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BIBLIOTHEK/364: Weimarer Stammbuchsammlung - erste Ergebnisse der Startphase (idw)


Eberhard Karls Universität Tübingen - 15.08.2008

Gemeinsames Projekt der Herzogin Anna Amalia Bibliothek und der Universitätsbibliothek Tübingen zu Weimarer Stammbuchsammlung

Erste Ergebnisse der Startphase liegen vor


Die Herzogin Anna Amalia Bibliothek in Weimar verfügt mit 845 Stammbüchern aus der Zeit von 1550-1950 über den größten Bestand dieser Art weltweit. Das Stammbuch oder Album amicorum entstand als Freundschafts- und Erinnerungsbuch in Wittenberg Mitte des 16. Jahrhunderts.

Seit Januar 2008 befindet sich die Weimarer Sammlung komplett in den Magazinräumen der Universitätsbibliothek Tübingen. Dort soll sie im Rahmen eines von der Weinheimer H.W. & J. Hector Stiftung finanzierten Projektes vollständig katalogisiert werden. Die Herzogin Anna Amalia Bibliothek kooperiert bei diesem Projekt eng mit der Universitätsbibliothek Tübingen. Dabei kommt dem Projekt vor allem der große Bestand an historischen Nachschlagewerken sowie das in Tübingen entwickelte Programm TUSTEP (Tübinger System von Textverarbeitungs-Programmen), mit dem man mühelos aus einer komplizierten Datenbank heraus einen gedruckten Katalog herstellen kann, zugute.

Der Aufbau dieser Datenbank ermöglicht Wissenschaftlern und einer interessierten Öffentlichkeit künftig einen detaillierten Zugang zu der bisher kaum erschlossenen Sammlung. Bereits während der Katalogisierungsarbeit können die ständig aktualisierten Daten im Internet unter http://www.inka.uni-tuebingen.de/stamm.php eingesehen werden.

Erste Ergebnisse der Startphase

Die intensive Auseinandersetzung mit dem Bestand der Stammbücher hat bereits nach einem halben Jahr Projektlaufzeit zu ersten Ergebnissen geführt. Etliche Eigentümer von Stammbüchern konnten erstmals namentlich ermittelt und Zuschreibungen der älteren Literatur korrigiert werden. Zwei Drucke der Herzogin Anna Amalia Bibliothek wurden in ihrer Bedeutung für die Weimarer Stammbuchsammlung identifiziert. Es handelt sich um eine griechische Ausgabe des Neuen Testamentes (Basel, 1540) und eine Ausgabe von Schriften Philipp Melanchthons (Leipzig ,1554) mit Eintragungen und Widmungen verschiedener Wittenberger Reformatoren, unter ihnen Philipp Melanchthon selbst, Nikolaus von Amsdorf und Johannes Bugenhagen. Diese Bücher können zwar im strengen Sinne nicht als Stammbücher bezeichnet werden, gelten aber in der Wissenschaft als ihre direkten Vorläufer. Durch diesen Fund ist die Entwicklung des Stammbuchs in Weimar lückenlos dokumentiert.

Erweiterung der Sammlung

Nach Bekanntwerden des Projektes erhielt die Herzogin Anna Amalia Bibliothek ein Stammbuch aus dem ersten Drittel des 19. Jahrhunderts, das sehr schöne Grafiken und Stickereien enthält, als Schenkung aus Privatbesitz. Daneben wurden seit Januar dieses Jahres 19 Stammbücher auf dem Antiquariatsmarkt erworben. Unter ihnen befindet sich das von 1848-1853 geführte Stammbuch Eduard Beermanns, eines fahrenden Wiener Sängers, Dichters und Improvisateurs, der sein Publikum mit Gedichten und populären Volksliedern erfreute. Eingetragen haben sich unter anderem der Wiener Wagnersänger Josef Aloys Tichatschek, der Komponist Louis Spohr mit acht Takten aus seiner Oper "Die Kreuzfahrer" und der Dichter Berthold Auerbach.

Das Stammbuch und die Begründung der Weimarer Sammlung durch Goethe Das Stammbuch entstand als Freundschafts- und Erinnerungsbuch in Wittenberg, das um die Mitte des 16. Jahrhunderts die bedeutendste deutsche Universität beherbergte. Ihre Anziehungskraft beruhte vor allem auf der Anwesenheit der beiden großen Reformatoren Martin Luther und Philipp Melanchthon und ihrer Schüler. Die Wittenberger Studenten, von der neuen Lehre begeistert, strebten nach einem persönlichen Erinnerungsstück ihrer Lehrer in Form eines mit Widmung versehenen Buches. Diesem Brauch sind zahlreiche Widmungsexemplare Luthers und Melanchthons zu verdanken. Man verschaffte sich zudem die Einträge anderer Wittenberger Professoren und legte das Buch dann Freunden vor, die sich der illustren Reihe anschlossen. Bereits in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts kursierten eigens zu diesem Zweck gebundene Bücher, die nur leere Seiten enthielten.

Der Grundstock der Stammbuchsammlung wurde in der Zeit gelegt, als Goethe die Oberaufsicht über die Herzogliche Bibliothek innehatte. Im Jahr 1805 veranlasste er den Ankauf einer ansehnlichen Sammlung von 275 Stammbüchern aus dem Besitz des Ulmer Buchdruckers Christian Ulrich Wagner (1722-1804). Den Wert der Weimarer Stammbuchsammlung machen Eintragungen berühmter Persönlichkeiten aus - von Galilei, Kepler, Schickard über Goethe bis Gottsched, Herder und Wieland - aber auch Aquarelle und Bleistiftzeichnungen von Trachten, Kostümen und Wappen, Porträts, Ansichten von Gebäuden, Städten und Landschaften oder astronomischen Geräten. Besonders interessant sind die Eintragungen vieler Tübinger "Geistesgrößen", darunter Johannes Harpprecht, Lucas Osiander d.J., Metrophanes Kritopoulos, Zacharias Schäffer, Martin Rümelin, Erasmus Ungepaur und Wilhelm Schickard oder auch die Eintragungen von mehreren Angehörigen des württembergischen Herzogshauses im Stammbuch eines Tübinger Fechtmeisters.

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/pages/de/institution81


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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Eberhard Karls Universität Tübingen, Michael Seifert, 15.08.2008
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 19. August 2008