Schattenblick →INFOPOOL →BUCH → SACHBUCH

REZENSION/192: Adriano Sack - Elternabend (68er-Generationenkonflikt) (SB)


Adriano Sack


Elternabend



Eine Abrechnung mit der Elterngeneration der heute 30-40jährigen, mit den sogenannten 68ern also, verspricht das Erstlingswerk von Adriano Sack, Jahrgang 1967, heute Leiter des Kulturressorts der 'Welt am Sonntag' in Berlin, vormals (und nicht zu überlesen) Schreiber für 'Spiegel', 'Die Woche' und 'Tempo', unter dem Titel ELTERNABEND - ÜBER UNSERE SCHWER ERZIEHBAREN MÜTTER UND VÄTER - und eine Liebeserklärung zugleich.

Das klingt nach einem spannenden Thema und lesenswerter Lektüre in eigener Sache, nicht nur für die Kindergeneration, sondern auch für die eben dieser Eltern, zu der auch die Rezensentin gehört.

Nun ist die Auseinandersetzung mit und Abgrenzung von den Eltern nichts Besonderes und es gibt sie in jeder Generation neu. Vieles, was in dem Buch zu lesen ist, läßt sich nahezu nahtlos auf die Generation unserer Eltern übertragen, etwa die Reaktionen auf erste Parties und Alkoholexzesse, wohlgemeinte Einmischungen in die Erziehung der Enkel oder scheinrationale Be-, eigentlich aber Verurteilungen möglicher zukünftiger Partner.

Für uns "68er", um einen ebenso falschen wie konsensfähigen Begriff der Kürze halber zu benutzen, hatte die Auseinandersetzung mit den Eltern aber nicht nur als Abnabelungsprozeß eine Bedeutung. Sie war deshalb so wichtig, weil unsere Eltern zu einer Generation gehören, die sich in unseren Augen durch aktive Unterstützung oder aber auch stille Duldung des 3. Reiches schuldig gemacht hatte. In dem Maße, wie dies verschwiegen und verdrängt wurde, schien es uns um so wichtiger, die Verbrechen aufzudecken und anzuklagen und die Doppelbödigkeit der zunehmend satten deutschen Nachkriegsära anzuprangern, dies im Zusammenhang einer gesamtgesellschaftlichen Analyse und Kritik von Kapitalismus und Imperialismus und nicht ohne Anspruch auf eigene gesellschaftsverändernde Praxis.

Veränderung war vor dieser historischen Erfahrung und im Umgang damit eine gleichermaßen politische wie auch private Angelegenheit.

Bei Adriano Sack liest sich eine Charakterisierung dieser Jahrgänge so:

Denn unsere Eltern, das sind diese jungen Alten. Sie bilden eine Generation, die in der Kriegs- oder direkten Nachkriegszeit geboren wurde und sich jetzt im dritten Jahrtausend zurechtfinden muß. Die in ihrer Jugend den Siegeszug der Popokultur, eine Studentenrevolte und die Abschaffung einer prüden Sexualmoral erlebte und trotzdem Familien gegründet, Häuser gebaut, ein bürgerliches Leben geführt hat. (S. 12)

und

Das ist vielleicht der Schlüssel zum Wesen ihrer Generation: Unsere Eltern wuchsen in zunehmender materieller Sicherheit auf, aber auch im Bewußtsein ständigen Wandels. Deswegen sind sie bis heute so beweglich geblieben. Der Rückgriff auf Traditionen schien ihnen, die noch deutliche Brandwunden vom Dritten Reich trugen, verbaut, deswegen konnten unsere Eltern nur nach vorn blicken. Sie sind die Generation der Ewigheutigen. (S. 21)

Erstmalig, so der Autor, träfen heute zwei Generationen "von Selbstverwirklichern" aufeinander. "Und genau da", so der Klappentext -"liegt das Problem. Denn der Generationenkonflikt hat sich nicht in Wohlgefallen aufgelöst - er ist nur komplizierter geworden."

So angeregt und eingestimmt gerät die Lektüre dann allerdings zum Verdruß.

