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INTERVIEW/022: Suchmaschine - Vorurteile ...    Pascal Jürgens im Gespräch (SB)


Auf der Suche nach Antworten wird das Fragen immer unwichtiger

SUMA-EV-Kongreß am 11. Februar 2015 in Hamburg


"Besser allein als in schlechter Gesellschaft? Warum sich Personalisierung nicht mit dem mündigen Bürger verträgt" - was der Mainzer Kommunikationswissenschaftler Pascal Jürgens im Rahmen eines Kongresses zum Thema Suchmaschinen, den der SUMA-EV in Kooperation mit der Hochschule für angewandte Wissenschaften Hamburg (HAW) ausgerichtet hat, vortrug, ist nicht nur für Experten, sondern jeden Menschen bedeutsam, der sich im Internet informiert und seinen Horizont erweitert.


Im Vortrag - Foto: © 2015 by Schattenblick

Pascal Jürgens
Foto: © 2015 by Schattenblick

Daß Suchmaschinen als Informationsmediäre zwischen dem Nutzer und einem Inhalt fungieren, hat nach Ansicht Jürgens politische und gesellschaftliche Relevanz. Jürgens bestreitet nicht, daß Google und andere Suchmaschinen eine wichtige soziale Funktion erfüllen, da ohne sie das Internet in der Ergiebigkeit seines Angebots nicht hinreichend genutzt werden könnte. Der Frage, welche Auswirkungen die Personalisierung von Suchanfragen auf die Internet-Nutzer im allgemeinen und die Gesellschaft im besonderen hat, geht der Referent zwar aus wissenschaftlich neutraler Sicht nach, bietet mit den dabei gemachten Erkenntnissen aber auch die Möglichkeit zu kritischer Positionierung.

Nutzer lesen Inhalte, kaufen Produkte, schauen sich Werbung an und bilden so ein subtiles Geflecht durch Suchmaschinen gelenkter Aufmerksamkeit. Für Jürgens stellt dies das entscheidende Moment in einem Webnavigationsmodell dar, das in der letzten Dekade tiefgreifende Veränderungen erfahren hat. Früher sei das Webverhalten der Nutzerinnen und Nutzer weitgehend habitualisiert gewesen. Wer eine bestimmte Webseite aufrufen wollte, gab die Webadresse direkt ein, so daß der Umweg über die Suchmaschine nicht nötig war. Die Suche war auf den Endzweck der Informationsgewinnung ausgerichtet.

Heutzutage dagegen bauten Suchmaschinen soziale Empfehlungen in das Ranking ein, um besonders beliebte und populäre Inhalte mit Vorzug zu behandeln. Google+ etwa speist bei angemeldeten Nutzerinnen und Nutzern Empfehlungen der Freunde in die Suchergebnisse ein, so daß auch das soziale Umfeld in den Suchergebnissen abgebildet wird. Suchmaschinen sind heutzutage mithin nicht nur Informationsintermediäre, sondern übernehmen Aufgaben der Navigation, was ihnen neue gesellschaftliche Relevanz verleiht. Der Referent belegt dies mit Zahlen aus einer Umfrage nach den wichtigsten Quellen, um zu neuen Informationen zu gelangen. Demzufolge gaben 62 Prozent der Befragten Google an, 37 Prozent persönliche Gespräche und 24 Prozent das soziale Netzwerk Facebook.

Dieser Wandel in der Wissensvermittlung zeigt nach Ansicht des Referenten, daß Suchmaschinen nicht bloß Recherchewerkzeuge sind, sondern auch Meinungsbildungsrelevanz haben. Dies könne einschränkende Auswirkungen auf die Debattenvielfalt haben. Bei stark polarisierenden Themen wie Verschwörungstheorien oder Debatten um Gentechnik und Klimaforschung fällt der Art und Weise, wie mit kritischen Texten und Stellungnahmen im Medienbetrieb umgegangen wird, dem Referenten zufolge eine hohe gesellschaftliche Bedeutung zu. Gäbe man einer Seite des Konflikts den medialen Vorrang vor der anderen, so daß kritische Standpunkte aus dem Gesichtsfeld des Lesers verschwänden, dann hätte das Einfluß auf demokratische Meinungsbildungsprozesse.

