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REZENSION/168: Röhrig - Linux im Netz (SB)


Dr. Bernhard Röhrig


Linux im Netz

Server und Client im LAN und WAN



Die Konzeption eines modernen Intranetzes mit Anbindung an das Internet zählt zu den anspruchsvollsten Herausforderungen, der sich ein Netzwerktechniker heute stellen kann. Naturgemäß dürfte man auf diesem Gebiet nur selten völlige Computeranfänger treffen; dennoch sollen aus Neulingen einmal Experten werden, und so stellt sich jedem Sachbuchautor auf diesem Gebiet die Frage, auf welchem Niveau er beginnt und bis wie weit er in die Details der Netztechnik einsteigen will.

Dr. Bernhard Röhrig setzt in seinem Buch "Linux im Netz. Server und Client im LAN und WAN" Grundkenntnisse des Netzwerkbetriebssystems Linux unbedingt voraus. Von dieser Basis aus spannt er den Bogen bis zur theoretischen Befähigung des Lesers, auch kniffligere Probleme der Netzwerktechnik zu lösen oder aber sich zumindest soviel Einblick zu verschaffen, daß es ihm leicht fällt, sich bei weiterer Fachliteratur die erforderlichen Informationen für seine offen gebliebenen Fragen zu holen. Ein ausführliches Stichwortverzeichnis und eine 99 Titel umfassende Literaturliste sind hierbei nützliche Helfer.

Mit "Linux im Netz" hat es der Autor bereits zur dritten, überarbeiteten und erweiterten Auflage gebracht. Ein Ende der inhaltlichen Fortentwicklung der Netzwerktechnik ist überhaupt nicht abzusehen. Als jemand, der neben dem Schreiben von Fachaufsätzen und Büchern auch Vorträge hält, Workshops und Trainings durchführt sowie Firmen bei der Gestaltung ihrer informationsverarbeitenden Strukturen und der Realisierung ihrer Internet-Präsenz berät, bleibt Röhrig ständig auf dem neuesten Stand der Entwicklung. Denn gerade die Arbeit an TCP/IP- Netzwerken erfordert eine umfassende Informiertheit über innovative Lösungen in dieser sich rasant weiterentwickelnden Fachrichtung. Daß der Autor im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit auch viele Einsteiger mit dem diffizilen Thema vertraut gemacht hat, kommen dem vorliegenden Buch vollauf zugute: Es ist übersichtlich gestaltet, besitzt am Rand grafische Orientierungshilfen von hohem Wiedererkennungswert und bietet eine klare Sprache; wobei der Text durch zahlreiche Abbildungen zu Programmoberflächen aufgelockert wird.

Das 995 Seiten starke Werk gilt in Fachkreisen inzwischen als unverzichtbar. Allerdings ist, wie gesagt, die Netzwerktechnik in den letzten Jahren schier entufert, so daß der Autor nicht umhin konnte, die Themen zu gewichten und auf eine Weise zu komprimieren, die einen hohen Anspruch an den Leser stellt. Deshalb erfordert das Buch fundierte Vorkenntnisse über Computer und das Linux-Betriebssystem. Es richtet sich vor allem an EDVler, die einen schnellen, aber auch umfassenden Einstieg in die sogenannte TCP/IP-Netzwerktechnologien suchen, ohne sich gleich zu Beginn durch Manpages, Referenz- und RPC- Dokumentationen kämpfen zu müssen. Dabei sollte betont werden, das "Linux im Netz" kein Ersatz für diese Dokumentationen ist und auch nicht sein kann. Es vermittelt das notwendige Wissen für den Netz-Einsteiger wie auch für den Profi-Netzwerker, damit sie solche Dokumentationen schneller begreifen und in die Praxis umsetzen können.