Auf ca. 200 Seiten reiht der Autor unter locker formulierten Titeln wie "Darf ich auch mal ziehen? - Wie unsere Eltern uns vor Alkohol und Drogen bewahrten" oder "Mach dir nichts draus, ich hatte mit deinem Vater auch nie guten Sex - Wie unsere Eltern die sexuelle Revolution ausbremsten" zu den Themen Liebe, Erziehung, Konsum, Sexualität, Politik, Lifestyle, Traditionen, Job, Freizeit, Abschied u.a. ebenso eloquent wie geschwätzig in hektischen und oft zusammenhanglosen Rückgriffen auf alle möglichen Erscheinungsformen und -klischees der modernen Mediengesellschaft Episoden und Belanglosigkeiten aus dem Familienleben seiner Freunde und Bekannten, aus Filmen und Fernsehserien und hier und da auch aus eigenen Erfahrungen aneinander.

Die Eltern - mal plakativ unterschieden in konservativ, liberal- konservativ und links, meist simplifizierend und pauschalierend einfach 'die Eltern' genannt - erscheinen als liebenswert, weil bemitleidenswürdig:

Wo sie eben noch nach dem Lustprinzip gelebt haben, bedrängen sie uns plötzlich mit Aufopferung und Sorge. Genau das ist das Faszinierende, Charmante und manchmal Unerträgliche an unseren Eltern: Sie sind Kinder einer modernen Zeit - und können sich von uralten Rollenbildern einfach nicht lösen. Der Glaube an den Fortschritt hat sie vorangetrieben, treibt sie heute noch an und macht sie zu Ewigheutigen. Wieviel Ballast an Tradition sie dabei durchs Leben schleppen, wird ihnen - und uns - jetzt erst klar. (S. 14)

Im Stil und auf dem Niveau einer Klatsch-Kolumne und gespickt mit Zitaten von Werbespot bis Habermas ("Erschöpfung utopischer Energien", "forsch akzeptierte Ratlosigkeit") wird der Leser in scheinkritischer, eigentlich aber nur distanzierter Weise über Widrigkeiten und Putzigkeiten des Alltags unterhalten und mag sich, weil so allgemein und allgegenwärtig, in der einen oder anderen Episode sogar wiederfinden.

Ansonsten erfahren wir von den Eltern in erster Linie dies: daß sie widersprüchlich sind.

Wir wuchsen freier auf als wohl jede Kindergeneration vor uns. Und deswegen wußten wir häufig nicht, woran wir waren. Denn unsere Mütter trugen zwar die indischen Kleider, die die Hippies in Mode gebracht hatten, aber sie kontrollierten trotzdem unsere Hausaufgaben. (S. 33)

Man kann - anders als bei der vorherigen Generation, den Eltern nicht wirklich etwas vorwerfen - außer einer gewissen Weltfremdheit vielleicht:

Sorglos und konfliktarm wuchsen wir heran ... Und stellten fest, als die Zeiten etwas weniger sorglos wurden, dass wir Mühe hatten, erwachsen zu werden. (S. 16)

Eine Seite später dann aber:

Zwar haben die Experimente, Krisen und Scheidungen, die unsere Eltern mit ihren Ehen erlebten, vielleicht eine Sehnsucht nach Harmonie in uns geweckt, doch zugleich haben sie unseren Glauben an ein konfliktfreies Familienleben nachhaltig erschüttert. (S. 17)

Der Autor beklagt die "Wankelmütigkeit unserer Erziehung" (S. 37): "Mal wurden sie zu streng, mal schossen sie übers Ziel hinaus. Mal nervten sie uns durch Übereifer, dann wieder verblüfften sie durch Ignoranz." (S. 38) "Die Erziehung unserer Eltern, man muß es leider so sagen, war eine Reihe von gutgemeinten Pannen." (S. 39)

Sprunghaft und instringent, einmal getroffene Aussagen im nächsten Abschnitt ins Gegenteil verkehrend, daher aussagelos, weil nie festgelegt, werden Anekdoten und oberflächliche konsensgespeiste Gedanken abgespult. Nicht selten unterlaufen dabei inhaltliche wie logische Fehler, sollen Sprachhülsen (wie etwa die oben bereits zitierte von den "Ewigheutigen") Hintergrund ersetzen:

Dazu aus der Fülle möglicher einige wenige Beispiele:

- Daß Kinder, als ein Verdienst der 68er, heute von ihren Eltern in der Regel nicht mehr geschlagen werden - ist (leider) falsch.

- Auch sind die vom Autor seiner Elterngeneration zugeschriebenen Erziehungsziele: "pädagogisch sinnvoll, musisch, kreativ" (S. 41ff.)

