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REZENSION/252: Walpen - Die offenen Feinde... (Politische Ökonomie) (SB)


Bernhard Walpen


Die offenen Feinde und ihre Gesellschaft

Eine hegemonietheoretische Studie zur Mont Pèlerin Society Schriften zur Geschichte und Kritik der politischen Ökonomie 1



Der Neoliberalismus ist in aller Munde, und doch weiß man über das theoretische Fundament dieser Wirtschaft wie Gesellschaft bestimmenden Doktrin in der Regel wenig mehr, als daß es für den marktradikalen Strukturwandel kapitalistischer Volkswirtschaften verantwortlich zeichnet. Die Liberalisierung jedes gesetzlichen Regelwerks, das die Wirtschaft den Interessen von Staat und Gesellschaft unterwirft, die Privatisierung staatlicher Betriebe zwecks Steigerung ihrer Rentabilität und die Deregulierung aller tarifären und fiskalischen Hindernisse zwecks unbehinderten Kapitalflusses sollen dazu führen, daß das Kapital maximale Allokationseffizienz erreicht und so unbehindert wie möglich Rendite erwirtschaften kann. Zu beseitigen sei jede Form in das Marktgeschehen eingreifender Staatlichkeit, ob es sich um das Abschöpfen von Steuern für die Finanzierung von Sozialtransfers, arbeits- und umweltrechtliche Auflagen für Unternehmen oder eine restriktive Handelspolitik handelt. Das zumindest besagt das gängige Verständnis der neoliberalen Wirtschaftslehre. Daß diese Politik zutiefst sozial ungerecht ist, ist kein Schönheitsfehler, sondern ein Merkmal ihrer sozialdarwinistischen Konzeption, die im evolutionärer Sinne sogar als gesamtgesellschaftlich förderlich erachtet wird. Der propagierte freiheitliche Individualismus beschränkt sich auf die Funktion des Menschen als Produzent und Konsument, ansonsten gilt nach Maßgabe eines global entuferten Utilitarismus, daß der einzelne nichts ist im Verhältnis zu dem, was über seine Verwertung an Fortschritt für das Gesamtsystem erzielt werden kann.

Zu erklären, wie es dazu kommen konnte, daß die neoliberale Ideologie in der kapitalistischen Welt seit Ende der siebziger Jahre zur unangefochtenen ökonomischen Leitdoktrin aufgestiegen ist, während sie den Nachweis des Versprechens, weit wirksamer als sozialistische Volkswirtschaften zum Wohle aller zu wirken, schuldig blieb, bedarf tatsächlich eines hegemonietheoretischen Ansatzes. Wie immer in der Politik geht es an erster Stelle und in letzter Konsequenz um die Machtfrage, und die läßt sich nicht einfach mit volkstümlichen Phrasen wie "Geld regiert die Welt" beantworten. Die monolithische Gültigkeit einer Wirtschaftstheorie, deren Definitionsgewalt die soziale Polarisierung westlicher Gesellschaften kontinuierlich vergrößert und das soziale Elend in den Ländern des Südens drastisch verschärft hat, muß die Frage aufwerfen, wieso ihr destruktiver Charakter in Kauf genommen wird.

Der Schweizer Sozialwissenschaftler Bernhard Walpen widmet sich im vorliegenden Werk anhand der Schilderung des historischen Werdegangs der Mont Pèlerin Society (MPS) unter anderem der Beantwortung dieser Frage und holt dazu mit den Mitteln einer durchaus parteilichen Sozialwissenschaft weit aus. "Die offenen Feinde und ihre Gesellschaft" brauchen sich nicht zu verstecken, weil sie sich der Zuständigkeit über essentielle Fragen der Produktion und Reproduktion bemächtigt haben. Wie die inflationäre Verwendung der Begriffe "Freiheit" und "Demokratie" im Kontext der gewaltsamen Ausbreitung des westlichen Staats- und Gesellschaftsmodells bei gleichzeitiger Widerlegung ihres essentiellen Anspruchs steht die "offene Gesellschaft" für die Restauration und Verstetigung eines Gewaltverhältnisses, das die Freizügigkeit des Kapitals überall dort erzwingt, wo der Mangel akkumuliert wird, ohne den sich der auf der Not des andern basierende Wert nicht bestimmen ließe.