Der Autor zählt zu jenen leider viel zu selten anzutreffenden EDV- Experten, die es verstehen, auch komplexere Sachverhalte anschaulich zu erläutern, da sie den Blick für das Wesentliche nicht verloren haben. Bei "Linux im Netz", das erstmals vor sechs Jahren erschien, handelt es sich in der Tat um ein Standardwerk, wie der Buchdeckel verheißt - was jedoch nicht bedeutet, daß Röhrig nur Standardwissen vermittelte. Aber gerade wegen seines ausgesprochenen Spezialthemas bemüht er sich immer wieder um Vergleiche aus der Alltagswelt. Dazu im folgenden beispielhaft zwei Zitate aus dem Einführungsteil des Buchs:

Die Aufgaben, die bei der Vernetzung insgesamt zu lösen sind, werden in sogenannte Schichten (englisch layers) aufgeteilt, von denen jede eine klar umrissene Aufgabe bei der Datenkommunikation zu erfüllen hat. (...) Jede Schicht nimmt die Dienstleistungen der jeweils niedrigeren Schicht in Anspruch, die Sicherungsschicht die Leistungen der Bitübertragungsschicht, die Vermittlungsschicht die der Sicherungsschicht und so weiter. Gleichzeitig bietet sie der nächsthöheren Schicht ihre Dienste an, so die Transportschicht der Kommunikationssteuerschicht. Dabei "weiß" die höhere Schicht nichts über die Art und Weise, in der die untere Schicht ihre Leistungen erbringt. So wird eine weitgehende Entkopplung und Arbeitsteilung erreicht. Wichtig ist, daß der jeweils höheren Schicht eine Dienstleistung angeboten wird, die über eine Schnittstellendefinition exakt festgelegt ist. (S. 32)

Da der professionelle Netzwerk-Administrator permanent mit dem Aufbau hierarchischer Schichten zu tun hat, nimmt sich der Autor am Anfang die Zeit, dieses Prinzip ausführlich zu erläutern. Typisch für ihn, daß er dabei den Vorteil des OSI- Schichtensystems mit einem Vergleich aus dem Alltagsleben veranschaulicht:

Gebe ich einen Brief bei der Post auf, muß ich weder den exakten Transportweg noch den Typ des von der Post benutzten Fahrzeugs kennen, sondern nur den Brief in ein Kuvert tun, dieses ausreichend frankieren und beschriften, um zu wissen, daß meine Nachricht den von mir bestimmten Empfänger erreicht. Umgekehrt interessiert die Post nicht der Inhalt meines Schreibens, jedoch die ausreichende Frankierung und Adreßangabe, um ihren Beförderungsauftrag zu erfüllen. (S. 33)
"Linux im Netz" ist in drei Komplexe und Dutzende Unterkapitel gegliedert. In einem Anhang wird kurz auf den Inhalt der beiden CDs eingegangen, die eine komplette Linux-Distribution (Mandrake) einschließen. Die CDs ermöglichen es dem Leser, so gut wie alle Themen, die in dem Buch behandelt werden, am eigenen Rechner nachzuvollziehen. Und unter den Checklisten, die zusätzlich im Internet zum Ausdruck bereitstehen, sollte gewiß jeder fündig werden.

Im ersten Komplex, "Richtig Verbunden", beschreibt Röhrig allgemeine Grundlagen der Netztechnik, die jedem Profi auf diesem Gebiet bekannt sein sollten. Allein das dürfte manchem Einsteiger eine harte Nuß zu knacken geben, während ein etwas erfahrenerer Netzwerktechniker diese Seiten vielleicht ungelesen weiterblättern wird. Aber gänzlich darauf verzichten, sich auch mit den dort behandelten Fragen und ihren Lösungen zu befassen, ist nicht empfehlenswert, denn das Kapitel führt ganz nebenbei auch in die Sichtweise des Autors ein. Es zeigt die Art, wie er bestimmte Sachverhalte beschreibt - das kann selbst die Experten unter den Lesern auf neue Ideen bringen.