Es sei auch problematisch, wenn sich statt der Meinungsvielfalt und Divergenz der Standpunkte die gesellschaftliche Machtverteilung in den Suchergebnissen abbildete. Die Frage, ob besonders populäre, sichtbare und einflußreiche Akteure in der Gesellschaft auch in den Suchmaschinen bevorzugt behandelt werden, oder ob nicht im Sinne einer Chancengerechtigkeit alle Seiten gleichermaßen zu Wort kommen sollten, müßte auf jeden Fall gestellt werden.

So wäre zu fragen, ob den zehn größten Unternehmen in Deutschland, die 50 Prozent Marktanteil am deutschen Markt auf sich vereinen, in der Suchmaschine 10, 50 oder 100 Prozent der Ergebnisse zufallen sollten. Wie verhält es sich mit der Parteilichkeit bzw. Unparteilichkeit gegenüber gesellschaftlichen Minderheiten? Jürgens bezieht in seinem Vortrag keine explizite Position dazu, mahnt jedoch an, die an die Ergebnisse von Suchmaschinen angelegten Maßstäbe in dieser Hinsicht einer Prüfung zu unterziehen.

Der Referent verwahrt sich jedoch dagegen, wenn in diesem Zusammenhang von Zensur gesprochen wird. Suchmaschinen und staatliche Zensur seien für ihn zwei verschiedene Dinge, die er getrennt sehen möchte. Wenn Staaten zensieren, müßten sich Suchmaschinen dem geltenden Recht beugen, was auch das Recht auf Löschen impliziere. Problematisch findet er hingegen die Verzerrung im Ranking der Suchlisten. So teile er nicht die Ansicht vieler Vertreter aus der Software-Community, daß der Nutzer alles finden könne, solange es im Index steht. Das würde bedeuten, daß der Nutzer bereit sei, notfalls 500 Seiten durchzugehen. Studien hätten jedoch ergeben, daß die Probanden fast immer die ersten drei Ergebnisse auf der Suchliste anklicken. Das gelte auch dann, wenn die obersten drei Ergebnisse durch die drei Ergebnisse am unteren Ende der ersten Seite ausgetauscht wurden.

Google bietet auch die Hilfestellung an, Suchanfragen auf der Basis vorhandener Informationen über den Nutzer zu komplettieren. Die sogenannte Autocomplete-Funktion wird dann aktiv, wenn der Nutzer sich noch nicht entschieden hat, was er überhaupt fragen will. Letztendlich kann es ausreichen, einen Buchstaben einzutippen und auf ein Ergebnis zu warten, mit dem Google dem Nutzer mitteilt, was er eigentlich fragen will. Dies verleite dem Referenten zufolge dazu, kognitive Funktionen auszublenden. Wenn der Mensch selbst darüber nachdenke, was er wolle, sei er gezwungen, sein Erinnerungsvermögen zu aktivieren und sich mehr mit einem Thema auseinanderzusetzen, was Dinge bewußt machen könne, die ansonsten im Dunkeln blieben. So seien die Suchmaschinen für die meisten Nutzer hervorragende und zuverlässige Werkzeuge, aber keineswegs neutral.


Ausschnitt einer Projektion des Vortrags - Foto: 2015 by Schattenblick

Autocomplete - Einladung zur totalen Passivität
Foto: 2015 by Schattenblick

Ausgehend davon, daß alle Menschen von einer Suchmaschinen gleich behandelt werden, also eine individuelle Suchanfrage jeweils die gleichen Ergebnisse erzielt, wird mit der Personalisierung der Suchanfrage dazu übergegangen, unterschiedlichen Menschen unterschiedliche Relevanzkriterien anzubieten. Um möglichst genau zu treffen, welches Interesse einer Suchanfrage jeweils zugrundeliegt, werden frühere Suchanfragen und andere Informationen ausgewertet, über die der Suchmaschinenbetreiber bereits verfügt, oder dem Suchprofil verwandte Ergebnisse erhalten eine höhere Position im Ranking. Bei Homonymen, also Wörtern mit identischer Schreibweise, aber mehreren Bedeutungen, weiß die Suchmaschine, an welchen Ergebnissen der jeweilige Nutzer interessiert ist, und entspricht in der Ergebnisliste.