Die schwierige Aufgabe, die maßgebliche Bedeutung einer nur wenig bekannten Gruppe von Ökonomen und Intellektuellen, die 1947 nach dem Ort ihrer Gründung, dem schweizerischen Bergdorf Mont Pèlerin, benannt wurde, für die heute vorherrschende Wirtschaftsdoktrin nachzuweisen, meistert Walpen mit gebotener Gründlichkeit. Der Leser erlangt nicht nur Aufschluß über Formierung, Werdegang und Erfolg der MPS, sondern erfährt viel über die theoretischen Voraussetzungen, mit denen Walpen sich Zugang zu seinem Thema verschafft. Seine systematische Herangehensweise betrifft nicht nur den Gegenstand der Arbeit, sondern reflektiert auch die dabei verwendeten Mittel und Methoden. Der Leser wird ausführlich über die extensive Forschungsarbeit Walpens aufgeklärt und kann auf diese Weise miterleben, wie der Autor aus durchaus selbstkritischer linker Sicht dem angesichts seiner Bedeutung für das Leben jedes einzelnen Menschen viel zu wenig untersuchten Neoliberalismus auf die Schliche seines Erfolges kommt.

Neben der kritischen Analyse neoliberaler Positionen, in denen, wie für eine Glaubenslehre typisch, "methodische und analytische Unterscheidungen zwischen 'Markt' und 'Staat' oder zwischen 'Ökonomie' und 'Politik' zu wesensmäßigen erhoben" (S. 13) werden, und neoliberaler Ideologeme, mit deren selbstevidentem Wahrheitsanspruch man täglich im "herrschaftsförmigen Freiheitsdiskurs" (S. 13) der Politiker konfrontiert wird, richtet Walpen seine Aufmerksamkeit vor allem auf die Struktur der Netzwerke, die wesentlich dazu beitrugen, daß diese Weltanschauung zur Leitideologie der kapitalistischen Welt werden konnte. Die MPS hat ihr Ziel, die maßgeblichen intellektuellen Debatten zum High-Tech-Kapitalismus zu dominieren, keinesfalls nur durch vordergründige Propaganda erreicht:

Transnationale Elitenetzwerke, Stiftungen, Think Tanks, 'Policy Research Institutes', internationale Organisationen und Wirtschaftsvereinigungen sind durch Personen miteinander in einer 'losen' Weise verbunden. Sie bewerkstelligen den 'process of policy osmosis' (Cox 1987, 300), d.h. es handelt sich nicht um eine platte Durchsetzung irgendwelcher Interessen, sondern um das Aufwerfen und Setzen von Themen und Agendapunkten. (S. 16)

Um diesen Komplex politischer Wirksamkeit auf den Begriff zu bringen, bedient sich Walpen vor allem der Theorie des Netzwerks, wie sie der italienische Revolutionär und Theoretiker Antonio Gramsci entwickelt hat, als er im 13. seiner berühmten Gefängnishefte "die Entwicklung der Vereinheitlichung der Interessen" in einer Gesellschaft schilderte. Walpen erklärt anhand von drei Phasen dieser Entwicklung, wie laut Gramsci eine Ideologie

dazu tendiert, das Übergewicht zu erlangen, sich durchzusetzen, sich über den gesamten gesellschaftlichen Bereich zu verbreiten, wobei sie über die Einheitlichkeit der ökonomischen und politischen Ziele hinaus auch die intellektuelle und moralische Einheit bewirkt, alle Fragen, um die der Kampf entbrannt ist, nicht auf die korporative, sondern auf eine 'universale' Ebene stellt und so die Hegemonie einer grundlegenden gesellschaftlichen Gruppe über eine Reihe untergeordneter Gruppen herstellt. (S. 18)

