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REZENSION/137: Ekkehard Sauermann - Neue Welt Kriegs Ordnung (SB)


Ekkehard Sauermann


Neue Welt Kriegs Ordnung

Die Polarisierung nach dem 11. September 2001



Sucht man auf dem Büchermarkt nach Lektüre zu den Hintergründen und Folgen der Anschläge des 11. September 2001, so wird man inzwischen mit einer ganzen Flut von Publikationen konfrontiert. Streicht man die völlig überflüssigen, die tagtägliche mediale Indoktrination nicht aufhebenden Vervielfältiger staatstragender Verschwörungstheorien, dann lichtet sich das Feld allerdings erheblich. Jenseits der affirmativen Beschwörung eines sogenannten islamistischen Terrorismus, gegen den die westliche Welt einen Verteidigungskampf zu führen habe und der vor allem von angloamerikanischen Autoren in schillernden Farben zur Bedrohung von Freiheit und Demokratie hochgeschrieben wird, gibt es eine Reihe von Werken, die die Anschläge von New York und Washington im Sinne ihrer Nutzbarmachung durch die US-Regierung analysieren. Sie gelangen meist zu dem Schluß, daß die Anschläge eine ideale Vorwandslage für die amerikanische Hegemonialpolitik bieten, die in ihren Grundzügen lange vor dem 11. September 2001 abgesteckt gewesen wäre und nur noch des adäquaten Impulses zu ihrer Durchführung harrte.

Dabei ist die Frage, wer die Anschläge tatsächlich begangen hat, letztlich zweitrangig. Entscheidend ist, daß sie die US- Regierung in die Lage versetzt haben, der Welt zum Erreichen ihrer Ziele den permanenten Krieg zu erklären und diesen auch zu führen. Diese eklatante Verschärfung der politischen Lage hat den Erziehungswissenschaftler, Soziologen und Revolutionstheoretiker Prof. Dr. Ekkehard Sauermann zum Verfassen eines umfangreichen Werks veranlaßt, das in der Breite der aufgegriffenen Aspekte der "Neuen Welt Kriegs Ordnung" und der Tiefe ihrer Analyse alles übertrifft, was von deutschen Autoren bislang zu dem Thema verfaßt wurde. Nur gut ein Jahr nach den Anschlägen hat der Bremer Atlantik-Verlag, der bereits mit "Das Bush-Imperium" von James H. Hatfield ein wichtiges Buch zu den politischen Wurzeln des amtierenden US-Präsidenten veröffentlicht hat und dieser Tage mit "Operation Dornenfeld" eine sehr erhellende Arbeit der israelischen Professorin Tanya Reinhart zur israelischen Besatzungspolitik in den Palästinensergebieten herausbringt, das definitive Grundlagenwerk zu den Konzepten und Strategien des sogenannten Krieges gegen den Terrorismus vorgelegt.

Sauermann hat auf 579 Seiten im Grunde zwei Bücher in einem verfaßt. Parallel zur Extrapolation des 11. September 2001 zurück zum Ende des Kalten Krieges und in Vorausschau auf kommende Entwicklungen dokumentiert der Autor die Rezeption des Geschehens durch nicht nur, aber vornehmlich linke Publizisten, Historiker und Sozialwissenschaftler. Dabei schlägt die in seiner Vita als "interdisziplinär angelegtes Spezialgebiet" ausgewiesene Befähigung des Autoren zur Untersuchung der "Bewältigung extremer gesellschaftlicher Herausforderungen - insbesondere radikaler Umbrüche - durch Persönlichkeiten und gesellschaftliche Gruppen" im wahrste Sinne des Wortes gewichtig zu Buche, spart Sauermann doch nicht mit umfangreichen Zitaten aus den Publikationen der von ihm angeführten Experten und Kommentatoren.

