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INTERVIEW/030: Griechischer Wein - für Empathen ...    Ektoras Lygizos im Gespräch (SB)


So etwas wie Krieg

Gespräch mit dem griechischen Theater- und Filmregisseur Ektoras Lygizos

Themenspecial "This is not Greece" beim Internationalen Sommerfestival auf Kampnagel in Hamburg am 7. und 8. August 2015



E. Lygizos in Großaufnahme, lachend - Foto: © 2015 by Schattenblick

Ektoras Lygizos
Foto: © 2015 by Schattenblick

"This is not Greece" - unter diesem programmatischen Titel fand am 7. und 8. August im Rahmen des Internationalen Sommerfestivals der Kulturfabrik Kampnagel in Hamburg ein Themenspecial der besonderen Art statt, galt es doch, so das ambitionierte und engagierte Ziel der Konferenz, den Zerrbildern zur sogenannten Griechenlandkrise in deutschen Medien Aufklärung und fundierte Stellungnahme entgegenzustellen. Dies geschah unter Einbeziehung griechischer Stimmen vornehmlich aus den Bereichen Philosophie, Kunst und Film, um der Wucht medialer Bevormundung, Vereinnahmung und interessengebundener Darstellung einmal Einhalt zu gebieten zugunsten der Frage, wie denn eigentlich die Kulturschaffenden Griechenlands die Lage im Lande erleben, vermitteln und bewerten.

Einer dieser Zeugen eines Lehr- und Zuchtstücks, das derzeit am Beispiel Griechenlands durchexerziert wird mit drohendem Blick auch auf alle übrigen EU-Mitgliedstaaten, um in Zeiten sich absehbar verschärfender Mangellagen repressive Weichenstellungen vorwegzunehmen, ist der aus Athen stammende Theater- und Filmregisseur Ektoras Lygizos. Sein Debütfilm "Boy eating the bird's food" von 2012 wurde am 8. August im Alabama-Kino auf dem Kampnagelgelände gezeigt. Er war in den vergangenen Krisenjahren bereits zu einem der wichtigsten Filme des neuen Kinos Griechenlands geworden und hatte auch international für Furore gesorgt.

Beim Karlovy Vary International Film Festival hatte der junge Hauptdarsteller des Films, Yannis Papadopoulos, eine besondere Erwähnung der Jury erhalten. Auf weiteren internationalen Festivals, so beim 56th BFI London Film Festival und dem Toronto International Film Festival, wurde "Boy eating the bird's food" ebenfalls gewürdigt. Im April 2013 gewann er den mit 10.000 Euro dotierten Hauptpreis des Linzer Filmfestivals "Crossing Europe", im September vergangenen Jahres wurde er auf dem 21. Internationalen Filmfestival Oldenburg präsentiert. Doch auch bei "This is not Greece" wurde dieser Experimentalfilm positiv aufgenommen und bot, wie sich in der anschließenden Diskussionsveranstaltung "Pictures of a crisis" zeigte, an der neben Ektoras Lygizos auch Athanasios Karanikolas, Regisseur des hier ebenfalls präsentierten griechischen Films "Sto spiti", und Nana Heidenreich als Moderatorin teilnahmen, Anlaß zu weiterführenden Gesprächen. Im Anschluß erklärte Ektoras Lygizos sich bereit, dem Schattenblick einige Fragen zu beantworten.


Schattenblick (SB): Könnten Sie bitte Ihre künstlerische Arbeit in Athen einmal kurz vorstellen?

Ektoras Lygizos (EL): Ich bin Theaterregisseur. Hauptsächlich arbeite ich also am Theater, habe aber vor zehn Jahren bereits zwei Kurzfilme gemacht. Vor drei Jahren entstand dann der Film "Boy eating the bird's food". Gegenwärtig arbeite ich an meinem nächsten Projekt.

SB: 2012, das war in den ersten Jahren der sogenannten Wirtschaftskrise, von der Griechenland besonders stark betroffen ist. Haben Sie eine Idee dazu, wie viele Menschen in Griechenland unter Bedingungen, wie Sie sie in dem Film beschrieben haben, lebten, als der Film entstand, und wie viele es heute sein mögen?

EL: Das ist sehr schwer zu sagen. Es gab zu der Zeit keine offiziellen Statistiken zu den Auswirkungen der Krise. Heute ist die Arbeitslosigkeit ungeheuer groß, vor allem unter jungen Leuten. Bei ihnen liegt sie bei etwa 60 Prozent und in der Gesamtbevölkerung bei 25 Prozent. Als ich den Film machte, war ich natürlich stark beeinflußt von all diesen Dingen, aber ich habe ihn nicht speziell wegen der Krise gemacht. Heute betrachte ich ihn mit einem gewissen Abstand und sehe ihn als eine große Projektion meiner Ängste.