Den abstrakten Verlauf des Kampfes um gesellschaftliche Vormacht konkretisiert Walpen anhand der Abhandlungen des Soziologen Max Webers zu Sekten, die aufgrund des freiwilligen Zusammenschlusses von Individuen zu einer Gemeinschaft von sozial überschaubarer Größe und ihres antistatistischen Charakters ein "überlegenes Modell der Vergesellschaftung" (S. 20) darstellten. Für Weber stellten Sekten, fernab von der heute üblichen negativen Konnotation des Begriffs, eine Sozialstruktur dar, die sich seiner Ansicht nach in den USA besonders bewährt habe einerseits als Mittel sozialdarwinistischer Individuation, andererseits aber auch als "gemeinschaftsbildende Macht" (S. 20). Das Spannungsverhältnis zwischen ethischem Anspruch und sozialdarwinistischer Praxis begünstigt - wie jede Ambivalenz von archaischer Grausamkeit und zivilisatorischer Regulation, die höchste Kulturleistungen wie verfeinerte Formen des Raubes generiert -, die Elitenbildung in demokratischen Gemeinwesen und bietet sich damit als analytischer Schlüssel zum Verständnis der MPS an. Nicht von ungefähr hat der amerikanische Investigativjournalist Seymour Hersh kürzlich in einem Interview behauptet, die USA wären "von einem Kult übernommen" worden - er meinte die neokonservativen Berater des Weißen Hauses, die wesentlich für die Globalstrategie der derzeitigen US-Administration verantwortlich sind und die in einem Netzwerk von Think Tanks und Stiftungen organisiert sind, zu dem auch die MPS personelle und institutionelle Verbindungen unterhält.

Walpens Projekt, "am Beispiel der MPS die Bedeutung einer historisch-sozialen Netzwerkanalyse (...) paradigmatisch aufzuzeigen" (S. 24), hat den besonderen Reiz, die hegemoniale Stellung des Neoliberalismus nicht nur anhand der propagierten Ideen, sondern seiner organisatorischen Strukturen zu erklären. Dabei gelangt der Autor zu grundlegenden Aussagen über Stiftungen, Think Tanks und andere Institutionen der Politikberatung, die natürlich nicht nur für neoliberale Einrichtungen gelten, sondern die intellektuelle Wissensproduktion in ihrer "macht- und herrschaftstheoretischen Analyse" (S. 25) generell betreffen. Die umfassenden Recherchen, die er zu diesem Zweck in Archiven in aller Welt angestellt hat, schlagen sich in einer Fülle des präsentierten Materials nieder, die den Hinweis auf dem Bucheinband, das Werk werde "für weitere Forschungen unverzichtbar sein", als durchaus angemessen erscheinen läßt.

Besonderen Wert legt Walpen darauf, nicht mit Verschwörungstheoretikern in einen Topf geworfen zu werden, was sich angesichts der Erwähnung etwa der Freimaurer und der Bilderberg-Gruppe oder dem Generalverdacht, unter dem Einrichtungen der Politikberatung auf den Conspiracy-Websites im Internet stehen, anböte. Weil die kausale Verortung dominanter weltpolitischer Entwicklungen im Treiben finsterer Ränkeschmiede und sinistrer konspirativer Zirkel von besonderem Belang für die politische Debatte abseits des Mainstreams ist, von wo aus sich die Ausblendung wesentlicher Handlungsmotive und -faktoren unschwer bezeugen läßt und den Verdacht einer systematischen Irreführung der Öffentlichkeit nährt, sei der Kritik Walpens an der verschwörungstheoretischen Herangehensweise an dieser Stelle ausführlich Raum gegeben:

Ausgehend von einer kritischen linken Position sind solche Zugangsweisen mehrfach unbefriedigend: 1. Anstelle der mühsamen Recherchierarbeit und Analyse konkreter Vereinigungen tritt vor allem die Verdächtigung per Mitgliedschaft. 2. Es wird, wie bei simplizistischen Blaupausen, von einer direkten Eins-zu-Eins-Umsetzung von Gedanken in Politik ausgegangen. 3. Für linke Positionen, die ihre Analysen ausgehend von antagonistisch und widersprüchlich verfassten kapitalistischen Gesellschaftsformationen betreiben sollten, bedeutet es auch, die Klassen- oder Geschlechterverhältnisse als nicht relevant zu behandeln, denn die entsprechenden Kämpfe werden zu Chimären, wenn Verschwörungstheorien so wirken, wie es unterstellt wird. 4. Aus einer hegemonietheoretischen Sicht bedeutet es, dass es letztlich zwei Kategorien von Menschen gibt, jene wenigen, die souverän alles steuern, und die breite Masse der manipulierten. Hegemoniale Kämpfe gibt es nicht, denn um den Konsens der subalternen Klassen und Gruppen muss nicht gerungen werden, wenn diese über Manipulationen in ihren jeweiligen subalternen gesellschaftlichen Positionen gehalten werden können. 5. Aus der Sicht einer Theorie der Persönlichkeit (...) ergibt sich das Problem, dass die Manipulierenden von der Manipulation ausgenommen sind. Die Anhänger der Verschwörungstheorien sehen in einem platten Subjekt-Objekt-Schema 'die Wirklichkeit', wie sie ist, und entwickeln daraus ihre Vorstellungen. Kurz: Aus verschwörungstheoretischer Sicht verschwindet jegliches emanzipatorische Projekt. (S. 27f.)

