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BUCHBESPRECHUNG/075: "Akzeptanz in der Medien- und Protestgesellschaft" von Günter Bentele u.a., Hrsg. (Klaus Ludwig Helf)


Günter Bentele / Reinhard Bohse / Uwe Hitschfeld / Felix Krebber (Hrsg.):

"Akzeptanz in der Medien- und Protestgesellschaft. Zur Debatte um Legitimation, öffentliches Vertrauen, Transparenz und Partizipation"

von Klaus Ludwig Helf, August 2015


Wutbürger, das "Wort des Jahres 2010" und "Stuttgart 21" wurden zu Chiffren für Bürgerproteste und für mangelnde öffentliche Akzeptanz für die Umsetzung von Großprojekten; das politisch-gesellschaftliche Klima hat sich in den vergangenen Jahren radikal verändert. Bürgerinnen und Bürger geben sich mit den bestehenden - meist repräsentativen - Möglichkeiten der Beteiligung nicht mehr zufrieden, sondern hinterfragen vieles kritisch, fordern Transparenz von Entscheidungen und Prozessen und mischen sich hartnäckig ein. Heute stehen potenziell sämtliche Entscheidungen und Akteure bei großen Infrastruktur- und Bauprojekten wie Flughäfen, Stromtrassen, Kraftwerke, Brücken und Unterkünfte für Flüchtlinge oder Asylbewerber unter Legitimationsdruck. Bürgerinnen und Bürger möchten bei vielen Entscheidungsprozessen beteiligt werden, vor allem immer dann, wenn sie selbst betroffen sind oder sich betroffen fühlen. Nach den politikwissenschaftlichen und demokratietheoretischen Untersuchungen und Analysen des Göttinger Instituts für Demokratieforschung über Bürgerproteste in Deutschland im Jahr 2013 erschien nunmehr bei Springer Fachmedien ein Band zur Vertiefung der Diskussion um Legitimation und Akzeptanz in der Medien- und Protestgesellschaft. Es stehen eher die kommunikativen und dialogorientierten Aspekte und Strategien der "Vermarktung" im Vordergrund, weniger die inhaltlichen Grundsatzentscheidungen.

Die Herausgeber des Bandes sind: Günter Bentele, emeritierter Professor für Öffentlichkeitsarbeit / Public Relations am Institut für Kommunikations- und Medienwissenschaft der Universität Leipzig; seit 1980 PR-Berater und seit 2012 Vorsitzender des Deutschen Rats für Public Relations. Reinhard Bohse, geschäftsführender Gesellschafter der Wortgebrauch GmbH, Medien und Kommunikationsberatung in Markkleeberg/Leipzig. Uwe Hitschfeld, geschäftsführender Gesellschafter von Hitschfeld Büro für strategische Beratung, Leipzig. Felix Krebber, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Professur Kommunikationsmanagement in Politik und Wirtschaft am Institut für Kommunikations- und Medienwissenschaft der Universität Leipzig. Die Herausgeber wollen mit diesem Band Impulse für die wissenschaftliche und praktische Auseinandersetzung mit dem Phänomen Akzeptanz in der Medien-und Protestgesellschaft setzen; sie wollen einen Überblick über die aktuelle Debatte geben und geeignete Ansätze für die Lösung von Akzeptanzkonflikten anbieten. Unter den Autoren des Bandes sind neben der Herausgebern auch Studierende der Masterclass 2012 im Master Communication Management an der Universität Leipzig, Wissenschaftler und Praktiker, darunter auch PR-Manager wie Volker Knauer, Rainer Knauber, Hans Hütt und Bodo Hombach, die ehemalige Generalbundesanwältin Monika Harms, der Kommandeur der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg Achim Lidsba, der ehemalige Chefredakteur der Deutschen Presseagentur dpa Wilm Herlyn oder der ehemalige Bundestags- und Europaparlaments-Abgeordnete Werner Schulz.

