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FRANZÖSISCH/150: Skizzen... Wie mache ich immer alles richtig? (SB)


Skizzen


Wie mache ich immer alles richtig ?



Eine harmlose und übliche Frage, wenn auch ein wenig naiv, mag man belächeln, denn das gesteckte Ziel scheint unerreichbar. Dennoch handelt es sich um einen Orientierungswert, der in unserer Gesellschaft - wenn auch verschleiert - eine erhebliche Rolle spielt. Das darüber hinaus gern vorgebrachte: 'aus Fehlern lernt man' ist eine Hinterlist, die nur vordergründig beruhigen kann. Sie dient in gleicher Weise dem Ziel der Abrichtung, also dazu, den Menschen in eine bestimmte Lage, Richtung und Fasson zu bringen.

Welche Schlüsse kann man nun daraus für eine so harmlos und neutral daherkommende Betätigung wie das Erlernen einer Fremdsprache ziehen? Worum geht es beim 'richtigen' Erlernen einer Sprache? Gemessen am gewohnten Schul-, Kurs- oder Universitätsstoff, also dem vertrauten Verständnis, steht dies recht schnell und erschöpfend fest: richtig heißt, so französisch sprechen wie ein Franzose. Immer alles richtig zu machen, also immer das richtige Wort, den richtigen Ton, die richtige Gelegenheit zu treffen, ist so gut wie unmöglich.

Als Fremder, der der obigen Definition folgt, und der als solcher besonders kritisch betrachtet wird, müßte man diese noch ein wenig für sich modifizieren: französischer französisch sprechen als ein Franzose. Ein weiter Weg für den Sprachschüler, doch ist er zumindest vorhanden und begehbar. Für alle, die sich auf diesen begeben wollen, folgen nun einige flüchtige Tips, bevor wir uns wieder dem eigentlichen Thema zuwenden:

Rezepte für den Weg zur Perfektion wären da die üblichen: im Unterricht aufpassen, alles Vorgegebene lernen und mehr, französisches Radio hören und fernsehen, Bücher lesen und am besten viel Zeit in Frankreich verbringen und dort viel Französisch sprechen. Oftmals entscheiden eine kleine Präposition, der Zusammenhang oder lediglich der Tonfall darüber, was gemeint ist. So bewegt man sich in einer Sprache nur dann wirklich sicher bzw. fehlerreduziert, wenn man sie ständig benutzt - und das möglichst in einem korrigierenden Umfeld. Problematisch wären da noch Klassen-, Bildungs- und Interessenunterschiede, aber mit dem entsprechenden Einsatz läßt sich auch dieses bewältigen.

Eine kleine Anmerkung wie die folgende kann den Ernsthaften auf diesem Weg nur kurzfristig entmutigen:

"... Was ist der Unterschied zwischen einem Amerikaner und einem Franzosen? Sehr leicht: Sie gehen nach Amerika, Sie sprechen ein furchtbares Englisch. Nach einer halben Stunde sagt einer: "Your English, excellent." In Frankreich sprechen Sie beinahe perfekt Französisch, und als Ausländer machen Sie nach zwei Stunden Ihren ersten Fehler in der französischen Sprache: "Ah oui, on voit quand même qu'on n'est pas Français."
Alfred Grosser
(Baden Badener Disput)

Denn nur, weil das Ziel ein hochgestecktes ist, sollte man es noch lange nicht aufgeben, und vor allem nicht deshalb, weil es schwierig erscheint.

