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BUCHBESPRECHUNG/065: C. Schmidt - Wir sind die Wahnsinnigen (Politik) (SB)


Christian Schmidt


Wir sind die Wahnsinnigen

Joschka Fischer und seine Frankfurter Gang



Bevor man zu dem jüngsten Elaborat aus der Feder des deutschen Außenministers Joseph Fischer greift, in dem er unter dem Ankunft und Identität verheißenden Titel "Mein langer Lauf zu mir selbst" dem Kult der urbanen Eliten um asketische Enthaltsamkeit und bedingungsloses Durchhaltevermögen huldigt, lohnt es, sich das Buch "Wir sind die Wahnsinnigen - Joschka Fischer und seine Frankfurter Gang" des ehemaligen Titanic-Redakteurs Christian Schmidt vorzunehmen. Es ist jetzt im Econ-Verlag neu aufgelegt worden und beschreibt die politische Sozialisation und Karriere Fischers von den späten sechziger Jahren bis zum Wahlkampf des letzten Jahres. Zumindest all denen, die den Werdegang des Außenministers und seiner Partei nicht aus nächster Nähe verfolgt haben, enthüllt hier eine noch gar nicht so lange zurückliegende Vergangenheit, daß sich der der zweite Mann in der Bundesregierung in all seinen diplomatischen Winkelzügen und ideologischen Umdeutungen durchaus treu geblieben ist.

Dabei lebt das Buch vor allem von der Fülle des verarbeiteten Materials, daß der seit 1989 in Frankfurt lebende Autor aus den Archiven gehoben und unter ehemaligen Mitstreitern Fischers locker gemacht hat, die allerdings nur zögerlich und zum Teil unter Wahrung ihrer Anonymität Auskunft über die Schattenseiten der grünen Lichtgestalt geben wollten. Denn vor allem verwerfliche Geheimnisse sind gefragt, wenn ein Verlag auf dem Schutzumschlag behauptet, hier "Die längst fällige Abrechnung mit Joschka Fischer und seinen Freunden" zu betreiben. Der von selbstgerechter Erhabenheit nur so strotzende moralische Impetus ist allerdings auch der Wermutstropfen in der Lektüre, denn er läßt den Leser, dem die penetrant Häme des heimlichen Beobachters auf die Nerven geht, das Werk nur deshalb überstehen, weil die dargebotenen Geschichten über den Werdegang Fischers und seiner "Frankfurter Gang" angesichts der Bedeutung des Außenministers für die deutsche Politik zu interessant sind, als daß man sie ignorieren könnte.

So hat der Leser ständig damit zu tun, die suggestiven Interpretationen des Autors, die sich vor allem in der These einer linksradikalen Seilschaft, die sich mit der im Frankfurter Häuserkampf erworbenen Militanz bis an die Schwelle der Macht über Deutschland vorgearbeitet hat, manifestiert, von den verarbeiteten Materialien und Quellen zu trennen. Diese werden im Vorwort hinsichtlich der Scheu einiger Frankfurter Ex-Genossen, namentlich aufzutreten, mit dem Passus:

Ich versichere aber, daß alle hier wiedergegebenen Details von mehreren Personen unabhängig voneinander bestätigt wurden und beweisbar sind, wenn Fischer sein Verdrängen gerne gerichtlich bestätigen lassen will

verifiziert, und da der Außenminister an den ehrenrührigen Details aus seiner Vergangenheit keinen Anstoß genommen hat, kann man sie wohl für bare Münze nehmen.

Dabei gehören die breiten Raum einnehmenden Geschichten um den frühen Werdegang Fischers vom Auftragsdieb für Bücher zum Aktivisten im Revolutionären Kampf (RK), der sich der Agitation von Arbeitern mittels Unterwanderung verschrieben hatte, und zum Sponti mit ausgeprägten Straßenkampfambitionen zu den eher belanglosen Episoden aus dem Leben des Außenministers. Sie müssen vor allem zur Kontrastierung des schrittweisen Positionswechsel zum Befürworter von Kapitalismus und NATO herhalten und verraten dabei vor allem etwas über die politische Indifferenz des Autors, der seine geistige Verwandtschaft mit dem frühen Fischer als Mitglied der Bielefelder Hausbesetzerszene im Vorwort vorbeugend mit den Worten tiefstapelt, "ein eher einfältiger und durchschnittlich begeisterter Mitläufer" gewesen zu sein, "der den Bielefelder Joschkas jedes entschlossene revolutionäre Wort glaubte".

