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FRANZÖSISCH/167: Gelesen (4) Antoine de Saint-Exupéry - Le Petit Prince (SB)


Lesen! Lesen! Lesen!


Antoine de Saint-Exupéry: Le Petit Prince



Dem kleinen Prinzen sind viele Menschen schon einmal begegnet, ob im Fremdsprachenunterricht, in der Schule oder auch als Theaterstück. Als Buch für Freunde harmloser Unterhaltung und seichter Lebensweisheiten verlangt es dem Leser nichts ab außer der Bereitschaft, sich mit einer Art niveauvollen Staunens über die Langeweile, die es erregt, hinwegzutäuschen, erinnert es doch an die Eintönigkeit peinlichst geharkter Wege und gepflegter Parklandschaften. Wie mag wohl die Kindheit eines Autoren ausgesehen haben, der ein Kinderbuch von der Monotonie eines Abzählreims verfaßt, in dem im Rechenkästchenverfahren ein hausgroßer Planet nach dem nächsten mit seinem putzigen oder skurrilen Bewohner paradiert? Die geistigen Engen der angeblich kritisierten Erwachsenenwelt werden - man möchte fast sagen: auf sattsam bekannte Weise -, in ein fadenscheiniges Mäntelchen fantasievoller Rebellion gehüllt, einem Kind aufgezwungen, das schon zu höflich ist, die Alten zu fragen, was es denn damit anfangen soll. Und so feiert sich denn eine Fangemeinde - von Erwachsenen zumeist - selbst und genießt den wohltemperierten Charme einer sauberen, geordneten Welt, wo alles seinen Platz und seine Regel hat, eine Rose hochmütig ist, ein Fuchs sich danach sehnt, gezähmt zu werden, um die Einsamkeit zu verlieren, und der Tod verklärt nur der Übergang in ein anderes Leben ist - reingewaschen von allem, das im bürgerlichen Sinn Anstoß erregen könnte. Bevor es dem Leser gelingt, unter den Putz zu blicken, verleitet das fein ironisierende Geplauder zu der Erkenntnis, daß man in gebührendem Maße über den Dingen und den möglicherweise angerissenen Problemen steht und sich, statt sich betroffen zu fühlen, ein Gefühl der Rührung leisten kann. Gerade so läßt, ob im Französischunterricht oder als Theaterstück unter freiem Himmel, der kleine Prinz auch über sechzig Jahre nach dem Tode des Autors noch die Augen einer kleinen, aber hartnäckigen Fangemeinde leuchten.

Abgesehen von diesen Implikationen knüpft das Buch tatsächlich an eine wahre Begebenheit, den Absturz Saint-Exupérys 1935 über der Libyschen Wüste, an. Nach einem fünftägigen 200-Kilometer-Fußmarsch werden er und sein Begleiter, die bereits halluzinieren, von einer Karawane gerettet.(1) Ein wenig boshaft wäre wohl die Interpretation, die Begegnung mit dem Kleinen Prinzen wäre in dieser Art Fieberwahn entstanden... Im Buch ist der Autor allein mit seiner havarierten Maschine und steht vor dem Problem, ohne Hilfe den Motor zu reparieren:

Il y a six ans, j'avais une panne dans le désert du Sahara. Quelque chose s'était cassé dans mon moteur. Et comme je n'avais avec moi ni mécanicien, ni passagers, je me préparai à essayer de réussir, tout seul, une réparation difficile. C'était pour moi une question de vie ou de mort, j'avais à peine de l'eau à boire pour huit jours. ... (Éditions Gallimard, 1974
(1946), Umschlagtext)

Nun heißt diese Rubrik nicht ohne Grund "Lesen! Lesen! Lesen!", und so sollen denn nach dieser knappen Verortung des Werks hauptsächlich seine Vorzüge für den Gebrauch im Fremdsprachenunterricht zum Tragen kommen. Gerade den der französischen Sprache noch nicht so Mächtigen stellt es aufgrund der Vorhersagbarkeit seiner einfachen Inhalte - die zudem durch die Illustrationen des Autors noch verdeutlicht werden -, vor keine nennenswerten Probleme. Trotzdem ist es stilistisch gewählt und in vorbildlichem Standardfranzösisch geschrieben. Das passé simple, das in der neueren französischen Literatur eher ein Schattendasein führt, nimmt hier noch seinen angestammten Platz ein, kurze, prägnante Sätze alternieren mit Sätzen komplexeren und varriierenden Aufbaus, erzählende Passagen mit Dialogen.

