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ENGLISCH/002: Wortneuschöpfungen - Coinages (1) (SB)


C O I N A G E S (1)


Neue Worte und Wandlungen in der englischen Sprache



Thema dieses Artikels sind Wortneuschöpfungen in der englischen Sprache, das heißt die Art und Weise, wie neue Begriffe erfunden und in Umlauf gebracht werden und wie ein einheimischer oder auch ausländischer Englischsprechender diese neuen Worte erlernt.

"You learn a new language either in a monastery or in the market place", sagen die Engländer, wobei der lärmende Marktplatz, auf dem man im Vorübergehen aufschnappt, was man gerade benötigt, der stillen Klausur eines Klosterschülers eindeutig vorzuziehen ist, wenn es um die lebendige Sprache geht. Sprache verändert sich täglich, und was auf dem Marktplatz schon längst verworfen wurde, dringt oft gar nicht erst bis an die "Klosterzellen", in denen noch Vokabeln gebüffelt werden, die inzwischen eine völlig andere Bedeutung haben.

Die "Monastery-method" ist ein Ausdruck für ein recht formales, durchstrukturiertes Lernen nach einer bestimmten Lehrmethode.

Mit "market place" ist die Form des Lernens gemeint, in der man sich quasi vor Ort neue Worte zu eigen macht, sobald man sie auch tatsächlich braucht, beim Kaufen oder Verkaufen eines bestimmten Produkts zum Beispiel. Man lernt, wenn man in einem bestimmten Bereich zu tun hat, auf dem Arbeitsplatz oder, wenn man ein bestimmtes Wissensgebiet studiert, doch auch von unzähligen verschiedenen anderen Quellen, mit denen man im Laufe des Tages zu tun hat und unter denen die Medien auch nur eine von vielen Möglichkeiten darstellen, neue Wortkreationen zu schöpfen.

Schon in wenigen Jahren verändert sich das Sprachbild so grundlegend, daß selbst ein Einheimischer, ein sogenannter "native-speaker" vor einer völlig neuen Sprache stehen würde, wenn er sich fünf oder zehn Jahre aus unserer schnelllebigen Welt auf eine einsame Insel zurückziehen und viele politische und aktuelle Entwicklungen nicht mitbekommen würde.

Ein Beispiel aus der jüngeren Geschichte, ein relativ junges englisches Wort, das fast schon nicht mehr im Gebrauch ist, wäre "glasnost". Es kommt aus dem russischen Sprachraum und stand längere Zeit für ein offeneres Regierungssystem, wobei nicht ausschließlich die politische Entwicklung in der ehemaligen UdSSR gemeint war. Da sich viele unerfüllte Versprechen daran knüpften, hat das Wort inzwischen schon wieder so etwas wie einen Bedeutungswandel durchgemacht, so daß es in neueren Texten schon als Attribut für die maroden Verhältnisse im ehemaligen Staatsbereich der UdSSR gebraucht wird.

Auch der Begriff "Toy-boy" gibt Rätsel auf. Eine Puppe, ein Spielzeugjunge könnte man vielleicht zunächst denken, bis man darauf stößt, daß heutzutage vor allem junge Männer, die sich von älteren Frauen aushalten lassen, mit diesem Schmähwort bezeichnet werden.

Mit "snow-surfing", das man im übrigen auch im deutschen Sprachraum so verwendet, ist eine relativ junge Sportart gemeint, in der man ein etwas abgewandeltes Surfbrett mit Segel, eine regelrechte Windsurfing- Ausrüstung also, auf Schnee statt auf einem See einsetzt.

Doch auch diese Sportart wurde inzwischen von dem allseits populären "snow-skating" abgelöst, bei dem die Aktiven statt auf zwei Brettern wie beim Skifahren nur noch auf einem breiteren Skateboard stehen, das sich mit etwas Übung sehr gut über die Pisten manövrieren läßt und bei jungen Leuten viel angesagter ist, als die altmodischen Ski.

