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REZENSION/282: DUDEN Basiswissen Schule - Mathematik (Lexikon) (SB)


Herausgeber Günther Rolles, Dr. Michael Unger


DUDEN Basiswissen Schule

Mathematik



Der "Mathematik-Duden" des Duden Paetec Schulbuchverlags ist viel mehr als eine bloße Formelsammlung und viel weniger als ein Tutorial für die Sekundarstufe I. Der Band Mathematik aus der Reihe Basiswissen für die Schule geht über eine bloße Formelsammlung hinaus, weil das Regelwerk durch ausgewählte Beweise untermauert und anhand von einzelnen Anwendungsbeispielen ausgeführt wird. Es handelt sich um kein Tutorial, weil der Band weder Übungsaufgaben noch pädagogische und den Lernprozeß unterstützende Hinweise enthält. Damit liegt ein "Buch zum schnellen und gezielten Nachschlagen und Wiederholen in der Schule und zu Hause" vor, wie es im Klappentext heißt.

"Mathematik" liegt schwer in der Hand, macht einen robusten Eindruck, ohne primitiv zu wirken, hat sogar durch das dünne, gerade eben transparent wirkende Papier etwas Edles, das zu schonendem Umgang animiert. Der mit einem gelackten, wie Leinen strukturierten Überzug versehene, kräftige Buchdeckel und die Fadenbindung versprechen lange Haltbarkeit, bleibt nur abzuwarten, ob auch der Buchrücken einer extensiven Beanspruchung standhält. Das dürfte jedoch kein Problem geben, weil der Duden allein schon wegen seines deutlichen Gewichts nicht täglich in den Ranzen gepackt werden wird, sondern eher seinen Ehrenplatz auf dem heimischen Bücherbord zugewiesen bekommt.

Die ersten Orientierungshinweise finden sich im Innendeckel zusammen mit den Erläuterungen zu den farbcodierten "Blattreitern" für die zehn Themenbereiche einschließlich Anhang. Wie angekündigt sind Definitionen, deren Erläuterungen und beispielhafte Umsetzungen im Text graphisch klar geschieden. Das ansprechende Layout kommt wohldosiert farbig und keinesfalls überladen bunt daher. Die tendenziell pastellartig abgedeckten Farben unterstützen den Eindruck von Unaufgeregtheit und Intimität, so daß man sich mit dem Buch gleich zum Stöbern auf seine Stube zurückziehen möchte.

Dekorative, assoziationenweckende oder informative Elemente unterbrechen nicht den Textfluß, sondern sind wie etwa etymologische oder historische Hinweise überwiegend in einer eigenen Spalte am Seitenrand angeordnet, ohne daß dieses Muster zu starr eingehalten würde. Die Abbildungen bekräftigen den Eindruck des Seriösen und heischen niemals durch flachen Witz oder Karikaturistisches um Aufmerksamkeit, die dann ja doch nur vom Thema ablenkte. Schließlich lädt ein moderner, serifenloser Font zur Fokussierung des Textes und zum Verweilen bei den einzelnen Aussagen ein.

Wenn man als Erwachsener mit der Schulmathematik noch vertraut ist, kann man sich beim Aufschlagen des Bands schon mal freuen, wie klar alle Regeln und ihre Deutungen präsentiert werden. Man trifft allenthalben auf alte Bekannte und sagt sich, genau, so hätte das damals dargestellt werden müssen. So hat der Herausgeber mit dem Mathematik-Duden erreicht, was mit einem Lexikon dieser Art zu schaffen ist, und hat nicht versucht darüber hinauszugreifen. Das ist keine Schwäche des Dudens, sondern könnte so verstanden werden, daß die Autoren in den eigentlichen, pädagogischen Diskurs nicht eingreifen wollten. Auch wenn sie also mit dem vorliegenden Band der selbstgestellten Aufgabe in hervorragender Weise gerecht werden, haben sie mit der Beschränkung auf ein Lexikon auch dessen Nutzungsmöglichkeiten abgezirkelt.

Wohl ist in der Mathematik nichts so einfach, als daß es nicht definiert werden könnte - zwei Geraden sind gleichlang, wenn sie deckungsgleich sind -, doch erst ein Schüler, der weiß, was er nicht weiß, kann entsprechende Fragen stellen und ist hinsichtlich seiner Probleme fast über den Berg. Wenn er sich aber möglicherweise schon seit Jahren auf den Wegen seiner Mutmaßungen und falschen, wenn auch komplexen Lösungsstrategien verloren hat, wird er im vorliegenden Band kein Rezept finden, das ihn zu höheren Leistungen beflügelt. Der junge Leser kann nicht ohne Rückgriff auf das im Unterricht verwendete Material entscheiden, ob ein Thema im Duden ihm persönlich nur fremd ist oder ob es zu dem Stoff gehört, der in höheren Klassen noch behandelt werden wird. Diesen Abgleich und Umgang mit einem Lehrbuch als einzelner leisten zu können erfordert eine Reife, die nicht einmal viele Studienanfänger aufweisen. Andererseits könnte gerade die Auseinandersetzung mit dem Mathematik-Duden wissenschaftliches Arbeiten vorbereiten helfen.

