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BUCHBESPRECHUNG/112: "Die Partisanen der NATO" von Erich Schmidt-Eenboom, Ulrich Stoll (Sachbuch) (Gerhard Feldbauer)


Eine CIA-Geheimarmee Stay Behind gab es auch in der Bundesrepublik Deutschland

Auf Proskriptionslisten erfasste Sozialdemokraten sollten im Fall eines sowjetischen Einmarsches liquidiert werden

von Gerhard Feldbauer, 17. Juni 2016


Im Kalten Krieg hatte die NATO unter dem Oberbefehl des US-Auslandsgeheimdienstes CIA in den westeuropäischen Ländern geheime Truppen aufgestellt, die vorgeblich nur bei einem sowjetischen Überfall stay behind, also hinter den Linien, operieren sollten. In Italien wurden die dort Gladio genannten Stay Behind-Einheiten 1990 aufgedeckt und ihre verfassungswidrigen terroristischen Aktivitäten zur Verhinderung einer Regierungsbeteiligung besonders der Kommunisten durch eine parlamentarische Untersuchungskommission enthüllt. So war Gladio auch an der Ermordung des christdemokratischen Parteiführers Aldo Moro, der ein Regierungsbündnis mit der IKP geschlossen hatte, beteiligt.

Auch in der Bundesrepublik Deutschland hatte die CIA den Bundesnachrichtendienstes (BND) beauftragt, eine Stay-Behind-Organisation (SBO) aufzubauen, deren geheime Einheiten militärisch ausgebildet und für die Waffen, Munition und Funkausrüstungen in Erddepots angelegt wurden. Nachdem das Bestehen solcher Einheiten von der Kohl-Regierung zunächst geleugnet worden war, wurde das dann 1990 eingeräumt und zugesagt, sie binnen eines Jahres aufzulösen. Ob und wie das geschah, wurde nie bekannt. Die auch in der BRD grundgesetzwidrigen Aktivitäten des BND, der als Auslandsgeheimdienst im Inland nicht aktiv werden durfte, kamen nicht zur Sprache, denn im Gegensatz beispielsweise zu Italien, hielt es der deutsche Bundestag nicht für nötig, eine parlamentarische Untersuchungskommission einzusetzen. Erst nach über 20 Jahren gab der BND Akten über seine SBO-Truppe frei, die Einblicke in die Aktivitäten, Personenstrukturen und Operationsplanungen gewähren, die von Erich Schmidt-Eenboom und Ulrich Stoll in ihrer Publikation "Die Partisanen der NATO. Stay Behind-Organisationen in Deutschland 1946-1991" zusammen mit zugänglichen CIA-Dokumenten verarbeitet wurden.


"Staatsstreichähnliche Pläne" verfolgt

Die Autoren verfolgen die Aktivitäten der SBO, die als ein Bundeswehrtruppenteil getarnt war und auf der Grundlage der vom BND konzipierten Doktrin "unorthodoxer Kriegführung" agierte. BND-Chef Reinhard Gehlen forderte 1964 vom Generalinspekteur der Bundeswehr seiner Stay Behind-Truppe, "ein eigenes, ihm unterstelltes Fallschirmjägerbataillon" zur Verfügung zu stellen, was jedoch an Kompetenzstreitigkeiten scheiterte.

Die Verfasser decken auf, dass es, ähnlich wie in Italien, auch in der Bundesrepublik "staatsstreichähnliche Pläne" gegen SPD-Politiker gab und alle nur erdenkbaren Maßnahmen, einschließlich der Bildung eines illegalen Apparates "zur Bekämpfung der deutschen Anhänger einer prosowjetischen Politik" erwogen wurden. Ebenso, dass frühere aktive Nazis und Offiziere der Hitlerwehrmacht und der SS für die deutschen Stay-Behind-Truppen rekrutiert wurden.


Hitlergeneral Gehlens Schattentruppe

Stellvertretend dafür wird in dem Kapital "Reinhard Gehlens Schattentruppe" dessen Rolle dargelegt. Der frühere Hitlergeneral und Leiter der Abteilung "Fremde Heere Ost" im Generalstab des Heeres übergab der CIA die Listen von ihm geführter Agenten, von denen dann viele in die nach ihm benannte "Organisation Gehlen", dem Vorläufer des BND, übernommen wurden.

