Schattenblick →INFOPOOL →BUCH → SACHBUCH

REZENSION/093: M. Wiepold-Bosien - Die andere Eroberung (Agrar) (SB)


M. Wiepold-Bosien


Die andere Eroberung



Mit dem vorliegenden Buch versucht der Autor im Hinblick auf die für Ende 1999 anberaumte erste Verhandlungsrunde der neuen WTO (World Trade Organization) auf zu erwartende Problematiken aufmerksam zu machen. Detailliert, veranschaulicht durch übersichtliche Tabellen und Graphiken, präsentiert Martin Wiepold dem Leser umfassendes Daten- und Zahlenmaterial, welches seine Kritik belegt.

Sein Ziel ist es, deutlich zu machen, daß es auch von der oben genannten ersten Verhandlungsrunde abhängt, ob Schritte zur weltweiten Beseitigung des Hungers und der Mangelernährung getan werden, oder ob alles beim alten bleibt. "Der Skandal des Hungers ist eine unüberhörbare Anklage auch und gerade gegen die internationale Agrarhandelspolitik." (S. 7)

Im Zentrum der Auseinandersetzung muß das im Aktionsplan von Rom (Welternährungsgipfel 1996) erneut bekräftigte Menschenrecht auf Nahrung stehen. Diese Forderung wird in der Annahme formuliert, daß laut FAO (Food and Agriculture Organization) statistisch gesehen weltweit mehr als genug Nahrungsmittel vorhanden sind.

Ein besonderes Anliegen des Autors ist es, aufzuzeigen, wie die Agrarexportpolitik, vornehmlich der USA und der EU, den als LIFCD (Low-Income Food-Deficit Countries - Länder mit niedrigem Durchschnittseinkommen und Mangel an eigenen Nahrungsmitteln) eingestuften Ländern weiteren Schaden zufügt und somit dem Menschenrecht auf Nahrung entgegenarbeitet, oder, anders formuliert, eine dauerhafte Menschenrechtsverletzung bewirkt.

Wenn hier von Ernährungssicherheit die Rede ist, dann immer in dem Sinne, daß es nicht um ein ausreichendes globales Durchschnittsangebot an Nahrungsmitteln geht, sondern darum, daß die ernährungsunsicheren und gefährdeten sozialen Gruppen ihr Menschenrecht verwirklichen können müssen: nämlich sich selbst zu jeder Zeit mit quantitativ, qualitativ und kulturell angemessener Nahrung zu versorgen. Dieses Menschenrecht ist im Artikel 11 des internationalen Paktes über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte völkerrechtlich anerkannt. Die über 130 Staaten, die diesen Pakt - als einen der beiden großen Menschenrechtsverträge der Vereinten Nationen - ratifiziert haben, haben sich damit verpflichtet, mit ihren jeweiligen nationalen Politiken und im Rahmen der internationalen Zusammenarbeit diese Rechte zu fördern und nicht zu verletzen. Wenn also ein Staat durch konkretes Nahrungsmitteldumping im Empfängerland die Ernährungssicherheit bestimmter gefährdeter Gruppen nachweislich zerstört, ist dies mehr als moralisch bedenklich. In diesem Fall ist von einer Menschenrechtsverletzung zu sprechen, und zwar in dem Sinne, daß der exportierende Staat seine völkerrechtlich etablierte Respekt-Pflicht gegenüber dem Recht auf Nahrung bricht und der einführende Staat aber seine Schutz-Pflicht gegenüber diesem Recht der betroffenen Gruppen verletzt. (S. 185)

Bemerkenswert ist die von Martin Wiepold geleistete Arbeit bei der umfassenden und ausführlichen Durchsicht aller themenrelevanten nationalen und internationalen Verträge und Vereinbarungen. Jede seiner Behauptungen vermag er auf diese Weise mit Zahlen- und Datenmaterial zu belegen. Damit wird auch die Diskrepanz zu der real angewandten Politik der kritisierten Staaten überdeutlich.

Sowohl das US-amerikanische Landwirtschaftsgesetz von 1990 bzw. 1996, als auch die unterschiedlichen Exportförderprogramme, beispielsweise die preisbezogenen Exportsubventionen im Rahmen des EEP (Export Enhancement Program der USA - Exportförderprogramm) und das DEIP (Dairy Export Incentive Program der USA - Exportförderprogramm für Milch und Milchprodukte) als auch die Exportkreditversicherungen GSM-102 und GSM-103, die eine weitreichende Absicherung der Exporteure garantieren, ermöglichen den großen Agrar-Exporteuren der Vereinigten Staaten, Exportmärkte zu erobern. Stärkster Konkurrent ist die EU, die sich mit zum Teil vergleichbaren Mitteln ihrerseits durch Exportsubventionen am Preisdumping auf dem Weltmarkt beteiligt.

Diese Politik schadet den LIFCD Ländern langfristig bzw. dauerhaft und fördert dort eher die Ernährungsunsicherheit als sie in irgendeiner Weise abzuwenden. Aber auch innenpolitisch wird eine wirtschaftliche Entwicklung gefördert, die den kleinen Bauern um seine Existenz bringt.