An der diametral entgegengesetzten Front vernachlässigter oder in Vergessenheit geratener Grundschulkenntnisse ermöglicht der lexikalische Aufbau des Duden dem Schüler eine Korrektur auch dann, wenn er im Unterricht seine Fragen schon nicht mehr zu stellen wagt und die alten Schulbücher mit den gesuchten Antworten nicht mehr greifbar sind. Beispielsweise heißt es auf S. 40 im Kapitel "Rechnen mit natürlichen Zahlen":

Trotz der Existenz leistungsfähiger Taschenrechner bleibt Kopfrechnen weiterhin wichtig, z. B. beim Kontrollieren durch Überschlagen. Es gibt auch ein schriftliches Verfahren der Addition.

Auf wenigen Quadratzentimetern wird dann anhand eines Beispiels die schriftliche Addition abgehandelt, wobei der Übertrag und seine Gewinnung jeweils in einer Farbe hervorgehoben werden. Das kann man trotz aller Konzentration schnell verstehen und anhand eines selbstgewählten Beispiels nachvollziehen.

Gerade weil wir hier ein grundsolides Lexikon haben, wünscht man sich, daß jeder Schüler, der es zum erstenmal in die Hand nimmt, jemanden an seiner Seite hat, der ihn in die Nutzung einweist. Ohne eine betreute Einführung wird der Umgang mit dem Mathematik-Duden schwerlich effizient werden. Leider findet sich in dem Band kein Hinweis auf diesen Umstand oder darauf, wie denn eine betreute Einführung aussehen könnte.

So ein Betreuer könnte gerade einem jüngeren Schüler nahebringen, wie er sich seiner Fragestellung und einer Antwort nähern kann. Vielen Schülern dürfte nämlich - so trivial es klingt - die Nutzung eines Registers oder eines Inhaltsverzeichnisses noch fremd sein. Die wenigsten haben sich schon einmal die Deutung der in einem Mathematiklehrbuch aufgeführten Regeln und Symbole selbst erarbeitet. Auch das bedarf - im wörtlichen Sinne - der Anleitung. Und es liegt auf der Hand, nur wer einmal erfolgreich eine Fragestellung anhand eines Buches geklärt hat, wird sich fürderhin für dieses Buch interessieren.

Nimmt man den Mathematik-Duden nicht als Nachschlagewerk in die Hand, sondern versucht ihn ohne konkrete Fragestellung von vorn nach hinten wie einen Roman zu lesen, stolpert man gleich im ersten Abschnitt über "Grundbegriffe der Mathematik". Dabei handelt es sich nicht notwendigerweise um Grundbegriffe des Schulstoffs - der Unterricht der Sekundarstufe I beginnt natürlich nicht mit der Aussagenlogik. Durch die Bezeichnung Grundlagen wird der junge Leser irregeführt. Es könnte formale Vertiefungen heißen. Auch darauf müßte ein Betreuer hinweisen.

Ein weiteres Problem in diesem Zusammenhang ist die von den Autoren vorgenommene Einbindung des Lehrstoffs höherer Jahrgangsstufen in die Erläuterungen der Grundlagen. Ein Beispiel mag das verdeutlichen. Zum "Beweis einer WENN-DANN-Aussage" (S. 24) wird der 2. Strahlensatz unter Verwendung der Begriffe "Strahlen", "Büschel", "Parallelen", "Parallelenabschnitte", "Strahlenabschnitte" nebst Symbolik der analytischen Geometrie bemüht. Das kann ein Schüler der fünften Klasse nicht verstehen. Selbst in den höheren Jahrgängen dürften sich nur wenige finden, die den Strahlensatz so präsent haben, daß sie über seine Darstellung hinausgelangen und die Aussagenlogik verstehen, um die es hier eigentlich geht.

Ebenfalls sollte angemerkt werden, daß es sich bei der allem anderen gleichwertig behandelten Stochastik im vorletzten Abschnitt des Hauptteils eigentlich um Abiturstoff handelt. Demgegenüber ist die dem Stoff der Klassen 5 bis 10 nicht entsprechende Infinitesimalrechnung selbstverständlich nicht vorhanden.