Dies ist allerdings durchaus nicht als Surrogat eigenen Schaffens gedacht, sondern erfüllt die Funktion, eine umfassende Fläche zur Diskussion der Neuen Weltordnung, die dem Autoren zufolge eine des Krieges ist, wobei allerdings zu fragen wäre, ob sie dies nicht schon immer war, zu eröffnen. Sauermanns Anspruch an die eigene Arbeit ist denn auch alles andere als gering, wie die an ihn selbst in der Einleitung des Buches gestellte Anforderung, "der politisch-praktischen Bewegung gegen den Krieg eine fundierte Orientierung zu vermitteln", belegt:

Sie hat einen grundlegenden Beitrag dazu zu leisten, Charakter und Perspektive dieses eingeleiteten weltzerstörerischen Prozesses sowohl von prinzipieller wie strategischer Warte zu enthüllen, die wirklichen Ambitionen der kriegführenden Macht und ihrer Verbündeten zu entlarven und sowohl das objektive und subjektive Kräftepotential der 'Kriegspartei' und 'Anti-Kriegspartei' zu analysieren. Die entscheidende Möglichkeit einer solchen Analyse besteht darin, einmal hinter der zutage tretenden scheinbar unüberwindlichen Macht der 'Kriegspartei' deren historisch schwindende Kraft bloßzulegen, jene tiefgehenden Widersprüche konkret auszuloten, die durch den expansiven und aggressiven Kurs verstärkt werden; zum andern darin, hinter der zutage tretenden scheinbar unüberwindlichen Ohnmacht der 'Anti- Kriegspartei' deren historisch wachsendes (mit der Wirkung dieser Widersprüche zusammenhängendes) Konfliktpotential zu erfassen und hieraus strategische Konsequenzen abzuleiten.

Der Autor ist also alles andere als ein bloßer Chronist und beschränkt sich auch nicht auf die Rolle des distanzierten Beobachters. Der in Halle lebende Wissenschaftler bezieht statt dessen eindeutig Position gegen eine von den USA ausgehende Verwüstung der Welt, die nicht nur im engen Sinne militärischer Eroberung, sondern dem Zurückdrängen "zivilisatorischer Elemente auf politischem, geistigen und sittlichem Gebiet zugunsten barbarischer Elemente" gewidmet ist. Dieser Entwicklung will der Autor nicht nur mit der historischen Analyse ihrer Ausgangslage auf die Spur kommen, sondern ihr auch eine prognostische Qualität entgegenhalten, die nichts geringeres beansprucht, als eine Handhabe für die Verhinderung dieses Krieges - womit Sauermann nicht nur den geplanten Feldzug gegen den Irak, sondern die permanente Durchsetzung amerikanischer Ziele mit militärischen Mitteln meint - zu bieten. Der Autor macht sich über die Chancen dieses Unterfangens nichts vor, gibt deswegen aber keineswegs auf, sondern prognostiziert für den Fall einer weiteren Eskalation dieses Krieges

eine dramatische Situation (...) nicht zuletzt für die Weiterführung der Weltmachtrolle der USA selbst. Dieser historische Sachverhalt muß aber nicht nur festgestellt, sondern im Hinblick auf die vorhandenen Kriegskräfte und Gegenkräfte, Trends und Gegentrends, Tendenzen und Gegentendenzen untersucht werden - und zwar gerade auf der Grundlage des benannten historischen Herangehens. Eine Analyse mit diesem Anspruchsniveau, die als strategische Analyse auf den gegenwärtig entscheidenden aktuellen Punkt zielt, aber gleichzeitig als historische Analyse weit davor angesetzt ist und weit darüber hinausreicht, die also Strategie mit Prognose verbindet, kann für die zu bewältigende praktisch-politische Herausforderung zu einer brauchbaren theoretischen Grundlage werden.

Ohne alle in Anspruch genommenen theoretischen Werkzeuge für nützlich halten oder in einzelnen Schlußfolgerungen mit dem Autor konform gehen zu müssen kann man ihm attestieren, eine breite Basis für den kritischen und streitbaren Umgang mit einer politischen Herausforderung gelegt zu haben, die in ihrem gewalttätigen Charakter wie ihrer monolithischen Wucht die wohl massivste Bedrohung der Menschheit seit Ende des Zweiten Weltkriegs darstellt. Sauermann hat praktisch alle Fäden der den Terrorkrieg begleitenden Diskussion wie Propaganda aufgegriffen und im Rahmen seiner Analyse getreu der eigenen Position, ohne die ein solch großer Bogen kaum zu schlagen wäre, in einen bündigen Zusammenhang gestellt.

