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REZENSION/030: Jutta Ditfurth - Lebe wild und gefährlich (Ökologie) (SB)


Jutta Ditfurth


Lebe wild und gefährlich



Ein vergeblicher Wiederbelebungsversuch

Mein Traum ist eine breite, radikale, basisdemokratische außerparlamentarische Opposition, die linke, radikalökologische, ökosozialistische, feministische, antifaschistische und internationalistische Positionen verbindet und weiterentwickelt, [1] schreibt Jutta Ditfurth im Vorwort ihres Buches. Auch im weiteren Verlauf ihrer Ausführungen weist sie sich als eine Frau aus, die ihre Vokabeln gelernt hat und sie als handliche Schablonen nicht nur auf die Zukunft, sondern auch auf Gegenwart und Vergangenheit anzulegen versteht.

Um den Bemühungen der Autorin bei der Zusammenstellung ihres Werkes mit dem Titel "Lebe wild und gefährlich" (er erinnert eher an die Werbung der Adventure-Touristik) einigermaßen gerecht zu werden, soll es am Anspruch der Autorin gemessen werden. Sie schreibt:

Ich wollte kein Buch für eingeweihte kleine linke Kreise schreiben, sondern den Versuch machen, meine radikalökologischen Positionen möglichst allgemeinverständlich zu vermitteln und zur Diskussion zu stellen.

[2] Doch die versprochenen Positionen bleibt die Autorin weitgehend schuldig und liefert statt dessen den üblichen Ersatz, und den gleich tonnenweise: Ungefüllte Worthülsen (siehe 1. Zitat), entlehnt aus dem Vokabular einer Zeit, über deren Aufbruchstimmung sich längst der Staub von Jahrzehnten gelegt hat, wechseln ab mit einer immerhin fleißigen Aufzählung von Zusammenhängen und Fakten über die Machenschaften der Industrieländer, die in ähnlicher Qualität allerdings auch in den Publikationen einiger Öko-Organisationen (z. B. Robin Wood, Greenpeace) zu finden wäre.

Geradezu entnervend ist für den Leser, der in diesem Buch nach persönlichen Stellungnahmen sucht, Jutta Ditfurths unmäßige Strapazierung des Adjektivs "radikal", das sie offenbar in der (vergeblichen) Hoffnung verwendet, ihre allzu verfallenen Begriffsruinen mit dem Anstrich der Aufmüpfigkeit zu versehen. Was sonst ökologisch genannt wird, ist bei ihr "radikalökologisch", anstelle eines neuen Sozialismus fordert sie einen "radikal neuen Sozialismus", die Opposition wird zu einer "radikalen Opposition", linkes Gedankengut wird "linksradikal" und der Pariser Kommune wird ein "radikaldemokratisches" Selbstverständnis verpaßt, ohne daß sie sich zu einem eventuellen Unterschied im Wortgebrauch weiter äußert. In unermüdlicher Gärtnerinnenmanier wird das Wörtchen "radikal" einem ganzen Beet geschichtlich längst archivierter und entsprechend vertrockneter ideologischer Rosenstöcke aufgepfropft. Diese verbalen Veredelungsversuche mögen zunächst nebensächlich anmuten, kennzeichnen jedoch sehr genau den Charakter der "großen Streitschrift" von Jutta Ditfurth [3]. Wie auf dem Buchrücken treffend beschrieben ("Ihr Ziel ist die Wiedererrichtung einer breiten, linken Wiederstandskultur..."), bemüht sie sich um die Wiederbelebung eines Leichnams, der als Zombie auch die letzte Erinnerung an das zerstören würde, was er zu Lebzeiten einmal war.

Im ersten Kapitel ihres Buches beschwört die Autorin den unterdessen durch beflissenes Beweise-liefern-wollen beinahe kitschig verklärten Mythos der Pariser Kommune. Schließlich braucht der Mensch ihrer Meinung nach Utopien und ihr selbst fällt außer den bereits erwähnten Schlagworten wohl nichts passendes ein. Über das letztendliche Scheitern der Pariser Paradesozialisten verliert sie kein eigenes Wort, sondern versteckt sich (wie übrigens häufig in diesem Buch) hinter einer (männlichen) Autoritätsperson, hier in Gestalt von Papa Marx, der tatsächlich die "Gutmütigkeit" der Kommunarden als Ursache für ihren Untergang zu erkennen meint:

Wenn sie unterliegen, so ist nichts daran schuld als ihre `Gutmütigkeit'. Es galt, gleich nach Versailles zu marschieren, nachdem erst Vinoy, dann der reaktionäre Teil der Pariser Nationalgarde selbst das Feld geräumt hatte. Der richtige Moment wurde versäumt aus Gewissensskrupel. Man wollte den Bürgerkrieg nicht eröffnen, als ob der mischievous avorton (boshafte Zwerg) Thiers den Bürgerkrieg nicht mit seinem Entwaffnungsversuch von Paris bereits eröffnet gehabt hätte! Zweiter Fehler: Das Zentralkomitee gab seine Macht zu früh auf, um der Kommune Platz zu machen. Wieder aus zu `ehrenhafter' Skrupulosität! [4]

