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REZENSION/306: Eichner, Langrock - Der Drahtzieher Vernon Walters (SB)


Klaus Eichner & Ernst Langrock


Der Drahtzieher

Vernon Walters - Ein Geheimdienstgeneral des Kalten Krieges



Nach der Abwahl der rot-grünen Regierung von Gerhard Schröder und Joschka Fischer im letzten Herbst steht die Bundesrepublik Deutschland unter der Führung der CDU-Kanzlerin Angela Merkel wieder uneingeschränkt an der Seite der Vereinigten Staaten von Amerika - was sich beispielsweise an der gestiegenen Kritik am Rußland Wladimir Putins oder der Vorreiterrolle, die Berlin in den letzten Wochen und Monaten bei der von den NATO-Großmächten forcierten Verschärfung der "Krise" um das iranische Atomprogramm spielt, ablesen läßt. Angesichts der erstarkten Partnerschaft von BRD und USA empfiehlt sich die aufschlußreiche Lektüre "Der Drahtzieher. Vernon Walters - Ein Geheimdienstgeneral des Kalten Krieges", denn es dürfte kaum einen anderen geben, der mehr an der Atlantikbrücke Berlins und Washingtons mitgebaut hat. Darüber hinaus üben die geistigen Ziehkinder des schon zu Lebzeiten legendären CIA-Haudegens wie Außenministerin Condoleezza Rice oder der neue Nationale Geheimdienskoordinator (National Intelligence Director - NID) John Negroponte in der Regierung von US- Präsident George W. Bush eine enorme Macht aus.

Als Autoren der vorliegenden Walters-Biographie zeichnen Klaus Eichner, der von 1957 bis 1990 beim Ministerium für Staatssicherheit der Deutschen Demokratischen Republik zuletzt im Bereich Aufklärung mit Spezialgebiet US-Geheimdienste tätig war, und der Radiochemiker und Publizist Dr. Ernst Langrock verantwortlich. Im Mittelpunkt ihrer Dokumentation steht das Wirken von Walters im deutschen Wiedervereinigungsprozeß. Wie Eichner und Langrock zurecht feststellen: "Seine Verdienste um die Durchsetzung amerikanischer Zielvorstellungen sind kaum zu überschätzen." (S. 33) Bei diesen Zielvorstellungen ging es um den faktischen Anschluß der DDR an die alte Bundesrepublik bei gleichzeitigem Verbleib eines wiedervereinigten Deutschlands in der vom Pentagon beherrschten NATO. Zu diesem Zweck hatte Präsident George Bush sen. gleich nach seinem Einzug ins Weiße Haus Anfang 1989 den 1917 geborenen Walters aus dem Ruhestand geholt und mit den Worten "Es geht um's Ganze" als US- Botschafter nach Bonn entsandt. Dort angekommen, sorgte Washingtons erfahrenster Mann fürs Grobe mit seinem offenen Gerede von einer "baldigen Wiedervereinigung" Deutschlands für verständnisloses Kopfschütteln bei den Gastgebern.

Doch Walters sollte nicht zuletzt deshalb recht behalten, weil er mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln in die Ereignisse eingriff und jedwede Gelegenheit wahrnahm, den Lauf der Geschichte in die von Washington gewünschte Richtung zu lenken. Zu den auffälligsten von Eichner und Langrock dokumentierten Walters-Aktionen in dieser Umbruchphase europäischer Geschichte gehören zwei skurrile Episoden: erstens, die Entsendung einer US-Militärmaschine nach Warschau, die wenige Stunden nach dem Mauerfall den dort zu einem Gipfeltreffen weilenden Bundeskanzler Helmut Kohl nach Berlin beförderte, damit dieser am Abend des 10. November 1989 auf dem Balkon des Schöneberger Rathauses zusammen mit Willy Brandt und Walter Momper das Deutschlandlied zum besten geben konnte, und zweitens wenige Wochen später der Diebstahl der sagenhaften, rund 280.000 Personendaten umfassenden, auf Mikrofilm gespeicherten "Rosenholz-Dateien" bei der Erstürmung der Stasi-Zentrale in der Normannenstraße durch aufgepeitsche Ostberliner. Für Eichner und Langrock gilt es als ausgeschlossen, daß der Drei-Sterne-General Walters nicht von dieser "bedeutendsten nachrichtendienstlichen Operationen der CIA gegen die Aufklärung der DDR" (S. 39) wußte. Es spricht eher alles dafür, daß der ehemalige Operativchef der CIA bei dieser Aktion, mit der sich die USA in den Besitz wichtigsten Erpressungsmaterials gegen die Spitzenvertreter der alten BRD brachten, selbst die Fäden zog.

Während des Kalten Krieges gab es kaum ein geschichtliches Großereignis, in das Walters nicht in irgendeiner Form verwickelt war. Ein lebenslanger Junggeselle, der jeden Tag die katholische Messe besuchte und sechs bis sieben Sprachen fließend sprach, ging Walters nach der Teilnahme am Zweiten Weltkrieg zur Defense Intelligence Agency (DIA), dem pentagoneigenen Geheimdienst, wo er rasch die Karriereleiter hochkletterte. Als Dolmetscher von Außenminister George C. Marshall nahm er an den Verhandlungen über den nach diesem benannten Wirtschaftsplan für das vom Krieg zerstörte Westeuropa teil. 1951 wohnte er auf der Pazifikinsel Wake als Assistent von Präsident Harry Truman der spektakulären Entlassung von General Douglas MacArthur, der sich etwas zu vehement für den Einsatz von Atombomben im Koreakrieg eingesetzt hatte, bei. 1953 war er als Assistent von Averel Harriman, damals Sonderbotschafter von US-Präsident Dwight Eisenhower, in den Sturz der demokratisch gewählten Regierung des iranischen Premierministers Mohammed Mossadegh verwickelt.

