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REZENSION/188: Gössner - Geheime Informanten (Verfassungsschutz) (SB)


Rolf Gössner


Geheime Informanten. V-Leute des Verfassungsschutzes: Kriminelle im Dienste des Staates



Im März 2003 scheiterten die Anträge von Bundesregierung, Bundesrat und Bundestag auf ein Verbot der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD) kläglich. Ihnen war der von allen Parteien des Bundestags inszenierte "Aufstand der Anständigen" vorangegangen. Repräsentanten von Staat und Volk demonstrierten geschlossen gegen rechtes, fremdenfeindliches und in letzter Konsequenz die vorherrschende Ordnung gefährdendes Gedankengut. Zur gleichen Zeit jedoch hatte eine tragende Institution eben dieses Staates eifrig daran mitgearbeitet, daß es an rechten Anlässen für solcherlei Kampagnen nicht mangelte. Die Rede ist vom Verfassungsschutz, der eigentlich mit dem klaren gesellschaftlichen Auftrag ausgestattet ist, die Verfassung der Bundesrepublik Deutschland zu schützen. Doch der "Inlandsgeheimdienst", wie die Einrichtung treffender genannt werden müßte, hat aus der rechtsextremen Szene im Laufe der Jahre viele Dutzend V-Leute angeworben, die teils schwerste Straftaten begingen und dazu von dem Staatsorgan regelrecht angestachelt wurden. Somit hatten die Verfassungsschützer die mutmaßlichen Gegner der Verfassung selbst erschaffen. Man könnte dies auf ein rein berufsständisches Interesse zurückführen, doch verleugnete man damit den nahtlosen Übergang von der Geheimen Staatspolizei im Nazideutschland zum Bundesamt von Verfassungsschutz (VS) der Bundesrepublik Deutschland.

So macht der Rechtsanwalt und Publizist Rolf Gössner bereits zu Beginn seines Buchs "Geheime Informanten" darauf aufmerksam, daß der langjährige Verfassungsschutzpräsident Hubert Schrübbers (1955-1972) in der Nazizeit als Staatsanwalt gearbeitet und sich "mit grausamen Strafanträgen an der NS-Terrorjustiz beteiligt hatte". Schrübbers war kein Einzelfall, wie Gössner schreibt: "Bestens geübt in der Jagd auf politische Gegner - es blieben weitgehend die gleichen - fühlten sich solche Altnazis im VS berufen, die neue bundesdeutsche Verfassung zu schützen." (S. 22/23)

Bei dem damit gemeinten politischen Gegner handelte es sich um Kommunisten. Bereits 1956, nur elf Jahre nach Ende der Nazidiktatur, wurde in Deutschland wieder eine Partei verboten, die KPD (Kommunistische Partei Deutschlands). Die Verfolgung linker Oppositioneller wurde unter der Regierung Brandt durch die Praxis der Berufsverbote für Staatsbedienstete fortgesetzt. Gleichzeitig hielten die Verfassungsschützer einen nicht unerheblichen Teil der Führungsriege der NPD in Sold. Auch beim Tod von fünf türkischen Frauen und Mädchen nach einem Brandanschlag im Mai 1993 in Solingen spielte der Verfassungsschutz eine zwielichtige Rolle: Die unsachgemäßen Ermittlungen und der rasche Abriß des ausgebrannten Hauses nährten den Verdacht der Vertuschung, berichtet Gössner. Mehrere Fäden der Ermittler seien in der von dem V-Mann Bernd Schmitt betriebenen Solinger Kampfsportschule "Hak Pao" zusammengelaufen, wo die drei Täter von Schmitt trainiert worden waren.

Erst als sich die selbsternannten Anständigen anschickten, die NPD zu Feinden der Verfassung zu erklären und verbieten zu lassen und selbst Innenminister Otto Schily nach anfänglichem Widerstand den Verbotsantrag unterstützte, wurde die Kooperation zwischen Verfassungsschutz und Informanten aus der rechten Szene ans Licht gezerrt. In welchem Ausmaß die Bewahrer der Demokratie mit den zu ihren Gegnern erklärten Personen zusammengearbeitet haben, ist selbstverständlich nicht bekannt, das ergibt sich schon aus der Natur ihrer klandestinen Beziehung. Was der Autor Rolf Gössner dennoch über V-Leute des Verfassungsschutzes in der rechten Szene im allgemeinen und in der NPD im besonderen aus teils unveröffentlichten Quellen zusammengetragen, gesichtet und geordnet hat, geht deutlich über das hinaus, was im gescheiterten NPD-Verbotsverfahren an die Öffentlichkeit gedrungen war.