Gut gerüstet mit einer umfassenden Bestimmung der eigenen Position, der Stoßrichtung seiner Arbeit, der Darstellung ihrer Methodik und einer Zusammenfassung ihres Inhalts geht Walpen nach der 35 Seiten starken Einleitung zur detaillierten Schilderung des Werdegangs der Mont Pèlerin Society über. In dem in sechs Kapitel gefaßten Hauptteil des Buches legt er auf 230 Seiten die chronologische Geschichte der MPS unter Einbeziehung ihrer Wurzeln im klassischen bürgerlichen Liberalismus und in den restaurativen Bestrebungen, die schließlich zum Aufkommen des Begriffs vom Neoliberalismus führten, dar. Walpen zeichnet diese Entwicklung anhand der Treffen der wesentlichen Akteure, von denen hier nur die prominentesten - Friedrich A. von Hayek, Milton Friedman, Walter Eucken, Ludwig von Mises, Karl R. Popper, Wilhelm Röpke - genannt werden sollen, im Rahmen der MPS wie ihrer institutionellen Vorläufer und Ableger nach.

Dabei stellt der Autor grundlegend klar, daß sich der von ihm anhand seiner "historischen Ausprägungen in den verschiedenen Formen" (S. 63) vorgestellte Begriff des Neoliberalismus nicht eindeutig definieren läßt, sondern seine "unterschiedlichen Strömungen und Ausprägungen innerhalb des neoliberalen Rahmens" (S. 63) am besten historisch zu analysieren seien. Neben der grundlegenden Ablehnung jeglicher Form von "Kollektivismus" (S. 63) und seiner Frontstellung gegen den Sozialismus kennzeichnet Walpen den Neoliberalismus anhand der in der MPS geleisteten Definition seiner Ziele und gelangt zu dem Schluß:

Der Fixpunkt liegt nicht auf inhaltlichen Bestimmungen, sondern auf Prinzipien und Konzepten auf ökonomischer Ebene (freier Markt, Wettbewerbsprinzip, Privateigentum an Produktionsmitteln u.a.) und der 'Staatsmathematik', die zwar sehr kontrovers behandelt und beantwortet wird (von der Abschaffung des Staates bis zu weitreichenden regulativen Staatsfunktionen auch im ökonomischen Bereich, wobei letzteres stets im Hinblick auf die Funktionstüchtigkeit des Marktes bestimmt wird), nichtsdestotrotz aber einen permanenten Bezugspunkt der Debatten bildet. (S. 64)

Daß sich die diversen Strömungen innerhalb des Neoliberalismus nach außen hin als geschlossene Front abbilden - was dazu geführt haben mag, daß man allgemein von einer konsistenten Definition des Begriffs ausgeht und dessen Determinanten daher nicht weiter untersucht -, während man tatsächlich über eine erhebliche Variationsbreite in der theoretischen Grundlegung verfügt, erweist sich als besondere Stärke seiner Durchsetzung:

Gerade weil es innerhalb der MPS, anderen Diskussionszirkeln und der Think Tanks unterschiedliche intellektuelle und pragmatische Positionen gibt, war und ist überhaupt die Möglichkeit gegeben, hegemonial zu wirken (S. 65)

. Die von Walpen attestierte Trivialisierung des Neoliberalismusbegriffs in seiner radikallibertären Version, die den Markt absolut setzt und den Staat am liebsten ganz abschaffte, hat dem Erfolg dieser Wirtschafts- und Gesellschaftsdoktrin jedenfalls keinen Abbruch getan.

