden, Darmverschlüssen und Koliken kommt es zum Einsatz von Tabakklystieren; mit Hilfe speziell entwickelter "Tabakbüchsen" wird den Patienten - im wahrsten Sinne des Wortes - der Rauch "in den Hintern" geblasen.
(S. 27)

Von Anbeginn haftete dem Rauchen aber auch "der Duft der Freiheit" an. Überall dort, so der Autor, "wo geistiger Aufbruch herrschte, wurde der Tabakkonsum geschätzt und gepflegt: in den Herren-Clubs der europäischen Geisteseliten, in der Künstlerbohème der Jahrhundertwende, bei den Arbeiteraufständen des Frühkapitalismus; selbst die Emanzipation der Frau fand ihren symbolischen Ausdruck in einer drastisch ansteigenden Zahl von Raucherinnen." (S. 19)

Rauchen war und ist deshalb n i e nur reine Privatsache, sondern immer auch öffentliches Ereignis, kulturelles Sinnbild, soziales Statussymbol und politisches Ausdrucksmittel.
(S. 30)

So hat auch der Kampf gegen das Rauchen eine lange Tradition. Zunächst waren es vor allem politisch-moralische und religiöse Grunde, die "zu einer oftmals fanatischen Bekämpfung des Rauchens geführt haben" (S. 13).

Die Strafen waren drakonisch, von der Kerkerhaft (S. 13) über Prügelstrafen, Abschneiden der Nase, Kastration bis hin zur Todesstrafe in der Türkei und im China des 17. Jahrhunderts (S. 32).

Die Stadt Zürich droht Rauchern 1667 mit Landesausweisung, Auspeitschung oder Brandwunden. Der Berner Stadtrat erweitert 1661 die zehn Gebote um die Forderung:

Du sollst nicht rauchen.
(S. 38)

In Norddeutschland sind etwa um dieselbe Zeit öffentliche Auspeitschungen und Gefängnis übliche Strafen für Raucher
(S. 38). Die Reihe ließe sich unendlich fortsetzen.

Allein die Chance der Herrschenden, über die Erhebung drastischer Steuern Einnahmequellen zu rekurrieren wie auch die besänftigende Wirkung des Rauchens in Zeiten von Krieg und Hungersnot hier soll vielleicht ein Absatz hin verhindert, daß das Rauchen von Staats wegen gänzlich verboten hier soll vielleicht ein Absatz hin wird. So erfährt die Zigarette im Verlauf der beiden Weltkriege eine weltweite Verbreitung
(S. 29).

Nach einer wechselvollen Geschichte nimmt nach einer weitgehenden Liberalisierung des Umgangs mit dem Rauchen in den 60er Jahren mit dem sog. Terry-Report" die moderne Antiraucherkampagne ihren Anfang (S. 43). Zwar wird, wer raucht, heute in der Regel nicht mehr mit Gefängnis bestraft oder seiner körperlichen Unversehrtheit beraubt, aber es steht, wenn auch auf andere Weise, auch heute noch bzw. wieder auf Rauchen die Todesstrafe. Dabei bedient sich die moderne Verbots- und Verfolgungswelle zunehmend medizinischer, dabei aber nicht weniger irrationaler Argumente.

So wird zum Welt-Nichtrauchertag am 31.05.2006 der Tod von fünf Millionen Rauchern jährlich weltweit, 140.000 davon in der BRD, unter allen möglichen Ursachen auf eine Tatsache reduziert - sie haben geraucht. Laut WHO gilt das Rauchen als vierthäufigste Todesursache. Dazu kommen seit neuestem die unzähligen Passivraucher, deren Tote laut offiziellen Angaben allein in Deutschland auf 3.000 beziffert werden.