Auf die Unsicherheit, welche Aussagen und Definitionen ihn etwas angehen, wird ein Schüler gleich welcher Altersstufe in jedem Kapitel stoßen, weil der Stoff bis in die Axiomatik hinein jeweils umfassend dargestellt wird. Naheliegenderweise hätte der Herausgeber des Dudens mit einer graphischen Kennzeichnung die altersbezogene Relevanz des jeweiligen Materials herausstellen können, doch hätte dies vermutlich die klare Darstellung überfrachtet.

Im Medienzeitalter darf in einem Lehrbuch eine CD zum Thema nicht fehlen. Wie aber der Duden Paetec Schulbuchverlag dem Anspruch der Kundschaft auf Unterhaltung nachgekommen ist und andererseits die im Buch propagierte Seriosität mittels der beiliegenden CD auf Computer und Internet überträgt, ist schon sehr interessant.

Mit einem der gängigen Browser lassen sich die meisten Applikationen auf der CD ohne Installationen aufrufen. Es erscheint dann ein in drei Frames geteiltes Fenster, welches in dieser Grundkonzeption nicht mehr aufgegeben wird. Damit ist eine klare hierarchische Struktur verbunden, die im wesentlichen von links nach rechts das Verzeichnis (wahlweise themenbezogen, alphabetisch oder durch Eingabe von Stichworten und Stichwortkombinationen aufschlüsselbar), eine Kurzbeschreibung mit der Möglichkeit zur Vertiefung sowie eine Liste mit verwandten Themen bietet. Das verleitet zum Surfen - bis in das "Wissensnetz" des Verlags hinein -, aber letztlich bleibt der Linkbereich unter jeweils einem einzigen Stichwort gekapselt. Das führt immer wieder auf den Ausgangspunkt, das Register des linken Frames, zurück.

Während die genannte Dreiteilung des Fensters erhalten bleibt, werden multimediale Applikationen in eigenen Fenstern präsentiert und sind schnell wieder weggeklickt. Außerdem kommt die Home-Seite mit einer kleinen Animation daher, welche hauptsächlich wohl die Funktion eines winkenden Zaunpfahls hat: ich bin zurück am Start.

Da anders als beim Buch neben dem Computer sowieso keine Kladde liegt, macht es nichts, daß die eigentlichen mathematischen Inhalte weniger konzentriert angeboten werden. Abgesehen davon lassen sich einige Exempel durch Eingabe von Parametern interaktiv untersuchen. Nicht zu unterschätzen ist im übrigen der Reiz, auf "Gut Glück" zu einem Thema zu springen.

Die Wissenswelt der CD entstand beileibe nicht aus einer automatisierten Konvertierung der Druckvorlage des Buchs, sondern eröffnet eine Fülle eigenen Materials. Es wird großes Gewicht beispielsweise auf Biographien gelegt. Dabei werden die Problemfälle der Geschichte nicht ausgeblendet, zumindest bleibt die Möglichkeit offen, sich für die sozialen Bedingungen der großen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler weiter zu interessieren.

Hier erfährt man, daß Earl of Bertrand Arthur William Russell, der die Menge aller Mengen, die sich nicht selbst enthalten, erfunden hat, wegen seiner Antikriegsproteste verurteilt und von der Cambridger Universität suspendiert wurde, Zeit seines Lebens Pazifist blieb und sich (u. a. gemeinsam mit Albert Einstein) für eine Reduzierung bzw. ein Verbot von Kernwaffen eingesetzt hat.

Das Stichwort "Frauen in der Mathematik" liefert sechs Treffer für rund 2500 Jahre Mathematikgeschichte. Zur Erklärung schreibt der Duden:

Bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts sind unter der großen Zahl der auf dem Gebiet der Mathematik tätigen Wissenschaftler nur wenige Namen von Frauen zu finden (...) Dieser Zustand ist den damaligen gesellschaftlichen Verhältnissen geschuldet, die von Vorurteilen gegenüber Frauen geprägt waren und diese vom wissenschaftlichen Leben nahezu ausschlossen.

Das ist dann doch sehr mager, wenn man auf die Analyse eines bedeutenden sozialen Phänomens hofft. Nichtsdestotrotz lesen sich auch Erwachsene beim Herumstöbern gerade in den Kurzbiographien immer wieder gerne fest.


Herausgeber Günther Rolles, Dr. Michael Unger
DUDEN
Basiswissen Schule
Mathematik
2. aktualisiert Auflage, 2005
DUDEN PAETEC-Schulbuchverlag Berlin Frankfurt a. M.
392 Seiten
ISBN 3-89818-031-X (DUDEN PAETEC-Schulbuchverlag)
ISBN 3-411-71502-2 (Dudenverlag)

CD-ROM mit Lehrprogramm für Windows-, Linux- und Macintosh-Computer