Einer Untersuchung nach nimmt die Zufriedenheit der Nutzerinnen und Nutzer mit dem Ausmaß der Personalisierung zu. Auch könne das Problem der Suchmaschinenverzerrung dadurch gelöst werden, daß der Sucher der Suchmaschine beibringt, was er sehen möchte und was nicht, um mit dieser Korrektur der Dominanz einzelner Anbieter oder Partikularinteressen in den Suchergebnissen entgegenzuwirken, so die These des Rechtswissenschaftlers Eric Goldman.

Andererseits ergeben sich aus der Personalisierung Probleme wie das der sogenannten Filter Bubble. Dem von dem Internet-Aktivisten Eli Pariser geprägten Begriff liegt die Idee zugrunde, daß mit der Personalisierung der Suchergebnisse der Neigung der Nutzer entsprochen werde, nur noch ganz bestimmte Inhalte wahrzunehmen und sich damit eine Art Informationsblase zu schaffen, die wie eine rosarote Brille wirkt. Dabei sei das damit vollzogene Ausblenden von Informationen genau das, was beim Information Retrieval, also dem Suchen in Datenbanken und im Internet, angestrebt werde. Eine solche Verengung des Horizonts finde in kommunikationswissenschaftlicher Sicht zwar aufgrund des selektiven Auswahlverhalten der Nutzerinnen und Nutzer immer statt, könne im gesellschaftlichen Kontext allerdings problematisch sein, wenn es darauf hinauslaufe, daß etwa politische Inhalte gezielt vermieden werden, sich also die Menschen in der Filter Bubble nicht mehr mit relevanten gesellschaftlichen Prozessen auseinandersetzten. Sich dem gemeinsamen Potential, Probleme zu thematisieren und gesellschaftliche Diskurse zu führen, zu entziehen, könne die Distanz zur Gesellschaft vergrößern und eine Fragmentierung der Öffentlichkeit bewirken, was etwa Radikalisierungstendenzen zur Folge haben könnte.

Schließlich erschwere die Personalisierung die wissenschaftliche Forschung von Suchmaschinen. Wenn die Ergebnisse für jeden anders ausfielen, dann könnten Suchmaschinen nicht mehr richtig untersucht und pauschal beschrieben werden. Nach einem Exkurs zu den wissenschaftlichen Methoden, die in diesem Forschungsfeld zur Anwendung gelangen, kommt der Referent zu dem Schluß, daß Personalisierung theoretisch sehr problematisch, aber aufgrund der geschilderten Probleme der Forschung faktisch nicht wirklich nachweisbar sei. Während digitialisierte Inhalte für den Alltag und die Gesellschaft immer wichtiger sind, würden Suchmaschinen immer komplexer, intransparenter und einflußreicher. Mögliche Gegenbewegungen könnten anhand der Archivierung und Dokumentation von Suchergebnissen die empirische Grundlage für eine kritische Auseinandersetzung mit der dominanten Stellung vor allem Googles schaffen. Zudem äußerte der Referent die Hoffnung, daß man die Suchmaschinenbetreiber eines Tages dazu bewegen könne, zumindest anzuzeigen, wann eine Personalisierung stattfindet, um den Nutzerinnen und Nutzer etwas Kontrolle und Mündigkeit zurückzugeben.

Im Anschluß an seinen Vortrag beantwortete Pascal Jürgens dem Schattenblick einige Fragen zur geschilderten Problematik.