In der thematischen Einführung fassen die Herausgeber die grundsätzlichen Aspekte des Diskurses um Akzeptanz, Legitimation, öffentliches Vertrauen, Transparenz und Partizipation zusammen und formulieren die Leitthesen für die Debatte. Dann folgt der Haupt-Teil des Bandes, der sich in drei Teile gliedert: Teil 1 bearbeitet das Thema gesellschaftliche Akzeptanz in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung (Vertrauen, Transparenz und Legitimation) aus der Makro-Perspektive. Teil 2 beschäftigt sich mit der Akzeptanz der Akteure und Organisationen, die zunehmend unter einem Legitimationsdruck stehen (Meso-Perspektive). Im dritten Teil werden Fallbeispiele für Akzeptanzkonflikte in Politik, Wirtschaft und Kultur vorgestellt (Mikro-Perspektive). Die aktuelle Debatte um Akzeptanz, öffentliches Vertrauen, Partizipation und Transparenz werten die Herausgeber zu Recht als Ausdruck einer emanzipierten, modernen Gesellschaft. Damit vollziehe sich auch ein tiefgreifender gesellschaftlicher Wandel, der alle Bereiche unserer Gesellschaft präge. Beteiligung sei bürgerschaftliches Engagement und als solches Grundlage eines funktionierenden Gemeinwesens, schöpferisches Potenzial und auch Quelle für innovative Veränderungen. Die Forderung nach mehr Beteiligung, nach mehr Transparenz in Entscheidungs- und Meinungsbildungsprozessen sei nicht nur Blockadepolitik oder eigensüchtige Klientelpolitik konservativer / reaktionärer Wutbürger; sie eröffne auch Chancen für demokratische Erneuerung, die müsse man erkennen und für das Gemeinwohl erschließen; dazu brauche man eine grundsätzliche Neuausrichtung von Organisationen im gesellschaftlichen Umfeld. Das Sichern von gesellschaftlicher Akzeptanz werde zu einem strategischen Erfolgsfaktor für die betroffenen Unternehmen, aber auch für Politik, Behörden und Verwaltungen, schließlich auch für Bürgerinitiativen, NGOs und für andere Interessengruppen: "Dies verlangt von allen Akteuren erhebliche Veränderungsbereitschaft, die Bereitstellung der dafür erforderlichen Ressourcen und Ideen. Dazu gehören nicht nur angemessene Zeit, Geld und Managementkapazität, sondern auch neue Methoden, Formen und Verfahren der Bürgerbeteiligung und Sozial- und Methodenkompetenz zu entwickeln" (S.18). Bei der Analyse vieler Proteste und Wahlanalysen zeige sich eine "Schieflage" insofern, dass sich eher die sozioökonomisch Bessergestellten und akademisch Ausgebildeten Gehör verschafften; vor allem sie partizipierten von Beteiligungsverfahren und demokratischen Vertretungen: "Bürgerengagement per se ist eben nicht nur Zeichen einer vitalen politischen Kultur, sondern kann auch kritisch als Signal für abnehmende gesellschaftliche Solidarität, für Unmut und Ohnmacht gewertet und als Indiz für ein Auseinanderdriften der Gesellschaft gedeutet werden, der die einigende Kraft des politischen Systems verlustig geht" (S.10). Kategorien wie Glaubwürdigkeit, Verantwortung, öffentliches Vertrauen und Transparenz werden in der Wirkung und öffentlichen Wahrnehmung eine herausragende Rolle spielen für die Akzeptanz der Akteure und für deren Projekte.