Den breitesten Raum im vorliegenden Buch nimmt die Schilderung diverser V-Mann-Karrieren ein. Der Autor beschreibt die häufig kriminelle Vergangenheit der angeworbenen Informanten sowie das unverantwortliche Verhalten der Verfassungsschützer, die in fast keinem Fall Erkenntnisse erlangten, die sie nicht auch aus öffentlich zugänglichem Material hätten gewinnen können. Dennoch verhülfen sie ihren Spitzeln, die weiterhin höchst aktiv in der Neonazi-Szene mitmischten, zu einem attraktiven Einkommen. Dadurch entwickelte sich auf Seiten der V-Leute eine systemische Dynamik, Straftaten zu begehen, nur um darüber zu berichten und dafür Geld vom Verfassungsschutz zu erhalten.

Mit 35 Jahren "Dienstzeit" dürfte Wolfgang Richard Frenz einer der langjährigsten Spitzel dieser Behörde gewesen sein. Er hat als Lieferant von Informationen, die der Staat auch durch konventionelle Ermittlungsarbeit hätte erlangen können, fast 400.000 DM - über 1000 DM pro Monat! - erhalten. Erst 1995 wurde Frenz vom nordrhein-westfälischen Verfassungsschutz "abgeschaltet", wie es im Schlapphut-Jargon heißt. Vermutlich für besondere Treue erhielt er eine Abfindung in Höhe von 10.000 DM. Die konnte Frenz sogleich dazu nutzen, neue NS-Hetzschriften zu produzieren und zu verbreiten. Dem Verfassungsschutz sei's gedankt.

Neben der Schilderung der wichtigsten Beispiele enttarnter V- Leute widmet sich Gössner schwerpunktmäßig der Beobachtung und Unterwanderung der beiden Parteien NPD und Republikaner durch den Staat. Wie zuvor hält sich der Autor auch hierbei mit eigenen Bewertungen bewußt zurück und läßt zunächst die Beispiele für sich sprechen. Diese sind tatsächlich so aussagekräftig, daß es dem Leser leichtfällt, seine eigenen Schlußfolgerungen zu ziehen - sie werden prinzipiell kaum von denen des Autors abweichen. Denn ohne daß dieser besonders auf dem Thema herumritte, wird bei der Lektüre von "Geheime Informanten" deutlich, daß der Boden, auf dem braunes Gestrüpp besonders üppig gedeiht, vom Staat selbst regelmäßig beackert und gedüngt wurde.

Unweigerlich fällt der Blick des Lesers auf aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen, die für Rechtsextremismus den eigentlichen politischen Nährboden liefern: Wenn Grenzen gegen in Not geratene Flüchtlinge errichtet werden, wenn das Tragen von Kopftüchern verboten wird und wenn BGS-Beamte einen verzweifelten Asylsuchenden, für den die geplante Rückführung in einer qualvollen Heimsuchung endete, ersticken lassen, entpuppt sich der Aufstand der Anständigen als scheinheiliger Versuch, die ideologische Nähe staatstragender Institutionen zum rechtsextremen Wertekanon zu verleugnen.

Gössner ist seit vielen Jahren mit dem Thema staatliche Gewalt vertraut, bereits Anfang der achtziger Jahre zählte er zu den Autoren des Bestsellers "Der Apparat. Ermittlungen in Sachen Polizei". In seinem jüngsten Buch richtet der erfahrene Politikberater sein Vergrößerungsglas auf jene brisanten Stellen, an denen offenkundig wird, daß der Verfassungsschutz an kriminellen Handlungen in der Regel wissentlich und meist über Jahre hinweg beteiligt war. Hin und wieder haben die Verfassungsschützer sogar Ermittlungsarbeiten anderer Dienste zu behindern versucht oder erfolgreich gestört, wobei auch Tötungsdelikte verschleiert wurden. Die geheimen Informanten waren nicht Beobachter der Szene, sondern Akteure, und der Verfassungsschutz somit nicht Lösung, sondern "Teil des Neonazi- Problems", wie Gössner schreibt.

Darüber hinaus legt er den Finger auf eine offene Wunde der Staatshüter, indem er berichtet, daß sich das Verhältnis zwischen Verfassungsschutz und der beobachteten NPD sogar verkehrt habe. Einige V-Leute waren der NPD-Führung bekannt und wurden gezielt umgedreht, um Erkenntnisse darüber zu gewinnen, was bei der Behörde gegen die Partei "am Laufen" war. Ein Leben als Doppelagent, und der Verfassungsschutz am Band der eigenen Partei - das wurde von den Rechten geradezu als Gipfel des politischen Abenteurertums empfunden.

Der Autor legt nicht nur die enge geistige Verwandtschaft zwischen Verfassungsschutz und Neonazi-Szene offen, sondern er führt auch Beispiele an, die verdeutlichen, daß die Kumpanei gar nicht möglich gewesen wäre, wenn nicht Politik und Justiz mitgespielt hätten. Das hatte beispielsweise zur Folge gehabt, daß von Neonazis begangene Straftaten in den meisten Fällen weniger scharf geahndet wurden, als wenn die gleichen Delikte von "normalen" Kriminellen begangen worden wären.