Referent vor Projektion 'Suchmaschinen haben Meinungsbildungsrelevanz' - Foto: © 2015 by Schattenblick

Gesellschaftliche Relevanz von Suchmaschinen im Blick
Foto: © 2015 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Herr Jürgens, könnten Sie uns den Kontext Ihrer wissenschaftlichen Forschung in bezug auf die Personalisierung schildern?

Pascal Jürgens (PJ): Das gesamte Projekt hat an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz stattgefunden und wurde initiiert von meiner Chefin Dr. Birgit Stark, die dort Professorin am Institut für Kommunikationswissenschaft ist. Unsere Anfangsidee war, den Stand der Suchmaschinenforschung in den letzten zehn Jahren zu überprüfen. Dabei ist uns aufgefallen, daß es um 2006/2007 herum einen Bruch gegeben hat. Seitdem ist nicht mehr viel an dem Thema geforscht worden, obgleich sich die Suchmaschinen in dieser Zeit enorm weiterentwickelt haben. Sie sehen zwar noch genauso aus wie damals, aber durch Autocomplete und Personalisierung sind neue Funktionen hinzugekommen, die bisher wissenschaftlich noch nicht beleuchtet wurden.

Natürlich hat sich auch das Verhalten der Nutzer verändert. Manchmal bekommt man in Fachkreisen den Eindruck, als ließe sich die Forschung von 2000 einfach auf heute übertragen. Das ist natürlich aberwitzig, denn die Technologie war seinerzeit auf einem viel niedrigeren Stand, und außerdem hatten die Leute relativ wenig Erfahrung im Umgang mit den Suchmaschinen. Inzwischen haben wir eine Generation, die mit dieser Technologie groß geworden und darin sozialisiert ist. Deswegen haben wir uns gesagt, daß wir im Sinne einer qualitativen Studie erstens die Technologie der Suchmaschinen und zweitens das Nutzerverhalten genauer untersuchen müssen. Bei der dritten Komponente haben wir mit Professor Dr. Dieter Dörr aus dem Bereich Medienrecht kooperiert. Hier ging es darum, die Forderung, man müsse Google regulieren, auf den gegebenen Rechtsrahmen in Deutschland hin zu überprüfen. Das Forschungsprojekt ging über zwei Jahre und resultierte in dem Buch "Die 'Googleisierung' der Informationssuche - Suchmaschinen im Spannungsfeld zwischen Nutzung und Regulierung" [1] von Birgit Stark, Dieter Dörr und Dr. Stefan Aufenanger, der als Bildungswissenschaftler die Seite der Medienkompetenz abgedeckt hat.

SB: Was ist daran aus Ihrer Sicht negativ oder bedenklich, wenn Suchanfragen immer stärker personalisiert werden?

PJ: Natürlich kann man die Fragmentierung der Gesellschaft nicht objektiv kritisieren. Es gibt Gesellschaften, die stärker, und andere, die nicht so stark fragmentiert sind. Unsere Gesellschaft ist auf den normativen Grundlagen der Demokratie aufgebaut. Damit ist die Vorstellung verbunden, wie unser Staat und unsere Gesellschaft sein sollten.

Diesen Grundsätzen gemäß glauben wir, daß die Menschen ein Recht darauf haben mitzubekommen, was in der Politik passiert. In der Verfassung steht sogar ausdrücklich, daß die Menschen im Sinne der Partizipation auch tatsächlich am politischen Geschehen teilhaben sollten. Dazu gehört selbstverständlich auch, daß sie über die aktuellen Themen informiert sind, um sich gegebenenfalls einbringen zu können. All das ist in unserer politischen Kultur verankert und durch das Grundgesetz garantiert. Deswegen hat das Bundesverfassungsgericht immer argumentiert, daß wir die Medien brauchen, damit die Leute in sinnvoller Weise politisch agieren können. Natürlich gibt es in dieser Hinsicht unterschiedliche Spielarten, wie man das diskutieren kann, aber allen gemeinsam ist, daß wir Anknüpfungspunkte brauchen, erstens, um zu wissen, was die aktuellen gesellschaftliche Themen sind, und zweitens, damit sich die Leute darüber austauschen können.

