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INTERVIEW/038: Maßgeblich - Handelsgenauigkeit ...    Prof. Dr. Klaus von Klitzing im Gespräch (SB)



Porträt - Foto: © 2019 by Schattenblick

Prof. Dr. Klaus von Klitzing
Foto: © 2019 by Schattenblick

"Maß und Messen" lautete das Motto des diesjährigen Salon Sophie Charlotte, zu dem die Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften am 19. Januar 2019 in ihr Hauptgebäude am Gendarmenmarkt in Berlin geladen hatte. Anlaß war die als historisch zu bezeichnende Umstellung der sieben physikalischen Basiseinheiten Meter, Kilogramm, Sekunde, Ampere, Kelvin, Mol und Candela jeweils auf eine Kombination von Naturkonstanten. Als einer der Referenten, die den naturwissenschaftlichen Teil des Messens behandelten, sprach Prof. Dr. Klaus von Klitzing vom Max-Planck-Institut für Festkörperforschung zum Thema "Vom Nobelpreis zu einem neuen Kilogramm".

Von Klitzing hatte 1985 den Nobelpreis für Physik für den Nachweis erhalten, daß der sogenannte Hall-Effekt quantifiziert ist. Man spricht deshalb vom Quanten-Hall-Effekt. Er besagt, daß in einem stromdurchflossenen elektrischen Leiter bei tiefen Temperaturen und in einem starken Magnetfeld die senkrecht zu einem Strom auftretende Spannung nicht linear, sondern in Stufen anwächst.

In seinem Vortrag hat von Klitzing gar nicht erst versucht, dem Publikum dieses physikalische Phänomen oder die sogenannte Von-Klitzing-Konstante, die zur Definition dieses spezifischen elektrischen Widerstands herangezogen wird, in einer Genauigkeit zu erklären, die eigentlich geboten wäre, um zu begreifen, um was es dabei geht. So blieben von dem rund einstündigen, an keiner Stelle langweiligen Vortrag für den Schattenblick am Ende noch ein Strauß an Fragen offen, die von Klitzing bereitwillig beantwortete.

Schattenblick (SB): Wenn jemand für sich allein ein Haus bauen will, könnte er sich seinen Zollstock selber zeichnen. Schwierig wird es, wenn er mit Zulieferern, vielleicht auch aus dem Ausland, zusammenarbeitet. Deshalb meine Frage: Auf welche internationale Anwendung zielt die extrem hohe Genauigkeit der Definition von Masse ab, wie sie jetzt mit der Kombination von Naturkonstanten geschaffen wird?

Prof. Dr. Klaus von Klitzing (KK): Natürlich für Eichzwecke. Wenn Sie irgend etwas eichen und das weitergeben, verlieren Sie immer an Genauigkeit. Wenn Sie zu Hause ein Kilogrammstück haben, dann gehen diesem vier Stufen voraus, die eigentlich weiterverfolgt werden müßten, um zu dem wirklich geeichten Urkilogramm zu kommen. Bei jeder Stufe geht etwas an Genauigkeit verloren. Das heißt also, daß es heutzutage für praktische Waagen wichtig ist, eine Genauigkeit von fünf mal zehn hoch minus acht für das Kilogramm zu haben, damit der Endverbraucher nachher seine zufriedenstellenden Einheiten hat.

Sie müssen sich wirklich vor Augen halten, daß bei jeder Eichung etwas an Genauigkeit verloren geht. Das sind die Anforderungen der Industrie. Wenn Sie heute etwas produzieren, insbesondere bei Längeneinheiten, müssen die Maße stimmen. Da muß das Kugellager eben nachher in das Gehäuse passen, da dürfen keine Abstriche von der Präzision gemacht werden. Für den internationalen Handel sind zuverlässige Einheiten sehr wichtig.

Die Eichfrage wird mitunter sogar im Handelskrieg eingesetzt. Denn für gewisse Bauteile benötigen Sie Eichzertifikate, und nicht alle Metrologieinstitute sind anerkannt. Beispielsweise bestehen die Amerikaner darauf, daß das Meßverfahren von der PTB [Anm. d. SB-Red.: Physikalisch-Technische Bundesanstalt] stammt, damit sie vertrauen können, daß die Eichzertifikate nachher stimmen. Es gibt eine weltweite Übereinstimmung darin, daß wir ein einheitliches System brauchen. Und das sind die Grenzen, die man heutzutage benötigt.

SB: Sie erhielten 1985 den Nobelpreis für Physik für die Entdeckung des quantisierten Hall-Effekts. Der Hall-Effekt ist ein statistischer Mittelwert einer Reihe von Quanteneffekten ...