- keine Errungenschaften der 68er.

- Wem Fragen und Hinterfragen eine "altmodische Tugend" (S. 129) ist - bedenkt nicht, daß eine Tugend nicht altmodisch sein kann oder aber es ist keine Tugend.

- Wenn eine kapitalistische Gesellschaft in der Lage und bestrebt ist, alles, also naheliegenderweise auch jeden jugendlichen Protest, zum Konsumprodukt zu machen und sich jeden Widerstand auf diese Weise einzuverleiben, heißt dies nicht, daß die Konsumenten die Erfinder dieses Prozesses wären. "Unsere Eltern sind zutiefst besorgt über Spaßgesellschaft, Konsumterror und Mediendemokratie. Und vergessen dabei, daß ihre Generation diesen Phänomenen den Weg geebnet hat. Alles, was sie an uns kritisieren, haben sie selbst erfunden."

Sprachlich ist das Buch von der scheinbar flüssigen Art, die der Schnellebigkeit modernen (Lese)konsums entsprechen und damit zeitgemäß sein mag, bei näherem Hinsehen aber ein Ärgernis für jeden aufmerksamen Leser.

Es ist aber auch Zeichen und Ausdruck einer Generation, die bei eigener Orientierungslosigkeit und erschreckendem Wertkonservativismus (Karriere, Familie, Tradition) trotz oder vielleicht gerade wegen eines medialen Überangebotes erstaunlich unkommunikativ ist.

Haben wir mit unseren Eltern noch gestritten, sie zur Rede stellen und Verantwortung ziehen wollen, wird hier das Scheitern der Mütter und Väter an ihren eigenen Ansprüchen belächelt, nicht kritisiert. Die Eltern bleiben eine Projektionsfläche für die Rechtfertigung eigener Unzulänglichkeiten, Widersprüchlichkeiten und Positionslosigkeiten sowie eines heftigen Wunsches nach einer Rückkehr in festgefügte Familienverhältnisse.

Oder haben wir selbst unseren eigenen Aufbruch als nichts anderes vermittelt als eine modisch aufregende, jedenfalls vorübergehende Attitüde? Was sollen die Nachwachsenden davon halten, wenn ihre Eltern, die gegen die Notstandsgesetze auf die Straße gegangen sind, heute für den Lauschangriff eintreten? Was ist aus unseren Utopien und Lebensentwürfen geworden und wie erklären und analysieren wir selbst ihr Scheitern und unsere Rückkehr zu einer wohlstandsgesättigten Bürgerlichkeit. Oder sind die meisten von uns vielleicht von Anfang an über eine dem Zeitgeist angepaßte Widerstandshaltung nie hinausgeraten?

Unterm Strich eine verschenkte Chance auf ein Gespräch oder zumindest einen Gesprächsanlaß zwischen den Generationen - statt dessen Erfahrungen vorwiegend aus zweiter Hand, die ihrerseits lediglich ein Abziehbild derer wiedergeben, um die es angeblich geht - auf Eltern- und auf Kinderseite.

Ein überflüssiges Buch also, weil ohne Folgen, weder Abrechnung noch Liebeserklärung, und jedenfalls keines, wie der Untertitel des ersten Kapitels glauben machen will, das Kinder und Eltern lesen müßten. Bestenfalls oberflächlich unterhaltsam wie eine Doku-Soap, die wir uns allerdings hin und wieder gerne ansehen, um uns mit etwas Abstand den eigenen Alltag zu betrachten.

Zu seiner Entlastung sei der Autor am Schluß selbst zitiert:

An dieser 180-Grad-Drehung der Medienrezeption erklärt sich der entscheidende Generationenunterschied. Unsere Eltern beharren eigentlich wider besseren Wissens darauf, dass es um Inhalte, Menschen, Aufklärung geht. Wir dagegen bewerten an Fernsehsendungen (und Büchern? - Anm. d. Verf.) ausschließlich die Qualität der Inszenierung. Das kann man, je nach Veranlagung, mit den französischen Strukturalisten begründen oder mit der Figur von Pamela Anderson. (S. 55)


Adriano Sack
Elternabend
Über unsere schwer erziehbaren Mütter und Väter
Karl Blessing Verlag, 2004
224 Seiten, gebunden, 17,- Euro
ISBN 3-89667-253-3