Dem einen oder anderen Leser ist vielleicht noch in Erinnerung, daß das Verbotsverfahren gegen die NPD nicht aus Mangel an Beweisen scheiterte, sondern daran, daß im Laufe des Verfahrens gar nicht mehr ersichtlich war, inwieweit nicht dem Verfassungsschutz selbst eine wesentliche Verantwortung für Straftaten zugesprochen werden mußte, die eigentlich der rechtsextremen Partei angelastet werden sollten.

Diesen Ausgang der den bisweilen ultrarechten Charakter der eigenen Politik larvierenden Verbotsinitiative dürfte sich der bayerische Innenminister Günter Beckstein sicherlich anders vorgestellt haben. Konnte er doch hoffen, daß der CSU bei einem Verbot der NPD durch die Verfassungsrichter künftig auch die Wählerstimmen vom rechtsextremen Rand zugeflossen wären. Vor allem hätte es die CSU im Falle eines Verbots leichter gehabt, Positionen zu besetzen, für die sich traditionell die NPD stark macht und die dementsprechend vom Brandgeruch des völkischen Extremismus behaftet sind. Deswegen dürfte das Scheitern des Verbotsverfahrens einen weiteren Rechtsruck der CSU zunächst einmal verhindert haben.

Erst auf den letzten 15 Seiten analysiert der Autor die von ihm zuvor präsentierten Fakten und stellt sie in einen größeren politischen Zusammenhang. Gössner mahnt, daß sich der Staat nicht undemokratischer Mittel bedienen dürfe, um sich zu schützen, und gibt zu bedenken, daß ein Verfassungsschutz, der Straftaten duldet, Informanten sogar zu kriminellen Delikten verleitet, dann auch noch dafür bezahlt und letztlich seine eigenen Gegner produziert, abgeschafft gehöre.

Der als Anwalt für Bürgerrechte bekannte Autor, der zu den Herausgebern der Zweiwochenschrift "Ossietzky" zählt und Präsident der Internationalen Liga für Menschenrechte ist, präsentiert am Ende seines Buches mehrere Lösungsvorschläge zur Bewältigung des V-Mann-Problems und unterzieht sie einer kritischen Bewertung. So räumt er der Idee, den Verfassungsschutz unter strenge parlamentarische Kuratel zu stellen, wenig Chancen ein, solange Quellenschutz und Geheimhaltung bestehen. Aus dem gleichen Grund bezweifelt er auch die Effektivität eines Geheimdienstbeauftragten, selbst wenn dieser mit "weitreichenden Prüfungskompetenzen" ausgestattet werden würde. Statt dessen sollte der Einsatz von V-Leuten gesetzlich untersagt oder zumindest zur Ultima-ratio-Maßnahme erklärt werden. Der Autor warnt ausdrücklich vor gegenwärtigen Bestrebungen, für den Einsatz von V-Leuten einen Verhaltenskodex aufzustellen, der deren Machenschaften letztlich legitimiert.

Gössner, der in der vorangestellten Kurzbiographie als "parlamentarischer Berater und Sachverständiger in Gesetzgebungsverfahren auf Bundes- und Länderebene" bezeichnet wird, belegt auch mit diesem Werk seine Kompetenz auf dem Gebiet der Inneren Sicherheit. Von daher läßt sich die überwiegend deskriptive Form des Buches auch als bewußt eingesetztes Mittel zum Zweck politischer Breitenwirkung verstehen. Eine radikale Zuspitzung des Themas, die der Selbstermächtigung staatlicher Gewalt in ihrer ganzen destruktiven Konsequenz gerecht geworden wäre, hätte es kaum vorstellbar erscheinen lassen, daß ein bürgerlicher Verlag wie Knaur "Geheime Informanten" in sein Verkaufsprogramm aufnimmt und sogar mit dem Etikett "Sachbuch des Monats" bewirbt.

Das gescheiterte NPD-Verbotsverfahren liegt nun beinahe ein Jahr zurück, und die Verwicklung des Verfassungsschutzes in kriminelle Handlungen ist nicht mehr Thema der öffentlichen Debatte. Gössner kommt indessen das Verdienst zu, daß er die Machenschaften der Geheimdienstler und ihrer V-Leute aus der Kurzlebigkeit tagespolitischer Ereignisse herausgeholt und sie für die Leser bündig und ohne sperriges Juristendeutsch aufgearbeitet hat. Die umfangreichen Anmerkungen im Anhang ermöglichen allen näher Interessierten gegebenenfalls einen leichten Zugang für weitere Recherchen, und das reichhaltige Register hat den Praxistest des Rezensenten stets zuverlässig bestanden.


Rolf Gössner
Geheime Informanten. V-Leute des Verfassungsschutzes:
Kriminelle im Dienste des Staates
Knaur, München 2003
320 Seiten, 12,90 Euro
ISBN 3-426-77684-7