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ENGLISCH/459: Lehrmittel (5) Langenscheidt, Zebra Toast on Monday (SB)


Langenscheidt ENGLISCH tierisch leicht


ZEBRA TOAST on Monday

Sprachlosigkeit durch Grundschul-Pflicht



Je früher, desto besser - so ist zumindest die einhellige Meinung der Kultusminister, die seit den Diskussionen über die Pisa- Studie noch stärker unter Zugzwang geraten sind. Dabei fällt die Frage oft unter den Tisch, ob es überhaupt für die Sprachsicherheit förderlich ist, wenn junge Menschen, schon im Kindergarten- oder Grundschulalter damit beginnen, mehrere Sprachen zu lernen. Ungeachtet der zunehmenden Schwierigkeiten, die Schulanfänger nachweislich mit der eigenen Sprache beim Lesen und Schreibenlernen bekommen, werden spätestens in vier Jahren in allen Bundesländern Grundschüler der dritten und vierten Klasse in einer Fremdsprache als zusätzliches Pflichtfach unterrichtet, nur in Baden-Württemberg beginnt man schon bei den Erstklässlern, die gegen Unterricht noch weniger Widerstände entwickelt haben und ihm unvoreingenommen und vielleicht sogar freudig entgegensehen.

Das Wort Pflichtfach sagt ja im Grunde schon alles. Da werden Kinder, die der Verfügungsgewalt des Staates noch nichts entgegensetzen können, kaum der Mutter entwöhnt, in die Pflicht genommen, den Ehrgeiz ihrer Eltern und Lehrer zu befriedigen. Denn als zukünftige Staatsbürger, zukünftige Europäer, Internet- User und Angestellte internationaler Konzerne sollen sie es mit den erworbenen Schlüsselfertigkeiten wie lesen, schreiben, rechnen und dem Beherrschen einer Fremdsprache schließlich einmal leichter haben bzw. sich leichter funktionsgerecht in die bestehenden Institutionen integrieren.

Das Bilderbuch "Zebra Toast on Monday" des Langenscheidt Verlags ist eine mögliche, gut gemeinte, wenn auch hilflose Antwort, wie man auch schon den Schulanfängern, die in der Regel weder richtig lesen noch schreiben können, den geforderten "bewußt handlungsbezogenen, erlebnisorientierten, themen- und situationsorientiert aufgebauten Fremdsprachen-Unterricht" vermitteln könnte, ohne daß sie daran den Spaß verlieren. Die Autorin, Karin Richardson, die selbst Grundschüler unterrichtet, habe dies bereits mit Erfolg erprobt. Es ist nur schade, daß Erwachsene und vor allem Pädagogen bei ihren Vorstellungen von Erfolg im Unterricht oder bei Kindern ihre eigene Kindheit vollständig vergessen haben. Wie oft spielt man mit, nur um dem Älteren den erwarteten Gefallen zu tun, oder vielleicht ein Lob oder gute Zensuren zu erheischen?

Das Buch ist bunt und professionell illustriert, wie sich eben Erwachsene, die kindliche Erlebniswelt (Zoo, Zirkus, Spielen usw.) vorstellen, doch werden sowohl mit der Handlung des Buches als auch mit der begleitenden Geschichte auf Audio-CD Kinder zwischen sechs und elf Jahren nicht nur in ihren Denkmöglichkeiten maßlos unterschätzt, sondern auch in ihren eigentlichen Interessen nicht ernst genommen. Allein mit den vertiefenden Sprachlern-Memoryspielen, Ausmalfiguren, Tiermasken, Gesellschaftsspielen und anderen Basteleien, die ebenfalls auf einem beiliegenden Bastelbogen für diese Art Unterricht gedacht sind, werden sich, fürchte ich, die Pädagogen sogar hinsichtlich ihrer ehrgeizigen Pläne ins eigene Fleisch schneiden, wenn sie statt schnellerer Adaptions- und Anpassungsfähigkeiten nur Immunisierung erreichen.

Der Verlag wirbt damit, daß es sich bei "Zebra Toast on Monday" gleich um eine vollständige englische Geschichte handele. Doch die Geschichte, in der ein Mädchen jeden Tag ein anderes Tier spielt, hat keinen spannenden Handlungsbogen, der die Kids von heute mitreißen könnte, so etwas gern zu lesen. Um davon auszugehen, daß sich Kinder tatsächlich intensiv mit einem Buch beschäftigen, das vielleicht bestenfalls für die Altersgruppe zwischen drei und fünf Jahren noch angemessen wäre, für ältere Kinder aber schlicht "nicht cool genug" ist, müßte man schon ein entsprechend starkes Interesse an der Sprache selbst voraussetzen können. Dies versucht die Audio-CD neben der Vorbereitung auf die sprachlichen Anforderungen ebenfalls noch mit zu wecken, indem in der Geschichte von Ben und Lisa den jungen Hörern Wettbewerbsvorteile im alltäglichen Konkurrenzkampf durch die englische Sprache versprochen werden:

Nachdem der neue Nachbarsjunge Ben, der aus England kommt, dem deutschen Mädchen Lisa seine Lieblingsgeschichte "Zebra Toast on Monday" vorgelesen hat, und Lisa nun die wesentlichen englischen Hauptbegriffe dieser Geschichte kennt (z.B. alle Wochentage und einige Tiernamen, "lion", "monkey", "flamingo", aber auch kompliziertere wie "hedgehog", "slug" und "snail"), meistern sie mit ihren neuerworbenen "Fähigkeiten" eine schwierige Situation an Bens neuer Schule. Als Ausländer und rothaariger Neuling ist er zunächst Peinlichkeiten und Hänseleien ausgesetzt. Am Ende sind jedoch alle Mitschüler richtiggehend neidisch, weil sich Lisa und Ben "englisch" unterhalten können und wollen auch alle Englisch lernen. - Womit quasi über die Lektüre im Unterricht dem Wunsch der Kultusminister entsprochen wird, den Hörern eine Motivation zum Englischlernen zu bieten: "Englisch ist toll, Englisch ist cool, Englisch ist tierisch leicht". Doch reicht das aus, um Lernen zum Vergnügen werden zu lassen, zumal Kinder in unserer Gesellschaft genau das aus Medien und Werbung immer wieder hören?