Der Aufbau eines einfachen Netzes ist natürlich Basiswissen. Wer diesen Stand überschritten hat, kann sich ohne weiteres den nächsten beiden Hauptkapiteln widmen. Dann hätte er allerdings Röhrigs eleganten Umgang mit dem Lieblingsthema der Linux- Gemeinde verpaßt: Dem Compilieren eines Kernels, in diesem Fall natürlich speziell angepaßt eines netzwerkfähigen Kernels. Da der Autor auch auf die Hardware eingeht, vermeidet er unnötigen Ballast. Der Trend bei den Distributoren geht ja inzwischen dahin, dem Kernel eher mehr Treiber mitzugeben, um die Installation des Linux-Betriebssystems möglichst einfach zu gestalten.

Der zweite Komplex, "Dienstbare Geister", setzt das Verständnis des erstens Abschnitts voraus. Hier arbeitet Röhrig Fragen im Zusammenhang mit Linuxserver-Diensten, XWindow-Schnittstellen und, last but not least, der Sicherheit vernetzter Computer ab. Warum der Autor nicht auf SUN's Programmierschnittstelle PAM (Pluggable Authentication Modules) eingegangen ist, bleibt allerdings unklar. Dafür zählt das Kapitel über Firewalls sicherlich zu den meistgelesenen des Buches. Es hat "Linux im Netz" zu einem echten Nachschlagewerk gemacht und ihm zurecht den Ruf einer Bibel für Netzwerkprogrammierer eingetragen.

Im letzten der drei übergreifenden Kapitel, das mit "Hallo Nachbarn" überschrieben ist, geht es inhaltlich keineswegs so locker zu, wie der Titel verheißt. Es handelt von der TCP/IP- Connectivity in heterogenen Netzen. Mit anderen Worten - für alle, die das Idiom (noch) nicht verstehen: Die Netz-Spezialisten sind damit befaßt, eine Brücke zwischen verschiedenen, bei ihrer Entwicklung sogar miteinander konkurrierenden Betriebssystemen zu bauen. Es ist nicht übertrieben, wenn Röhrig von unterschiedlichen "Welten" der Betriebssysteme spricht, für die ein gemeinsames Protokoll geschrieben werden müsse.

Der Informatiker Röhrig hat sich mit Linux bereits zu einer Zeit befaßt, als der Name nur Eingeweihten bekannt war und diesem offenen Betriebssystem viel mehr als heute der Geruch des Aufsässigen, ja, des geradezu Anarchischen anhaftete. Das war von der - in der Regel unkundigen - Presse stark übertrieben worden, denn der Linux-Erfinder Linus Torvalds hatte sich lediglich über das DOS-Betriebssystem geärgert, an dem auch der frühere Garagenbastler Bill Gates mit seinem Windows noch immer hing. Allein aus diesem Grund hatte der Finne erstmals im September 1991 einige Zeilen von Linux ins Internet gestellt und nicht etwa, weil er ein politisches Anliegen verfolgte.

Es ist Röhrigs Buch anzumerken, daß der Autor die Linux- Entwicklung von Beginn an aufs engste begleitet und nicht zuletzt mitgestaltet hat. Zwar hat der David (Linux) den Goliath (Microsoft) zwölf Jahre nach seiner Entstehung nicht zu Fall gebracht, aber dennoch hat er ihm in vielen Bereichen den Rang abgelaufen. Im gesamten deutschprachigen Raum dürfte Röhrig mit seinen zahlreichen Tips in "Linux im Netz" einiges zu diesem Trend beigetragen und schon so manchen Anfänger der Netzwerktechnik zum Schritt ins Profi-Geschäft verholfen haben.


Dr. Bernhard Röhrig
Linux im Netz
Server und Client im LAN und WAN
C&L Computer & Literatur Verlag GmbH
3. überarbeitete und erweiterte Auflage
Böblingen 2002
956 Seiten plus 2 CDs, Euro: 49,90 (D)
ISBN: 3-932311-91-4