Besonders unverständlich ist der Verzicht von Jutta Ditfurth auf eine selbsterstellte Analyse der Niederlage der Kommune zugunsten der Edelmut-These von Marx, weil sie die Probleme hinter den Barrikaden offensichtlich kennt:

... werden die Auseinandersetzungen innerhalb der Kompanien der Kommune heftiger. Es gibt Offiziere, die Kommandos niederlegen und sich beschweren: `... fühle ich mich außerstande, länger die Verantwortlichkeit eines Kommandos zu tragen, wo jedermann berät und wo niemand gehorche.' Die Kommune würde ständig beraten, aber selten beschließen, die Organisation sei schlecht. [5]

Gerade durch die Tatsache, daß die Autorin sich offenbar nicht an sozialistischen Reliquien vergreifen möchte und statt einer glaubhaften persönlichen Stellungnahme Gelehrtensätze aus dem Archiv zitiert, macht sie deutlich, was sie zwar penetrant für sich beansprucht, aber ganz sicher nicht ist: radikal. Denn dieses Wortes (radikal = bis auf die Wurzel gehend, gründlich und ohne Rücksichtnahme) bedeutet in Bezug auf Veränderung, daß keine noch so bedeutende Persönlichkeit und kein noch so liebgewordenes Denkgebäude unhinterfragt vereinnahmt wird. Jutta Ditfurth aber träumt in braver Schulmädchen-Manier von einer Opposition (für die ihr Gegenpart, die Regierungspartei, Existenzbedingung ist) und begibt sich damit bewußt in die Defensive, was - um noch einmal auf den Titel anzuspielen - für die jeweilige Regierungspartei ganz bestimmt weder wild noch gefährlich ist.

Pflichtschuldig läßt sie auch in ihren weiteren Ausführungen all die guten Onkels mit der vielfach beglaubigten sozialistischen Gesinnung aufmarschieren und schmückt ihr Werk nostalgisch mit den Zeilen eines Pablo Neruda, der schon vor Jahrzehnten zur gemütlichen Stimmung in linksintellektuellen Kuschelecken beigetragen hat, weil er Leid und Unterdrückung so wundervoll Poesie einzuhauchen verstand.

Zwar macht Jutta Ditfurth den gegenwärtigen Mangel an überzeugenden Utopien für Politikverdrossenheit und Resignation verantwortlich. Aber die eingangs aufkommende Erwartung, sie würde eine neue, einleuchtende und an den Fehleinschätzungen und Versäumnissen der Vergangenheit erstarkte Utopie präsentieren, erfüllt sie nicht. Ihr eklektischer und an vielen Stellen in einem inhaltsleeren Sinne abstrakter Entwurf kann sicher nicht als Utopie bezeichnet werden. Statt dessen versucht sie, durch mehr oder weniger schlecht kaschierte moralische Ansprüche an die "Guten" (weil derzeit Benachteiligten) dieser Welt sowie ausgiebiges Anprangern weitgehend bekannter Übeltaten der "bösen" Vertreter der Industrieländer den Eindruck eines eigenen Standpunkts zu vermitteln. Wie sehr ihre politische Identität ausschließlich auf die angebliche Gegenseite angewiesen ist, zeigt allein der Umfang an Seiten, den sie den Vertreter des Großkapitals widmet. Sicherlich ist eine solche ausführliche Darstellung für viele Leser informativ, aber Thema dieses Buches war eigentlich das Aufzeigen von Perspektiven und kein Tatsachenbericht.

Würde Jutta Ditfurth sich auf die Abschnitte beschränken, in denen sie glaubhaft und mit eigenen Worten Stellung bezieht, dann dürfte sich das Volumen ihres Werkes auf wenige Seiten reduzieren. Doch die könnten ihr zumindest den Ansatz eines Profils verleihen, das man fortan mit ihrem Namen verbinden kann.

So aber bleibt dem "Lebe wild und gefährlich"-Leser schlimmstenfalls eine verstärkte Immunisierung gegen traditionell- linke Denkansätze (weil sie als tote Formeln nur Widerstand hervorrufen) und bestenfalls die wehmütige Erkenntnis, daß Udo Jürgens gar nicht so unrecht hat, wenn er singt: Vergoßnen Wein, den trinkt keiner mehr ... Darüber hinaus ist es überhaupt nicht einzusehen, weshalb sich politisch engagierte Frauen nicht mehr zutrauen sollten, als brav aufzuwischen, was andere vergossen haben!

Zitate:

[1] Vorwort, S. 10
[2] Vorwort, S. 9/10
[3] siehe Buchrücken
[4] S. 40
[5] S. 34


Jutta Ditfurth
Lebe wild und gefährlich
Radikalökologische Perspektiven
Kiepenheuer & Witsch, Köln 1991
420 Seiten
ISBN 3-462-02106-0