Zu Recht und auf anschauliche Weise belegt, kritisiert der Autor solche Angaben, ist doch die Monokausalität von Rauchen als Todesursache höchst fragwürdig: "Vor allem ist die Frage, woran genau jemand gestorben ist, im Zweifel gar nicht eindeutig zu beantworten. Von der Statistik schon gar nicht." (S. 75)

Leider hält der Autor diese nur allzu berechtigte Kritik an statistischen Methoden und ihren Ergebnissen nicht durch, wenn er an die Stelle des widerlegten und widerlegbaren Raucherrisikos etwa Übergewicht unhinterfragt als Gesundheitsgefährdung akzeptiert (S. 90).

Hier liegt eine Schwachstelle des Buches, die vermeidbar gewesen wäre, denn auch wenn eine wissenschaftliche Grundsatz- und Methodendebatte nicht Thema ist, müßte man sich, um gegen die Ergebnisse interessenorientierter Forschung zu argumentieren, nicht in ein Konkurrenzgerangel um solche Ergebnisse begeben.

Unterdessen produziert die moderne medizinische Forschung bei der rastlosen Suche nach möglichen Erkrankungsrisiken [und ihren marktmäßigen Verwertungschancen, Anm. d. Red.] täglich neue Schreckensmeldungen. Es vergeht kein Tag, an dem nicht eine neue gefährliche Substanz oder ein neues Gesundheitsrisiko entdeckt wird. Vom medizinischen Standpunkt aus ist die Welt voll heimtückischer Gefahren, Gifte, Substanzen, Risiken - und last, but not least: Gewohnheiten. Würde man das alles ernst nehmen, könnte man keine ruhige Minute mehr verbringen: nicht zu Hause zwischen den gestrichenen Tapeten, geleimten Schränken, dünstenden Teppichböden; zwischen Putzmitteln, Mikrowelle und Computer; nicht auf der Straße zwischen Autoabgasen und Starkstrommasten, geschweige denn beim Essen oder Trinken.
Es wird ein Punkt erreicht, an dem eine Mahlzeit nur noch am Rande als eine Mahlzeit anzusehen ist; in Wahrheit muß sie als ein medizinisches Wirkstoffpräparat mit entweder wichtigen Versorgungssubstanzen oder bedenklichen Nebenwirkungen betrachtet werden.
(S. 58 f)

Nie zuvor "hat die Gesundheit im Bewußtsein der Menschen und im öffentlichen Leben eine so dominante Rolle gespielt wie in der heutigen Zeit" (S. 53), die, so der Autor, "geradezu b e s e s s e n ist von Gesundheit" (S. 12). "Die Gesundheit ist im Leben der modernen Menschen zum kategorischen Imperativ der Lebensgestaltung geworden" (S. 54). Wer dagegen verstößt, indem er etwa weiter raucht, wird abgelehnt und ausgegrenzt.

Der Autor beschreibt diese Auseinandersetzung als einen "Kulturkrieg" (S. 55), einen Kampf darum, wer über unsere Lebens- und Konsumgewohnheiten bestimmt, wer die Regeln unseres Lebens setzt, wer gut und schlecht, gesund und krank definiert. Deshalb ist "Gesundheit (...) kein harmloser Begriff. Hinter der freundlichen Fassade 'gesundheitlicher Fürsorge' verbirgt sich nur allzu häufig das ordnungspolitische Kalkül moralischer Bevormundung" (S. 17).

Dabei ist die Medizin längst dazu übergegangen, dem Einzelnen die Schuld für seine Erkrankung zuzuschieben. Zunehmend außer acht bleibt, daß gerade streßverursachte Erscheinungen wie Krebs oder Herz- Kreislauf-Störungen in erster Linie gesellschaftlich bedingt sind. Die sogenannten Fortschritte der Medizin haben nicht etwa zu weniger Krankheit, sondern zu immer mehr Kranken und Krankheiten geführt und sind zu einem gigantischen Industriezweig ausgewachsen.

Wir leben, so von der Heydt bewußt provokant, in einer "Gesundheitsdiktatur", deren Merkmale

ideologische Glorifizierung und Verklärung von Gesundheit in Form eines omnipräsenten Gesundheitskultes, moralische Denunzierung von Abweichlern, eine ständige 'Feindbeschwörung' und damit einhergehend die Herbeiführung von einer Art 'Dauerkriegszustand'..." sind
(S. 203 f).

