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BUCHBESPRECHUNG/006: "Islamfeindlichkeit - Wenn die Grenzen der Kritik verschwimmen" (Mohammed Khallouk)


Das Feindbild Islam als Markenzeichen europäischer Identität?

Ursachenforschung westlicher Islamressentiments bietet Wege zu ihrer Überwindung

Von Mohammed Khallouk, Februar 2010


Zeitgenössische Islamophobie knüpft an historischen Vorurteilen an

Aktuelle Umfragen der verschiedensten Meinungsforschungsinstitute haben ergeben, dass keine Religion im Bewusstsein der Deutschen und Europäer so sehr mit Negativassoziationen belegt ist wie der Islam. Dieses in unserer Gesellschaft verbreitete, lange Zeit ignorierte Phänomen der Islamfeindlichkeit wurde kürzlich als Anlass erkannt, seiner historischen Herausbildung, seiner Vielfältigkeit und seinen Auswirkungen auf den Grund zu gehen und in einem Sammelband mit Beiträgen von prominenten Vertretern der unterschiedlichsten Wissenschaftsdisziplinen an die Öffentlichkeit zu tragen. Resultat ist das von Thorsten G. Schneiders herausgegebene Buch "Islamfeindlichkeit - Wenn die Grenzen der Kritik verschwimmen", in dem ein Bogen von der frühmittelalterlichen Verfemung des Propheten Mohammed bis hin zur aktuellen Islamhetze im Internet geschlagen wird.

Besonders im ersten Kapitel des Buches über die Entwicklung des europäischen Islambildes in der Geschichte wird deutlich, dass trotz der phasenweise bedeutsamen Antizipation von Kulturelementen aus dem Vorderen Orient der dort dominierenden Religion, dem Islam, bei großen Teilen der europäischen Bevölkerung permanent ein Negativstigma anhaftete, das durch die zunehmende Konfrontation der Mitteleuropäer mit Muslimen im Zuge der Arbeitsimmigration seit Mitte des 20. Jahrhunderts und erst recht in jüngster Zeit durch die Globalisierung wieder verstärkt an die Oberfläche dringt.

Bereits der erste Beitrag des Theologen Thomas Naumann lässt mit Bezugnahme auf das vermeintlich "dunkelste Kapitel" im europäisch-islamischen Verhältnis, das Kreuzzugsalter, allerdings erkennen, dass die unmittelbare Begegnung mit der islamischen Kultur einen Beitrag zur Überwindung von Voreingenommenheit zu leisten vermag. Hiermit wird offensichtlich, dass der Band zugleich als Plädoyer für einen auf Wertekonsens hinauszielenden Kulturdialog mit den Muslimen aufgefasst werden kann.

Da Negativberichte beim sachunkundigen Rezipenten eine intensivere Wirkung zu erzielen vermögen als Positivschlagzeilen, gelingt es bekannten, dem Islam grundsätzlich reserviert gegenüber eingestellten Medienvertretern allerdings immer wieder, über die Restaurierung historischer Legenden im Zusammenhang mit aktuellen, für kritikwürdig erachteten Vorkommnissen unter Muslimen, die für überwunden geglaubten Islamressentiments ins öffentliche Bewusstsein zurückkehren zu lassen.

Vor diesem Hintergrund ist auch die im Beitrag des emeritierten Politikwissenschaftlers Werner Ruf anhand offizieller NATO - Verlautbarungen belegte Tatsache zu erklären, dass gegenwärtig sowohl das dem Mittelalter und der Frühneuzeit entstammende Bedrohungsszenario ausgehend vom Islam als auch die dem Imperialismus des 19. Jahrhunderts erwachsene kulturalistische Überheblichkeit gegenüber der Islamischen Welt in Teilen von Politik und Massenmedien wieder Hochkonjunktur besitzen.


Mediengesteuerte Angstbilder vom Islam belasten die Integration muslimischer Immigranten

In Kapital 2 des Sammelbandes wird die Tiefenwirkung dieser in der europäischen Civil Society verbreiteten Voreingenommenheit gegenüber dem muslimischen Glauben und seinen Anhängern zum Ausdruck gebracht. Vor allem für die angestrebte Integration muslimischer Immigranten in die deutsche Aufnahmegesellschaft entstehen auf diese Weise Barrieren. Nicht zuletzt erweisen sich jene Ressentiments für die Durchsetzung der berechtigen religiösen Ansprüche der Muslime an Schule, Beruf und Rechtssystem, wie anhand der verschiedenen Beiträge aufgezeigt wird, als Hindernis.