Die zersplitterte Medienlandschaft und die Chancen und auch Risiken der neuen Medien erzwingen geradezu eine Veränderung der Kommunikation der Organisationen selbst; sie müsse zu einem Akzeptanzmanagement und als grundlegende Führungsaufgabe ausgebaut werden. Kommunikation komme - so Michael Sasse, Leiter der Unternehmenskommunikation des Erdöl- und Erdgasproduzenten Winterhall - eine Schlüsselrolle zu, "wenn Deutschland die Energiewende meistern und auch in Zukunft große Infrastrukturprojekte erfolgreich umsetzen will" (S.348). Da der Netzentwicklungsplan allein für den Ausbau des deutschen Stromnetzes in den nächsten 10 Jahren mit weiteren Trassen von 3.800 km Länge kalkuliert, kann man sich zukünftige Konfliktpotenziale vorstellen; anschauliche Beispiele gab es bereits in Bayern. Am Beispiel der Ablehnung der Austragung der Olympischen Winterspiele in Bayern führt Gernot Bauer anschaulich vor, wie trotz großer Unterstützung des Projekts durch die Kommunen und durch die Medien und auch durch die Sportler selbst die Akzeptanz dafür in der Öffentlichkeit fehlte: "Akzeptanz fehlte umso mehr, als die Bedingungen der Bewerbung kein Ergebnis eines Dialogprozesses waren, sondern als schieres IOC-Diktat aufgefasst wurden ... Denn Akzeptanz fußt auf Beteiligung. Nur so ist sie zu haben" (S.385).

In einer gesellschaftsethischen Reflexion analysiert der Jesuit und ehemalige Leiter des Nell-Breuning-Instituts, Friedhelm Hengsbach, die Legitimitätseinbußen des Staates. Aufgrund der Hegemonie der Finanzmärkte und der Dominanz der kommerziellen Dynamik übten diese verstärkt Druck auf Ziele, Inhalte, Tempo und Souveränität staatlicher Entscheidungen aus; dadurch entstehe ein para-staatliches Netzwerk, in dem staatliche, wirtschaftliche und zivilgesellschaftliche Eliten politisch relevante Entscheidungen aufeinander abstimmten - weithin unter Ausschluss breiter Bevölkerungsgruppen. Die Abstimmung privater und staatlicher Interessen erfolge in verschiedenen Kanälen (u.a. als wissenschaftliche Expertise, mediale Agitation, Lobbyarbeit, Legendenbildung, sublime Drohung) und münde in gemeinsam vorbereitete Gesetzestexte. Gleichzeitig blieben die Verfahren der repräsentativen Demokratie wie ein "leeres Gehäuse" intakt (Wahlen, parlamentarische Rituale, mediale Dauerpräsenz). Als Folge nehme die gesellschaftliche Polarisierung zu:

... es entsteht ein vertikales Schisma, der Charakter einer kapitalistischen Klassengesellschaft mit den Stellgrößen Vermögen, Bildung, Position und informellen elitären Beziehungen regeneriert sich. Dagegen verbreitet sich in besonders betroffenen Schichten und Milieus die Vorahnung, dass ein Staat, der von wirtschaftlichen Machteliten in Geiselhaft genommen wird, mit dem Ziel, alle gesellschaftlichen Bereiche mit kommerziellen Interessen zu kontaminieren, sein Mandat verfehlt, dem allgemeinen Interesse, nämlich der Gerechtigkeit ... Geltung zu verschaffen. [S.153]

Diese Legitimitätseinbuße drücke sich bei Umfragen, Wahleinhaltungen und bei Protesten deutlich aus; nach den finanz- und realwirtschaftlichen Turbulenzen sei mit neuen Formen des zivilen Widerstands, des Protests bis zu offenen Rebellion zu rechnen.