An dieser Stelle sollen nicht die in der Schule üblichen Herangehensweisen an ein solches Werk empfohlen werden, die im wesentlichen auf eine Anpassungsleistung abzielen und die Merkfähigkeit trainieren. Sollten sie dennoch von Interesse sein, sei hier gesagt, daß sie beispielhaft in der Edition "Folio junior édition spéciale" von Gallimard nachzulesen sind. Dreht man das Buch um und schlägt es von hinten auf, stößt man auf eine Sammlung von Aufgaben und Fragestellungen rund um den Kleinen Prinzen, die Schüler anläßlich des Werks bewegen sollen. Dabei kann man sich des Eindrucks nicht ganz erwehren, daß dieses Werk schon viele Jahre schulischer Verwertung hinter sich gebracht hat. Jede Episode und Aussage verlangt einen Schluß, eine Merkleistung, einen Lernerfolg, und das wird mit kleinen Aufgaben auf vielfältige Weise überprüft.

Statt also diese Vielfalt zu bemühen, kommen wir noch einmal zurück zu einigen stilistischen und (fremd-)sprachlichen Fragen, die unter anderem im oben angedeuteten Sinne ein Licht auf die Beweggründe des Autors werfen. Das folgende Zitat gibt beispielhaft sowohl Tonfall und Satzvarianz als auch den inhaltlichen Bezug zu Alltagserfordernissen wieder. Es dreht sich um das Problem der Mammutbäume oder Baobabs, die - nicht rechtzeitig gejätet - einen winzigen Planeten zur Gänze einnehmen. Unvermeidlich wohnt hier ein fauler Mensch...:

«... J'ai connu une planète, habitée par un paresseux. Il avait négligé trois arbustes...»

Et, sur les indications du petit prince, j'ai dessiné cette planète-là. Je n'aime guère prendre le ton d'un moraliste. Mais le danger des baobabs est si peu connu, et les risques courus par celui qui s'égarerait dans un astéroïde sont si considérables, que, pour une fois, je fais exception à ma réserve. Je dis: « Enfants! Faites attentions aux baobabs! » C'est pour avertir mes amis d'un danger qu'ils frôlaient depuis longtemps, comme moi-même, sans le connaître, que j'ai tant travaillé ce dessin-là. La leçon que je donnais en valait la peine. Vous vous demanderez peut-être: Pourquoi n'y a-t-il pas, dans ce livre, d'autres dessins aussi grandioses que le dessins des baobabs? La réponse est bien simple: J'ai essayé mais je n'ai pas pu réussir. Quand j'ai dessiné les baobabs j'ai été animé par le sentiment de l'urgence. (Éditions Gallimard, 1974
(1946), S. 24)

Ganz offensichtlich bemüht sich Saint-Exupéry um einen einfachen, kindgerechten und zugewandten Stil.

Lorsque j'avais six ans j'ai vu, une fois, un magnifique image, dans un livre sur la Forêt Vierge qui s'appelait «Histoires Vécues». Ça représentait un serpent boa qui avalait un fauve. Voilà la copie du dessin. (Éditions Gallimard, 1974
(1946), S. 9)

Kindgebliebener spricht zu Kind über das Scheitern an den Erwachsenen, die nicht in der Lage sind, das Bild einer Schlange, die einen Elefanten verschlungen hat, als solches zu erkennen, sondern es für einen Hut halten.

J'ai montré mon chef-d'oeuvre aux grandes personnes et je leur ai demandé si mon dessin leur faisait peur.
Elles m'ont répondu: «Pourquoi un chapeau ferait-il peur?» (Éditions Gallimard, 1974
(1946), S. 9-10)

So getestet scheitert eigentlich jeder Erwachsene, mit dem der Autor offensichtlich aber auch das Gespräch gar nicht erst sucht. Er vermittelt seine grundsätzliche Resignation und die Empfehlung, hier keinen ernsthaften Versuch zur Kontaktaufnahme zu unternehmen.

Quand j'en rencontrais une [grande personne] qui me paraissait un peu lucide, je faisais l'expérience sur elle de mon dessin n° 1 que j'ai toujours conservé. Je voulais savoir si elle était vraiment compréhensive. Mais toujours elle me répondait: «C'est un chapeau.» Alors je ne lui parlais ni de serpents boas, ni de forêts vierges, ni d'étoiles. Je me mettais à sa portée. Je lui parlais de bridge, de golf, de politique et de cravates. Et la grande personne était bien contente de connaître un homme aussi raisonnable. (Éditions Gallimard, 1974
(1946), S. 11)

Diese selbstgewählte Isolation findet nach Darstellung des Autors ihr (vorübergehendes) Ende in der Begegnung mit seiner Fantasiefigur, dem Kleinen Prinzen, dem er eines Tages in der Einsamkeit der Wüste begegnet, der genauso allein ist wie er selbst und sich zurück nach Hause sehnt.