Die Ereignisse des 11. September 2001 insbesondere hinsichtlich ihrer unmittelbaren Verwertung durch die US- Administration - "Erstes Kapitel: Täter und Nutznießer des 11. September" - werden im Rahmen amerikanischer Geostrategie und Hegemonialpolitik - "Zweites Kapitel: Der Krieg des Guten gegen das Böse" - zu Prozessoren einer Entwicklung, die ihre Anfänge bereits in den Kriegen gegen den Irak im Jahre 1991 und gegen Jugoslawien im Jahre 1999 nahm. Unverzichtbar für das Verständnis vorherrschender Propaganda ist die extensive Diskussion des Terrorismusbegriffs - "Drittes Kapitel: Das Reich des Bösen - Konstruktion eines Feindbildes" -, die Sauermann in die Bewertung des islamischen Fundamentalismus als angeblichem Hauptgegner im Krieg gegen den Terrorismus unter Kritik der Positionen so wichtiger westlicher Exponenten des sogenannten Kampfes der Kulturen wie Samuel Huntington und Bassam Tibi überführt, um schließlich das Geschehen in Afghanistan, dem ersten großen Schauplatz dieses Krieges mit spezifischer Bedeutung für die Geschichte amerikanischer Hegemonialpolitik, Revue passieren zu lassen.

Leider verzichtet Sauermann darauf, die Dialektik des Terrorismusbegriffs so konsequent zu vollziehen, daß der vermeintliche Sonderfall politisch motivierter Gewaltanwendung nicht nur durch das Konterkarieren mit dem sogenannten Staatsterrorismus in der propagandistischen Willkür seiner Verwendung zutage träte, sondern in seinem ontologischen Gültigkeitspostulat als machiavellistisches Desiderat herrschender Ideologie durchschaubar würde. Wo Terrorismus als üblere Form der Gewaltanwendung von Krieg differenziert und als verwerflicher Pol eines Spannungsbogens zwischen legalisierter und krimineller Zerstörung der moralischen Vordergründigkeit jeder Gut-Böse-Dichotomie äquivalent gesetzt wird, wären weiterführende Fragen an das Problem menschlicher Gewalttätigkeit anstelle der axiomatischen Nutzung einer verschiedenste Handlungsmotive durch plakative Nutzung vernebelenden Kategorie wünschenswert.

Von besonderem Interesse für die Theoriebildung ist die Abhandlung über Politik und Gesellschaft der derzeit die Weltpolitik dominierenden Macht - "Viertes Kapitel: Die USA als das Reich des Guten" - unter besonderer Würdigung der Arbeit Noam Chomskys, die der Autor allerdings bisweilen über Gebühr der Indifferenz libertärer Positionen des amerikanischen Linguisten und Gesellschaftskritikers lobt. Sauermann verschweigt diese Schwäche Chomskys nicht, erklärt jedoch, daß in Ermangelung eines Theorieanspruchs auch kein Bedarf an einer Auseinandersetzung auf dieser Ebene bestehe, was allerdings hinsichtlich der Schlußfolgerungen Chomskys zum angeblich schuldhaften Verhalten der jugoslawischen Regierung unter Präsident Milosevic gegenüber den Kosovo-Albanern in Frage zu stellen wäre.

Um so erfreulicher ist die darauf folgende Kritik Sauermanns an dem gerade in bürgerlichen Medien so hochgelobten Werk "Empire" von Michael Hardt und Antonio Negri. Hier räumt der Autor gründlich mit den Mythen einer die früheren Ideale sozialer Emanzipation und antiimperialistischer Widerständigkeit bis zur Unkenntlichkeit verdrehenden und im Ergebnis in ihr Gegenteil verkehrenden Reformlinken auf und stellt dabei im Nebenherein klar, wo die Stärken einer radikalen Linken liegen könnten, die keinen einträglichen Frieden mit denjenigen Kräften gemacht hat, die die Menschheit einmal mehr mit weltweitem Krieg überziehen wollen.