Darüber hinaus zu glauben, die Kinder könnten mit wenigen Stunden weiteren Schulzwangs eine wirkliche Schlüsselkompetenz erwerben, ist reine Augenwischerei. Bisher kann keines der 16 unterschiedlichen Konzepte, die in den jeweiligen Bundesländern (auf eine gemeinsame Linie konnte man sich bisher nicht einigen) ausgebrütet wurden, den betroffenen Schulkindern tatsächlich den Zugang zur englischen Sprache garantieren. Und wie schwer das ist, beweist dieses Buch, das ohne Interesse am Lernen bestenfalls auch nur soviel zu diesem Ziel beitragen kann, wie es britische oder amerikanische Popmusik oder die aus Umgangsdeutsch und Werbung nicht mehr wegzudenkenden Anglizismen ohnehin schon tun.

"Zebra Toast on Monday" ist methodisch modern konzipiert: Am Ende des Buches findet sich sowohl die deutsche Übersetzung der Erzählung als auch ein zweisprachiges Vokabelverzeichnis. Auch der eigens komponierte Zebrasong, der am Anfang und Ende der CD zu hören ist, läßt sich hier noch einmal in gedruckter Form nachlesen.

Inzwischen sind sich allerdings die Kultusminister darin einig, daß das Konzept des "spielerischen Lernens" (Begegnungssprache heißt das im Fachjargon) überholt ist. Jetzt prägt wieder das Wort "ergebnisorientiert" die Präambeln der Lehrpläne. Damit haben Bücher wie "Zebra toast on Monday" die zumindest noch den Anspruch haben, Freude und Spaß an der Sprache zu vermitteln, keine Chance mehr, ins Unterrichtskonzept aufgenommen zu werden.

Vergessen und unhinterfragt bleiben allerdings die Erfahrungen mit mehrsprachig aufwachsenden Kindern. Wenn beide Elternteile unterschiedliche Sprachen sprechen oder Kinder von Ausländern oder Gastarbeitern in den Schulen Deutsch lernen müssen, kommt es oft dazu, daß keine der beiden Sprachen wirklich beherrscht wird. Naheliegend, daß es gerade diesen Kindern schwer fällt, ihre eigenen Denkfähigkeiten und Möglichkeiten zur Meinungsbildung zu entwickeln, wenn sie beim Nachdenken zwischen zwei gleichwertig unzulänglichen Sprachen wählen müssen.

Inzwischen wurde, wie unlängst in einem Artikel der Süddeutschen Zeitung zu lesen war, sogar durch Forscher um Matthias Münte von der Universität Magdeburg wissenschaftlich untermauert (Nature, Bd. 415, S.1026, 2002), daß reine Muttersprachler den Sinn eines Wortes knapp eine Zehntelsekunde schneller als Menschen, die zweisprachig erzogen wurden, verstehen können.

Das Ergebnis: Zweisprachler schalten im Gehirn zuerst das Wörterbuch ab, das sie gerade nicht brauchen. Damit verhindern sie einen Konflikt der gespeicherten Wortschätze, die in den gleichen Hirnregionen liegen. Auf den richtigen Lexikoneintrag greifen die Zweisprachler zu, indem sie die Buchstabenfolge in einen Klang verwandeln, wie die Forscher anhand der Aktivität der betreffenden Hirnregionen feststellten. Dagegen meiden Menschen mit nur einer Muttersprache diesen Umweg und sparen so Zeit: Sie können dem Wortbild direkt einen Sinn zuordnen.
(SZ vom 5. März 2002)

Das vielzitierte Argument, daß es die "Kinder einmal besser und leichter im Leben haben sollen", kann man angesichts dieser Fakten nicht glauben, da ihnen durch diese Maßnahmen das Leben und auch die eigene Entwicklung sehr viel schwerer gemacht wird. Allerdings ist die zusätzliche Fremdsprache dabei nur ein Aspekt. Der anpassungsfähige, flexible Konsument ist gefragt, der sich jeder ihm gestellten Aufgabe fügt, in den richtigen, vorgeschriebenen Denkmustern denkt, ohne Gefahr zu laufen, über den eigenen Tellerrand hinauszugeraten.

ZEBRA TOAST ON MONDAY - ENGLISCH TIERISCH LEICHT
von Karin Richardson, mit Zeichnungen von Karin Bauer
Langenscheidt Verlag München März 2002
Geeignet für Grundschulkinder
Buch: 48 Seiten, 21.5x24cm Hardcover, Bastelbogen
und 1 Audio-CD
März 2002 · Geeignet für Grundschulkinder
14,95 Euro [D]
ISBN 3-468-20378-0

Erstveröffentlichung 2005


22. März 2007