Der Beitrag des iranischstämmigen, in Deutschland lebenden Islamwissenschaftlers Narvid Kermani stellt heraus, dass jenes vorurteilsbeladene Islambild in Teilen der deutschen Gesellschaft in hohem Maße durch aus dem Kontext herausgerissene, in Verbindung mit kritikwürdigen Phänomenen gestellte Koranzitate in der Öffentlichkeit erzeugt und aufrecht erhalten wird. Hierdurch würden jene Vorkommnisse ausschließlich dem Islam angelastet und die anderen Begleitumstände, wie politische Rahmenbedingungen, aber auch Bildungsstand oder Migrantenstatus der Betreffenden ausgeblendet. Für muslimische Immigranten klingt die berechtigte, gebetsmühlenartig wiederholte Forderung nach Integration in ihrer Aufnahmegesellschaft daher vielfach wie ein Zwang zu Assimilation einhergehend mit der Aufgabe ihrer Religion und ihres Wertempfindens.

Demonstration gegen den Moscheebau in Köln

Demonstration gegen den Moscheebau in Köln

Welche Rolle die Medien für die Aufrechterhaltung und Kultivierung der Negativassoziation im Zusammenhang mit Muslimen einnehmen, beleuchten insbesondere die Kapitel 3 und 4. Die Kommunikationswissenschaftlerin Sabine Schiffer zeigt dabei die Breitenwirkung rechtslastiger Blogs im Internet wie Politically Incorrect auf, in denen bewusst Negativberichte, nach denen Muslime prinzipiell Gewaltakteure darstellen, dominieren. Dem Leser werde, so die Autorin, suggeriert, jene durchaus kritikwürdigen Verhaltensweisen kennzeichneten die Muslime an sich oder mehr noch den Islam als Religion.

Problematischer noch erscheint die Tatsache, dass einige Intellektuelle, ursprünglich dem linksliberalen Spektrum entstammend, wie Henryk M. Broder oder Ralph Giordano sich an jener undifferenzierten Pauschalkritik am Islam und an "den Muslimen" aktiv beteiligen. Der Beitrag des Islam- und Politikwissenschaftlers sowie Buchherausgebers Thorsten G. Schneiders entlarvt zudem deren zweifelhafte Methoden, mit denen diese ihr von Bedrohungsszenarios durchsetztes Islambild der Öffentlichkeit als "Aufklärung über das Wesen des Islam" präsentieren, obwohl keiner jener prominenten Publizisten Orientalistik oder Islamwissenschaft studiert hat.


Das lange ignorierte Gesellschaftsproblem "Islamfeindlichkeit" wird zum öffentlichen Diskussionsgegenstand erhoben

Neben diesen deprimierend erscheinenden Erkenntnissen zur Einstellung und dem Verhalten der deutschen Civil Society gegenüber den mittlerweile zu ihrem elementaren Bestandteil hinzugehörenden Muslimen und ihrer Religion vermitteln die Beiträge allerdings auch Hoffnung, dass eine gleichberechtigte Anerkennung des Islam neben Juden- und Christentum in Deutschland erreichbar ist. Verwiesen wird dabei auf den steinigen, aber letztlich erfolgreichen Weg, den Juden zu ihrer Gleichstellung gegenüber Christen in der Vergangenheit genommen haben und der den Muslimen nun als Vorbild dient. Mag die Anzahl der Beiträge mit insgesamt 28 für die Ausrichtung auf thematisch interessierte Laien ein wenig zu hoch erscheinen, die unterschiedliche wissenschaftliche Herkunft der Autoren lässt die gesamtgesellschaftliche Relevanz des Erörterungsgegenstandes "Islamfeindlichkeit" und ihrer Auswirkungen offensichtlich werden.

Islamfeindlichkeit
Wenn die Grenzen der Kritik verschwimmen
Herausgegeben von Thorsten Gerald Schneiders
Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2009
485 Seiten. Broschur. EUR 39,90
ISBN 978-3-531-16257-7




© 2010 für die Fotos by Mohammed Khallouk


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Quelle:
© 2010 by Mohammed Khallouk
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 12. Februar 2010