Abschließend - "Fünftes Kapitel: Der permanente Krieg und die Perspektiven der Menschheit" - vollzieht Sauermann eine auf mehreren Handlungsebenen angesiedelten Analyse der Widersprüche, mit denen es die USA schon jetzt zu tun haben oder demnächst zu tun bekommen werden. Das dabei von ihm adaptierte Theorem des "Rückstosses" oder der "imperialen Überdehnung", das der amerikanische Historiker Chalmers Johnson in seinem Buch "Ein Imperium verfällt" aktualisiert hat, wirkt auf den ersten Blick plausibel, wirft hinsichtlich seines Anspruchs, es handle sich bei den zerstörerischen Folgen subversiver imperialistischer Gewaltstrategien tatsächlich um unbeabsichtigte Produkte vermeintlich zu vordergründig ins Auge gefaßter Ziele, jedoch einige Fragen hinsichtlich der Reichweite machtpolitischen Denkens auf.

So muß der kurzfristige Nutzen von Geheimdienstoperationen wie etwa der Rekrutierung arabischer Islamisten für den in Afghanistan geführten Krieg gegen die Sowjetunion keinesfalls im Widerspruch zu einer langfristigen Perspektive künftiger Eroberungen stehen, wie die aktuelle Vorwandslage, die Washington scheinbar ermächtigt, den Krieg gegen den Terrorismus immer weiter auszudehnen, zeigt. Auch ist die Bedrohung durch den sogenannten Terrorismus keinesfalls jedem politischen Akteur unwillkommen, um die mit diffamierender Absicht ins Reich der Verschwörungstheorien verbannten Indizien für ein sinistres Zusammenwirken von Staatsfeinden und Staatschützern gar nicht erst geltend zu machen. Die zerstörerischen Konsequenzen hegemonialer Strategien als unbeabsichtigt oder nur widerwillig in Kauf genommene Folgen begrenzt gemeinter Operationen auszuweisen unterstellt eine strategische Blindheit seitens der machtpolitischen Akteure, mit der man zumindest Gefahr läuft, den Gegner zu unterschätzen.

Die Frage nach der Rationalität einer Politik, die das Verhungern von Millionen Menschen, existenzbedrohende Umweltzerstörungen und den Niedergang der eigenen Gesellschaften durch sozioökonomische Krisen ins Kalkül zieht, läßt sich nicht allein mit finsterer Genialität oder hellem Wahnsinn beantworten. Angesichts des wachsenden Heeres dem kapitalistischen Akkumulationsregime nicht nur überflüssig erscheinender, sondern ihm als Verbraucher ohne Zahlungsmittel kontraproduktiv im Wege stehender Menschen wäre es leichtfertig, die bevölkerungspolitische Option systematischer Dezimierung durch Hunger, Krieg und Seuchen von vorneherein auszuschließen.

Fragen wie diese lassen sich bei der Lektüre der "Neuen Welt Kriegs Ordnung" hervorragend aufwerfen, ins Feld ihrer materiellen Widersprüchlichkeit stellen und zwecks optimierter argumentativer Schlagkraft präzisieren. Sauermanns Buch ist zudem insbesondere deutschen Lesern zu empfehlen, da er die Rolle der Bundesrepublik wie Europas im geostrategischen Entwurf der US- Hegemonie umfassend abhandelt und dabei auch nicht die verhängnisvollen Folgen der propagandistischen Herabwürdigung der DDR unbehandelt läßt. Das - lobenswerterweise in alter Rechtschreibung verfaßte - Werk ist im besten Sinne aufklärerisch und streitbar, daher sei ihm gerade angesichts der sich rasant zuspitzenden Lage möglichst große Verbreitung gewünscht.


Ekkehard Sauermann
Neue Welt Kriegs Ordnung
Die Polarisierung nach dem 11. September 2001
Atlantik Verlag, Bremen, 2002