Nicht unwichtig für den weltweiten Kampf gegen das Rauchen und die Durchsetzungskraft der Kampagnen war es auch, das Rauchen, das bis in die 70er Jahre ausdrücklich keine Sucht war, zur abhängig machenden Droge zu stilisieren (S. 144 ff).

Denn last not least ist Rauchen auch Genuß. Auf ansteckende und sinnliche Weise führt der Autor, selbst Raucher, gute Gründe für einen genußvollen Umgang mit der Zigarette an: Rauchen kann trösten, entspannen, beflügeln, versöhnen und heilen. Immer dann, wenn der Mensch in Grenzerfahrungen mit der Sinnlosigkeit und Unüberschaubarkeit seines Daseins konfrontiert ist, spendet die Zigarette Halt und Trost und steht darüber hinaus für den Wunsch und die Fähigkeit zu träumen, über sich und die gegenwärtige Situation hinauszugehen, sich aufs angenehmste zu verflüchtigen. Es schafft, so der Autor, "Momente der Besinnung, der Einkehr, der ästhetischen Kontemplation, des Zeitstillstandes - Momente des Heraustretens aus den strengen Abläufen und Zwängen des Alltags" (S. 19).

Trotzdem ist Imre von der Heydts Werk kein plattes Verführbuch zum Rauchen, wohl aber eines, das uns an den Anspruch auf Genuß und Lebenslust gemahnen kann und das darauf besteht, die Verantwortlichkeit für das eigene Leben nicht anderen zu überlassen.

Die Gefahren des Lebens verbieten hieße letztlich das Leben verbieten. Der Kampf gegen das Recht zu Rauchen ist daher in letzter Konsequenz ein Kampf gegen das Leben.
(S. 70)

Vehement und leidenschaftlich tritt der Autor dafür ein, daß der Mensch die Ambivalenz seines Daseins erleben darf, lachen, leiden, genießen, flüchten und verdrängen, träumen, begehren, Sinn- und Nutzlosigkeit empfinden, vor allem aber sich selbst bestimmen.

Der Kampf gegen das Rauchen wird zum Kampf gegen gesellschaftliche Vielfalt, antagonistische Lebensentwürfe, von der Norm abweichende Verhaltens- und Denkströmungen. Es ist zugleich ein zutiefst humorloser Kampf gegen jede Form von Lebensfreude.
(S. 208)

Für sein Werk hat der Autor aus unterschiedlichsten Quellen (deren Angaben sich mancher Leser gesammelt am Ende statt jeweils zwischen den Kapiteln gewünscht hätte) geschöpft, von eher sachbezogenen Büchern über geschichtliche und kulturgeschichtliche Werke bis hin zu Klassikern wie Thomas Manns "Zauberberg" oder Sartres "Das Sein und das Nichts", ergänzt durch zahlreiche Informationen aus dem Internet.

Auch vom äußeren Erscheinungsbild her ist das Buch ein handwerklich gelungenes Produkt, das Lesevergnügen bereitet, im etwas ungewöhnlichen Format von ca. 14 x 18,5 cm, in angenehm lesbarer Corporate in 10 Punkt gesetzt, mit tabakfarbenem Lesebändchen und farblich zum Thema passendem Einband. Das ist für einen Verlag, der sich auf Kunst und Handwerk im besten Sinne versteht wie DuMont, sicherlich nichts Ungewöhnliches, im Reigen moderner Druckerzeugnisse und Papiermachwerke aber auffällig sinnenfreudig - wie es das Rauchen eben ist oder zumindest sein sollte.

In diesem Sinne sei diesem Buch eine große Verbreitung gewünscht!


Imre von der Heydt,
Rauchen Sie? Verteidigung einer Leidenschaft
DuMont Literatur und Kunst Verlag, Köln, 2005
geb. 253 Seiten, EURO 17,90
ISBN 10: 3-8321-7931-3
ISBN 13: 978-3-8321-7931-1