Der Autor macht vor allem MPS-Mitglieder für die Schaffung eines neuen Liberalismus und die Ausprägung des Begriffs "Neoliberalismus", der 1945 von Röpke erstmals in einer deutschen Publikation genannt wurde, verantwortlich. Sie beherrschten die intellektuelle Debatte noch vor der Gründung der Mont Pèlerin Society im April 1947 und gruppierten sich in der BRD um die Ordoliberale Schule, die wesentlichen Einfluß auf die Wirtschaftspolitik des MPS-Mitglieds und späteren Bundeskanzlers Ludwig Erhard hatte. Daß der von ihnen geprägte Begriff der "Sozialen Marktwirtschaft" Larve eines genuin neoliberalen Programms war, zeigt sich in der Renaissance des Terminus als Etikett für die "Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft" (INSM), die unter Einsatz erheblicher finanzieller Mittel versucht, die öffentliche Debatte in Deutschland im Sinne des Kapitals zu beeinflussen.

Walpens Darstellung des Aufstiegs der MPS zu einem wichtigen Knoten im internationalen Netzwerk neoliberaler Wirtschaftinstitute und Think Tanks bietet einen Abriß der Nachkriegsgeschichte aus der Sicht des Kampfes um die Vorherrschaft ökonomischer Theorien, der alle Stationen einbezieht, die für die Formierung der heutigen Weltwirtschaftsordnung von Bedeutung sind. Dabei anfallende Informationen über einzelne Personen und Institutionen sowie die von diesen propagierten Theorien und Ideologien, die über den Hauptstrom der Themenstellung hinausgehen, werden in dem mithilfe eines besonders kleinen Schrifttyps komprimierten, 84 Seiten starken Anmerkungsteil so umfassend abgehandelt, daß das Konsultieren dieser Zusatzinformationen während der Lektüre unbedingt zu empfehlen ist. Der Experte wird vor allem an der Quellendokumentation interessiert sein, während der wissenschaftlich nicht vorgebildete Leser einen Einblick in Methodik und Theorie der politökonomischen Analyse erhält.

Die MPS formierte sich im Kontext der "Ausweitung der Zivilgesellschaft", in der "neue Ideologie- und Hegemonialapparate" entstanden, "die erst im neu sich herausbildenden High-Tech-Kapitalismus ihre entsprechende Form und Funktion fanden" (S. 182). Erst mit dem Ende des Fordismus übernahmen die schon seit Jahrzehnten existierenden "intellektuellen Gesellschaften, Think Tanks und Stiftungen (...) vermehrt eigenständige Aufgaben und Funktionen" (S. 182) und schmälerten damit die Bedeutung der politischen Parteien, die sich wiederum im Arsenal medialer Einflußnahme bedienten, um ihre Stellung zu behaupten. Dies fand und findet nicht nur auf nationaler Ebene statt, sondern die Herausbildung "transnationaler Hegemonialapparate" (S. 183) ist in zunehmendem Maße nicht nur für die akademische Wissenschaft, sondern auch Wirtschaft und Politik von Belang.

Schließlich spielen die MPS und das aus ihr hervorgegangene Londoner Institute of Economic Affairs (IEA) eine wesentliche Rolle bei der Durchsetzung des ökonomischen Strukturwandels, der in Europa von der britischen Premierministerin Margaret Thatcher angestoßen wurde, während in den USA "private Organisationen wie das American Enterprise Institute (AEI), die Heritage Foundation, die Hoover Institution on War, Revolution and Peace, das National Bureau of Economic Research u.a.m. die Grundlage für einen bedeutenden Wechsel in der Politik" (S. 185) schufen, der in der Person des US-Präsidenten Ronald Reagan eine auf konservative US- Bürger bis heute charismatisch wirkende Leitfigur fand. Thatcher wie Reagan verstanden es, "die theoretischen Ideologien in ein populistisches Idiom zu übersetzen" (S. 185) und damit der neoliberalen Doktrin eine Breitenwirkung zu verschaffen, die sich heute in der besinnungslosen Litanei marktfundamentalistischer Forderungen niederschlägt.

Angesichts des Einflusses neokonservativer Politikberater auf die US-Administration sind die Verbindungen des MPS zu Personen und Institutionen aus dem Dunstkreis um US-Präsident George W. Bush und seinen Vizepräsidenten Richard Cheney von besonderem Interesse. So schildert Walpen, wie Milton Friedman 1972 versuchte, den Gründungsvater der neokonservativen Bewegung, Irving Kristol, für die MPS zu gewinnen. Auch wenn dies nicht gelang, so fand doch eine Annäherung zwischen Neoliberalen und Neokonservativen statt, die unter anderem über die Person Wilhelm Röpkes erfolgte, der "die Begründung für die Verbindung von Liberalismus, 'libertarianism' und Christentum" (S. 173) lieferte.