Die Enttäuschung eines willigen Opfers politischer Indoktrination darüber, daß die heimatlichen Pendants zum Frankfurter "Spontifürsten" nicht hielten, was sie versprachen, erklärt jedoch nicht, warum Christian Schmidt nicht nur die politische Inkonsequenz, sondern das Vortäuschen falscher Tatsachen durch Fischer und seinen Konterpart und Alliierten Daniel Cohn-Bendit mit beißender Polemik geißelt, zumal er am Schluß des Buches bilanziert:

Im Grunde unterscheidet sich die politische Praxis der revolutionären Spontis nicht von der der staatstragenden Realos. Anstatt greifbare Ziele konsequent zu verfolgen, reagierte man schon immer nur auf das, was man für die Wirklichkeit hielt - und zwar mit Anpassung. Solange die Zeichen auf Revolution standen und Fischer und seine Leute glaubten, als Revolutionäre auf der Seite der künftigen Sieger zu stehen, waren sie Revolutionäre. Sie intervenierten an gesellschaftlichen Brennpunkten, wo man sich revolutionären Erfolg versprach. Blieb der aus, hielten sie sich nicht lange auf, sondern versuchten es eben woanders. Als die Alternativszene größer und stärker wurde und das Revolutionärsein etwas riskanter, entwickelten sie sich zu soften Alternativen. Als die Alternativbewegung sich als wenig vielversprechend erwies, entdeckten sie ihr Faible für die erfolgreiche grüne Partei und begannen, Parteipolitik zu machen. Sahen sie als Parteimitglieder, daß bestimmte Inhalte, für die die Partei stand, nicht so einfach durchzusetzen waren und zudem dem eigenen gesellschaftlichen Aufstieg im Wege standen, änderten sie die Inhalte so lange, bis sie mit den ursprünglichen nichts mehr zu tun hatten. Ständig hechelten sie dem gesellschaftlichen Trend hinterher, der jeweils am stärksten zu sein schien - doch nicht so stark, daß sie in der jeweiligen Bewegung selbst keine tragende Rolle mehr spielen würden.

Hier beschreibt Christian Schmidt nicht nur die Karriere Fischers, sondern die Entwicklung des größten Teils der westdeutschen Linken, die Ende der sechziger Jahre den Marsch durch die Institutionen angetreten hatte und damit nur ein wenig früher vollzog, was ihnen Fischer dann um so erfolgreicher nachmachte. Die Fixierung des Autors auf die Frankfurter Häuserkampfszene als Katalysator der Entwicklung der Grünen vom linksalternativen Protestbündnis zur machtversessenen Honoratiorenpartei der mitten im arrivierten Bürgertum angekommenen 68er-Generation läßt leicht vergessen, daß diese Entwicklung spätestens mit der Parteigründung 1980 konkrete Gestalt angenommen hat, tatsächlich jedoch bereits aufgrund des Interesses der sogenannten Protestgeneration der sechziger Jahre an gesellschaftlicher Positionierung zu antizipieren war.

Dementsprechend wird die Diffamierung von "Fischers Bande" als vermeintlich zu allem entschlossener und vor nichts zurückschreckender Seilschaft zum Zwecke publizistischer Überhöhung betrieben, hinter der schon bald die obrigkeitshörige Moral hervorlugt, die in den siebziger Jahren zur Mobilisierung der bundesrepublikanischen Bevölkerung für den wehrhaften und autoritären Staat geführt hat. So dient dem Autor die Koketterie des RK und der Spontis mit dem bewaffneten Kampf allein dazu, das Publikum von der kriminellen Energie Fischers zu überzeugen, der seinem gleichzeitig dokumentierten Opportunismus gemäß jedoch enge Grenzen gesteckt sein mußten.

