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FRANZÖSISCH/068: Skizzen... Sprachen lernen - Unding und Zugeständnis (SB)


Skizzen: Sprachen lernen zu müssen ist ein Unding




So mancher kommt ins Schwärmen, wenn es um die vielen verschiedenen Sprachen der Welt, die Vielfalt der Völker geht. Eine Sprache gilt als Ausdruck einer fremden Kultur und der Identität, des Zusammenhalts einer Nation oder eines Volksstammes. Nicht zuletzt gibt es aus diesem Grunde in vielen Teilen der Welt das Bestreben und auch den Erfolg imperialistischer Kräfte, die Sprache und damit die Kultur besiegter Völker zu unterdrücken oder gar ganz zum Verschwinden zu bringen, ihre eigene Identität und ihren Zusammenhalt damit auszulöschen.

Der Schluß liegt nahe, daß man, um ein Volk oder auch nur einen Menschen kennenzulernen, Kontakt aufzunehmen, eine Verständigung zu erzielen, auf jeden Fall die fremde Sprache beherrschen muß. Eine unter Umständen als fremd empfundene Denkweise drückt sich über die Sprache aus und kann durch sie erheblich entschlüsselt werden. Dies rettet jedoch nicht vor der Erkenntnis, daß man als der Lernende und unter Umständen stetig Analysierende weiterhin außen vor bleibt.

Natürlich kann man aus der Bereitschaft, eine fremde Sprache zu lernen, ein gewisses Interesse ableiten, das weitergeht als ein durchschnittliches. Trotzdem heißt das nicht zwangsläufig, daß man etwas mit dem Vertreter dieser Sprachgemeinschaft zu tun bekommt oder daß man es auch nur wirklich darauf anlegt. Die Bereitschaft hingegen, sich über die sogenannte Sprachbarriere hinweg (also mit Fremdsprachenkenntnis oder ohne) mit einem Menschen zu befassen, wäre ein Schritt, der sehr viel Unsicherheit beinhaltet, aber auch viel eher die Möglichkeit einer Kontaktaufnahme - weil man auf das Gerüst, das Fallnetz verzichtet. Auf diese Weise stößt man sehr schnell auf das Ende der eigenen Geduld oder auf fortgesetzte Neugier und damit auf die Überlegung, daß die Lage, sich eine fremde Sprache aneignen zu müssen, um sich mit jemandem zu verständigen, eigentlich eine Zwangslage, ein Unding ist.

Eine Sprache zu lernen heißt, sich anzupassen; eine große Wendigkeit darin bzw. sogenanntes Sprachtalent rührt aus erheblicher Flexibilität und Anpassungsfähigkeit, aus Eigenschaften, die im Grunde einer eventuell gewünschten Kontaktaufnahme entgegenstehen, weil man nur Vorgefundenes reproduziert.

Um diesen Gedankengang zu verstehen, ist es zunächst nötig, sich kurz vor Augen zu führen, was das Erlernen einer Sprache im Normalfall ausmacht. Hat man sich eine gewisse Grundstruktur an Worten und Regeln angeeignet, lernt man weiter, sich in einer Sprache angemessen zu bewegen. Nur, was heißt angemessen? Eine Möglichkeit wäre, sich zu fragen: Was würde ein Franzose in dieser Situation sagen? und eben dann diese Wortfolge zu äußern. Etwas weiter geht die Frage: Was würde ein Franzose in dieser Situation sagen und was wäre für mich gemessen daran und gemessen an dem, was ich sagen will, die richtige Begriffsfolge? In etwa so - was man aber nie so deutlich sieht und sagt - spielt sich das Erlernen einer Sprache auf der Fortgeschrittenen-Ebene ab.

Daran schließt sich an: Wie finde ich auf optimalste Weise heraus, was jetzt paßt? Das sind die Anforderungen an einen und in einem Fremdsprachenunterricht. Am weitesten treibt man diese Richtung sicher dann, wenn man über eine gewohnte Verständigung hinaus nicht als Fremder, als Ausländer auffallen will. So entpuppt sich Sprache, und besonders das Lernen einer Fremdsprache, als eine sehr arme Angelegenheit und ganz besonders dann, wenn man sich bemüht, diese Anforderungen und Konventionen zu erfüllen.

Will man darüber hinausgelangen, wird man feststellen, daß man Konvention nicht ablegen oder überwinden kann, ohne sie genau zu kennen und im Grunde auch erfüllen zu können. Darin unterscheidet sich das Fremdsprachenlernen nicht von der Bewegungsfähigkeit in der eigenen Sprache. Auch hier hält man sich mehr oder weniger geschickt an Vorgaben. Sprach- oder Sprechfehler rühren meist aus einer Unfähigkeit, sie zu erfüllen oder aus mangelnder Kenntnis; sie entsprechen nicht ihrer Überwindung.

Richtet man sich nun mit seinen sprachlichen Bemühungen gegen die Konvention, bleibt sie als Orientierungspunkt bestehen und darüber hinaus eckt man fast sicher bei jenen an, die man zu erreichen sucht. Die Verwendung dieser Form kann auch den Weg zum anderen Menschen öffnen, wenn man damit deutlich macht: Ich respektiere das, was dir wichtig ist. Möglich ist so eine Verständigung mit Hilfe einer Konvention, mit einer geringeren Wahrscheinlichkeit auch die Verständigung darüber, daß es sich hier um ein Gerüst handelt, an dem man sich entlanghangelt. Das, wie gesagt, gilt für den eigenen wie für den fremden Sprachraum gleichermaßen. Will man noch einen Schritt weiter, so kann man feststellen: Sprache an sich ist eine Konvention, eine Form, an die man sich hält im Umgang mit anderen Menschen. Noch einen Schritt weiter geht es letztlich um die Überwindung der Sprache.

Kommen wir zurück zum Erlernen einer Fremdsprache, so gibt es nun möglicherweise mehr als einen Grund, sich trotz aller Widrigkeiten mit fremden sowie den eigenen Begriffen, Satzgefügen und Denkweisen auseinanderzusetzen.


Erstveröffentlichung am 28. Mai 1998


23. Juli 2007