Das Leitbild der US-amerikanischen Landwirtschaftspolitik ist die Agrarfabrik, die ohne staatliche Subventionen ihre Produkte auf dem Weltmarkt verkaufen kann. Nur so, heißt es in den USA, kann und soll die globale Marktführerschaft langfristig gehalten und ausgeweitet werden. (S. 192)
"Wenn zwei Elefanten sich streiten, ist der eigentliche Verlierer das Gras unter ihnen" - mit diesem afrikanischen Sprichwort, deutet Martin Wiepold die Ausgangsposition für seine Untersuchungen an.

Leider wagt sich der Autor in seiner Kritik nicht weit genug vor. Für ihn existiert ein Weltmarkt, und er erkennt das Prinzip von Angebot und Nachfrage an, welches einen solchen fiktiven Markt bestimmt. Eine sogenannte Markterschließung beschränkt sich nicht nur auf die Sicherung der nationalen Exportgeschäfte, sondern muß als Mittel gesehen werden, im umfassenden Sinne Herrschaft auszuüben.

Analysiert man die wirtschaftspolitischen Verhältnisse inklusive der sie stützenden Entstehungsbedingungen, wird deutlich, daß Raub und Gewalt die maßgeblichen Grundlagen für die Erschaffung von sogenannten Märkten waren. Durch koloniale und imperiale Landeroberungen und die Annektierung von Nahrungspflanzen und fruchtbaren Boden wurden die heute ärmsten Länder ihrer Lebens- und Existenzgrundlagen beraubt. Geschah dies anfänglich mit Waffengewalt, haben sich die Praktiken zur Durchsetzung der Eroberungsabsichten bis heute zwar geändert, nicht aber die Aggressivität, mit der dies betrieben wird. Räuberische Inbesitznahme von Nahrungsgütern und Anbauflächen zwang die Bevölkerungen, die ihnen auf diese Weise vorenthaltenen existentiell notwendigen Produkte von ihren Eroberern (Räubern) zu kaufen. Die einheimische Agraranbaukultur wurde zumeist durch intensiven Raubbau weitgehend zerstört und später dann durch neue sogenannte Hochertragspflanzen, verbunden mit einem enormen Düngemitteleinsatz, ersetzt. Eine derart ruinierte Landwirtschaft führte zu Hunger und Mangelernährung. Auf diese Weise wurde ein Markt mit einem hohen Bedarf an Nahrungsmitteln geschaffen. Das Wort "Markt" verschleiert allerdings den blutigen Hintergrund dieses Überlebenskampfes.

Die USA und die EU können sich als die mächtigsten Wirtschaften einen Preiskampf leisten, der letztlich durch die Agrarexportförderprogramme zum Teil vom Steuerzahler der einzelnen Länder mitfinanziert wird. Nutznießer sind die wenigen großen Agrarexportfirmen, Leidtragende die Bevölkerungen und auf dem Agrarsektor die kleinen landwirtschaftlichen Betriebe. Über wirtschaftliche Sanktionen und Boykotte wird regulativ auf Staaten Einfluß genommen, deren Politik der USA oder der EU nicht genehm ist.

Vor dem Hintergrund der globalen klimatischen und Ökologischen Entwicklungen existieren unterschiedliche Einschätzungen über die Welternährungslage. Der Autor teilt die Auffassung, daß, rein statistisch gesehen, genügend Nahrung für alle Menschen vorhanden sei. Dennoch läßt sich die fortschreitende Notlage der Menschen in den ärmeren und ärmsten Länder dieser Welt nicht mehr übersehen. Scheinbar großmütig werden heute von der USA und der EU Nahrungsmittelhilfen und sogar Nahrungsmittelschenkungen an besonders bedürftige oder von Katastrophen heimgesuchte Länder vergeben. Selbst diese vorgeblich gutgemeinten Hilfen erweisen sich in der Praxis als weitere Schädigung der nationalen Wirtschaften der Empfängerländer, verursachen sie damit doch die Steigerung ihrer Importabhängigkeit, wie im vorliegenden Buch ausführlich dargelegt wird.

Die dramatische Aktualität dieser Fragen ist mit dem zeitweiligen Verschwinden der Getreideüberschüsse seit 1994 und den korrespondierenden hohen Weltmarktpreisen erneut deutlich geworden. Nach FAO-Angaben sind die Ausgaben der LIFCD für Getreideimporte in den vergangenen Jahren sprunghaft angestiegen: Von 9,4 Mrd. Dollar im Wirtschaftsjahr 1993/94 auf 16,6 Mrd. Dollar (!) im Wirtschaftsjahr 1995/96 (FAO 1996c:12). Nicht umsonst rückten die Erhöhung des Selbstversorgungsgrades der LIFCD sowie die Marrakesch-Entscheidung bei den Diskussionen mehr und mehr in den Vordergrund (vgl. FAO 1996a:14.24). Die Nahrungsmittelhilfen entpuppten sich bei dieser jüngsten Konjunktur hoher Getreidepreise als unzuverlässige Quellen. Die weltweiten Lieferungen sackten zwischen 1993 und 1995 von 17 Mio. auf 9,5 Mio. Tonnen auf den niedrigsten Stand der letzten 15 Jahre ab - just zu dem Zeitpunkt, als bei den LIFCD ein größerer Bedarf denn je bestand (WDP 1995:24). (S. 187)