Du lebst in der Gesellschaft, wählst einen Beruf beispielsweise am Theater oder arbeitest an einem Film und arbeitest und arbeitest und merkst dann schließlich irgendwann, daß du längst in einem Alter bist, in dem du etwas schaffen möchtest, von dem du annimmst, daß es nützlich wäre. Und dann fühlst du plötzlich, daß sich irgendetwas in der Gesellschaft total verändert hat und das, was du zu tun gelernt hast, nicht länger nützlich ist.

Ich denke, dieser Film war einfach eine große Projektion dessen, wie ich dieses Gefühl der Frustration wahrgenommen habe, diese erste Reaktion auf all diese Veränderungen, dieser Frust, die eigenen Ideen auf einmal nicht mehr verwirklichen zu können und darüber dann natürlich sehr beschämt zu sein und nicht die Kraft zu haben, diese Empfindungen mit anderen zu teilen, nicht einmal mit deiner Familie oder deinen Freunden. In einem solchen Moment fühlst du dich sehr allein. Bei diesem Moment der Einsamkeit wollte ich es belassen, auch wenn er sich nur in deinem Kopf abspielt. Der junge Mann im Film, Yorgos, hat ja später versucht, etwas zu unternehmen und seine Mutter anzurufen, aber mich hat vor allem diese erste Reaktion interessiert, als er sich so hilflos fühlte.

SB: Nach meinem Eindruck hat er so einiges auf die Beine gestellt, um an seiner Situation etwas zu ändern, aber es half alles nichts.

EL: Ja, aber ich denke, daß er sich so hilflos fühlen wollte und daß dieser Künstler dachte, alle um ihn herum würden sagen, daß er nutzlos sei. In meiner Vorstellung ist das etwas, was er tief in seinem Innern verborgen hat.


E. Lygizos während des Interviews - Foto: © 2015 by Schattenblick

Frischer Wind auf Kampnagels Gelände
Foto: © 2015 by Schattenblick

SB: Für Menschen, die Hunger nicht aus eigener Erfahrung kennen, ist es vielleicht nicht so einfach, sich vorzustellen, wie jemand lebt und sich fühlt, der Tag für Tag nicht genug zu essen hat. Für wen haben Sie diesen Film gemacht, für die Menschen in Griechenland oder auch in anderen Ländern wie hier in Deutschland?

EL: Wenn du so einen Film machst, ist das etwas Künstlerisches. Du machst ihn in erster Linie für dich selbst, denn es ist eine Art, mit Gefühlen oder Ängsten umzugehen, die nicht leicht zu verarbeiten sind. Das ist nicht bloß ein Hilferuf. Denn es ist doch so: Du machst etwas für dich selbst und dann erst teilst du es anderen mit. Mir gefällt der Gedanke, daß man die Reaktionen nicht kontrollieren kann. Vielleicht möchte sich jemand, der den Film gesehen hat, dem weiter annähern. Ein anderer zieht es jedoch vor, ihn gar nicht anzusehen, weil er es nicht ertragen kann. Jeder hat die Wahl, verstehen Sie, was ich meine? Jeder von uns könnte morgen schon in dieser Lage sein. Ich möchte nicht vergessen, daß es vielleicht morgen schon nicht einmal mehr etwas zu essen gibt.

SB: Viele Zuschauer hier auf Kampnagel waren wirklich aufgewühlt, als sie "Boy eating the bird's food" gesehen haben. Lag es bei diesem Film in Ihrer Absicht, dem jungen Mann so nahe zu kommen, daß es schwierig wird, die Distanz zu wahren?

EL: Das war keine Entscheidung vom Kopf her. Für mich ergab sich die Notwendigkeit, eine solche Nähe herzustellen, weil du dann nicht so einfach unterscheiden und einordnen kannst, was du da siehst. Vielleicht ist es so, daß man einen gewissen Abstand braucht, um jemandem eine Lösung vorschlagen zu können. Was mich angeht, wollte ich ihm gar keine anbieten. Ich wollte ihm nah sein und fühlen, was er fühlt und ihm gegenüber einfach nur einfühlsam sein.

SB: Ist das auch eine Frage einer speziellen Kameratechnik?

EL: Das Medium Film an sich ist eine ganz bestimmte Art, etwas zum Ausdruck zu bringen. Für mich war Kino überhaupt das Mittel, um auszudrücken, was ich fühlte und ihm sehr nahe zu sein, und zwar auch der Teil von mir, der so viel Angst empfand.

SB: Würden Sie sagen, daß es ein politischer Film ist, und wenn ja, wie würden Sie "politisch" definieren?