Wenn Schmidt im Verlauf seiner Schilderung der Frankfurter Straßenkämpfe in den frühen siebziger Jahren den Eindruck erweckt, Fischer und Cohn-Bendit seien nicht weniger als die RAF dazu entschlossen gewesen, für ihre Ziele ihr Leben in die Waagschale zu werfen, und der RK, dem die beiden angehörten, habe sich "vom Terror der RAF" nur deshalb distanziert, weil man ihn nicht für effizient genug hielt, dann beschwört er das Gespenst des bewaffneten Kampfes allein zum Zwecke eben jener "Abrechnung". Daß zwischen revolutionärer Rhetorik und Praxis ein himmelweiter Unterschied besteht, dürfte dem Autor gerade angesichts der Recherche über die Frankfurter Szene der Jahre von 1973 bis 1976 bekannt sein, und die Tatsache, daß die einzige Verhaftung Fischers, die im Zusammenhang mit einem durch Brandsätze schwer verletzten Polizisten erfolgte, zu schnellstmöglichem Abschwören von militanter Massenmobilisierung geführt hat, spricht für sich. ***

Wenn man die Frage stellt, worum es dem Autor bei seinen Enthüllungen außer dem Interesse des gewerblichen Schreibers an auflageträchtigen Sensationen geht, stößt man auf nichts weiteres als die magere Aussage, daß die verschiedenen Formen der außer- und innerparlamentarischen Opposition doch mehr verändert hätten als der unaufhaltsame Kurs Fischers zur Regierungsmacht. Die wenigen dafür angeführten Belege wie der verhinderte Bau des Kernkraftwerks Wackersdorf oder des schnellen Brüters in Kalkar können jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, daß die polemischen Auslassungen über die Niedertracht des bekennenden Realpolitikers Fischer, sein Segel ganz in den Wind der guten Gelegenheiten und erfolgversprechenden Chancen zu hängen, in eben jenem "moralischen Rigorismus" wurzeln, den Schmidt dem Objekt seiner Verdammung vorhält.

So dient sich der kommentierende Teil des Buches jedem an, der meint, sich über den Opportunismus des andern erheben zu müssen, um die eigenen Motive nicht der Überprüfung anheimzustellen. Die Palette der damit in Frage kommenden Leser reicht vom konservativen CDU-Anhänger, der schon immer wußte, daß Fischer als Wolf im Schafsfell daherkommt, bis zum enttäuschten Grünen, der sich der Verblendung hingegeben hat, daß die parlamentarische Partizipation nach dem aussichtslosen Anrennen gegen die Wasserwerfer in Brokdorf etwas anderes hervorbringen könne als den in dem Buch vielbeklagten realpolitischen Pragmatismus.

Nimmt man sich das Werk jedoch als durchaus unterhaltsames Exempel des taktischen Kalküls und der rhetorischen Improvisationsgabe des politischen Geschäfts vor, dann kommt man durchaus auf seine Kosten und erfährt zudem einiges über die Parteigeschichte der hessischen Grünen, wobei insbesondere der Kampf zwischen Fischer und Cohn-Bendit auf der einen und Jutta Ditfurth und Manfred Zieran auf der anderen Seite von Interesse ist. Die dabei geschilderte Taktik, den sogenannten Fundamentalistenflügel durch massenhafte Parteibeitritte von Frankfurter Spontis und deren Instrumentalisierung bei Abstimmungen ins Abseits zu drängen, wird als spezifische Strategie Fischers jedoch ebenso überbewertet wie die Karriereambitionen Cohn-Bendits als "Grundstein zu dem", "was man später einmal den Konflikt zwischen Fundamentalisten und Realos nennen sollte", oder die Ämterpatronage des ersten grünen Ministers, wo doch die Versorgungsmentalität des Berufspolitikers geradezu die Statik des gesamten Systems ausmacht.

Auch die der Frankfurter Sponti-Fraktion zugewiesene Urheberschaft der Regierungsambitionen grüner Parteifunktionäre stellt der basisdemokratischen Masse der Mitglieder einen Persilschein aus, den sie nicht verdient haben. Mitunter wundert sich der Autor darüber, wieso die grünen Parteimitglieder gleich welcher politischen Herkunft auch immer fast alles mitmachten, was Stars wie Fischer ihnen verordneten, dabei liegt die Antwort offen zutage, denn das gesamte Buch ist ein einziges Sittengemälde aus Intrigen und Winkelzügen, die alles andere vermuten lassen als ein ernsthaftes Verlangen nach grundlegenden politischen Veränderungen.