Da die Argumentation des Autors auf der Annahme einer an sich für alle Menschen ausreichenden Nahrungsmittelmenge fußt, fehlt die Erwähnung und Berücksichtigung anderer Einschätzungen. Bereits seit vielen Jahren forscht beispielsweise das amerikanische "World Watch Institute" zu diesem Thema:

"Washington. Wissenschaftler befürchten, daß die Nahrungsmittel in den nächsten Jahren immer knapper werden. Das amerikanische World Watch Institute begründete dies in einer Studie für die Vereinten Nationen damit, daß die Weltbevölkerung schneller wächst als die Produktion von Lebensmitteln. Bis zum Jahr 2030 würden statt bisher 5,5 Milliarden dann fast 9 Milliarden Menschen auf der Erde leben. Wenn der derzeitige Trend anhält, stünden für jeden von ihnen lediglich 237 Kilo Getreide pro Jahr zur Verfügung. Das sei gerade ein Viertel dessen, was zur Zeit allein in den USA verbraucht werde. Als Maßnahmen gegen eine Überbevölkerung empfiehlt World Watch, die Familienplanung zu fördern und den Kampf gegen Analphabetismus und Armut zu verstärken." ("Nachrichten" vom 14.08.1994, NDR 2, 18.00 Uhr)

oder:

"Langsam erreicht die Nachfrage der Menschen die Grenzen der maritimen Fischgründe und der Weiden zur Ernährung von Vieh. In vielen Ländern erschöpft sich der Wasserkreislauf bei der Entnahme von Süßwasser. Obwohl diese Grenzen immer deutlicher sichtbar werden, nimmt der Überhang an noch nicht eingesetzten landwirtschaftlichen Technologien sowohl in den Industrie- als auch in den Entwicklungsländern ab, was die Steigerung der Produktivität von Ackerland bremst. Gleichzeitig verhindern auch Bodenerosion, Luftverschmutzung, Bodenverdichtung, Erschöpfung von Grundwasserleitern, der Verlust organischer Substanzen im Boden sowie das Versumpfen und Versalzen von bewässertem Land ein rasches Ansteigen des Nahrungsmittelertrags. Momentan ist nichts in Sicht, was das weltweite Absinken des Getreideertrags pro Kopf verhindern könnte." (Worldwatch Institute Report "Zur Lage der Welt 1994" -
Daten für das Überleben unseres Planeten, S. 246, Fischer Taschenbuch Verlag GmbH, 1994)

Die Situation hat sich bis dato nicht verbessert, und so kann die Zitation der FAO-Daten wohl am ehesten einem zwar verständlichen, aber doch fragwürdigen Wunschdenken zugerechnet werden.

Auffallend ist zudem noch, daß vom Autor Forderungen zur Einhaltung der Menschenrechte, insbesondere auf Nahrung, gestellt werden. In seinem Buch wird an der einen oder anderen Stelle zwar bereits darauf hingewiesen, daß Beschlüsse nicht über den Stand der bloßen Diskussion gelangten und keine Konsequenzen in der Praxis gezeigt haben - doch scheint dies nicht Grund genug zu sein, skeptisch zu werden. Gesetze, Verträge oder Vereinbarungen werden stets im Rahmen eindeutiger Machtverhältnisse getroffen. Die Realisierung beziehungsweise die Einhaltung von Gesetzen oder Verträgen wird von den Herrschenden, den Mächtigen durchgesetzt. Die Forderer nehmen dabei die Position von Bittstellern ein, deren Bitte oder Forderung erhört wird oder eben nicht - je nach Belieben der stärkeren Vertragspartei. Dennoch auf die Durchsetzung von Forderungen zu dringen - mögen diese auch noch so anerkennenswert sein - läßt auf eine Ignoranz der herrschenden Machtverhältnisse schließen. Selbst wenn in der WTO das Menschenrecht auf Nahrung verankert wird, ist wohl kaum zu erwarten, daß die USA oder die EU ihre Politik dahingehend ändern würden. Wäre es zu irgendeiner Zeit um das Wohl von Menschen gegangen, wie könnten die heutigen wirtschaftlichen, sozialen und politischen Zustände entstanden sein?

Alles in allem handelt es sich um ein empfehlenswertes Buch, welches dem engagierten Eintreten des Autors für das Menschenrecht auf Nahrung durch seine umfassenden, sehr detaillierten Recherchen und das gewissenhafte Studium der Vertragstexte im Rahmen konventioneller politischer Bemühungen argumentative Stichhaltigkeit und Überzeugungskraft verleiht.


Martin Wiepold-Bosien
Die andere Eroberung -
US-amerikanische und europäische Agrarexportpolitik
und ihre Folgen für den Hunger im Süden der Welt
ABL Bauernblatt Verlags-GmbH, Herne, Rheda-Wiedenbrück, 1999
ISBN 3-930413-16-7