J'ai ainsi vécu seul, sans personne avec qui parler véritablement, jusqu'à une panne dans le désert du Sahara, il y a six ans.
(S. 11)

Sein Planet, nimmt der Autor an, sei der Asteroid B 612, 1909 von einem türkischen Astronomen entdeckt, und teilt mit Plauderton und Ironie weiter gegen die spießige Erwachsenenwelt aus:

Il avait fait alors une grande démonstration de sa découverte à un Congrès International d'Astronomie. Mais personne ne l'avait cru à cause de son costume. Les grandes personnes sont comme ça.

Heureusement pour la réputation de l'astéroïde B 612 un dictateur turc imposa à son peuple, sous peine de mort, de s'habiller à l'européenne. L'astronome refit sa démonstration en 1920, dans un habit très élégant. Et cette fois-ci tout le monde fut de son avis.
(S. 19)

Er plakatiert die Erwachsenen, die aufgrund des äußeren Erscheinungsbildes urteilen - Kleider machen Leute -, und distanziert sich abschließend, noch einmal deutlich zum Kind als Publikum gewandt, mit der simplen Feststellung: "So sind sie, die Erwachsenen."

"Les grandes personnes sont comme ça." ist ein gutes Beispiel für eine einfache, plakative Aussage. Diese Art knapper Aussagesätze wechselt mit erzählerischen Passagen schwierigeren Satzbaus, wie der folgenden:

Alors j'abaissai moi-même les yeux vers le pied du mur, et je fis un bond! Il étais là, dressé vers le petit prince, un de ces serpents jaunes qui vous exécutent en trente secondes. Tout en fouillant ma poche pour en tirer mon revolver, je pris le pas de course, mais, au bruit que je fis, le serpent se laissa doucement couler dans le sable, comme un jet d'eau qui meurt, et, sans trop se presser, se faufila entre les pierres avec un léger bruit de métal.
(S. 84)

Das passé simple kennzeichnet hier zum einen - im Gegensatz zu den allgemeinen Aussagen oder Dialogen beispielsweise - den literarischen Erzählstil und mag vielleicht dem Versuch entsprechen, ein anhaltendes Bild im Kopf des Lesers entstehen zu lassen. Passé simple markiert zwar u.a., wie das passé composé der Umgangssprache, einen Einbruch in ein Rahmengeschehen beziehungsweise eine hinzukommende Handlung, vermittelt aber dennoch - in Verbindung mit dem komplexeren Satz - nicht zuletzt aufgrund der höheren Sprachebene ein gewisses Maß an Nachdenklichkeit.

Die Dialoge sind in gewählte Umgangssprache gefaßt, was man zum Beispiel daran erkennen kann, daß die Verneinungsformen keine Kürzung erfahren und die Frage in der Regel mit "est-ce que" oder durch Inversion (sur quelle planète suis-je tombé?) gebildet wird. Ein "j'ai pas" für "je ne sais pas" wird man hier also nicht finden und die durch Hebung der Stimme am Satzende in eine Frage verwandelte Affirmation eher selten. Wortwahl und Satzbau gerade der Dialoge sind schlicht gehalten und entsprechen so den Inhalten.

In einfacher Weise und mit viel Wehmut, so könnte man annehmen, knüpft der Autor verschleiert an seine eigene Geschichte an und portraitiert letztlich mit dem Kleinen Prinzen auf traurige Weise sich selbst. Die Frage, wie wohl die Kindheit dieses Mannes ausgesehen haben mag, könnte man dann mit der Überlegung "vielleicht sehr einsam" weiterspinnen. Da sitzt er dann - in Zeichnung und Text - allein auf seinem kleinen Stuhl, auf seinem kleinen, wohlgeordneten Planeten in aller Einsamkeit und tröstet sich, wann immer ihm danach ist, mit dem Anblick eines Sonnenuntergangs.

Ah! petit prince, j'ai compris, peu à peu, ainsi, ta petite vie mélancholique. Tu n'avais eu longtemps pour distraction que la douceur des couchers des soleil. (S. 26)


16. April 2009


(1) Er schildert diese Erfahrung sehr eindrücklich in seinem Buch "Terre des hommes" ("Wind, Sand und Sterne"), das 1939 erschienen ist und wie der Kleine Prinz später auch zu einer Art Kultbuch wurde. Das Kinderhilfswerk Terre des Hommes ist nach diesem Buch benannt.


Vom Autor ebenfalls in der Éditions Gallimard, Paris, erschienen sind:


Courrier Sud
Vol de nuit
Terre des hommes
Lettre à un otage
Pilote de guerre
Citadelle
Lettres de jeunesse (1923-1931)
Carnets
Lettres à sa mère
Un sens à la vie