EL: Es war nicht meine Hauptabsicht, etwas Politisches zu machen. Ich denke, ein politischer Film würde versuchen, bestimmte Lösungen anzubieten oder vorzuschlagen. Ein solcher Film ist es nicht. Es ist einer, der eine innere Erfahrung vermitteln soll, und das ist eine sehr sensible Angelegenheit. Ich sehe mich nicht in der Lage, Lösungen vorschlagen zu können. Es ist ja zum Teil auch so, daß ich mit den Leuten rede und versuche, ihnen zu helfen. Aber wenn es ums Kino, also um eine Kunstform geht, kann man sich meiner Meinung nach nicht selbst in die Situation bringen, politisch zu sein. Wenn man etwas mitzuteilen hat, ist das politisch. Du forderst die Leute auf, die Welt durch deine eigenen Augen zu sehen. Ich glaube, daß solche Filme politisch werden können, aber es nicht per se sind. Manchmal ist es eine Frage des Zufalls, ob das geschieht oder nicht.

Du siehst etwas, was andere Leute nützlich finden, eine bestimmte Information beispielsweise, die nicht durch Worte und nicht über das Denken ausgedrückt werden kann, sondern durch die Sprache des Kinos. Das ist etwas anderes. Ich mag sie sehr, aber ich habe nicht die Worte, das ausdrücken zu können. Wenn ich die hätte, hätte ich vielleicht den Film nicht gemacht! Ich bin es leid, einen Film zu interpretieren, der mehr ist als seine bloße Technik, als seine Bilder, Geräusche und Dialoge, seine Musik und all das. Das ist, wie wenn man Träume mit jemandem teilen würde. Oder, wie wenn du in einem Raum sitzt und etwas schreibst, von dem du nicht weißt, ob es gut und richtig ist. Du fühlst dich auf gewisse Weise entblößt, es ist wie gesagt eine sensible Angelegenheit, und da bist du glücklich, wenn die Leute etwas Nützliches oder eine Gemeinsamkeit drin entdecken.

SB: Wie sehen Sie denn die Zukunft, in der nächsten Woche, dem nächsten Monat, dem nächsten Jahr, für Sie persönlich und für Griechenland?

EL: Ich versuche, meine Gefühle, meinen Ärger und meine Frustration zuzulassen und auszudrücken. Auf diese Weise spreche ich mit den Menschen, mit meiner Familie, meinen Freunden. So versuchen wir, Lösungen zu finden und in dieser Auseinandersetzung Stellung zu beziehen. Ich empfinde das, was in Griechenland geschieht, als eine reine Ungerechtigkeit. Wir leben aber auch in einer Zeit, in der jeder von uns begreifen kann, wo seine Möglichkeiten und Fähigkeiten liegen - uns selbst gegenüber wie auch gegenüber dem gesamten System - und seine Entscheidungen treffen kann. Ich bemühe mich, optimistisch zu sein, aber im Augenblick bin ich eher ein wenig pessimistisch, weil es so viel Gewalt und Druck gibt. Also wenn Sie mich fragen, würde ich sagen, daß ich das, was jetzt in Griechenland geschieht, als so etwas wie Krieg empfinde.


Transparent mit Baum und der Aufschrift 'Niemand ist in der Krise allein' - Foto: © 2015 by Schattenblick

Wirklich niemand? Transparent während der "This is not Greece"-Tage auf Kampnagel
Foto: © 2015 by Schattenblick

SB: Noch ein kleines Schlußwort: Wie denken Sie über das Event hier in Hamburg? Sind Sie mit den Veranstaltungen zufrieden?

EL: Ich finde, daß es wirklich sehr nützlich ist, über all diese Dinge zu sprechen. Denn wenn du das tust, fängst du an, sie nicht mehr zu fürchten, es ist eine Art, über seine Ängste hinwegzukommen. Ich war auch sehr neugierig hierherzukommen, um zu sehen, wie die Leute in Deutschland denken, ob sie sich schuldig fühlen oder sich ebenfalls fürchten. Ich glaube, was die Beziehungen zwischen den Menschen in Griechenland und Deutschland angeht, daß es nichts gibt, was uns trennt, sondern nur Dinge, bei denen wir uns gegenseitig helfen können. Ich finde, es ist ein guter Zeitpunkt, einfach über alles zu sprechen und sich die unterschiedlichen Aspekte vor Augen zu führen, und dabei spielt es keine Rolle, ob das nun anhand eines Films geschieht oder in einer eher theoretischen Annäherung.

SB: Ich bedanke mich, Herr Lygizos, für das Gespräch.


Fußnoten:

[1] Siehe den Bericht zu "Boy eating the bird's food" im Schattenblick unter www.schattenblick.de → INFOPOOL → BILDUNG UND KULTUR → REPORT:
BERICHT/038: Griechischer Wein - vielleicht politisch? ... (SB)
http://schattenblick.de/infopool/bildkult/report/bkrb0038.html


Beiträge zum Themenspecial "This is not Greece" im Schattenblick
www.schattenblick.de → INFOPOOL → BILDUNG UND KULTUR → REPORT:

BERICHT/037: Griechischer Wein - und wenn ich dann traurig werde ... (SB)
BERICHT/038: Griechischer Wein - vielleicht politisch? ... (SB)
INTERVIEW/029: Griechischer Wein - Der Mensch dem Menschen ...    Poka-Yio im Gespräch (SB)

11. September 2015


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