Gerade aus der Sicht etwa anderthalb Jahre nach der Erstveröffentlichung sind die von Schmidt angeführten Stellungnahmen grüner Spitzenpolitiker zu nichts anderem als der Feststellung geeignet, daß man schon Jahre vor Antritt der rot- grünen Regierung wissen konnte, worauf eine Koalition mit der ehemaligen Öko-Partei hinausläuft. Während frühere Bekenntnisse Fischers etwa gegen die Wiedervereinigung oder Auslandseinsätze deutscher Soldaten, bei denen er insbesondere davor warnte, das unter dem Vorzeichen der Menschenrechte zu tun, lediglich von anekdotischem Wert sind, läßt seine Forderung, daß "Deutschland jetzt, nachdem es friedlich und zivil geworden ist, all das, was ihm Europa, ja die Welt in zwei großen Kriegen erfolgreich verwehrt hat, nämlich eine Art 'sanfter Hegemonie' über Europa" bekommen soll, angesichts des Jugoslawien-Kriegs tief blicken. Bekanntlich nimmt Fischer in seinen Reden nur selten das Wort "Deutschland" in den Mund und ersetzt es fast vollständig durch "Europa". Wie das aussehen soll, läßt sich am Verhältnis Deutschlands zu Jugoslawien gut studieren.

Daß im Kosovo Fischers Intimus Tom Koenigs als UN-Verwalter eingesetzt ist, der, wie man in dem Buch erfährt, schon zur Zeit der Wende das "Recht auf Land, Heimat und Nation" eingefordert hat, ist ebenso erhellend wie das dort angeführte Fischer-Zitat aus dessen 1992 erschienenem Buch "Die Linke nach dem Sozialismus", in dem er den "Konsumkapitalismus" als "realisierte und bisher erfolgreichste Utopie der Moderne von der Machbarkeit der Welt" bezeichnet, der dem "größten Teil der Menschheit noch heute fast wie ein Traum aus jenem sagenhaften Utopia erscheint". Von daher übertreibt er geradezu, wenn er in einer Diskussion der BBC zum Fall der Berliner Mauer dem US-Börsenspekulanten George Soros, als dieser gerade seine eigene Rolle beim Niedergang der russischen Wirtschaft schöngeredet hatte, gegenüber behauptet, er hätte sich früher nicht vorstellen können, ihm hundertprozentig zustimmen zu können. Als sich Fischer dann dem einflußreichen Milliardär durch die Lobpreisung dessen politischer Doktrin von der "open society" geradezu an den Hals warf, degradierte er sich allerdings vollends zum subalternen Handlanger des Finanzkapitals.

Die in dem Buch dokumentierte Geschwindigkeit, mit der nicht nur Fischer politische Positionen in ihr glattes Gegenteil wandelt und es versteht, die Partei auf die aberwitzigsten Mutationen einzuschwören, hat sich seit seinem Erscheinen vor einem Jahr noch einmal potenziert. Schmidts Prognose, die Grünen dürften nach dem Wahljahr 1998 den Zenith ihrer Popularität überschritten haben, wurde daher auf eine Weise wahr, die nicht einmal der Chronist des Fischerschen Opportunismusses voraussehen konnte. So forderte er am Ende des Buches alle Leser auf, selbst bei heftigem Magengrimmen grün zu wählen, und zwar nicht deshalb, weil "vielleicht doch eine klitzekleine Möglichkeit besteht, daß sich unter Rot-Grüne etwas zum Besseren wendet." Schmidt malt sich aus, wie unterhaltsam es wohl sei, "Joschka Fischer beim Abschreiten militärischer Formationen beobachten" zu können oder ihm dabei zuzusehen, "wie er beim Abspielen des Deutschlandliedes vor einer schwarz-rot-goldenen Fahne Haltung annimmt".

Angesichts dessen, was der erste Mann im Außenamt bisher verbrochen hat, kann man wohl sagen, daß die von Schmidt imaginierte Steigerung des "Unterhaltungswerts unserer Nachrichtensendungen" durch grüne Minister nicht nur äußerst kurzlebig war, sondern bei jedem Bundesbürger mit Sinn für deutsche Geschichte blanke Wut auslösen müßte. Fischer hat seinen Plan, "all dies zu machen, was wir eigentlich nicht machen wollten", geradezu übererfüllt und allen Grund dazu, sich jetzt als Prototyp modernen Erfolgsmenschentums anzupreisen.


Christian Schmidt
Wir sind die Wahnsinnigen
Joschka Fischer und seine Frankfurter Gang
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