Aufgezeigt wird die Rolle der mit Hilfe der CIA nach 1945 aufgebauten Terrororganisation "Bund Deutscher Jugend" (BDJ) und seines Technischen Dienstes (TD). Der BDJ wurde auch aus Mitteln des Bundes und von bekannten Unternehmen wie Erdal, Coca-Cola, Salamander, Retsma und Bosch finanziert. Die Stoßrichtung ging nach Innen, wenn der BDJ Häuser und Läden von bekannten Kommunisten und ihren auch nur vermeintlichen Sympathisanten mit Slogans beschmierte wie "Ich bin ein Landesverräter. Ich unterstütze die Kommunisten" und aufrief "wehrt Euch gegen die rote Pest". Auf Proskriptionslisten wurden Sozialdemokraten erfasst, die im Fall eines sowjetischen Einmarsches liquidiert werden sollten.


1961 waren alle Generale und Admirale der Bundeswehr aktive Unterstützer der Aggressionen Hitlers gewesen

Als sich die Bundesanwaltschaft widerwillig damit befassen musste, erklärte sie, der BDJ sei "gegen totalitäre Bestrebungen jeder Art" und schon die Voruntersuchung habe "nicht den mindesten Anhalt" dafür ergeben, dass der BDJ "andere abweichende Zwecke" verfolge.

Das konnte nicht verwundern, denn in der dritten Adenauer-Regierung (1957-1961) waren 80 Prozent aller Richter und Staatsanwälte der Justiz der BRD ehemalige Mitglieder der NSDAP, wie auch insgesamt 200.000 ehemalige Beamte des Dritten Reiches in den Staatsdienst übernommen wurden. Und in der westdeutschen NATO-Armee, zu der die SBO-Terrortruppe gehörte, hatten alle zu dieser Zeit dienenden Generale und Admirale die Aggressionen Hitlers aktiv mitgemacht. Adenauer hatte in seine 18 Mitglieder zählende dritte Regierung vier hochrangige Mitglieder der NSDAP oder der SA und sechs Offiziere der Hitlerwehrmacht aufgenommen.


Gab es eine Beteiligung am Bombenanschlag auf dem Oktoberfest?

Obwohl es bis heute "keine belastbaren Belege für eine Verbindung zwischen der Stay Behind-Organisation und den Attentätern von München" gibt, gehen die Autoren möglichen Verbindungen zu dem Bombenanschlag auf dem Oktoberfest am 26. September 1980 mit 13 Toten und über 200 Verletzten im Kapitel "Stay Behind-Kampf im Inneren? - Das Rätsel der Oktoberfestbombe" nach.

In einem Kapitel "Stay Behind im Visier östlicher Geheimdienste - Identifizierung von SBO-Agenten durch das MfS" erfährt der Leser, dass die Spionageabwehr der DDR auch bei der Aufdeckung der westdeutschen NATO-Geheimtruppe recht erfolgreich war und entsprechende Gegenmaßnahmen zur Ausschaltung der SBO-Agenten vorgesehen waren.

Ob die Verfasser mit der Benutzung des Begriffs "Partisanen" (laut Brockhaus Enzyklopädie, Mannheim 1991) "eigentlich Parteigänger, Freischärler, Widerstandskämpfer" und ihrer Rolle im antifaschistischen Widerstand während des Zweiten Weltkrieges eine zutreffende Definition für die von Offizieren der Hitlerwehrmacht, der SS und ähnlicher Couleur aufgebaute CIA-Truppe gewählt haben, soll hier dahin gestellt bleiben.


Erich Schmidt-Eenboom, Ulrich Stoll
Die Partisanen der NATO
Stay-Behind-Organisationen in Deutschland 1946-1991
Ch. Links Verlag, 2015
304 Seiten
ISBN 978-3-86153-840-0

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Quelle:
© 2016 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 24. Juni 2016

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