Danach diente Walters als Militärattaché der US-Botschaft an vielen Krisenherden der Welt. Anfang der sechziger Jahre entwickelte er als Mitarbeiter der US-Botschaft in Rom jenen teuflischen Plan, der später als "Strategie der Spannung" in die Geschichte insbesondere Italiens eingehen sollte. Dabei ging es um die Destabilisierung der Gesellschaft durch washingtonfreundliche, konservative Kreise beim Militär, in den Medien und in der Politik, um linke Kräfte daran zu hindern, auf demokratischem Wege an die Macht zu gelangen, oder um sie, wenn sie diese bereits innehatten, zu stürzen. Von dieser Strategie, die Wirtschaftsboykottmaßnahmen genauso wie Attentate und fingierte "Terroranschläge" einschloß, machte Walters in den folgenden Jahrzehnten immer wieder Gebrauch. Er leitete den Putsch der Generäle 1964 in Brasilien ebenso wie den Sturz Salvador Allendes 1973 durch General Augusto Pinochet ein und stand der Operation Condor - einer Vernichtungskampagne der Geheimdienste mehrerer südamerikanischer Staaten gegen linke Gegner im In- und Ausland - Pate. Auf Operation Condor geht die Sprengung einer kubanischen Maschine 1976 - 73 Tote - ebenso wie im selben Jahr der tödliche Bombenanschlag in der US- Hauptstadt Washington auf den früheren chilenischen Außenminister Orlando Letelier zurück.

Unter Ronald Reagan reiste Walters zunächst als Sonderbotschafter durch die Welt, unter anderem regelmäßig in den Vatikan, um mit Papst Johannes Paul II. über die Unterstützung für die katholische Solidarnosc-Bewegung im noch kommunistischen Polen zu beraten. Gerade die konspirativen Tête-à-têtes beim Heiligen Vater dürfte Walters, der genauso wie seine katholischen Glaubensbrüder, der damalige CIA-Chef William Casey und der damalige US-Außenminister General Alexander Haig, Ritter des Malteser-Ordens war, zu den ganz persönlichen Sternstunden seiner langjährigen Karriere gezählt haben. In der ersten Hälfte der achtziger Jahre half Walters mit, den brutalen Kampf der USA und ihre Handlanger gegen linksgerichtete Kräfte in Mittelamerika, vornehmlich El Salvador, Guatemala und Nicaragua, zu koordinieren. 1986 löste er Jeane Kirkpatrick als US-Botschafterin bei den Vereinten Nationen ab. Dort legte er genauso unverfroren jene vermutlich von den Israelis fingierten Hinweise für eine Verwicklung Libyens in den Anschlag 1986 auf die Berliner Diskothek La Belle vor, wie er entschieden das Urteil des Internationalen Gerichtshofs in Den Haag gegen die völkerrechtlich illegale Verminung nicaraguanischer Häfen durch das US-Militär abtat.

All das und mehr behandeln Eichner und Langrock im vorliegenden Buch. Gleichzeitig greifen sie - in einem Ausmaß, das manchmal über das erforderliche hinauszugehen scheint - auf einst geheime Planungsdokumente der USA zurück, um den strategischen Hintergrund des Agierens von Walters zu erläutern. Was die von den Autoren Walters unterstellte "Verschleierung" der Watergate-Affäre betrifft, soll an dieser Stelle noch etwas angemerkt werden.

Wiewohl die Hintergründe dieser Affäre bis heute verborgen geblieben sind, besteht kein Zweifel daran, daß ausgerechnet Walters' schriftlich niedergelegtes Gedächtnisprotokoll eines Treffens, an dem am 23. Juni 1972, wenige Tage nach dem hauptsächlich von Ex-CIA- Mitarbeitern begangenen Einbruch im Wahlbüro der oppositionellen Demokraten, er, der damalige CIA-Chef Richard Helms, der Stabschef im Weißen Haus, H. R. "Bob" Haldeman, und der Präsidentenberater John D. Ehrlichman teilnahmen, später zum wichtigsten Beweismittel schlechthin für den Vorwurf wurde, Präsident Richard Nixon habe persönlich mit einer entsprechenden Bitte an die Adresse Langleys den Befehl zur Vertuschung der mißglückten Spähoperation gegeben. Haldeman und Ehrlichman haben immer wieder Walters' Erinnerungen an dieses Gespräch bestritten. Dennoch war es gerade dieser Vorwurf, der Nixon politisch das Genick brach und ihn schließlich dazu zwang, 1974 als erster Präsident der USA seinen Rücktritt zu erklären. So gesehen hat Walters nicht nur reihenweise Staatsstreiche im Ausland durchgeführt, sondern auch eine maßgebliche Rolle bei der damaligen Palastrevolte gegen Nixon gespielt. Die unheilvollen Spätwirkungen dieses denkwürdigen Vorgangs, der in der mythischen Überlieferung als Kampf der mutigen Washington Post gegen ein finsteres Weißes Haus verklärt wurde, sind in der autoritären Politik der Regierung von US-Präsident George W. Bush unschwer auszumachen.


Klaus Eichner & Ernst Langrock
Der Drahtzieher
Vernon Walters - Ein Geheimdienstgeneral des Kalten Krieges
Kai Homilius Verlag, Berlin, 2005
277 Seiten, Euro 18,00
ISBN 3-89706-877-X

3. März 2006