Das berührt natürlich auch die Frage des gesellschaftlichen Zusammenhalts. Wenn ich zu einem Public Viewing gehe, also zu einem sportlichen Großereignis, kommen Leute aus allen Klassen und Schichten zusammen. Dann sitze ich neben einem Fabrikarbeiter, und wir können uns über Fußball unterhalten. Das führt natürlich dazu, daß Vorurteile abgebaut werden und ein Gemeinsamkeitsgefühl entsteht. Solche Dinge gehen allerdings verloren, wenn sich jeder gegen den anderen abschottet. Die Informationsnutzung im Internet ist ein ganz kleiner Teil davon. Deswegen hatte ich in meinem Vortrag auch vom selective exposure, der selektiven Mediennutzung, gesprochen. Das bedeutet, ich nutze nur noch Inhalte, die mir gefallen. In der Wissenschaft gibt es einen Konsens darüber, daß das eine schlechte Idee wäre, weil die Gesellschaft dann desintegriert, Distanzen aufgebaut werden und man immer mehr die Verbindung zu den anderen Menschen verliert. Das hat zur Folge, daß man nicht mehr so leicht ins Gespräch kommt. Dann muß man sich natürlich fragen, wohin das führt? Möglicherweise zu einer Gesellschaft wie in den USA, wo Menschen starke negative Emotionen gegenüber Leuten von der anderen Partei haben und sich einzelne Gruppen gegeneinander abgrenzen. Dadurch entstehen Spaltungen in der Gesellschaft, die die Suche nach Kompromissen erschweren und die Gewalt befördern.

SB: Sie vertreten die Ansicht, daß es keine neutrale Suchanfrage gibt, da es in jedem Fall zu einer Verzerrung der Suchergebnisse kommt. Nun hat Google mit dem PageRank von Anfang an eine Hierarchisierung der Inhalte vorgenommen, die sich teilweise daran orientiert, ob eine große oder kleine Seite auf den jeweiligen Inhalt verlinkt. Ist das nicht eine undemokratische Form der Selektion?

PJ: Pragmatisch gesehen muß man natürlich irgendwie gewichten und irgend etwas nach oben stellen. Der PageRank ist tatsächlich eine bewußte Entscheidung dafür, daß beliebte Inhalte im Netz auch weit oben auftauchen. Das ist nützlich und wird auch von den Nutzern gutgeheißen. Jetzt kann man sich fragen, ist das demokratisch oder nicht? Auf eine gewisse Art und Weise ist es demokratisch, denn jeder kann im Internet eigene Inhalte produzieren, jeder kann einen Link setzen und dadurch dazu beitragen, daß etwas populär wird oder nicht. Das heißt, was Google mit dem PageRank abbildet, ist eine Art Abstimmung der Leute, die im Internet aktiv sind. Das ist genauso wie beim Kiosk am Bahnhof. Dort liegen die Zeitungen, die häufig gekauft werden, ebenfalls vorne, auch wenn damit eine Ungleichbehandlung verbunden ist. Das heißt, das Undemokratische daran ist eigentlich nur, daß es nicht radikaldemokratisch ist, daß nicht jeder die gleiche Stimme hat. Aber auch im politischen Diskurs kommt nicht jeder in die Medien oder wird im Internet gehört. Es muß immer eine Asymmetrie geben, das scheint in der Natur des Menschen zu liegen, und von daher würde ich persönlich sagen, es ist eigentlich kein Problem, die gesellschaftlichen Strukturen im Internet zu reproduzieren, auch wenn dies nicht radikaldemokratisch ist.

SB: Nur Google verfügt über den Algorithmus, mit dem der PageRank bestimmt wird, so daß die Kriterien dafür nicht ohne weiteres einsehbar sind. Wie beurteilen Sie das ganz generell in bezug auf die Verfügbarkeit von Wissen? So könnte Wissen zum Beispiel auch nach sozialen oder anderen Gesichtspunkten sortiert werden. Handelt es sich strenggenommen nicht um eine Form der Monopolisierung des Zugriffs, wenn Google den PageRank in Eigenregie vornimmt?