KK: Na, würde ich nicht sagen, aber ...

SB: Ist das Einzelereignis in einer nicht-statistischen Form überhaupt meßbar?

KK: Also, ich würde sagen, der Quanten-Hall-Effekt ist ein makroskopischer Quanteneffekt. Sie können nicht den Quanten-Hall-Effekt in zwei Elektronen diskutieren. Das ist unmöglich. Es handelt sich um ein kohärentes System [Anm. d. SB-Red.: Kohärenz kommt vom lateinischen cohaerere und bedeutet zusammenhängen]. Da gibt es eine gewisse Ähnlichkeit mit Supraleitungen. Da spielt ebenfalls ein makroskopischer Quanteneffekt eine Rolle. Und es ist auch das Schöne, daß da das "h" [Anm. d. SB-Red.: "h" bezeichnet das Plancksche Wirkungsquantum] in einer makroskopischen Messung auftreten kann. Das ist ansonsten eigentlich nirgendwo in der makroskopischen Welt der Fall.

Ich würde also sagen, daß der Quanten-Hall-Effekt ein makroskopischer Quanteneffekt ist, bei dem das gesamte System kohärent ist, aber in sehr, sehr vielen Elektronen, wo statistische Eigenschaften keine Rolle mehr spielen.

SB: Bei der Rückführung der Basiseinheit Masse auf eine Naturkonstante, nämlich die Planck-Konstante, wird eine genormte Masse eingesetzt. Ist es nicht ein innerer Widerspruch, Masse mit Masse zu erklären?

KK: Nein, man nimmt das Urkilogramm, um den besten Wert für die Planck-Konstante festzustellen. Jetzt dreht man den Spieß um: Ich lege die Konstante fest - weil Konstanten eigentlich konstant sein sollten -, und habe eine Meßmethode, um ein Kilogramm herzustellen. In dem Moment, wo die Planck-Konstante festgelegt wird, vergesse ich die alten Einheiten. Deswegen können Sie nicht sagen, das ist ein Widerspruch, denn ich habe das alte Kilogramm weggeschmissen. Jetzt haben wir die Naturkonstanten, um die Einheiten zu realisieren.

SB: Das wird einfach festgelegt?

KK: So wie bei der Lichtgeschwindigkeit. Sie dürfen heutzutage nicht sagen: Ich messe die Lichtgeschwindigkeit. Lichtgeschwindigkeit ist festgelegt, und dadurch wird heute ein Meter realisiert. Meter ist eine Strecke pro Zeiteinheit, die elektromagnetische Strahlung zurücklegt. Und das wird jetzt mit allen Einheiten so gemacht. Man sagt, die Konstanten werden festgelegt, und dann gucken Sie sich mal die Einheiten an. Diese müssen sich danach richten, daß der numerische Wert stimmt. Das ist eine ganz neue Philosophie, wie wir jetzt Einheiten verstehen.

SB: Könnte man sagen, daß mit der Rückführung der Masseeinheit Kilogramm auf Naturkonstanten eine Art von Demokratisierung der Normgebung eingeführt wird im Unterschied zu einem Urkilogramm, das an einer zentralen Stelle in Frankreich gelagert wird?

KK: Die Metrologen haben im Spaß gesagt, daß auch die Amerikaner für die Revision der Basiseinheiten sind: Sie brauchen jetzt nicht mehr nach Paris zu fahren, um zu wissen, was ein Kilogramm ist. Das heißt also wirklich, daß überall in der Welt, wenn die entsprechenden Apparate aufgebaut werden, Primärnormale [Anm. d. SB-Red.: Primärnormale waren vom Urkilogramm abgeleitete Kopien, die höchste Anforderungen erfüllen] hergestellt werden können. Die hängen nicht mehr von einem Prototypen ab. Das war ein ganz, ganz wichtiges Argument für die Revision der Basiseinheiten. Gerade beim Kilogramm ist es noch der Fall, daß wir eine Sache als Referenzgröße haben. Wenn das Urkilogramm einmal beschädigt wird, hätten wir nicht mehr gewußt, was ein Kilogramm ist. Deswegen hat man diesen Schritt jetzt getan.

SB: Herr von Klitzing, vielen Dank für das Gespräch.

Bisher im Schattenblick zu der Veranstaltung "Maß und Messen" in der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften erschienen:

BERICHT/045: Maßgeblich - Wechsel und Wandel ... (SB)
INTERVIEW/038: Maßgeblich - Handelsgenauigkeit ...    Prof. Dr. Klaus von Klitzing im Gespräch (SB)

23. Januar 2019


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