Während die oben genannten Beispiel schon etabliert oder fast Geschichte sind, ist die Liste der brandaktuellen "Coinages" endlos lang. Da gibt es die "wardrobe malfunction" (wörtlich Kleiderschrank- Fehlfunktion) in der Teenie-Sprache, mit der ausgedrückt wird, daß der oder die Betreffende, durch den Verlust eines Knopfes oder ähnlichem mehr Haut zeigt, als sie vielleicht will. Das auch im Deutschen durchaus gebräuchliche "couch potato" (ugs. Couchpotato, Dauerfernsehglotzer, Sesselsportler) wurde im britischen Englisch und im Zeitalter des Internet inzwischen abgewandelt in "mouse potato", um den ebenso Bildschirm-versessenen, stubenhockenden Computerfreak zu charakterisieren. ...

Einige dieser Begriffe kennen wir auch im Deutschen, allen ist gemein, daß sie noch nicht lange im Umlauf sind. Tausende solcher neuen Kreationen überfluten in kurzen Zeiträumen die englische Sprache, um nach einer kurzen Stipvisite wieder zu verschwinden oder aber sich dauerhaft festzusetzen. Manche Begriffe verlassen die Sprachbühne wie beleidigte Popstars, um dann nach einer gewissen Zeit ein Comeback mit einer neuen aufgefrischten Bedeutung zu versuchen.

Zum Glück für unsere armen, gemarterten Gehirne, sterben in der Zwischenzeit manche Begriffe jedoch regelrecht aus und schaffen Platz für Neues. In der Regel tauchen jedoch mehr Begriffe neu auf als verschwinden, die alle von einheimischen wie ausländischen Englischsprechern gelernt werden müssen. Im Grunde zeigt das jedoch nur, daß die Sprache gesund ist. Alles Lebendige befindet sich in einem ständigen Wandel von Werden und Vergehen - auch die Sprache. Das Erfinden neuer Worte ist nur ein Teil dieses natürlichen Prozesses.

Das Schaffen neuer Worte wird im Englischen durch einen Begriff charakterisiert, den man auch für das Prägen neuen Geldes verwendet: "coinage", Münzprägung. "To coin a phrase" bedeutet, einen neuen Begriff für eine bestimmte Verwendung zu finden. Wenn man davon spricht, daß diese neuen Prägungen allmählich geläufig werden, sagt man: "they gain currency", womit man wörtlich im Bereich des Finanzwesens bleibt, denn "currency" bedeutet auch "Währung" oder "Geldumlauf". Im Deutschen ist das ganz ähnlich. Auch wir sprechen davon, daß Worte "geprägt", "in Umlauf gesetzt" oder verbreitet werden, wie eben auch das Geld.

Daß die Sprache des Geldes und des Finanzwesens auch für die Sprache an sich verwendet wird, ist eigentlich gar nicht so überraschend, wenn man überlegt, daß mit Worten und Sprache auf sozialer Ebene ebenso Handel getrieben wird, wie mit Geld im Bereich des Wirtschaftswesens. Und machen Wort- und Begriffsneuschöpfungen eine Sprache nicht auch letztendlich reicher?

Die meisten Worte werden erfunden, weil man sie einfach zur Bezeichnung einer neuen Erfindung, eines neuen Produkts, eines neuen Verfahrens oder einer neuen Idee braucht. Manchmal entstehen sie einfach aus einem Scherz heraus, oder um etwas bildhafter oder interessanter auszudrücken, und haben dann einen solch durchschlagenden Erfolg, daß sich der Scherz statt des ursprünglichen Ausdrucks letztlich durchsetzt.

Neue Worte beleben die Sprache, sind aber auch ein Zeichen des Zeitgeistes oder vielmehr das Markenzeichen einer neuen Generation, die sich mit ihnen identifiziert und die sich damit von der Generation der Eltern, Oldies oder Grufties absetzt, was im Übrigen in allen Ländern und bei jeder Sprache feststellen kann. Für die Entwicklung eines jeden Menschen, vor allem aber für die Entwicklung seiner eigenen Denkfähigkeiten, und damit auch seiner Fähigkeit neue Ausdrucksmöglichkeiten und Worte zu finden, ist eine lebendige Sprache unabdingbar.

Erstveröffentlichung 26. Februar 1996
aktualisierte Fassung


20. Januar 2007