PJ: Daß Google ein Monopol hat, würde ich bestätigen. Allerdings muß man sich dann auch fragen, was genau die Definition von einem Monopol ist. Fakt ist, daß die meisten Leute Google verwenden, und deswegen hat Google an dieser Stelle auch eine enorme Macht. Aber gleichzeitig muß man auch sehen, daß die Leute in einer unglaublichen Breite suchen. Es ist also unwahrscheinlich, daß Google systematisch bestimmte politische Themen zu manipulieren versucht, weil es ganz unterschiedliche Suchanfragen gibt. In der Realität ist es meistens so, daß Leute mit einem bestimmten Interesse auch bestimmte Begriffe benutzen. Selbst unterschiedliche politische Gruppierungen verwenden, wenn sie über dieselben Sachen reden, meist unterschiedliche Begriffe. Für die einen ist es eine Elbvertiefung und für die anderen eine Fahrrinnenanpassung. In den 80er Jahren hieß es Atomkraft versus Kernkraft. Befürworter sagten Kernkraft, die Gegner sprachen von Atomkraft. Das heißt, ein großer Teil dieser möglichen Problematik wird sich schon dadurch lösen, daß die Nutzer selber Kontrolle darüber haben, nach welchen Begriffen sie suchen.

SB: Es geht hier auch um die Frage der Marktmacht. So hat eine große Zeitung wie die New York Times viel mehr Gewicht bei der Verlinkung als die Zeitschrift einer Freiwilligeninitiative.

PJ: Man kann auf jeden Fall sagen, daß Google eine bestimmte Idee davon hat, was gefunden und dementsprechend populär gemacht werden sollte. Google trifft also eine bestimmte Werteentscheidung, die es dann auch umsetzt. Das ist weder sozial noch gleichberechtigt, weil zum Beispiel der Minderheitenschutz völlig unberücksichtigt bleibt. In Deutschland haben wir die klare Idee, daß Minderheiten geschützt werden müssen. Doch wie sollte man das realisieren? Google ist in dieser Hinsicht relativ klar eingestellt, sie wollen ihre mathematischen Prinzipien unter allen Umständen durchziehen. Was die Sache noch komplizierter macht, ist, daß Google behauptet, den PageRank so gut wie gar nicht mehr zu verwenden, und statt dessen ganz unterschiedliche Indikatoren eingeführt hat.

Das heißt, es wird inzwischen noch viel schwieriger festzustellen, was da eigentlich passiert. Wir sind an einem Punkt angelangt, wo wir nicht nur ein Problem damit haben, daß Google in die eine oder andere Richtung Ergebnisse anzeigt. Darüber hinaus wissen wir einfach nicht, nach welchen Indikatoren das Unternehmen vorgeht, woher sie kommen oder wieviele Nutzer das sehen. Das Problem ist also, wie man in der Systemtheorie sagen würde, daß die Gesellschaft sich selbst nicht beobachten kann. Wir als Nutzer können uns selber nicht beobachten und wissen daher nicht, wie die Suchergebnisse uns prägen und welchen Einfluß das auf die Gesellschaft hat. Eigentlich ist eine Transparenzkritik erforderlich, weil es so nicht weitergehen kann.

SB: Herr Jürgens, vielen Dank für das Gespräch.


Referent mit Publikum - Foto: © 2015 by Schattenblick

Kommunikationswissenschaft im Praxistest ...
Foto: © 2015 by Schattenblick


Fußnote:


[1] http://www.medienkonvergenz.uni-mainz.de/2014/04/15/band-10/


Zum SUMA-EV-Kongreß in Hamburg sind bisher im Pool
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unter dem kategorischen Titel "Suchmaschine" erschienen:

BERICHT/033: Suchmaschine - Erwägen, prüfen, wissen ... (SB)
INTERVIEW/021: Suchmaschine - Grenzen, Schranken, Schienenstränge ...    Prof. Dr. Karsten Weber im Gespräch (SB)

20. Februar 2015


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