Allein, und nun kommen wir zu den packenderen Fragen: Was macht man da genau mit welchem Motiv? Wieviel Verständnis entwickelt man für die fremde Sprache, wenn man sich Regeln und Vorgaben fügt, indem man sie lernt? Man entwickelt ein formales Verständnis, sogar ein Gefühl für richtig und falsch, für Nuancen und Feinheiten. Und man berücksichtigt nicht, daß eine Sprache an sich schon ein Regelwerk ist, eine Art Schienensystem, das sich in vorgelegten Gleisen hält. Vielmehr wäre das eigentlich interessante Thema doch, die Gleise an sich zu verlassen und nicht von denen der eigenen auf die einer fremden Sprache zu wechseln. Zumal der Verdacht nicht fern liegt, daß es sich hier um einen Teil der Heranbildung zum universell angepaßten und flexibel einsetzbaren Menschen handelt, den die Schule und vergleichbare Institutionen hervorbringen sollen, zum Menschen, der sich optimal nach Vorgaben zu richten versteht und sie möglicherweise in der Freude am Erfolg sogar noch übererfüllt. Hat man anderes im Sinn als die Assimilation des vorgegebenen Sprachsystems, fassen Bewertung und Selektion mit optimierter Schuldzuweisung und Zurückstufung.

So bleibt die Frage: Wozu lerne ich überhaupt eine Fremdsprache? Was will ich eigentlich damit? Und wie verpasse ich die Weiche und entgleise am besten?

Die gewohnte Antwort auf diese Frage wäre zunächst: Mich verständigen können. Das hieße beispielsweise: Eine präzise Frage stellen, auf die eine präzise Antwort möglich ist, die ich dann auch noch genauso verstehe, wie sie gemeint ist und die ich verwerten kann. Oder präzise Informationen weitergeben, die eine bestimmte Wirkung erzeugen. Abgesehen davon, daß diese Verfahrensweise schon von simplen kommunikationspsychologischen Modellen (Sender, Empfänger und der Weg bzw. der Raum dazwischen) ad absurdum geführt wird und dem damit nach wie vor bleibenden Problem, Verständigung in gleich welcher Sprache zuwege zu bringen, kommt man auf die Frage: Worum geht es mir bei Verständigung überhaupt und was könnte das heißen? So kommt man schließlich von der fremden wieder zur eigenen Sprache bzw. zum ganz allgemeinen Problem der Verständigung oder des Sprechens.

Eine Binsenweisheit: Das Problem entsteht nicht erst durch den Gebrauch der Fremdsprache. So reicht es natürlich nicht hin, im Französischen die gleichen Möglichkeiten zu haben, sich auszudrücken wie im Deutschen, denn die eigentliche Beschränkung wird lediglich weitertransportiert. Doch bietet die Beschäftigung mit der fremden Sprache, in der man sich unsicher fühlt, wo man nach ungewohnten Wegen sucht, weil die vorgeschriebenen noch nicht so bekannt sind, die Chance, zumindest dem Problem näherzukommen und es umfassend zu beleuchten. Dabei entsteht eine Fülle von Fragen wie: Kann ich formulieren, was ich meine? Was will ich eigentlich genau sagen? Was will ich erreichen, indem ich es sage? Erreiche ich es? Was will ich von anderen Menschen, was ist mir wichtig? Besteht für den anderen irgendein Grund mir zuzuhören außer Konvention und Höflichkeit? Welchen Nutzen hat es für den anderen und was bedeutet Nutzen? usw.

In dieser Auseinandersetzung, die kein Ergebnis festlegt, haben falsch und richtig keinen Platz. Ihren Platz haben sie u.a. im gesellschaftlichen Regelwerk, das das Zusammenleben im Interesse derer reguliert, die von den gesellschaftlichen Verhältnissen profitieren, und, um wieder auf den Unterricht zurückzukommen, davon, daß man eine Sortierung vornehmen kann nach dem Wert bzw. der Brauchbarkeit also Ausbeutbarkeit des Menschen.

Mit anderen Worten: Folgt man dieser Konvention nicht, so begibt man sich zum einen vom Gleis in die Sümpfe und läuft zum anderen Gefahr, auf die breite gesellschaftliche Sanktionsgewalt zu treffen. Das mag nicht jedem liegen; bleibt der Anpassungskurs mit Ziel Fremdsprachenkompetenz. In diesem Fall sei jedoch hinzugefügt, daß es in der heutigen Zeit vielversprechender ist, sich gleich ungeteilt dem Englischen zu widmen und auf's Universalgleis zu springen. Dann verliert man nicht den Anschluß.


Erstveröffentlichung am 2. Dezember 2003


23. November 2007