Wilm Herlyns Beitrag ist ein Plädoyer für engagierten, kritischen Qualitätsjournalismus, der auch in der digitalen Welt unverändert seinen Platz habe; denn gerade angesichts der Überflutung durch Informationen auf allen Kanälen verlange das Publikum Glaubwürdigkeit und Sicherheit: "... die Eigenständigkeit und Erkennbarkeit von Standpunkten behalten ihre wirksame Wirklichkeit, die Grundvoraussetzungen von tiefer und unbeugsamer Recherche bleiben genauso wie Kompetenz, Leidenschaft und Kreativität" (S.249). Die Tugenden des Journalismus müssten nicht neu erfunden werden in der digitalen Medienwelt; Herlyn zitiert ausführlich aus einer Rede des damaligen Bundespräsidenten Johannes Rau (2004), die sich gerade heute noch wie eine Magna Charta des Qualitätsjournalismus lesen lässt. Zu Recht kritisiert Herlyn, dass die meisten Medienhäuser die digitalen Herausforderungen verschlafen, wegen der daraus folgenden finanziellen Engpässe in den Redaktionen gespart und "ritten mit vollem Galopp auf den Boulevard ..., der Aufmerksamkeit verhieß, Anziehungskraft sowie steigende Auflagen und Quoten"; das führte dann dazu, dass die klassischen Medien ihre ureigene Kontrollfunktion gegenüber Politik und Wirtschaft verlören hätten. Es gäbe aber hoffnungsvolle Ansätze für eine Neuorientierung des anspruchsvollen Journalismus. Ein Beispiel für einen Paradigmenwechsel in den audiovisuellen Talkformaten des Fernsehens präsentiert Hans Hütt, der an dem vorgestellten TV-Format «Jung&Naiv« als beratender Redakteur beteiligt ist. «Jung & Naiv - Politik für Desinteressierte« ist eine regelmäßige politische Interview-Sendung im privaten Fernsehen - zuerst 2013 bei YouTube und dann wöchentlich bei «Joiz Germany« - ohne deren redaktionelle Kontrolle (montags um 20:00 Uhr); die erste Folge am 19. August 2013 war ein Interview mit dem damaligen SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück. Produziert werden die Sendungen von Tilo Jung, Alex Theiler und Hans Hütt. Für seine Interviews schlüpft Moderator Tilo Jung in die Rolle eines naiven jungen Mann, die seinen Gästen als Durchschnittsahnungsloser "auf dem intellektuellen Niveau eines 14-Jährigen"entsprechend naive Fragen stellt. Der Interviewpartner wird geduzt, darf keine Fremdwörter benutzen und muss Fachbegriffe erklären. Zuschauer haben die Möglichkeit, online Fragen zu stellen. Die Interviews werden aufgenommen und in voller Länge ausgestrahlt oder gekürzt in Blogs (netzpolitik.org) oder im Online-Magazin "Krautreporter" veröffentlicht. Ziel des Crowd-Founding Projektes ist es, die erstarrten Rituale der klassischen TV-Formate zu durchbrechen: "Der naive Moderator holt das Reden über Politik aus der Abseitsfalle der politischen Schlagworte ... Das hat etwas Entwaffnendes, manchmal sogar etwas Befreiendes. Das ändert nicht die Politik, auch nicht ihre Akteure, aber es ändert eine Haltung zur Politik" (S.263). «Jung&Naiv« sei als alternatives, partizipatives Politikformat auch ein Beitrag zur politischen Bildung - ein vielversprechender, innovativer Ansatz, wenn man die Sendungen mal auf sich wirken lässt. Ob Tilo Jung mit dieser Sendung den Journalismus auf «Youtube« revolutioniert habe, wie der «Tagesspiegel« einmal schrieb - darf bezweifelt werden, da doch die hohen Ansprüche eines Qualitätsjournalismus nicht erfüllt werden.

Günter Bentele / Reinhard Bohse / Uwe Hitschfeld / Felix Krebber (Hrsg.)
Akzeptanz in der Medien- und Protestgesellschaft.
Zur Debatte um Legitimation, öffentliches Vertrauen, Transparenz und Partizipation
Verlag Springer VS Fachmedien, Wiesbaden 2015
405 Seiten
39,99 Euro

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Quelle:
© 2015 by Klaus Ludwig Helf
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 9. September 2015

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