Gerade das 1943 gegründete AEI sticht als Zentrum der neokonservativen Bewegung immer wieder aus der großen Schar Washingtoner Think Tanks hervor, kreuzen sich doch diverse personelle, publizistische und inhaltliche Linien, die mit dem Antritt von Präsident Bush in Washington tonangebend wurden, unter diesem Etikett. Wie die MPS, dem unter anderem der heutige US-Zentralbankchef Alan Greenspan angehört, stellte das AEI diverse Mitglieder der Reagan-Administration und erlangte auch unter Präsident Bush den Rang eines Personalpools, aus dem 20 hochrangige Regierungsbeamte für seine Administration rekrutiert wurden. Dafür bedankte sich Bush eigens in einer Rede, die er am 26. Februar 2003, also nur wenige Wochen vor dem Irakkrieg, am AEI hielt und in der er bestätigte, daß die strategische Programmatik des Instituts für den Nahen und Mittleren Osten seiner Regierung als Grundlage des Plans, die Region im großen Maßstab neu zu ordnen, diente.

In seinem mit Absicht doppeldeutig formulierten Resümee "What's Left" stellt Walpen noch einmal klar, daß es der MPS wesentlich "um die Bewahrung und anhaltende Ausbreitung des Kapitalismus, bis er wahrhaft global ist" (S. 284), gehe. Ihre Mitglieder strebten die Durchsetzung kapitalistischer Maxime und nicht die Begünstigung von Einzelinteressen an, die im Fall ungenügender Adaption neoliberaler Rentabilitäts- und Flexibilitätskriterien durchaus dem von Schumpeter 1942 artikulierten "ewigen Sturm der schöpferischen Zerstörung" (S. 284) anheimfielen. Es wäre mithin verfehlt, die MPS und die mit ihr vernetzten Institute der Politikberatung als bloße Lobbyisten zu verstehen, die aus vordergründigen Interessen die Position ihrer Klientel in Staat und Gesellschaft verbessern. Walpen umschreibt die MPS-Mitglieder als "wirkliche Superstruktur" und "organische Intellektuelle des globalen Kapitalismus" (S. 285). Als solche begründeten "sie wissenschaftlich eine Ordnung, die desorganisierend und sozial zerstörerisch wirkt" (S. 285), eben die eines auf sozialdarwinistischen Prinzipien beruhenden Systems verbrauchsintensiver Bestandssicherung.

Demgegenüber fordert Walpen die Linke auf, "wieder emanzipatorisch initiativ" (S. 297) zu werden und an "die herrschaftskritischen Traditionen anzuschließen" (S. 298). Es fällt allerdings schwer, überhaupt von einer Linken zu sprechen, wenn die unter dieser Kategorie versammelten Aktivisten nicht diese Mindestanforderungen erfüllen. Um so mehr ist Walpens Feststellung zu unterstreichen, daß eine "radikal emanzipatorische Alternative (...) Vorstellungen einer gesellschaftlichen Utopie entwickeln" (S. 300) müsse und ihre "alternativen Entwürfe nicht durch (...) Forderungen nach 'Praktikabilität, Vernünftigkeit und Realismus' unterdrücken" (S. 300) lassen dürfe. Wenn selbst neoliberale und neokonservative Ideologen mehr utopischen Elan aufweisen als eine Linke, die sich dem vermeintlichen Sachzwang einer positivistischen Weltsicht ausgeliefert hat, dann bedarf es tatsächlich eines sehr grundlegenden Neubeginns, um das verlorene Terrain zurückzuerobern.

Mit Bernhard Walpens Werk hat die neue Reihe des VSA-Verlags "Schriften zur Geschichte und Kritik der politischen Ökonomie" einen Auftakt genommen, der die Debatte um die theoretischen Grundlagen der kapitalistischen Wirtschaftsweise und ihre Überwindung auf jeden Fall bereichert. Auf die nächsten Publikationen dieses ambitionierten Projekts darf man gespannt sein.


Bernhard Walpen
Die offenen Feinde und ihre Gesellschaft
Eine hegemonietheoretische Studie zur Mont Pèlerin Society
Schriften zur Geschichte und Kritik der politischen Ökonomie 1
VSA-Verlag, Hamburg 2004
493 Seiten
ISBN 3-89965-097-2